So viele Erwerbstätige wie nie zuvor…

…das verkündete neulich Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, bei Maybrit Illner. Wo er recht hat, hat er recht. Ist das nicht ein Erfolg, der gefeiert werden müsste?

Sehen wir einmal davon ab, dass solche Meldungen, gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen, gar nicht mehr vorkämen, weil sie unbedeutend wären – was besagt die Zahl denn unter heutigen Umständen?

Sie informiert uns nur darüber, wie viele Erwerbstätige es gibt. Sie gibt keine Auskunft darüber, ob es sich um Vollerwerbs- oder Teilzeitarbeitsplätze handelt (das gerade letztere großen Zuwachs erfahren haben, zeigt hingegen die Statistik). Hebt man also diesen Umstand heraus und betrachtet ihn nicht im Verhältnis zu anderen Größen, mag er beeindrucken. Vor allem aber täuscht er uns über die wirklichen Verhältnisse hinweg. Für die Leistungserbringung in einer Volkswirtschaft ist die Zahl der Erwerbstätigen unerheblich, entscheidend ist das Arbeitsvolumen in Stunden im Verhältnis zu hergestellten Gütern und Diensten. Darauf hat meiner Erinnerung nach in der Sendung keiner der Diskutanten hingewiesen. Betrachtet man nämlich das Verhältnis von Arbeitsvolumen zu erzeugten Gütern, dann fällt etwas ganz anderes ins Auge. Das Arbeitsvolumen im langfristigen Trend ist stetig gesunken, währende das Bruttoinlandsprodukt gestiegen ist (Hinweis 1, Hinweis 2). Wohlstand wird durch Produktivität erreicht, nicht durch Heere von Erwerbstätigen. Weiß das Michael Hüther etwa nicht? Wohl kaum, dazu wäre ein erhebliches Maß an Ignoranz notwendig. Viel näher liegt es, in der Feier einer solche unbedeutenden Zahl wie der Erwerbstätigen ein anderes Motiv am Werk zu sehen. Wer der Überzeugung ist (mit Wissenschaft hat das dann nichts mehr zu tun), dass politisches Ziel die Integration über den Arbeitsmarkt sein müsse, für den ist die Erwerbstätigenzahl wichtig. Sie zeigt an, wie viele es dahin geschafft haben. So erklärt sich unter anderem die Fixierung Hüthers auf diese Zahl, ohne die anderen in Betracht zu ziehen. Diese Werthaltung bleibt auch nicht ohne Einfluss auf Studien. Wie die Welt im Institut der Deutschen Wirtschaft aussieht, habe ich selbst während einer Podiumsveranstaltung erlebt und in einem kleinen Bericht notiert.

Weshalb wäre nun, gäbe es ein bGE, diese ganze Diskussion von gestern? Die Antwort ist ganz einfach. Weil es dem Einzelnen eine dauerhafte Einkommenssicherheit gewährte, die es erlaubte, jedweder Tätigkeit nachzugehen. Falls es angestellt nicht möglich sein sollte, dann eben selbständig oder ohnehin wie in einem Ehrenamt. Um ein Einkommen zu erhalten, bedürfte es keiner Registrierung bei der Arbeitsagentur oder sonst einer Behörde mehr, denn mit dem Innehaben der Staatsbürgerschaft oder einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis erhielte man es von der Wiege bis zur Bahre. Einzige Voraussetzung wäre, dass wir weiterhin bereit sind, uns so zum Wohle des Gemeinwesens einzusetzen, wie wir es heute schon tun.

Wie albern müssen uns heutige Debatten um Erwerbslosigkeit, Erwerbstätige und Förderprogramme vorkommen, wenn wir sie von der Warte eines bGEs aus betrachten. Doch solange wir es nicht haben, werden uns diese Debatten verfolgen. Es ist längst Zeit, uns von diesem Hemmnis zu befreien.

