Ist denn mit einem höheren Regelsatz das Grundproblem gelöst? An Stigmatisierung ändert das gar nichts

Es ist wohlfeil, die Würde des Menschen hochzuhalten, ohne die Gründe der Stigmatisierung zu beseitigen. Wer das ernsthaft will, muss einen Schritt weiter gehen, damit die Existenzsicherung den Grundfesten der Demokratie entspricht. Im Grundgesetz ist von Erwerbsgebot keine Rede.

Sascha Liebermann

„Hartz IV Beziehende und die Wahl : ‚Wir werden nicht gesehen'“ – und am Ende ein Plädoyer für ein Bedingungsloses Grundeinkommen…

…ein Beitrag von Jörg Wimalasena in der taz.

Deutlich wird in dem Beitrag, welch stigmatisierende Auswirkungen die Konstruktion des gegenwärtigen Sozialstaats für Leistungsbezieher hat. Die im Interview porträtierte Dame gibt Einblick in ihre Erfahrungen mit dem Jobcenter. So heißt es an einer Stelle:

„Der Kindergrundsicherung der Grünen könne sie durchaus etwas abgewinnen, sagt sie und erzählt von den Entbehrungen ihres Sohns, der als Jugendlicher nicht einmal mit auf die Konfirmationsfahrt fahren konnte. Die 80 Euro Teilnahmegebühr hatte Ammler damals nicht. Teilüberweisungen habe die Kirche nicht zugelassen. „Man muss eben Prioritäten setzen“, habe man ihr gesagt. Dass die Grünen ihre Vorschläge durchsetzen werden, glaubt sie aber nicht. ‚Die haben das Ganze doch mitinitiiert.‘ Und jetzt wolle jeder irgendwie Hartz IV verbessern, doch Priorität habe das Thema nicht.“

Die Erfahrung der Herablassung, die sie hier schildert, erklärt sich allerdings nicht alleine aus der Erwerbszentriertheit des Leistungsgefüges, es ist ein herablassender Blick auf diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer bestimmten Erwartungen nicht entsprechend, ganz wie es z. B. auch Anna Mayr in ihren Interviews schildert (die daraus allerdings überraschende Schlüsse zieht, siehe dazu hier).

Wichtig ist hier auch das Glaubwürdigkeitsproblem, mit dem die Grünen zu ringen haben, einst hatten sie Hartz IV gemeinsam mit der SPD eingeführt und lange hat es gedauert, bis sie eingeräumt haben, dass diese Form der Sozialpolitik problematisch ist. Wie weit ihre Abkehr davon aber tatsächlich gehen wird, wenn sie Regierungsverantwortung haben, muss sich erst zeigen. Da keine der Parteien, die in den letzten Bundesregierungen waren, eine solche Abkehr ernsthaft erwogen haben, ist die im Beitrag porträtierte Frau Ammler zurecht skeptisch.

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„Das Zerrbild von vermögenden Hartz-IV-Empfängern hat nichts mit der Realität zu tun“…

…selbstverständlich fällt immer jemandem einer ein, der einen kennt, bei dem es aber anders sei. Vorurteile sind beharrlich, ganz wie im Zusammenhang mit den Sanktionen im SGB II. Weshalb aber sollten solche Vorurteile sich schneller verändern als die empirielose Annahme einer Armutsfalle, wie sie in der fachwissenschaftlichen Debatte noch immer hochgehalten wird.

Sascha Liebermann

Annalena Baerbock zu Hartz IV und Kindergrundsicherung – ohne Eltern

Treffender Kommentar, auch wenn Baerbock vermutlich darauf hinauswollte, dass es für Kinder andere Leistungen geben sollte. Doch kann man Ansprüche von Kindern nicht unabhängig von der Familiengemeinschaft konzipieren, in der sie leben.

Siehe frühere Kommentare von uns zur Kindergrundsicherung hier.

