„Die Rolle der Gewerkschaften in einer Grundeinkommensgesellschaft“…

…so lautet ein Beitrag von Ronald Blaschke, indem die mögliche „Rolle“ der Gewerkschaften dargelegt wird, wenn ein BGE einmal eingeführt worden wäre. Während der Beitrag die Perspektive starkmacht, dass Gewerkschaften eine wichtige Aufgabe zukommt, sofern sie sich auf die Veränderungen durch das BGE einlassen, weist ein Kommentar zum Beitrag von Wolfram Sondermann auf die Folgen eines BGE für die Gewerkschaften hin:

„Die Intention des Beitrags [von Ronald Blascke, SL] ist lobenswert, aber es nützt nichts: Die „individuelle Verhandlungsmacht“ würde im Falle eines BGE die „kollektive Verhandlungsmacht“ faktisch sehr weit zurückdrängen. Der Beitrag setzt voraus, dass das Streikrecht unter BGE-Bedingungen Bestand hätte, woran aber stark gezweifelt werden muss, da es tatsächlich wohl durch ein nicht-existenzgefährdendes Kündigungsrecht eingetauscht würde. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Rechtsprechung ein solches Macht-Ungleichgewicht durchgehen lassen würde, in dem subventionierte Arbeitnehmer ein Streikrecht gegenüber nicht-subventionierten Arbeitgebern innehätten, so dass sie den Betrieb auf u. U. unabsehbare Zeit bestreiken könnten. Im öffentlichen Dienst würde der Staat sogar das Streikgeld seiner Tarifgegner zahlen. Solche Rahmenbedingungen des BGE sind m. E. schlechterdings unvorstellbar. Die Gewerkschaften sollten für ein tatsächlich auskömmliches BGE eintreten, aber in dem Bewusstsein, dass der beste Job dann getan ist, wenn er sich überflüssig gemacht hat.“

In der Tat muss man sich fragen, woraus die Gewerkschaften noch ihre Legitimation beziehen könnten, wenn es ein BGE gäbe. Zum einen könnten Arbeitnehmer individuell besser über Arbeitsbedingungen verhandeln, das würde schon sehr viel ändern. Alleine schon, dass Arbeitnehmer vom einem konkreten Arbeitsplatz nicht mehr abhängig wären, um ihr Auskommen zu haben, kehrte die Verhältnisse um. Unternehmen wären weit mehr gefordert, attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten, als dies heute der Fall ist, und zwar auf allen Ebenen. Zum anderen wären kollektive Verhandlungen auf betrieblicher Ebene einfacher möglich, ohne einer überbetrieblichen Ebene zu bedürfen. So könnten Bedingungen ausgehandelt werden, die besser auf die jeweilige Lage eines Unternehmens reagieren können. Das muss nicht heißen, dass unternehmensübergreifende Vereinbarungen, die Tarifpartner aushandeln, nicht weiter denkbar wären, das schließt auch Wolfram Sondermann nicht aus, doch in welchem Maße das, wenn überhaupt, sinnvoll wäre, ist schwer einzuschätzen.

Ronald Blaschke, der auf den Kommentar Sondermanns geantwortet hat, verweist auf den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, der in Artikel 8 das Streikrecht und die Gründung von Gewerkschaften schütze. Doch die Stellung dieses Rechts leitet sich aus der Bedeutung von Erwerbstätigkeit als Einkommensquelle her, würde also in seiner Bedeutung durch ein BGE durchaus angegriffen. Damit könnte auch dieser Pakt seine Stellung einbüßen, wo ein BGE in ausreichender Höhe einführt würde. Darüber hinaus ist ein Recht nichts wert, das keine Gefolgschaft findet, es würde praktisch unterlaufen, wenn unverhältnismäßig wenige Arbeitnehmer bereit wären, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden. Die Frage, die Sondermann gestellt hat, die auch in den anderen Kommentaren zum Text virulent ist, ist nicht nur eine des Rechts. Wenn Arbeitnehmer noch weniger als heute bereit wären, in eine Gewerkschaft einzutreten, dann stellt sich die Frage, wen diese Gewerkschaft noch vertritt. Für 2006 wurde eine Deckungsrate der Tarifbindung in Deutschland von 65 % duchschnittlich ermittelt (z. B. hier). Würde ein BGE dazu führen, dass diese Deckungsrate weiter abnähme, dann stünde die Tarifpartnerschaft als legitimer Verhandlungspartner in Frage.

