…so ist der Beitrag von Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung übertitelt (siehe auch die zahlreichen Kommentare dazu). Ähnlich, eher warnend, Nikolaus Piper in der Süddeutschen Zeitung: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist verführerisch und gefährlich“. Rainer Hank hatte vor einigen Jahren einmal mit Götz W. Werner im Radio diskutiert, im SWR 2 Forum „Lob der Knappheit“ (Audiomitschnitt), das war aufschlussreich. Und sein Beitrag nun? Eher eine Verzweiflungstat.
„Ein Ladenhüter kommt wieder ins Schaufenster: das bedingungslose Grundeinkommen…“
So beginnt der Beitrag. Lässt das noch eine differenzierte Argumentation erwarten? Kaum, wie die folgende Passage deutlich macht:
„Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (hier der Kürze wegen „Begru“ genannt) hat eine seit Jahren wachsende Gemeinde; ihr Prophet ist der dm-Gründer Götz Werner. Dessen Argumente sind verführerisch: Wir leben heute, nach all unseren wirtschaftlichen Erfolgen, in paradiesischen Zeiten. Deshalb können wir die Menschheit vom Fluch der Arbeit befreien. Jeder kann tun, was er will, so wie es Karl Marx verheißen hat. Morgens jagen, mittags fischen, abends Viehzucht treiben. Dem ein oder andern würden vermutlich noch ein paar andere Verrichtungen des genussvollen Zeitvertreibs einfallen.“
Abgesehen davon, dass Götz W. Werner durchaus Argumente für das BGE vorbringt, werden die zahlreichen Befürworter weder als Bürger, noch als Laien oder Wissenschaftler, national wie international, zur Kenntnis genommen. Hank hat sich einen bestimmten Gegner ausgesucht, um sich an ihm auslassen zu können. Damit soll das BGE abgestempelt werden, nur Einfältige, die sich verführen lassen, können an ihm etwas finden.
Doch, wer betrachtet Arbeit denn als Fluch oder besser: als Leid? Nicht die BGE-Befürworter per se, auch Werner nicht. In den Wirtschaftswissenschaften hingegen ist die Theorie des Arbeitsleids fester Bestandteil des Theoriekanons, weswegen der Lohn als Entschädigung und als „Anreiz“ gilt, um sie trotz des Arbeitsleids zu verrichten. Deswegen sehen diejenigen, die in dieser Modellvorstellung denken, das größte Problem des BGEs darin, dass es die Bereitschaft, das Leid auf sich zu nehmen, senke. Folglich kann es nur Schaden anrichten. Wer diesem Modell anhängt, kann nicht anders. Sind die Sektenanhänger nicht vielleicht eher dort zu finden?
Und weiter:
„Ach so, die Finanzierung der Wohltat? Damit gibt sich die Begru-Sekte weniger intensiv ab als mit den utopischen Träumen. Angesichts eines Bruttosozialprodukts von 2500 Milliarden Euro werden 1000 Euro für jeden doch noch drin sein, meint Götz Werner lakonisch. Liberale, die von der Begru-Idee gelegentlich auch betrunken werden (dann „Bürgergeld“ genannt), schwärmen von einer aufkommensneutralen Finanzierung: Kehren wir doch einfach alle Sozialleistungen zusammen, dann wird am Ende das Geld schon da sein.“
War das schon die Auseinandersetzung mit der Finanzierungsfrage? Na denn. Gar nicht erst ignorieren.
Kommt noch etwas?
„Die neue Debatte über das Begru indessen ist eine Ausgeburt der Angst, nicht der Befreiung. Wenn künftig Computer Auto fahren, Roboter die Alten füttern und die Bankberatung von Algorithmen gemacht wird, bleibt am Ende für die Menschen außer ein bisschen Haareschneiden nichts mehr zu tun. Mit Horrorszenarien der Massenarbeitslosigkeit überbieten sich auch seriöse Forscher. Jeder zweite Job könnte durch Automatisierung und Digitalisierung vernichtet werden, drohen zwei mittlerweile weltberühmt gewordene Oxford-Ökonomen. Das würde die Ungleichheit dramatisch weiten und soziale Kriege zur Folge haben, heißt es. In solchen Szenarien dient das Begru dann als Beruhigungspille für das Heer der Wegrationalisierten.“
Bei aller Polemik trifft Hank einen wunden Punkt der jüngsten Begeisterung für das BGE aus dem Geiste der Digitalisierung. Die Szenarien davon, wie weit die Automatisierung reichen wird, sind eben Szenarien. Es reicht allerdings auch nicht, sie einfach abzutun, denn ein Gegenargument liefert Hank nicht. Ein Blick auf die Entwicklung des Arbeitsvolumens in Deutschland (siehe die Überlegungen von Manuel Franzmann sowie den Beitrag von Gerhard Schildt (2010): „Die Abnahme der Arbeitszeit – ein säkularer Trend“, in: Franzmann, Manuel (Hrsg.) Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaf, S. 127-166, URL: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2010/7436/) muss einem mindestens zu denken geben.
Dabei ist die Verknüpfung von BGE und Digitialisierung, wie von Anbeginn diejenige mit dem „Ende der Arbeit“, irreführend und missverständlich. Wenn Hank die Befürwortung als eine bezeichnet, die aus der Angst um den Verlust der Einkommensplätze erwächst, trifft er die Befürworter, die diese Verknüpfung machen. Das BGE degeneriert zur Reparaturleistung (siehe hier und hier), denn, sollte dieser Trend einmal sich umkehren, dann würde das BGE, konsequent gedacht, wieder überflüssig. Will man eine von der Arbeitsmarktentwicklung eigenständige Herleitung bilden, muss sie anders ansetzen, und zwar auf einfache Weise: an den Grundfesten der Demokratie, der Stellung der Staatsbürger im Gemeinwesen und den Grundrechten.