Sascha Liebermann

„Hartz IV kam nicht aus der Mitte der Gesellschaft“ – das scheint mir eine gewagte These…

…denn der Kontroll- und Misstrauensgeist, der für Hartz IV bezeichnend ist, herrscht sehr wohl in der „Mitte der Gesellschaft“ vor – und nicht nur dort. Man muss nur Vorträge zum Grundeinkommen besuchen und sich mit den Einwänden beschäftigen, die aus allen Richtungen kommen, selbst von ALG II-Beziehern.

Sascha Liebermann

„Das System wirkt, als wäre es gemacht, um es den Empfängern schwer zu machen“ – das ist seine tatsächliche Wirkung

Detlef Scheele (Bundesagentur für Arbeit) über Hartz IV – insofern nichts Neues von dieser Seite

Im Unterschied zu manch beschönigenden Äußerungen ist Detlef Scheele sonst sehr klar darin, zu benennen, wozu Sanktionen dienen sollen, siehe hier.

Sascha Liebermann

„Sanktionen sind destruktiv“ – sagt der ehemalige Fallmanager…

Herbert Sternitzke im Interview mit Barbara Dribbusch in der taz. Er gibt Einblick in seine ehemals alltägliche Arbeit und Erfahrungen, das ist erhellend angesichts der vielen Vorurteile, die diesbezüglich anzutreffen sind. Erhellend ist aber auch, wie sich hier etwas zeigt, dass zugleich Ausgangspunkt für die Vorstellung ist, Sanktionen könnten hilfreich sein:

„[taz] Was soll besser werden ohne Sanktionen?

[Sternitzke] Sanktionen sind eine destruktive Form der Motivationserzeugung, wir brauchen aber eine konstruktive Form der Motivationsentwicklung. Viele der Leute haben keine Berufsqualifikation. Eine Arbeitsaufnahme ist viel nachhaltiger, wenn man eine Qualifikation hat, und sei es nur eine Teilqualifikation, auf der man dann aufbauen kann, mit einer qualifizierteren Arbeit und besserer Bezahlung. Das ist dann eine Arbeit, wo die Leute eher dabei bleiben. Daran müssen wir arbeiten, diese Selbstwirksamkeit, auch dieses Selbstvertrauen zu schaffen. Dem steht ein Drohpotenzial durch Sanktionen aber entgegen.“

Motivationserzeugung, Motivationsentwicklung – der Begriff Motivation bleibt hier ganz unscharf, letztlich steht er mehr oder minder für „Antrieb“. Doch dieser lässt sich nicht „erzeugen“, er lässt sich aber auch nicht „entwickeln“, ohne das Gegenüber nicht zum Gegenstand von Erziehungsmaßnahmen zu machen, schließlich hat es das Jobcenter überwiegend mit Erwachsenen zu tun. Wenn jemand keinen „Antrieb“ hat, sich für nichts interessiert, dann muss herausgefunden werden, woher das rührt. Entweder sind diese Interessen nur verschütt gegangen unter einer schwierigen Lebensgeschichte oder tatsächlich nicht entstanden.

„Sind die Anforderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt gestiegen?

Ich denke, jeder Modernisierungsschub in der Wirtschaft löst gesellschaftlich einen gewissen Anteil an Modernisierungsverlierern aus. Das sind Leute, die den schulischen und beruflichen Anforderungen nicht mehr standhalten können. Mir sind in der Beratung junge Männer begegnet, die haben keine Ausbildung und keine Tagesstruktur, die sind computersüchtig geworden, haben sich zurückgezogen in eine eigene Welt. Die sind einfach nicht mehr realitätstauglich. Dieser Fluchtreflex, dieses Abschotten vor der Realität, die ja auch nicht einfach ist auf dem Arbeitsmarkt, das sind keine Einzelfälle, das werden immer mehr.“

Was folgt nun daraus?

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Unwürdige vs. würdige Sanktionen – treffend angemerkt