„Dein Grundplatz in der Welt ist gesichert“ – Hartmut Rosa über das Bedingungslose Grundeinkommen

„Die Resonanz auf Facebook ist nicht nachhaltig“, so war ein Interview in der Neuen Zürcher Zeitung mit Hartmut Rosa, Professor für Soziologe an der Universität Jena, übertitelt. Darin äußerte er sich auch zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Rosa sagte „Wenn wir resonante Weltverhältnisse schaffen wollen, müssen wir die Steigerung als blindlaufenden Zwang überwinden“, worauf er gefragt wurde:

„NZZ: Wie geht das?
Rosa: Da scheinen mir drei Dinge nötig. Erstens: Ich halte Märkte und Wettbewerb in bestimmten Bereichen für sinnvoll, aber Wettbewerb ist kein Endzweck. Wir brauchen eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse hin zu einer Wirtschaftsdemokratie. Zweitens brauchen wir eine Veränderung des Sozialstaats. Ich bin ein grosser Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens, weil es die Weise unseres In-die-Welt-gestellt-Seins fundamental verändern würde.“

So sympathisch die Bemerkung zum Bedingungslosen Grundeinkommen ist, muss man sich doch fragen, ob es tatsächlich zu so einer fundamentalen Veränderung führen würde. Denn auch heute ist es nicht so, dass der Marktwettbewerb alle Lebensverhältnisse durchdringt. Die Demokratie lebt von anderen Zusammenhängen, die – man schaue nur ins Grundgesetz – nach wie vor unangetastet sind. Dass die Stellung der Bürger im Gemeinwesen eine ist, die sich von keiner Gegenleistung ableitet, ist unbestritten und gerät heute nur mit dem sozialstaatlichen Bedingungsgefüge in Konflikt. Damit stehen die Grundfesten unserer Demokratie in denkbar starkem Gegensatz zur politischen Verfasstheit, ein Widerspruch, der nach Aufhebung verlangt. Rosa hält das BGE für ein Mittel, um den Sozialstaat zu veränden, schlägt aber nicht die Brücke dazu, dass es damit sogleich sich auf die Wirtschaftsverhältnisse auswirken würde. Eine „Wirtschaftsdemokratie“, was ich für einen missverständlichen Begriff halte, wäre mittelbar über ein BGE zu erreichen, weil sich die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer in jeder Hinsicht verändern würde.

Eine große Veränderung, wenn auch nicht fundamental, könnte die Klärung sein in Hinsicht auf unsere heutigen Lebensverhältnisse, über die wir uns offenbar nicht im Klaren sind. Statt in einer Ausbreitung von „Märkte[n] und Wettbewerb“ eine gegenwärtige Entwicklung zu erkennen, scheint mir eher eine Haltung, die Planung und Kontrolle in jedem Lebensbereich will, bezeichnend für unsere Lage zu sein.

Weiter heißt es im Interview:

„Sie schreiben, das bedingungslose Grundeinkommen würde «die Existenz pazifizieren». Können Sie das erläutern?
Der gegenwärtige Sozialstaat lässt uns ja auch nicht verhungern, aber er entzieht uns den Ort in der Welt. Wer von Sozialhilfe lebt, der ist im gegenwärtigen Verständnis ein Schmarotzer, er stirbt fast so etwas wie einen sozialen Tod. Alle Zuteilungsmechanismen, besonders die von Status, hängen an der Erwerbsfähigkeit. Unser Weltverhältnis würde sich fundamental verändern, wenn wir sagten: Dein Grundplatz in der Welt ist gesichert.“

Rosa weist zurecht auf die Erwerbszentrierung des Sozialstaats hin, mit allen Folgen, die das für die Bezieher von Leistungen hat, aber nicht nur im Fall der Sozialhilfe, sondern auch bei Arbeitslosengeld I und II. Denn die über Beiträge erworbenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen im ALG I bringen ebenso Verpflichtungen mit sich wie im ALG II. Auch im ALG I kann sanktioniert werden. Die Auswirkungen gegenwärtiger Sozialpolitik sind also viel breiter, als Rosa meint.

