Zürich als Labor für das Grundeinkommen?

Das zumindest berichtet ein Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung „Zürich soll zum Labor für radikale Idee werden“. Die Sozialdemokratisch Partei (SP) strebt einen Feldversuch zum Bedingungslose Grundeinkommen an, ist darin zu lesen. Was Feldexperimente leisten können, damit hat sich Sascha Liebermann hier befasst.

„2.500 Franken für jeden? Nein, danke!“…

…ein Kommentar von Matthias Daum auf Zeit online nicht nur zur Abstimmung in der Schweiz gestern, sondern auch zur Art und Weise, in der diskutiert wurde. Er kritisiert darin sowohl die Befürworter als auch die Gegner, die beide mehr auf Glaubenssätze als auf Argumente gesetzt hätten. Wie auf Bestellung schreibt Marcel Amrein in der Neuen Zürcher Zeitung sogleich einen hämischen Kommentar. Ganz ähnlich auch Marc Beise in der Süddeutschen Zeitung. Differenzierter ist der Kommentar von Claudia Blumer im Tagesanzeiger.

Bedingungsloses Grundeinkommen – eine unausgegorene Forderung?

Konrad Paul Liessmann hat in einem Beitrag mit dem Titel „Arme Arbeit“ in der Neuen Zürcher Zeitung Stellung bezogen zur Diskussion um mögliche Folgen einer Digitalisierung, die uns zwinge, den Begriff der Arbeit neu zu denken. Er reiht sich damit ein in Prognosen, die in den letzten Jahren häufiger zu lesen sind, die Frage selbst allerdings ist nicht so neu. Davon abgesehen gibt es auch Stimmen, die die Frage teilen, gleichwohl aber vorsichtiger sind mit den Voraussagen, so z. B. Theo Wehner.

Am Ende seines Beitrags schreibt Liessmann:

„Damit diese Chance [der Digitalisierung, SL] genützt werden kann, müssen die ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen diesem Prozess angepasst werden. In diesem Kontext hat auch die derzeitige Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen durchaus ihre Berechtigung, so unausgegoren die Forderung auch sein mag.“

Was ist am BGE denn unausgegoren, das hätte man doch gerne gewusst? Angesichts der sehr differenzierten Überlegungen, die es dazu gibt, der vielen Möglichkeiten, die es für verschiedene Lebensbereiche böte, kann davon keine Rede sein. Es sei denn, man erwartete detaillierte Voraussagen darüber, was denn eintreten werde. Das wäre in der Tat unrealistisch, aber nicht nur im Falle des BGE.

Sascha Liebermann

Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz – nicht national umsetzbar?

Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Bericht des tagesanzeigers (auf den sich auch die Neue Zürcher Zeitung beruft, die gleich die Schweiz zum „Schlaraffenland mit gefährlicher internationaler Sogwirkung“ ernennt) und bezieht sich auf Äußerungen Oswald Siggs, der einer der Initianten der Eidgenössischen Volksinitiative ist. Sigg „glaube nicht, dass man das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz isoliert umsetzen kann“, zitiert ihn der tagesanzeiger. Wegen der durch ein BGE erwachsenden Attraktivität der Schweiz für „all die Arbeitslosen in Europa und für Flüchtlinge“ würde durch die Einführung die Zuwanderung deutlich zunehmen. Sigg plädiere deswegen für einen Pilotversuch in einem Kanton, um zu testen, was passiert, wenn ein BGE eingeführt wird (siehe meinen jüngeren Kommentar zu Feldexperimenten hier). Dabei verweist er laut tagesanzeiger allerdings selbst darauf, dass definiert werden könne, wer in diesem Experiment bezugsberechtigt ist. Damit hat Sigg im Grunde aber schon ausgesprochen, wie mit der Zuwanderung umgegangen werden könnte, wie mit ihr auch heute schon umgegangen werden muss. Es bedarf bei nationaler und selbst europäischer Einführung einer Wartefrist, bis jemand bezugsberechtigt ist. Wie sie aussieht, wäre wiederum Gegenstand politischer Willensbildung bzw. bestehender Gesetzgebung.

