Die Ausgangslage ist bei beiden jedoch unterschiedlich: Im ersten Fall dienen Sanktionen dazu, die Abweichung von der Erwerbsnorm zu markieren, die Bezieher sollen ihr auf lange Sicht wieder folgen, (1/2)
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) December 31, 2023
Kategorie: Sanktionen
„…nur durch ein Grundeinkommen…“
Die aktuelle Diskussion zu #Sanktionen beim #Bürgergeld zeigt, dass wir die immer wiederkehrenden Debatten über Bestrafungen bei der Grundsicherung nur durch ein #Grundeinkommen überwinden werden.
— Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn gruene.social/@w_sk (@W_SK) December 29, 2023
„Heil will Job-Verweigerern das Bürgergeld komplett streichen“
Was soll mit dieser Haudraufhaltung erreicht werden? Symbolpolitik? Ein Zugeständnis an die vielen Falschberechnungen zum Bürgergeld?
Was am Ende dieses focus-Beitrags (siehe auch den Beitrag auf tagesschau.de) geschrieben wird, zeigt, worum es geht:
„Wie viele das am Ende dann genau betrifft, ist unklar. Bekannt ist lediglich die Zahl derer, gegen die bereits Sanktionen wegen mangelhafter Mitwirkung verhängt wurden. Das sind von 3,9 Millionen Empfängern 23.400 Personen.“
Es ist schon lange bekannt, dass es um einen sehr kleinen Kreis von Personen geht (siehe auch hier), die gemäß geltender Gesetze und Bestimmungen davon abweichen, worauf zielt das also?
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„’Wer nach sechs Monaten immer noch keinen Job hat,…
… muss einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgehen. Wer dem nicht nachkommt, dem muss die Stütze deutlich gekürzt werden‘, sagte der 46-Jährige.“ Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, äußerte sich in dieser Weise laut Tagesspiegel.
Man kann sich nun über den Ton ärgern, der hier angeschlagen wird, dass es Konsequenzen für unerwünschtes Verhalten geben müsse usw., man kann sich aber auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit „Rechte, Pflichten und Leistungskürzungen“ durchlesen und fragen, inwiefern sich Linnemanns Vorschläge davon nun unterscheiden – außer im Ton? Gemeinnützige Tätigkeit (siehe Bürgerarbeit), das wäre etwas Neues, erinnert ein wenig an die „chain gangs“ aus der „welfare to work“-Diskussion, an dem sich manche Politiker Ende der 90er Jahre orientierten, unterstützt durch meinungsstarke Beiträge mancher Sozialwissenschaftler (von denen manch einer sich wiederum für ein Grundeinkommen erwärmen kann). Vereine, die von bürgerschaftlichem Engagement leben, würden sich gewiss bedanken, wenn nun jemand einen Dienst bei ihnen ableisten müsste oder doch dann eben „chain gangs“, Straßen kehren, Parks aufräumen?
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„Wir brauchen einen gesunden Druck“…
…sagt Stefan Graaf, Geschäftsführer der Jobcenter StädteRegion Aachen im Interview auf Zeit Online, das im November veröffentlicht wurde. Worum geht es?
„ZEIT ONLINE: Die Umstellung von Hartz IV auf das Bürgergeld soll den Druck auf Arbeitssuchende verringern, es soll künftig mehr gefördert als gefordert werden. Derzeit werden allerdings in vielen Bereichen händeringend Arbeitskräfte gesucht. Kommt die Reform da nicht zum völlig falschen Zeitpunkt?
Graaf: Die Frage ist doch: Schaffen wir es mit Druck, eine langfristige, erfolgreiche Arbeitsmarktintegration hinzubekommen? Eine kurzfristig erfolgreiche Vermittlung sicher, aber nach meiner praktischen Erfahrung keine langfristige. Eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration gelingt nur mit den Menschen und nicht gegen sie. Ja, wir brauchen einen gesunden Druck. Aber das Thema Sanktionen wird immer viel zu hoch gehangen, weil die Mehrzahl der Betroffenen ordnungsgemäß mitwirkt. Das ist teilweise eine Phantomdiskussion, die wir in Deutschland führen. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter der Jobcenter ganz eng an den Menschen mit einer guten Beziehungsarbeit dran sein können.“
Graaf spricht aus Erfahrung und gerade deswegen überrascht die Zweischneidigkeit seiner Aussage. Auf der einen macht er deutlich, dass nur „mit den Menschen und nicht gegen sie“ das Ziel der „Arbeitsmarktintegration“ erreicht werden könne. Auf der anderen aber schließt er „Druck“ nicht aus, „gesunden Druck“. Was er damit meint, denn Druck, so wie er es hier verwendet, ist einer, der von außen einwirkt. Inwiefern kann er hilfreich sein und ist es tatsächlich so, dass solcher Druck förderlich ist?
„ZEIT ONLINE: Wie viel Druck ist denn notwendig aus Ihrer Sicht?