Was auf der einen Seite zutreffend ist, auf die normative Vorrangingkeit von Erwerbsarbeit hinzuweisen, ist auf der anderen Seite aber nur die halbrichtig. Die Erbwerbszentrierung des deutschen Sozialstaats steht nämlich im Gegensatz zur politischen Verfasstheit unserer Demokratie. Der Status der Staatsbürger ist nämlich einer, der keine Leistungsbedingung kennt, er ist in diesem Sinne bedingungslos. Wer Leistungen aus den Systemen sozialer Sicherung bezieht, verliert nicht seinen Status als Angehöriger des Gemeinwesens. Den Status, von dem Rosa sagt, dass er an Erwerbsfähigkeit hänge, betrifft nicht die Staatsbürgerschaft und damit nicht die Zugehörigkeit zum Souverän. An dieser Stelle sind seine Ausführungen überraschend verkürzt. Es würde sich durch ein BGE unser Weltverhältnis also mittelbar verändern, weil wir Angehörige eines Gemeinwesens wären, das ein BGE bereitstellt. Das Weltverhältnis wäre also durch die Vergemeinschaftung konstituiert und nicht unabhängig von ihr zu fassen.

Sascha Liebermann

„Milton Friedman ist der falsche Kronzeuge“…

…schrieb Serge Aiolfi in der Neuen Zürcher Zeitung und resümiert am Ende:

„Ist der BGE-Plan, der uns angeblich allesamt vom Zwang zur Arbeit befreien soll, mit der Idee Friedmans zu vergleichen? Die beiden Konzepte sind einander etwa so ähnlich wie eine Luxuslimousine und ein Militärvelo.“

Recht hat er, wenn er auf diese in meinen Augen nicht haltbare Bezugnahme hinweist, denn eine Negative Einkommensteuer funktioniert anders als ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Michael Opielka sieht das offenbar anders und verlinkt in seinem Tweet auf eine Studie zum Solidarischen Bürgergeld. Auf S. 27 der Studie wird dann ganz treffend auf den Charakter der Negativen Einkommensteuer hingewiesen, dass nämlich Steuerschuld und Steuergutschrift bei der Veranlagung der Einkommensteuer verrechnet werden. Während auf S. 46 zwischen Sozialdividende und Negativer Einkommensteuer unterschieden wird, wird dann wiederum das Transfergrenzenmodell von Helmut Pelzer mit der Negativen Einkommensteuer in eins gesetzt. Wenn die Funktionsweise von BGE und NES so deutlich unterschieden ist – BGE: von der Wiege bis zur Bahre ohne Einkommensprüfung, NES: Gutschrift nach Einkommensprüfung oder Verrechnung von Einkommen und Gutschrift/ Freibetrag – wird deutlich, dass der Bereitstellungsmodus beide voneinander unterscheidet. Das BGE soll nicht mit Einkommen verrechnet werden, für die NES hingegen ist das charakteristisch. Das BGE hebt den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit auf, die NES behält ihn bei, denn die Verrechnung von Steuerschuld und Steuergutschrift ist nur dann notwendig, wenn die Einkommenserzielung über Erwerbsarbeit der normativ bevorzugte Fall bleibt. Dadurch wird das Grundeinkommen als Steuergutschrift eine Ausgleichsleistung für ein Erwerbseinkommen, das unter der Mindeshöhe x liegt.

Insofern ist es also nicht haltbar, sich auf Milton Friedman als Ideengeber für ein BGE bzw. die NES als Bedingungsloses Grundeinkommen zu berufen.

Sascha Liebermann

Schweiz: „Bundesrat Berset kritisiert Grundeinkommen: «Total übertrieben»“…

…berichten die Basellandschaftliche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. Siehe in derselben Zeitung auch „Oswald Sigg über das Grundeinkommen: «Wir müssen auch das Unmögliche denken»“. Siehe auch den Beitrag auf grundeinkommen.ch mit zahlreichen Medienhinweisen. Zur offiziellen Stellungnahme des Bundesrates.

„We should feed them“ – Yanis Varoufakis on Basic Income…

…, aber was meint er genau?

In einem Interview, das der ehemalige griechische Wirtschaftsminster dem Economist gab (siehe auch Basic Income News), äußert er sich mehrfach zum Grundeinkommen, ohne genauer auszuführen, welche Form des Grundeinkommens er im Auge hat. Nur durch den Verweis auf Philippe van Parijs Aufsatz „Why Surfers Shoud be Fed“ scheint auf, dass er offenbar ein BGE meint. Aber wie wird es begründet?