Sascha Liebermann

Grundeinkommen auf dem Ver.di Bundeskongress 2011

Gleich mehrere Anträge, auch wenn sie abgelehnt wurden, haben sich auf dem 3. Ver.di Bundeskongress mit dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens befasst. Für diejenigen, die in den Gewerkschaften die Diskussion voranbringen wollen ist das ein gutes Zeichen. Zu den Anträgen geht es hier: Ver.di Bundeskongress 2011 – Sachgebiet B: Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Zum Protokoll der Diskussion um den Antrag, der für eine Ablehnung des Grundeinkommens plädiert geht es hier (Tagesprotokoll com 23.9., Protokollteil 23, ab S. 27).

Schon 2007 gab es Beschlüsse zum bGE, mit denen es abgelehnt wurde: Ver.di Info bGE

Grundeinkommen auch für Häftlinge?

Eine Leserin unseres Blogs hat diese Frage vor einiger Zeit an uns herangetragen, zu der ich gerne Stellung beziehe. Auf den ersten Blick, die Grundeinkommensdiskussion vor Augen, scheint die Antwort eindeutig. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen allen Staatsbürgern und Personen mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung bzw. nach einer Mindestaufenthaltszeit gewährt werden soll, weshalb sollten Häftlinge – genauer: Strafgefangene – davon ausgenommen sein, sofern sie die genannten Voraussetzungen erfüllen?

Bei genauerer Betrachtung aber müssen wir uns vor Augen führen, was es bedeutet, wenn jemand eine Haftstrafe verbüßt (Strafgefangene oder auch Sicherungsverwahrte). Strafgefangener unter Bedingungen eines Rechtsstaats wird jemand, weil er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, das ist zuerst einmal trivial. Er hat mit seiner Tat die Rechtsordnung verletzt, die die Rechtsgemeinschaft sich gegeben hat. Nach geltendem Recht wird er verurteilt. Das richterliche Urteil vollzieht eine Wiederherstellung dieser Rechtsordnung, die durch die Tat verletzt wurde. Wichtig ist hierbei, welche Bedeutung dabei der Strafe zukommt. Schon der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat darauf hingewiesen (siehe G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosphie des Rechts § 99), dass die Bestrafung des Täters nicht bloß seine Unterwerfung unter das Recht vollzieht, sondern zugleich ihn als Täter, als mündige Person, anerkennt. Strafe und Anerkennung gehören also zusammen.

Was folgt hieraus nun für die zur Diskussion stehende Frage? Zumindest für den Fall, dass eine Haftstrafe durch Inhaftierung verbüßt wird, wäre die Bereitstellung des bGEs auszusetzen. Der Zweck des bGEs, die Entscheidungsautonomie zu stärken und Freiräume zu erhöhen, wäre durch die Inhaftierung als Folge der Staftat aufgehoben. Bei Strafen, die auf Bewährung ausgesetzt werden, sähe die Lage wohl anders aus, da der Täter in sein Lebensumfeld zurückkehren kann. Würde das bGE hier ausgesetzt, würde eine Erwerbsverpflichtung eingeführt. Der Verurteilte müsste sich dann in einem Wettbewerb behaupten, indem er nicht dieselbe Verhandlungsposition hätte wie andere, der Zweck des bGEs würde dadurch unterlaufen.

Nachtrag: In einer Zuschrift wurde darauf hingewiesen, dass das bGE sehr wohl ausgezahlt werden könnte und bei Straftgefangenen auf die entstehenden Kosten angerechnet werden sollte. In der Tat wäre das ebenso denkbar, hätte aber eine andere Bedeutung. Das bGE weiterzuzahlen und anzurechnen würde die Inhaftierung Kosten bilanzierend behandeln. Die Verletzung der Rechtsordnung ist aber eine Verletzung der Rechtsgemeinschaft als politischer Gemeinschaft, die eine Voraussetzung dafür ist, dass es überhaupt ein bGE geben kann. Das bGE für die Zeit der Inhaftierung auszusetzen, würde also auch zum Ausdruck bringen, dass eine Straftat eine Verletzung der Gemeinschaft darstellt.

