Wenn das eine nicht aus dem anderen folgt – der Sozialphilosoph Axel Honneth zum Grundeinkommen

Axel Honneth, Prof. em. an der Goethe-Universität Frankfurt, äußerte sich in einem Interview mit dem Handelsblatt ausführlich zum Bedingungslosen Grundeinkommen und weiteren Fragen, die damit in Verbindung stehen. Dabei fällt auf, dass Honneth sich recht abstrakt mit gesellschaftlichen Entwicklungen befasst, so z. B. hier:

„[Handelsblatt] Dabei hatte der Mensch wohl noch nie so viel Freizeit wie heute.
[Honneth] Es ist aber eine freie Zeit, die viel stärker als früher gleichzeitig von Forderungen des Arbeitslebens durchzogen ist – was durch die Digitalisierung inzwischen noch gesteigert wurde. Nur die wenigsten von uns sind doch konsequent offline am Abend und am Wochenende.“

Hier wie auch an späteren Stellen verliert Honneth kein Wort darüber, wie sehr die Bedeutung des  „Arbeitslebens“ durch sozialpolitische Reformen verstärkt wurde. Zwar reagierten die Agenda 2010 und ihre Vorläufer schon auf Wandlungen in der Deutung des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, sie haben zugleich aber diese verstärkt. Die Verschärfung von Sanktionsmöglichkeiten so wie die workfare-Ausrichtung der Sozialpolitik haben diese Entwicklung institutionalisiert. Die Entleerung des Leistungsbegriffs (siehe auch hier), die Bejubelung jegliches Zuwachses an Erwerbstätigen, ganz gleich in welchem Umfang, sind Ausdruck dessen. Es sind nicht einfach „Forderungen des Arbeitslebens“, wie Honneth sagt, es handelt sich um einen breiten normativen Konsens bezüglich des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, der dazu führt, dass sich die „Forderungen des Arbeitslebens“ so entwickeln können. Vielleicht würde Honneth das auf Rückfrage ähnlich sehen, es fällt allerdings auf, dass er es gar nicht erwähnt.

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Nochmal Glück gehabt, Sanktionen können fortbestehen…

…so ließe sich ein Beitrag von Henrike Roßbach in der Süddeutschen Zeitung verstehen, die – wie manch andere – offenbar erleichtert ist, dass Sanktionen doch noch verfassungsgemäß sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil allerdings von einer Kann- und nicht von einer Soll-Bestimmung gesprochen. Der Gesetzgeber „kann“ solche Instrumente einsetzen, muss aber nicht. Manche Passage in der Urteilsbegründung ließe sich auch gegen diese „Kann“-Bestimmung auslegen:

„Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst ist (BVerfGE 49, 286 <298>). Das schließt Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche Bevormundung oder Versuche der „Besserung“ gerichtet sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <308>; zur histori- schen Entwicklung oben Rn. 5, 7).“ (Urteil, Randnummer 127)

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„Frauen arbeiten täglich 4,5 Stunden unbezahlt“…

…darüber berichtet Zeit Online.

Wie ungenügend die statistische Erfassung des Phänomens „unbezahlte Arbeit“ ist, und zwar insbesondere bezüglich dessen, was Beziehungen zwischen Personen in diesen Tätigkeiten auszeichnet, machen Norbert Schwarz und Florian Schwahn in ihrem Beitrag „Entwicklung der unbezahlten Arbeit privater Haushalte“ deutlich. Denn die klassifikatorische Bestimmung des Phänomens durch das Bemühen, den Zeitaufwand abzugrenzen, reicht nicht an das heran, was das Beziehungsgefüge auszeichnet, also z. B. was Eltern für Kinder bedeuten. Klar machen kann man sich das an dem Versuch, Erziehungszeiten zu erfassen, indem festgehalten wird, wieviel Zeit damit zugebracht wird, sich mit dem Kind direkt zu beschäftigen. Doch diese Abgrenzung ist so gar nicht möglich, weil die Beziehung natürlich von Bedeutung bleibt, auch wenn sich ein Elternteil nicht direkt mit dem Kind befasst, sondern in der Küche steht und kocht, das Kind aber in der Nähe spielt. Weil der statistische Zugang nicht anders als klassifikatorisch möglich ist, hat dies Folgen für die Datenerhebung und für die Schlussfolgerungen aus diesen Daten. So suggeriert die vermeintliche klare Abgrenzung des Zeitaufwandes, dass die Frage nach der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nur eine Frage der Organisation wäre, sofern im Sinne der Zeitverwendungsstudien dann noch genügend Zeit für Familie übrig bleibt. Das folgt der Annahme, Beziehungserfahrungen könnten terminiert werden, wie es das Schlagwort von der „quality time“ nahelegt. Genau das ist aber nicht möglich, weil die Beziehung damit stets dem Termin untergeordnet wird. Aus diesem Grund ist die Rede von der „Vereinbarkeit“ auch irreführend, weil sie das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Sphären Familie (diffuse Sozialbeziehungen, keine Terminierung) und Erwerbsarbeit (spezifische Sozialbeziehungen, Terminierung) unterschlägt.