Sascha Liebermann

Volksabstimmung in der Schweiz – auch in Deutschland ein Tag zum Feiern

Am 5. Juni wird in der Schweiz über die Eidgenössische Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ (siehe auch hier) abgestimmt, wie die Schweizer Bundesverwaltung Ende Januar mitgeteilt hat.

Wir möchten nochmals darauf hinweisen, dass dieser Tag auch für die Grundeinkommensdiskussion in Deutschland ein wichtiger Tag ist, denn letztlich geht es um die Frage, wieviele Bürger der Schweiz sich für die Initiative aussprechen – und zwar wirklich aussprechen per Entscheidung, nicht in einer unverbindlichen Meinungsumfrage es für eine gute Sache halten.

Nun ist das nicht „unsere“ Abstimmung, es geht nicht um unsere Demokratie in Deutschland. Doch das Bedingungslose Grundeinkommen und direkte Demokratie sind geistesverwandt. Die Abstimmung kann also Anlass sein, darüber zu informieren, was direkte Demokratie möglich macht, wie sie zum BGE steht und vor allem: wie wir als Bürger dazu stehen. Da die Abstimmung via Internet verfolgt werden kann, es laufende Berichte über Ergebnisse geben wird und am Abend eine Diskussionsrunde stattfinden soll, eignet sich dieser Tag, um in geselliger Weise zu informieren. Darüber hinaus können Filme gezeigt werden, damit sich Interessierte informieren können.

Was Volksabstimmungen auch bewegen können, siehe hier.

„…aber der Bürgerstaat, die Idee sozialer Bürgerrechte, das Prinzip der Vergemeinschaftung … finde ich schon seit Jahren richtig“…

…so Andrea Nahles in der aktuellen Ausgabe von Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Wir hatten auf das lange Gespräch mit der Bundesministerin schon hingewiesen. Die Passage, in der sie auf das BGE zu sprechen kommt, verdient aber eine nähere Betrachtung. Zuvor geht es um die Folgen der Digitalisierung, die Verantwortung von Unternehmen und die Ungleichheit der Einkommensverteilung. Wie – so die Frage des Interviewers – wäre auf die Veränderungen am besten zu antworten? Nahles hält eine Bürgerversicherung für notwendig, deren Einnahmeseite im Unterschied zu heute breiter ist. In diesem Zusammenhang sagt sie folgendes:

Nahles: Aber für die nächsten 10, 15 Jahre muss man sich gedanklich mit der Frage beschäftigen, wie sich bei einer zunehmenden Veränderung der Erwerbsformen auch die Finanzierung unseres Sozialstaates auf Dauer sichern lässt.
Dabei ist das Bürgerprinzip bei der Berechtigung von Sozialleistungen richtig, aber auch die Finanzierung aus allen Quellen. Aus allen Quellen, und nicht nur aus dem Arbeitseinkommen, das auch – wie gesagt – immer komplizierter zu erheben sein wird. Und wenn etwa der 3D-Drucker auf längere Sicht immer mehr die Fertigung revolutionieren wird, dann stellt sich die Frage, wie wir an den Mehrwert oder die Renditen dieser Wertschöpfungskette rankommen?“

Auf den ersten Blick könnte man denken, dass Andrea Nahles hiermit doch dem BGE die Tür öffnet, wenn sie das „Bürgerprinzip“ als Basis dafür erkennt, Sozialleistungen zu beziehen. Was hat sie hier wohl vor Augen? Wäre es ein Unterschied zu heute? In der Passage wird das nicht klar, der Interviewer fragt leider nicht nach. Sie wird kaum darauf hinauswollen, dass nur Bürger im Sinne von Staatsbürgern bezugsberechtigt sind, vielleicht eher Personen mit dauerhaftem Aufenthalt und einer entsprechenden Bewilligung in Deutschland. Im zweiten Teil erst kann man sich einen Reim darauf machen, dass der Unterschied zwischen einem Arbeitnehmer- und einem Bürgerprinzip wohl der sein muss, dass im Arbeitnehmerprinzip nur Arbeitnehmer für die Finanzierung herangezogen werden (Sozialabgaben), dem Bürgerprinzip folgend jedoch alle in einem System abgesichert werden, also auch Beamte und andere Gruppen, die bisher ein eigenständiges Versicherungssystem haben, z. B. Ärzte, einbezogen werden. Was hat das nun mit dem „Bürger“ zu tun? Es handelt sich bei der Bürgerversicherung, wie sie hier angedeutet wird, um eine erweiterte Arbeitnehmer- und Selbständigen-Versicherung. Diese wären ja noch immer beitrags- und nicht steuerfinanziert. Erst mit der Umstellung auf Steuerfinanzierung würde jedoch das Erwerbsprinzip nicht mehr im Zentrum des Versicherungssystems stehen. Das nun scheint die Bundesministerin hier aber nicht zu wollen.