Weiter geht’s:
„Übergeht man einmal alle Blauäugigkeit der Schlaraffenlandfinanzierung, so bleibt ein kardinaler Denkfehler. Die Menschen wollen arbeiten; sie wollen nicht von der Arbeit befreit werden. Denn Arbeit ist an Sinn- und Glückserfahrung gebunden; in der Entäußerung finden Menschen zu sich selbst. Mag sein, dass dies nur „gesellschaftlich antrainiert“ wurde, wie die Begru-Freunde behaupten. Aber dann dauert dieses Training immerhin schon seit jenen Tagen, als wir aus dem Paradies geflogen sind. “
Das BGE spricht kein Erwerbsverbot aus, damit platzt der Einwandballon. Will Hank etwa behaupten, Arbeit sollte nicht erledigt, sollte sie etwa nachhaltig gesichert werden, damit sie bleibt? Das würde gegen Automatisierung sprechen. Dann würde Erwerbsarbeit zu einer Beschäftigungsmaßnahme, die genau deswegen ihres Inhalts beraubt würde (siehe auch hier). Wenn bezahlte Arbeit an „Sinn- und Glückserfahrung“ gebunden ist, wie Hank schreibt, dann wäre doch die Frage zu beantworten, woraus Sinn und Glück sich ergeben? Wollen Menschen arbeiten, wenn sie darin einen Sinn erkennen oder wollen sie es immer, ganz gleich, um welche Arbeit es sich handelt? Dazu sagt Hank nichts. Dass der Stellenwert von Erwerbsarbeit nicht zu verstehen ist, ohne die kollektive normative Bewertung, liegt auf der Hand. Sie ist historisch jung und keineswegs eine Sache, die seit der Vertreibung aus dem Paradies gilt. Die „Entäußerung“ wiederum, als Voraussetzung dafür, Erfahrungen machen zu können, ist nicht auf Erwerbsarbeit beschränkt, das wäre also auch kein Einwand gegen das BGE, wenngleich ein wichtiger Punkt, um deutlich zu machen, weshalb Menschen in der Regel nach Erfahrungsmöglichkeiten suchen.
Wie geht es weiter?
„Mehr noch: Menschen brauchen bezahlte Arbeit. Denn was nichts kostet, ist bekanntlich auch nichts wert. Im Preis, der für die Arbeit gezahlt wird – in den Löhnen, Gehältern und Gewinnen der Unternehmer – spiegelt sich die Wertschätzung, die andere für die Arbeit aufbringen.“
Wenn es so wäre, wie die ersten Sätze behaupten, weshalb engagieren sich Menschen bei der Freiwilligen Feuerwehr, Pflegen Verwandte und Freunde oder kümmern sich um die Familie? Gilt die Hank’sche Theorie der Wertschätzung hier nicht? Die Verengung, die er vornimmt, würde aber erklären, weshalb diese nicht-bezahlten Tätigkeiten gemacht werden, in ihrer kollektiven Wertigkeit aber stets hinter Erwerbsarbeit zurückstehen, obwohl sie ebenso unerlässlich sind.
„Intrinsische Motivation und extrinsische Anerkennung sind komplementär. Die Welt nach dem Sündenfall ist eine Welt der Knappheit – kein Drama, sondern ein Segen: denn an der Knappheit erkennen wir die Hierarchie der sich wandelnden Bedürfnisse. Es ist die Knappheit, nicht das Begru, die uns kreativ und produktiv werden lässt.“
Dass Knappheit so gedeutet wird, wie Hank meint, setzt eine Kultur voraus, die eine bedürnisgemäße und gerechte Güterverteilung für wünschenswert erachtet. Wir haben es also schon mit spezifischen Gerechtigkeitsvorstellung zu tun, die dieser Deutung zugrundeliegen. Und wie verhält es sich mit weitreichenden Kulturleistungen wie Wissenschaft und Kunst? Sind sie entstanden, um Knappheit zu bewältigen? Woran bilden sich Solidarität und Zusammenhalt? Ein Lehrbuchmodell wird hier auf den Tisch geworfen, das nichts erklärt.
Dass die Unterscheidung von intrinsisch und extrinsisch misslich und missverständlich ist, sei hier nur angemerkt. Dass intrinsische Motivierung auf Dauer nicht ohne Anerkennung sich erhalten kann, da ist etwas dran. Wer für sein Handeln, gar für sich als Person, was noch bedeutsamer ist, nie Wertschätzung erfährt, den wird das zermürben. Bildungsprozesse können daran scheitern. Doch diese Anerkennung muss nicht in Bezahlung sich ausdrücken, Bezahlung kann ihren Wert ebenso zerstören. Ehrenamtliche wollen ja gerade kein Geld für ihr Engagement, Eltern brauchen frei verfübare Zeit, wenn sie sich den Kindern und sich einander widmen wollen – da nützt alles Geld nichts, wenn sie diese Zeit nicht haben bzw. sie sich nicht nehmen. Und die politische Vergemeinschaftung von Staatsbürgern: wer bezahlt die denn? Und dennoch ist Loyalität zum Gemeinwesen weitgehend selbstverständlich.
Sascha Liebermann