„Today we are facing a serious danger of large masses of people who have low economic value. This is a powder keg in the foundations of society. Making sure that the great wealth-creation which capital is capable of does not light this dynamite — the basic income approach — is absolutely essential, but it is not part of the social democratic tradition. Think about it. Now, either we are going to have a basic income that regulates this new society of ours, or we are going to have very substantial social conflicts that get far worse with xenophobia and refugees and migration and so forth. But I do not think that social democracy has the analytical skills to come to terms with this.“

Diese Passage lässt noch im Unklaren, was er vor Augen hat. „Large masses of people who have low economic value“ – also solche mit wenig oder niedrigem Einkommen bzw. Kaufkraft. Dieser Mangel könnte so „substantial social conflicts“ führen. Ein Grundeinkommen könnte hier Abhilfe schaffen, sofern es sich um Konflikte aus Einkommensmangel handelt. Dazu bedarf es aber noch keines BGE, das könnte irgendeine Form eines Grundeinkommens leisten, zu denen ja durchaus auch Hartz IV gehört, es müsste der Regelsatz nur erhöht werden.

„So I think the basic income approach is capable of doing this [Wohlstand allen zugänglich zu machen, SL] as long as (and this is what I emphasise when I talk to the Corbynistas) you can explain to them where the money will come from, that it will not be simply debt, that we are going to generate a lot more income and a chunk of it is going to fund this. But we, the Left, must not be fearful. I gave a talk some time ago in the United States and said: yes, surfers in California must be fed by the rest of us. We may not like that, we may feel they are bums, but they deserve a basic income too.
[Laughs] “

Auch hier ist noch nicht klar, was er genau meint, denn der Verweis auf van Parijs ist indirekt. Die Formulierung „must be fed by the rest of us“ geht allerdings davon aus, dass die einen die anderen versorgen sollten. Legt man diese Passage weit aus, dann bezieht sie sich auf alle, die keinen Beitrag zur ökonomischen Wertschöpfung leisten. Ich habe dies schön öfter als „Kostgänger“-Argument bezeichnet (siehe verschiedene Beiträge dazu hier), weil es einer Bilanzlogik folgt, hier allerdings positiv ausgelegt. Das ist ein primär ökonomischer Blick im Sinne einer Versorgung mit Einkommen und Gütern. In einem demokratischen Gemeinwesen gibt es aber nicht die einen, die für die anderen sorgen, es gibt nur ein Gemeinwesen von Gleichen, die füreinander einstehen.

Varoufakis fährt unmittelbar nach dem vorangehenden Zitat fort:

„OK, they don’t “deserve”, but they should have a basic income, because this is the way to stabilise society. But you need politicians that are capable of going out there and saying: “You see that lazy bum over there that you hate? We should feed him. And we should make sure he has a house. Because if he does not have a house and he gets sick and so on, he is a greater burden for all of us. And if there are lots of them and technological innovation produces a lot more of them, that would be macro-economically unsustainable. Those of us who want to work—because we enjoy it and have the opportunity—have the technology to produce so much wealth that we can feed the surfers.” But who says that?“

Dass er sich hier korrigiert („OK, they don’t deserve“), ist insofern interessant, als er damit die Bilanzlogik von Geben und Nehmen aufbricht.  Aber wer ist nun „they“? Wenn es alle bekommen, bekommen es alle, da gibt es kein „we“ auf der einen und „they“ auf der anderen Seite, es gibt nur „uns“ – sofern wir von einer Demokratie sprechen. Wir benötigen auch nicht unbedingt „politicians“, die für ein BGE werben, wenn die Bürger es wollen, wird es kommen, dazu müssen sie sich artikulieren. Und dann argumentiert er wieder in der Bilanzlogik: besser ihn jetzt versorgen, als später noch mehr Last mit ihm zu haben, weil wir es nicht getan haben. Varoufakis bleibt in dem „we should feed them“ bis zum Schluß der Passage stecken, in dem die einen für die anderen sorgen.

Statt dieser Perspektive könnten wir für das BGE anders argumentieren, in dem wir herausstellen, dass es darum geht, wie wir die Autonomie in einem Gemeinwesen am besten fördern können, eine Autonomie, die ein wesentlicher Aspekt von Demokratien ist. Das ist eine Perspektive, die alle betrifft, nicht die „Versorgungsbedürftigen“.

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen setzt falsche Anreize…

Die Initiative zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens lehnt economiesuisse vorbehaltlos ab. Für die Finanzierung eines derart umfassenden neuen Sozialwerks müsste die Schweiz jährlich einen dreistelligen Milliardenbetrag aufbringen. Die dafür nötigen Steuererhöhungen würden die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz schwer beschädigen. Ausserdem setzt ein bedingungsloses Grundeinkommen Anreize, deren negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt kaum abschätzbar sind.“

So äußert sich der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse zur Volksinitiative, die am 5. Juni zur Abstimmung steht.