Wir können hier festhalten, dass es nicht um einen starken Bürgerbegriff geht, wie er im Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Bürger im Sinne des Staatsbürgers meint hier nicht nicht den Souverän als Legitimationsquelle politischer Ordnung, sondern es ist ein um seinen Kern beraubtes Verständnis von Bürger.

Daran schließt unmittelbar die Passage an, in der es um das BGE geht.

NG/FH: An dieser Stelle kommt dann meist sofort der Vorschlag des bedingungslosen Bürgereinkommens. Dann sind alle irgendwie geschützt, es wird steuerfinanziert und wir haben bei der Berechtigung und bei der Finanzierung klare Verhältnisse.“

Dem Interviewer, obwohl er das BGE einführt, ist es nicht behaglich damit. „Dann sind alle irgendwie geschützt“ – klingt fast schon verächtlich. Sie sind ja nicht „irgendwie“ geschützt, sondern von der Wiege bis zur Bahre haben sie eine verlässliche Rückendeckung, die die Bürger als Staatsbürger gerade ernst nimmt. Sie wären in einem Mape abgesichert, wie es heut nicht gilt, sofern das BGE eine entsprechende Höhe hätte.

„Nahles: Ich halte nichts von diesem bedingungslosen Grundeinkommen, weil es ein weiterer Beitrag zur Entwertung der Arbeit ist. In der Digitalisierung werden bestimmte Tätigkeiten möglicherweise mehr wertgeschätzt werden. Analytische Fähigkeiten, die Dienstleistung von Mensch zu Mensch werden tendenziell aufgewertet…“

Weshalb trägt das BGE zur „Entwertung von Arbeit“ bei? Hat Arbeit denn einen Eigenwert, ist sie Selbstzweck? Wenn wir unter Arbeit im allgemeinen Sinne verstehen, dass Leistungen für andere erbrachtet werden, dann bestimmt sich die Bedeutung von Arbeit danach, diese Leistung in einer angemessenen Weise zu erbringen. Wir können viel über Standards und Kriterien diskutieren, wann dies der Fall ist, der Zweck von Arbeit ändert sich dadurch jedoch nicht. Wo Arbeit auf Maschinen übertragen werden kann, ohne dass der Zweck von Arbeit beschädigt oder beeinträchtigt wird, würde doch menschliche Arbeitskraft frei, um sich Aufgaben zu widmen, die nicht auf Maschinen übertragen werden können. Dass sich hier die Frage stellt, wie die Maschinennutzung so möglich ist, dass wir nicht unsere eigene Existenzgrundlage schädigen, ist eine Frage, die sich darüber hinaus stellt. Menschliche Arbeitskraft nun von Arbeit zu entlasten, die Maschinen übernehmen können, und damit Freiräume für diejenige Arbeit zu schaffen, die Maschinen nicht angemessen übernehmen können, würde doch gerade eine Aufwertung menschlicher Fähigkeiten nach sich ziehen, statt sie in einen Wettbewerb gegen Maschinen zu stellen.

An der folgenden direkt an die vorangehende anschließenden Stelle wird erst deutlich, worin das vermeintliche Problem besteht:

„…Bestimmte Formen der monotonen, körperlich anstrengenden Tätigkeiten werden durch den verstärkten Einsatz von Robotern ersetzt und möglicherweise werden auch die Menschen, die das besonders gut konnten, in ihrer Identität, in dem, was sie an Werten schaffen, infrage gestellt. Das ist ein ganz schwieriger Prozess…

Weshalb ist das ein schwieriger Prozess? Zum einen ist er schwierig, sofern diejenigen, deren Aufgabenbereich verschwindet bzw. von Maschinen übernommen wird, in dem Glauben gelebt haben, sie seien nicht ersetzbar für diesen Prozess. Diese Schwierigkeit resultiert nicht aus der Bedeutung ihrer Arbeit für andere, sie ist vielmehr Ergebnis einer Überschätzung dessen, welche Bedeutung der Einzelne für die Leistungserstellung hat. Die Digitalisierung würde zu einer Klärung dahingehend führen, dass hinsichtlich der Bewältigung von Aufgaben jeder ersetz- bzw. austauschbar ist. Zum anderen ist aus heutiger Sicht dieser Prozess schwierig, weil die Überhöhung von Erwerbstätigkeit keine Alternativen kennt. Wer seinen Erwerbsarbeitsplatz verliert, verliert mit dem Einkommen zugleich die Möglichkeit, demjenigen Gebot zu folgen, das wir gegenwärtig für den höchsten Zweck halten: erwerbstätig zu sein.