Sascha Liebermann

„Kritik an der Zinskritik“ – der Verfasser antwortet Kritikern

Vor wenigen Wochen wiesen wir auf einen Beitrag auf den Nachdenkseiten hin, der sich mit der Zinskritik befasst (siehe „Kritik an der Zinskritik“). Nun hat der Verfasser, Jens Berger, auf die zahlreichen Zuschriften geantwortet, die er auf diesen Artikel erhalten hat. Wir weisen wiederum darauf hin, weil auch in der Grundeinkommensdiskussion immer wieder auf die Zinskritik Bezug genommen wird. Hier geht es zu seinem Beitrag.

Systematische Missverständnisse und vorschnelle Urteile – zu einem Interview mit Klaus Wellershoff

Klaus Wellershoff, ehemaliger Chefökonom der UBS, hat sich schon mehrfach für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen (siehe Neue Zürcher Zeitung), so auch in dem jüngsten Interview mit dem Tagesanzeiger. Manche Bemerkung wirft allerdings auch Fragen auf (siehe auch den Kommentar von Enno Schmidt).

Es geht um folgende Passage:

…TA: Trotzdem sind Sie für ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alleKW: Was ist daran überraschend?
Liberale interessieren sich in der Regel wenig für soziale Sicherheit.

Das ist ein Vorurteil: Schon Milton Friedman war für ein garantiertes Grundeinkommen, er nannte es einfach anders: negative Einkommenssteuer. Diese hätte den Vorteil, dass wir all die anderen komplizierten Sozialversicherungen aufheben könnten, die niemand mehr versteht und daher gerade jene benachteiligen, denen unsere Solidarität gelten sollte…

Die Negative Einkommensteuer folgt einem anderen Prinzip als das bedingungslose Grundeinkommen. Während es die NES bei Erwerbstätigkeit als normativem Ideal belässt und eine Steuergutschrift nur dann gewährt, wenn nicht ausreichend Einkommen über Erwerbstätigkeit erzielt werden kann, dreht ein bGE die Systematik um. Es wird unabhängig davon gewährt, ob Erwerbstätigkeit überhaupt angestrebt wird, es handelt sich um ein nur an den Status des Bürgers oder des dauerhaften Aufenthaltes gebundenes Einkommen. Im Unterschied zur NES ist ein bGE also keine Ersatz- oder Kompensationsleistung. Milton Friedman war also gar kein Vertreter des bGE und außerdem wollte er die NES möglichst niedrig ansetzen.

Wie hoch müsste aus Ihrer Sicht das garantierte Grundeinkommen sein?
Es wäre sicher nicht so hoch, wie sich das die Initianten dieser Vorlage vorstellen. In einer direkten Demokratie wird es kaum eine Mehrheit für eine Steuererhöhung geben, also müsste dafür jener Betrag verwendet werden, der heute den Sozialversicherungen zukommt.In Zahlen?
Vielleicht 1500 Franken im Monat, sicher nicht 2500.

Wie hoch es sein wird, kann im Vorhinein kaum festgestellt werden, da diese Frage in der öffentlichen Auseinandersetzung geklärt werden muss. Auch wenn heute manche sagen würden, dass es nur mager ausfallen dürfe wegen der Finanzierung oder der Erwerbs-„Anreize“, kann dann schnell zu einer anderen Einschätzung gelangen, wenn es einmal ernst wird mit der Frage der Einführung. Manch einer, der heute skeptisch oder zögerlich ist, wird dann vielleicht Möglichkeiten des bGEs sehen, die er heute nicht sieht. Wellershoff übersieht hier z.B., dass ein bGE von der Wiege bis zur Bahre das Lohngefüge sicher verändern wird, dass Löhne sich anders zusammensetzen würden als heute, weil es ein bGE gibt. Insofern ist seine Voraussage nicht mehr als eine Meinung, eine vorschnelle gar. Sicher, wenn die Bürger tatsächlich ein solch niedriges bGE wollten, dann wird es auch so niedrig kommen – allerdings: darüber wissen wir nichts, die Frage ist offen.