Aus der Sicht eines politischen Gemeinwesens, das über sein Leben selbst bestimmen können will, ist eine Fristenregelung die einzige Möglichkeit, mit der auf die von Sigg aufgeworfene Sorge geantwortet werden kann. Über eine ähnliche Frage gab es im letzten Jahr eine Diskussion in Deutschland betreffend den Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe. Das Bundessozialgericht  (siehe auch hier) stellte fest, dass bei EU-Bürgern geprüft werden müsse, ob Anspruch auf Sozialhilfe bestehe. Nach einer Mindestaufenthaltszeit allerdings bestehe ein Rechtsanspruch. Was Oswald Sigg für die Schweiz befürchtet, ist also in der EU schon Realität und nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz zu klären, wie auf Zuwanderung reagiert werden kann. Dass es nur eines BGE wegen zu besorgniserregenden Wanderungsströmen kommen würde, ist unwahrscheinlich, dafür gäbe es ja durchaus heute schon Anlass, auch innerhalb der EU, denn das eigene Land zu verlassen, bedeutet ja, nicht nur die eigene vertraute Lebensumgebung aufzugeben, es verlangte ja ebenso, Angehörige und Freunde zurückzulassen.

Gegen Ende des Beitrags heißt es noch:

„All diese Unwägbarkeiten zeigen: Bei einem Ja zum bedingungslosen Grundeinkommen würde die Schweiz in ein grosses Testlabor verwandelt. Denn die Idee wurde noch nirgendwo in diesem Ausmass erprobt. Zwar fanden im Ausland diverse Pilotversuche statt, aber stets in sehr beschränktem Rahmen. Auch wurden dort vor allem die Auswirkungen der ausgeschütteten Gelder getestet, nicht die Folgen der Finanzierung solcher Grundeinkommen.“

Eine besonnene Einführung gehört dazu, ein Umsturz von einem Tag auf den anderen ist nicht zu erwarten. Dem BGE werden teils Probleme zugeschrieben, die es hervorbringen würde, die längst bestehen.

Sascha Liebermann

„Ohne Arbeit läuft gar nichts“…

…schrieb Werner Enz schon im März in der Neuen Zürcher Zeitung als Kommentar zur Eidgenössischen Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“. Dieser Beitrag ist insofern bemerkenswert, als er nicht nur die Argumente der Intitianten für das BGE verzerrt wiedergibt und Dinge unterstellt. Er bezeugt auf besonders deutliche Weise das Missverhältnis zwischen der Deutung der Lebensverhältnisse in der Schweiz und ihrer realen Ausgestaltung. Denn die Schweizer Demokratie mit ihren direktdemokratischen Verfahren bringt ausgesprochen viel Vertrauen in die praktische Vernunft der Bürger zum Ausdruck.

Wenn Enz der Volksinitiative vorwirft, dass ihr Vorschlag zur „Sinnentleerung“ von Arbeit führe, dann ist es im Grunde der Autor selbst, der ein sinnentleertes Verständnis von Arbeit äußert:

„Die grosse Mehrheit arbeitet nicht nur zum Zeitvertreib, sondern um die Familie über die Runden zu bringen und anderen nicht zur Last zu fallen.“

Arbeit „nicht nur“, aber vorwiegend als Zeitvertreib zu betrachten, ist so ziemlich die am wenigsten sachhaltigste Haltung zu Arbeit, die man sich vorstellen kann. Auch „anderen nicht zur Last zu fallen“ ist keine Motivierung, die etwas mit dem Inhalt von Arbeit zu tun hat. Sie hängt der Illusion an, jemand könne für sich selbst ganz alleine sorgen, würde also niemandem zur Last fallen, obwohl doch in allen Gemeinwesen gilt: alle sind von allen abhängig, alle fallen allen zur Last – und zwar notwendigerweise. Ganz ähnlich wie Enz hatte sich im März im WDR-Funkhausgespräch Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen geäußert, der das BGE mit der Begründung ablehnte, er wolle kein „Transferempfänger“ sein, als sei das der Inbegriff einer unwürdigen Existenz. Dabei macht dieser Status nur auf besondere Weise deutlich, wie groß die Abhängigkeit des Einzelnen in einem solidarischen Vergemeinschaftungszusammenhang ist.

Sascha Liebermann