Hilfreich für Interessierte und die Diskussion um „Anreize“…

…, dieser lange Twitter-Beitrag von Sebastian Thieme gibt einen Einblick in die Diskussion um verschiedene Annahmen zum homo oeconomicus (in der Soziologie häufiger unter dem Schlagwort „Rational Choice“ oder „rationale Wahl“ thematisiert), die auch für die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen interessant sind. Denn darin tauchen diese Annahmen stets im Zusammenhang mit der Frage danach auf, ob denn nun das „Arbeitsangebot“ (Erwerbstätigkeit) gleichbleibe, ab- oder zunehme. Das Theorem der Armuts- bzw. Arbeitslosigkeitsfalle fußt ebenso darauf und gilt bis heute als ein Kriterium (Lohnabstandsgebot) für die Bestimmung der Regelsatzhöhe. Dem unterliegt, wie Thieme auch schreibt, ein „Anreiz“-Konzept, das in der meist verwendeten Schlichtheit einen erstaunen lassen kann (für eine anspruchsvollere Variante siehe hier, man beachte das Schaubild und die Verortung des „Anreizes“, wodurch das Konzept vollständig umgedreht wird). Diese Vorstellung vom rationalen Akteur ist es, die standardisierten Befragungen unterliegt, die an allen Ecken und Enden erstellt und zitiert werden. Denn Befragungen zielen auf Selbsteinschätzungen, erlauben es nicht, dass Antworten ungeschminkt „in der Sprache des“ Befragten zum Ausdruck kommen. Selbsteinschätzungen können ziemlich weit von dem entfernt sein, wie jemand denkt und handelt, das ist eine Erfahrung aus der Auswertung nicht-standardisierter Interviews. Aussagen sind stets viel reichhaltiger und widersprüchlicher, als Skalenantworten oder vordefinierte Optionen erwarten lassen.

Sascha Liebermann

Politiker, öffentliche Meinung und das Richtige

Wenn „öffentliche Meinung“ hier Meinungsumfragen im Auge hat, dann würde ich dem zustimmen, denn sie führen zu aberwitzigen Diskussionen (siehe vermeintlichen Vorsprung von Baerbock im letzten Frühjahr) ohne Bodenhaftung. Wenn mit öffentlicher Meinung aber die Erfahrungen in Gesprächen mit Bürgern an verschiedenen Orten gemeint wären, würde ich das für falsch halten. Gleichwohl, auch wenn diese Gespräche geführt werden und Erfahrung bündeln, sind Politiker gefordert zu entscheiden. Das ist ein anhaltendes Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Eindrücken und einer möglichst für alle tragfähigen Entscheidung. Dabei kann diese Entscheidung auch ihrer Zeit etwas voraus sein.

Sascha Liebermann

Gerichtlicher Streit und Entschädigung für Arbeitslosengeld II-Bezieher

Was ist die Aufgabe des Wirtschaftens, die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen oder „Beschäftigung“?…

…diese Frage stellt sich, wenn man den Ausführungen Volker Wielands folgt, der in der Pressekonferenz zur Vorstellung des Jahresgutachten des Sachverständigenrats sich zur Auswirkungen einer Vermögenssteuer äußerte. Er sei dagegen, denn sie werde sich auf Arbeitsplätze auswirken, auf

„Arbeitsplätze, die geschaffen werden, die wir ja brauchen, um die Menschen in Beschäftigung zu bekommen und zu halten“

Brauchen wir Arbeitsplätze einfach so oder brauchen wir sie dann, wenn sie zur Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen notwendig sind?

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Was Markus Lanz nicht interessierte, für die Diskussion jedoch wichtig ist, …

…das ist nun in der taz zu lesen, der Cansin Köktürk ein Interview gegeben hat. Hier ein Auszug:

„[taz] Welche anderen Maßnahmen würden Ihren Klient:innen Verbesserungen bringen?

[Köktürk] Die Sanktionen, die mit dem Bezug von Hartz IV einhergehen, müssen verschwinden. Deren Androhung ist so belastend für die Menschen, dass die Stressfolgeerkrankungen und der psychische Druck immens sind. Ich hatte eine Klientin, die starke Depressionen hatte und suizidgefährdet war. Sie war in einer Klinik, kam wieder und das Jobcenter hatte ihr nichts überwiesen, weil sie zwei Tage vergessen hatte, ihre Kontoauszüge nachzureichen. Nur mit der Hilfe einer Sozialarbeiterin kommt sie dann an ihr Geld, weil die Behörden sie nicht ernst nehmen, wenn sie sagt, ihr ging es nicht gut. Es würde die Menschen enorm entlasten, wenn sie wüssten, sie bekommen ihr Geld, egal, was passiert.“

Denjenigen, die direkt mit den Folgen der Sanktionsmaßnahmen konfrontiert sind, sollte zugehört werden. Sozialarbeiter sind nah dran an denjenigen, auf die das System mit all seiner Wucht einwirkt (siehe hier und hier), auch wenn sich in dieser Berufsgruppe ähnlich paternalistische Haltungen finden lassen wie anderswo.

Was Markus Lanz nicht interessierte, für die Diskussion jedoch wichtig ist, … weiterlesen