Sascha Liebermann

Ein bedingungsloses Grundeinkommen „ist gesellschaftspolitisch verheerend“, sagt der DGB-Vorsitzende

„…Mir ist auch nicht mehr klar, welchen Wert die Arbeit für die Linke noch hat. Relevante Teile der Partei fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen. Diese Programmatik ist gesellschaftspolitisch verheerend…“, so DGB-Vorsitzender Michael Sommer in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt. So weit also nichts Neues von der Gewerkschaftsspitze, die aber offenbar nichts von den Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen in den eigenen Reihen wissen will.

„Bleibt hungrig, bleibt tollkühn“ – eine Rede von Steve Jobs, die zum Grundeinkommen passt

Vor bald zwei Jahren haben wir auf die Rede „You’ve got to find what you love“ von Steve Jobs (Video, Druckfassung), einem der Gründer von Apple Computer, hingewiesen. Er hielt sie im Rahmen der akademischen Abschlussfeier an der Stanford Universität am 12. Juni 2005. In ihr geht es im Wesentlichen um das Verhältnis von Neigung und Beruf sowie die Schwierigkeit, das jeweils für sich Richtige zu finden. Damit trifft die Rede auch Fragen des bedingungslosen Grundeinkommens, weshalb wir hier nochmals auf sie hinweisen möchten. Die Financial Times Deutschland hat nun eine Übersetzung veröffentlicht.

Erwerbsarbeit, Elternschaft und das männliche Selbstbild – Zu einem Interview mit Remo Largo

Der Tagesanzeiger (Schweiz) hat ein Interview mit Remo Largo geführt, einem renommierten Kinderarzt, in dem interessante Fragen unserer Zeit aufgeworfen werden. Es geht auch um den Stellenwert von Erwerbstätigkeit und die Vorstellungen von Familie heute. Zum Greifen nahe ist das bedingungslose Grundeinkommen, auch wenn die Sprache darauf nicht kommt. Mein Kommentar widmet sich den widersprüchlichen Teilen des Interviews.

Zuerst beschäftigt sich das Interview mit den Erwerbsbedingungen von Frauen und Männern heute, dem Missverhältnis zwischen der Präsenz der Mütter und der Väter in der Familie und was sich ändern müsste. Largo appelliert an Frauen wie Männer, von der Wirtschaft bessere Arbeitsbedingungen einzufordern; er ruft aber auch die Frauen dazu auf, von den Männern mehr Engagement in der Familie zu verlangen. So weit so gut. Im späteren, nun kommentierten Teil geht es um Schlussfolgerungen, die Largo aus den jetzigen Gegebenheiten zieht.

T: Bevor alle Frauen so viel arbeiten können, müssten sich die Rahmenbedingungen stark ändern.
RL: Ja, wir müssen Ganztagesschulen einrichten, wie es sie im Tessin schon lange gibt. Die Kinder brauchen eine Betreuung über Mittag und nach der Schule. In der Stadt Zürich ist die Hälfte der Kinder im Schulalter über Mittag und nach der Schule allein zu Hause. Ein unhaltbarer Zustand.