Graaf: Es muss zumindest die Verpflichtung bestehen, einer Einladung des Jobcenters auch Folge zu leisten, und das steht im Gesetzentwurf auch drin. Jetzt kann man sich politisch streiten, ob das erst bei der zweiten Einladung greift, wie es jetzt vorgesehen ist, oder ob es schon bei der ersten Einladung greifen soll. Für uns wäre es einfacher, wenn das schon beim ersten Mal der Fall wäre. Dann hätten wir klare Spielregeln. Aber das ist eine politische Entscheidung, die aus Sicht der Praktiker nicht so zentral ist.“
Das Leid der anderen, darüber sollte man nicht hinweggehen…
Nach 17 Jahren, in denen die SPD Betroffene unter #HartzIV leiden ließ, ist ein lapidar hingetwittertes „Uppsi, die Zeiten ändern sich halt“ offenbar das Maximum an Selbstreflexion. Davon kommen aber weder das Ersparte, noch Gesundheit, Würde und verpasste Lebensträume zurück. https://t.co/8Tc8DkKMqW
— Jörg Wimalasena (@JoergWimalasena) November 25, 2022
…, wie Jörg Wimalasena zurecht hervorhebt, als sei das so ein „Fehler“. Es steht für eine Haltung, der Überzeugung zu sein oder gewesen zu sein, mit mehr Druck, Sanktionen und Leistungsentzug zu meinen, etwas Sinnvolles bewirken zu können. Da kann man dem Einzelnen schon einmal absprechen, einen Beitrag leisten zu wollen, wie es diese Sozialpolitik getan hat. Es gab nicht einmal Belege dafür, dass es an Bereitschaft gefehlt hätte (siehe hier und hier).
Sascha Liebermann
Ein Umschwung – ohne grundsätzliche Änderung,…
Das Ende von Hartz4. Olaf Scholz und ich haben gerade die Stimmkarten eingeworfen. Wir waren früher beide für Hartz4. Aber die Zeit bringt auch Fortschritt. Es ist respektlos, zu glauben, Menschen ohne Arbeit müssten zur Arbeit gezwungen werden. pic.twitter.com/LSqe7UWY4r
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) November 25, 2022
…wie ist das möglich, wenn doch Sanktionen erhalten bleiben? Wohin sollen denn die Sanktionen führen, etwa nicht in Erwerbstätigkeit?
Sascha Liebermann
Das eine folgt aus dem anderen: Erwerbsgebot = Sanktionsnotwendigkeit…
Diese Skandalisierung des „#Buergergeld“-Kompromisses blendet die Ursache des politischen Misstrauens in Erwerbslose aus.
Ursache ist die Erwerbsnorm.
Es gehört zur Norm, Normabweichler abzuwerten.
Ohne Normaufhebung (= #BGE) hört das nicht auf.
— BGE Eisenach (@bge_esa) November 22, 2022
…man kann die Sanktionen lediglich so oder so gestalten, auf sie zu verzichten wäre im bestehenden Gefüge ein Widerspruch in sich. Erst wenn die Erwerbsbereitschaft aufgegeben wird als Bedingung, lässt sich auf Sanktionen verzichten.
Sascha Liebermann
Weit verbreitet…
Ärgerlich empfinde ich, dass offenbar schnell vergessen wird, wie weit verbreitet dieses Denken zu sein scheint. Jedenfalls fühle ich mich aktuell an das Bsp. eines gewerkschaftsnahen Ökonomen in der Sanktions-Debatte von 2018 erinnert.⬇️ https://t.co/uQEV1KB6F8 2/2 pic.twitter.com/lKOz0I3nca
— SeTh (@EconomicEthics) November 14, 2022
…, wirklich erstaunlich, worauf man immer wieder stößt. Man sollte sich in der Tat durch die vehemente Verteidigung des Bürgergeldes durch die Befürworter nicht darüber täuschen lassen, dass vor wenigen Jahren noch selbst solch zaghafte Erleichterungen abgelehnt worden wären. Die Geistesverwandtschaft ist groß, sie der Grund für das Fortbestehen der Sanktionsbewehrung.
Sascha Liebermann
Wirkungen, welche Wirkungen, woraufhin?
Bisschen arg unterkomplex. Schnelle Aufnahme von Erwerbsarbeit spricht nicht für positive Wirksamkeit von Sanktionen. Sagt u.a. nichts darüber aus, was für Erwerbsarbeit und wie nachhaltig. https://t.co/a3Gx6xexh0
— Thorsten Hild (@ThorstenHild) November 13, 2022
Insofern eine treffende Rückfrage von Thorsten Hild, denn welche Nebenwirkungen haben die Wirkungen, über welche Wirkungen sprechen wir konkret? Wenn das bloße Ziel ist, dass jemand in ein Arbeitsverhältnis gelangt, mag das eine erwünschte Wirkung sein. Was aber leistet er in dem Arbeitsverhältnis, ist es für den Arbeitgeber hilfreich, ist das Arbeitsverhältnis für die Arbeitsleistung hilfreich? Wäre er ohne Sanktionen in für ihn passendere Arbeitsverhältnisse gelangt, hätte er Fortbildungsmöglichkeiten aufgegriffen, benötigt er mehr Zeit zur Orientierung? Die Stellungnahme, auf die Schäfer sich bezieht, ist differenziert, bezieht sich jedoch weitgehend auf standardisierte Befragungen, deren Erkenntniswert dafür, was Leistungsbezieher bewegt, ziemlich gering ist.
Ganz ausgeblendet werden natürlich Tätigkeiten jenseits des Erwerbsarbeitsmarktes, aber das war auch nicht Gegenstand der Stellungnahme.
Nachtrag: 18:12 Uhr: Diese Studie hier des IAB hebt vor allem die Nebenwirkungen hervor, sie ist aus dem Jahr 2021 und fasst vorläufige Ergebnisse zusammen. Den standardisierten Daten und ihrer ebenso standardisierten Auswertung fehlt allerdings der konkrete Zusammenhang, der im Handeln der Leistungsbezieher zu erkennen wäre. Dazu bedarf es nicht-standardisierter Daten und deren fallrekonstruktiver Auswertung.
Sascha Liebermann