Sascha Liebermann

Friedrich Merz hat das Bedingungslose Grundeinkommen fast verstanden…

…er will es aber nicht haben und redet über erfundene Gerechtigkeitslücken. Vielleicht sollte er einmal ein Hartz IV-Praktikum machen oder sich daran erinnern, was es heißt, für Kinder da zu sein zuhause und was daraus folgt, wenn man es über eine längere Zeit getan hat.

Sascha Liebermann

„My wife doesn’t work“ – es sollte selbstverständlich sein…

…ist es aber keineswegs. Es gehört noch immer zu den Selbstverständlichkeiten in der Grundeinkommensdiskussion, dass man in einem Vortrag ausführlich über die Seite „unbezahlter Arbeit“ spricht, über die Bedeutung von „Haushaltstätigkeiten“, hier ganz besonders: Erziehung, und in der Diskussion ist dieses Thema dann einfach weg, verschwunden. Allenfalls wird noch erwähnt, dass es besserer Arbeitszeit-Modelle bedarf, was den Vorrang von Erwerbstätigkeit nur im Zeitumfang minderte, nicht aber in seiner normativen Bedeutung.

Sascha Liebermann

„…parents who choose/ need to stay at home as an economic force“

Siehe unsere Beiträge zu Familie und unbezahlter Arbeit.

Wie kann „Care-Arbeit“ mehr Anerkennung erhalten?“ – Eine Twitter-Diskussion…

…zwischen Claire Funke und Michael Sienhold. Siehe unsere Kommentare zum Thema Care und zu unbezahlter Arbeit.

„Zentrale Ergebnisse – Zweiter Engagementbericht 2016 Demografischer Wandel und bürgerschaftliches Engagement…

…: Der Beitrag des Engagements zur lokalen Entwicklung“. Hier geht es zum Bericht, der im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellt wurde.

So wichtig dieses Engagment ist, sollte nicht übersehen werden, dass es nur einen Bruchteil „unbezahlter Arbeit“ ausmacht. In 2013 wurden beinahe 80% der geleisteten Stunden pro Jahr mit Haushalts- und Gartenarbeit verbracht. Eine ausführliche Betrachtung aus Sicht der Statistik zu dieser Frage finden Sie hier, Kommentare von mir hier und hier.

Sascha Liebermann

Abwertung durch Belobigung…

…so könnte man nennen, was der Bürgemeister von Raunheim laut der Regionalzeitung Echo angesichts der „Sportler- und Meisterehrung“ zum Ausdruck brachte:

„Das Wichtigste, was wir mit dieser Veranstaltung erreichen wollen, ist, dass die Menschen, die Leistungen erbracht haben, von uns gesehen werden“.

Wer ist „uns“ in diesem Zusammenhang? Meint er hier Amtsträger, meint er die Bürger der Gemeinde oder Kommune? Woher weiß er, dass die Geehrten nicht gesehen wurden und auf diese Weise erst von anderen gesehen werden können? Dann geht es um Leistung, ihre Bedeutung für unsere „Gesellschaft“ und wie „wir“ dazu stehen. Etwas überraschend kommt er auf die Diskussion um ein Grundeinkommen zu sprechen:

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