Damit Kinder berufstätiger Eltern über Mittag nicht so viel allein zuhause sind, sollen Ganztagsschulen Abhilfe schaffen. Diese Diskussion wird in Deutschland auch schon länger geführt, die Frage jedoch ist, was man damit erreichen will? Man könnte einwenden, dass, wenn schon die Eltern nicht präsent sind, die Kinder wenigstens versorgt wären. Und die Folgen? Solange Erwerbstätigkeit als die herausgehobene Tätigkeit schlechthin aufgefasst wird, führen Ganztagsschulen keineswegs dazu, dass sich Eltern stärker auf Familie besinnen können, wie es Largo in dem Interview Vätern nahelegt. Das Gegenteil ist der Fall: Ganztagsschulen und Kindertagesstätten angesichts der gegenwärtigen Lage auszubauen verstärkt nur die Erwerbsorientierung. Wenn Eltern für ihre Kinder besser ansprechbar sein sollen, müssen sie – beide – zuhause mehr präsent sein. Sie sind die zentralen Menschen im Leben der Kinder trotz aller Bezugspersonen, die es geben kann. Wenn also die Kinder mehr Zeit mit ihren Eltern haben sollen, dann sind Ganztagsschulen gerade keine Lösung, wenn damit eine Betreuung bis in den späten Nachmittag gemeint ist. Sonderbar, dass Largo das nicht bemerkt, wo er doch gerade sich selbst zum Beispiel nehmend darauf hingewiesen hat, welche Freiheiten als Eltern einem entstehen, wenn Arbeitszeit- und -ort flexibler gestaltbar sind als heute (Stichwort: homeoffice, Telearbeit).

Weiter heißt es:

Ist es denn schlimm, wenn Kinder ein paar Stunden alleine sind? Vielleicht fördert das ja ihre Selbstständigkeit.
Kinder brauchen jemanden, der da ist, falls sie das Bedürfnis nach einer Ansprechperson haben. Und über Mittag essen sie alleine oft sehr ungesund – Chips und eine Cola vor dem Fernseher zum Beispiel. Doch nicht nur Ganztagesschulen sind dringend notwendig, auch Krippenplätze für Vorschulkinder – am besten gratis.

Erstaunlich, dass Largo die Chancen nicht sieht, die ein bedingungsloses Grundeinkommen mit sich brächte. Ohne dass er die Diskussion kennen muss, könnten seine Überlegungen Anstoß zu Alternativen sein, wie es möglich wäre, den Eltern mehr Präsenz zuhause zu erlauben (wenn sie sie denn wollen). Nun könnte hier eingewandt werden, dort wo Eltern überfordert sind, seien Ganztagsangebote die einzige Möglichkeit, den Kindern etwas Besseres zu bieten. Zu entscheiden wäre das allerdings von Fall zu Fall und stets zu kontrastieren damit, wie die Lage aussähe, wenn Eltern nicht erwerbstätig sein müssten. Zu fragen wäre auch, inwiefern gerade durch die heutigen Sicherungssysteme und die Erwerbsidolatrie die Hinwendung zur Familie, das Annehmen der Elternschaft als Aufgabe, erschwert wird. Largos Vorschlag weist nicht weg vom Erwerbsprinzip, sondern stärker zu ihm hin und führt damit gut vor Augen, wie wenig „vereinbar“ im Sinne eines friedlichen Nebeneinanders Familie und Beruf sind (siehe auch „‚Vereinbarkeit‘ von Familie und Beruf oder doppelter Verzicht?“).

Ein ganz anderer Aspekt von Ganztagsschulen oder auch Kindertagesstätten kommt hier gar nicht zur Sprache. Je früher und je länger pro Tag Kinder dort betreut werden, desto weniger Möglichkeiten haben sie, sich in der Nachbarschaft, in der sie leben, zu entfalten. Schon heute lassen sich die Auswirkungen studieren, wenn Nachbarschaften verwaist sind bis in den späten Nachmittag und Kinder, die nicht oder nicht solange fremdbetreut werden, kaum Spielkameraden antreffen. Zu bedenken ist auch, dass Kinder in Betreuungseinrichtungen letztlich immer in einem vorstrukturierten Rahmen auf einem eingeschränkten Gelände spielen und sich begegnen; stets sind Erzieher zugegen und beaufsichtigen, was die Kinder machen. Mit einem freien Erkunden der eigenen Lebensumgebung hat das nichts zu tun.

Die Generation unserer Eltern hat gemacht, was Sie als Mythos bezeichnen: Die Mutter kümmerte sich den ganzen Tag nur um den Nachwuchs.

Früher gab es viel mehr Kinder – und mehr Bezugspersonen, Schwiegermütter, Verwandte, Nachbarn, die bei der Erziehung mithalfen. Diese Unterstützung fehlt den Eltern heute weitgehend. Dass die Mutter die Kinder alleine aufzieht, ist ein Spezialfall in der Menschheitsgeschichte. Nicht umsonst heisst es: Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.

Largo weist zurecht auf gewandelte Lebenssituationen hin, lässt den Wandel allerdings unbefragt stehen. Auch wenn es heute weniger Kinder gibt, Familien und Verwandte häufig nicht mehr in unmittelbarer Nähe zueinander leben, kann doch nicht übersehen werden, dass diese Situation auch mit einer gesteigerter Erwerbsorientierung zu tun hat. Erhöht sich die Erwerbsquote, weil Erwerbsarbeit mehr als früher als Lebensinhalt betrachtet wird, sind in Nachbarschaften auch weniger Personen anzutreffen, die tagsüber zuhause sind und sich um Kinder kümmern, ihnen etwas anbieten könnten. Nun kann dieser Situation durch den Ausbau von Betreuungseinrichtungen begegnet werden, dadurch verändert sich die Lage in den Nachbarschaftsverhältnisses allerdings gar nicht. Vielmehr verstärkt der Ausbau, solange die Überbewertung von Erwerbstätigkeit weiter vorherrscht, das Verwaisen von Nachbarschaften. Ein bGE würde das Erwerbsideal relativieren und wer weiß, ob nicht mehr Menschen, als wir meinen, es für sich entdecken würden, für andere Kinder da sein zu wollen. Um nicht missverstanden zu werden. Kindergärten können ebenso sinnvoll sein wie Kindertagesstätten, die heutige Diskussion darum ist aber eine, die die Erwerbsorientierung ungefragt voraussetzt. Welche Bedeutung Kindergärten hätten, wenn es ein bGE gäbe, gerät überhaupt nicht in den Blick.
Nimmt man den Sinnspruch im letzten Satz ernst, dann braucht es eben ein ganzes Dorf – also etwas Gemeinschaftliches – um ein Kind aufzuziehen. Gemeinschaft heißt allerdings, dass sich Menschen als ganze Personen begegnen und nicht als Träger von spezifischen Aufgaben (Rollen), die gerade auszeichnet, dass Personen darin austauschbar sind. Das Gemeinschaftliche hingegen würde durch ein bGE gestärkt.

Mädchen sind erfolgreicher in der Schule. Was läuft falsch?
Jetzt betreten wir ein weiteres Minenfeld! Ja, die Buben haben das Nachsehen: Heute sind 60 Prozent der Gymnasiasten weiblich. Im Berufsleben sind Frauen oft besser qualifiziert als die Männer, weil in unserer heutigen Dienstleistungsgesellschaft ihre Fähigkeiten mehr zählen. Die Frauen haben sich emanzipiert, den Männern steht es noch bevor. Die Männer haben noch nicht einmal bemerkt, dass sie ihre soziale Vorrangstellung weitgehend verloren haben. Sie versuchen immer noch, die Frauen zu bremsen, indem sie davon schwärmen, wie toll es sei, ausschliesslich Mutter zu sein. Sie müssen sich neu orientieren, vor allem in ihren Beziehungen und ganz besonders in ihrer Rolle als Vater.

Eine bemerkenswerte Einschätzung. Deutlich wird an dem gesamten Interview, wie weitreichend die Möglichkeiten eines bGEs sind und wie sehr es notwendig ist, den Blick zu wenden, um die Möglichkeiten zu sehen.

Zur Frage, wie Paare mit bevorstehender Elternschaft heute umgehen, siehe auch das Interview mit dem Soziologen Kai-Olaf Maiwald

Sascha Liebermann

„Kritik an der Zinskritik“ – ein Beitrag auf den Nachdenkseiten

Die Nachdenkseiten haben einen Beitrag veröffentlicht, der „Kritik an der Zinskritik“ übt. Lesenswert ist er, weil er Thesen aufgreift und diskutiert, die auch in der Grundeinkommensdiskussion regelmäßig vorgebracht werden.

Ausführungen der Nachdenkseiten zum bedingungslosen Grundeinkommen haben wir mehrfach kommentiert, siehe z.B. „Nachdenkseiten. – Werthaltung die zweite“.

„Treffen der süddeutschen Grundeinkommensinitiativen“ und Aktionstreffen BIEN-Kongress

Auf zwei Termine möchten wir hinweisen:

1)
Das Netzwerk Grundeinkommen gemeinsam mit der Initiative Grundeinkommen Ulm lädt zu folgendem Treffen ein:

„Liebe Mitglieder des Netzwerks Grundeinkommen und der Grundeinkommens-Initiativen in Baden-Württemberg und Bayern,

wir laden Sie herzlich ein zum ersten Regionaltreffen Süd des Netzwerks Grundeinkommen!

Zeit: Samstag 17. September von 10 bis 17 Uhr
Ort: Café im Kornhauskeller, Nebenzimmer, Hafengasse 19, 89073 Ulm…“

2)

Subject: [Grundeinkommen] Einladung zum Aktionstreffen für Aktionstage anlässlich BIEN-Kongress 2012

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter in den Grundeinkommens-Initiativen,

der Weltkongress des Basic Income Earth Network (BIEN) im Herbst nächsten Jahres in München (s. Artikel) ist ein wichtiger Meilenstein auf unserem Weg zum Grundeinkommen. Die Anwesenheit von 500 TeilnehmerInnen aus aller Welt, darunter renommierte Wissenschaftler, Politiker und Aktivisten, wird die mediale Aufmerksamkeit nicht nur in Deutschland auf das Thema Grundeinkommen ziehen.

Genutzt und verstärkt wird die öffentliche Wirkung durch die vor und während des Kongresses im Raum München stattfindenden Aktionstage.

Wir laden interessierte Initiativen und Organisationen, die für das Grundeinkommen streiten, herzlich zu einem Aktionstreffen im Herbst 2011 zur Vorbereitung dieser Aktionstage im Herbst 2012 ein:

Zeit: Samstag 22. Oktober 2011, 11:00 bis ca. 18:00 Uhr
Ort: Neuperlacher Sportwirt, Bert-Brecht-Allee 17, München-Neuperlach

Wir bitten Sie sehr herzlich, diese Einladung so breit wie möglich, in Ihrer Organisation und anderswo, zu streuen. Uns ist sehr an der Teilnahme möglichst vieler aktionsbereiter Menschen gelegen.

Es wäre sehr schön, wenn Sie bis zu dem Aktionstreffen ihre Aktionsideen ausarbeiten und als Projektentwürfe aufschreiben könnten. Nähere Informationen dazu und zum geplanten Ablauf des Treffens finden Sie in dieser PDF-Datei.

Zu den Aktionstagen selbst finden Sie Eckpunkte, erste Ideen und Planungsablauf in einer weiteren PDF-Datei.

Bitte benachrichtigen Sie uns unter aktionstage@grundeinkommen.de möglichst bald darüber, mit wie vielen Personen Sie an dem Aktionstreffen teilnehmen werden.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich entschließen könnten, bei dem Aktionstreffen mitzuwirken und an den Aktionstagen im Herbst nächsten Jahres gemeinsam mit allen Beteiligten ein deutliches Zeichen für das Grundeinkommen zu setzen.

Mit herzlichen Grüßen

Das Organisationsteam
i. A. Reimund Acker“