Sowohl die erste wie die zweite Schwierigkeit sind jedoch auf einfache Weise zu bewältigen. Die erste, indem wir uns darüber klarwerden, dass nicht Arbeit Menschen in ein Gemeinwesen integriert, sondern die Zugehörigkeit qua Status. Insofern ist auch die Behauptung, Flüchtlinge würden durch Erwerbsarbeit am besten integriert werden, ein Trugschluss. Erwerbsarbeit ist der Inbegriff davon, dass nicht der Einzelne zählt, sondern die Arbeitskraft für einen bestimmten Zweck, dem sie zu dienen hat. Das steht erst dann in Frage, wenn die Würde des Menschen dabei nicht geachtet wird. Wir würden also endlich dahinkommen zu begreifen, dass wir nicht als Arbeitsgesellschaft zusammenhalten und füreinander einstehen müssen, sondern als Bürgergemeinschaft. Die zweite Schwierigkeit würde gerade und nur durch ein BGE gelöst, indem die Einkommenserzielung vom Erwerb in Gestalt eines Mindesteinkommens grundsätzlich abgekoppelt wird, d. h. wer ein BGE bezöge, wäre nicht mehr in einer Notlage, in der es zu helfen gelte. Nein, das BGE wäre der Normalfall, immer und zu jeder Zeit da, um dem Einzelnen den Rücken zu stärken. Es wäre auf diese Weise Ausdruck dessen begriffen zu haben, dass wir eine Bürgergemeinschaft sind und unseren Sozialstaat auf dieses Fundament stellen müssen. Für Frau Nahles scheint diese Überlegung weit weg zu sein.

Entsprechend heißt es an der unmittelbar folgenden Stelle:

Nahles: …Aber dass das Konzept von Arbeitseinsatz und Vergütung oder Leistung als movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft grundlegend infrage gestellt oder verändert wird, glaube ich nicht. Das ist für mich eines der zentralen Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen…“

Wenn es ein BGE gäbe, würde es auch weiter eine Vergütung geben für diejenigen, die erwerbstätig wären. Das eine schließt das andere nicht aus, insofern konstruiert die Bundesministerin hier einen Scheingegensatz. „Arbeitseinsatz“ allerdings zum „zum Movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft“ zu verklären bezeugt nur, dass sie die anderen Quellen von Kreativität nicht gelten lässt. Schon heute sind diese anderen Quellen von Bedeutung, sie erhalten nur nicht den Rang, den sie verdienen.

Nahles: Im Übrigen glaube ich auch, dass dadurch die Ängste der Mittelschicht nicht etwa bekämpft würden, wie sich das viele denken, sondern dass der Solidarcharakter des Sozialstaates als solcher sogar infrage gestellt würde. Dieser Ansatz ist also meines Erachtens nicht die Lösung, aber der Bürgerstaat, die Idee sozialer Bürgerrechte, das Prinzip der Vergemeinschaftung, welches ein Teil der Grundlage dieses Konzeptes ist, finde ich schon seit Jahren richtig. Man muss hier also differenzieren.“

Hier wird es noch einmal interessant, denn zuerst macht Nahles klar, dass ein BGE den Solidarcharakter des Sozialstaates in Frage stelle, ja, des gegenwärtigen schon, der ein Arbeitnehmersozialstaat ist. Er stellt aber nicht den Sozialstaat in Frage, der einem demokratischen Gemeinwesen gemäß wäre, das in seinem Zentrum selbstverständlich den Bürger hätte. Dem würde der zweite Teil des Absatzes noch entsprechen, den Frau Nahles „schon seit Jahren richtig“ findet. Ja, nun, er ist das Fundament unserer Demokratie, wenn sie das nicht richtig fände, wäre alles zu spät. Offenbar sieht sie aber den Widerspruch zwischen dem „Prinzip der Vergemeinschaftung“, einer Vergemeinschaftung von Bürgern als Staatsbürgern auf der einen und der erwerbszentrierten Sozialsysteme auf der anderen Seite nicht. Weshalb sieht sie ihn nicht? Weil sie in einem Selbstverständnis lebt, unser Gemeinwesen als Arbeitsgesellschaft zu begreifen. Das wird auch an folgender Stelle deutlich:

Nahles: …Ich bin für ein Recht auf Weiterbildung. Ich möchte, dass die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung wird. Ich möchte, dass präventiv lebensbegleitend eine Weiterbildungsberatung stattfindet und dass zwischen BA, Unternehmen und den Arbeitnehmern ein Arrangement gefunden wird, wie Weiterbildung auch bei Klein- und mittelständischen Unternehmen funktionieren kann. Und der Betriebsrat ist hierbei ein ganz wichtiger Mediator, um die Sache dann auch ins Rollen zu bringen.“

„Präventiv lebensbegleitend“ soll eine Weiterbildungsberatung stattfinden?! Wir wissen, wie diese Beratung heute aussieht. Wer Leistungen beziehen will, hat nicht die Möglichkeit, sich beraten zu lassen, er wird zwangsberaten und kann dem nur entgehen, indem er den Leistungsbezug verlässt. Dann hat er eben kein Einkommen. Wofür steht Andreas Nahles nun? Das Gespräch offenbart die Widersprüche, in denen wir gegenwärtig stecken; es sind die Widersprüche eines Gemeinwesens, dass ein demokratisch-republikanisches Fundament hat, in dem die Staatsbürger einen bedingungslose Status innehaben. Dasselbe Gemeinwesen versteht sich aber als Arbeitsgesellschaft und kennt eine Arbeitnehmersolidarität. Beides gilt zugleich. Das bezeugt dieses Gespräch – wie einfach wäre eine Aufhebung dieser Widersprüche durch das BGE.

Sascha Liebermann

„Geld für wirkliche Freiheit“…

…so ist der Beitrag zum Bedingungslosen Grundeinkommen auf Zeit Online von Timo Reuter übertitelt.

Die medialen Wellen schlagen hoch seit Anfang des Jahres, da die Volksabstimmung in der Schweiz näher rückt. Viele Beiträge zum Bedingungslosen Grundeinkommen wurden in den letzten Wochen schon veröffentlicht. Der Beitrag von Timo Reuter sieht das BGE in der Tradition des Liberalismus, der aus seinen neoliberalen Überformungen befreit werden müsse.

Was schreibt er?

Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet, dass der Staat die Menschen bezahlt, weil sie am Leben sind. Ohne Zwang, ohne Bedingungen – und zwar alle…“

Gleich zu Beginn eine – manche würden hier vielleicht sagen: vernachlässigenswerte – Irritation. Ich halte sie nicht für vernachlässigenswert, sie entstellt das BGE. Nicht „bezahlt“ der Staat (oder eben nicht der Staat, siehe hier) dafür, dass „Menschen … am Leben sind“. Das Gemeinwesen stellt das BGE aus dem Steueraufkommen seinen Angehörigen und anderen Bezugsberechtigten bereit. Und wer ist der „Staat“? Es ist die Vergemeinschaftung der Bürger im politischen Solidarverband, der Staat steht nicht über ihnen, was eine Formulierung wie „Der Staat bezahlt…“ zumindest nahelegt.

Danach heißt es:

„Das ist nicht verwunderlich, denn ein existenzsicherndes Grundeinkommen käme wegen seiner Bedingungslosigkeit einer sozialpolitischen Revolution gleich. Es würde den Zwang zur Arbeit abschaffen, welcher der Logik des Arbeitsmarktes immanent ist.“

Der „Zwang“ ist nicht der „Logik des Arbeitsmarktes“ immanent, sondern der normativen Verpflichtung, Einkommen über diesen Arbeitsmarkt erzielen zu sollen. Es könnte auch einen Arbeitsmarkt ohne die normative Verpflichtung im Sinne des Gebotes „Du sollst erwerbstätig sein“ geben.

Auch folgende Passage ist ungenau:

„Am Grundeinkommen scheiden sich die Geister über politische Grenzen hinweg. Die Gewerkschaften sind dagegen, der Milliardär Götz Werner ist der in Deutschland bekannteste Verfechter dieser Idee, die Arbeitgeberverbände halten es für „nicht finanzierbar und leistungsfeindlich“, das globalisierungskritische Netzwerk Attac oder die katholischen Arbeitnehmerbewegung wiederum sind dafür.“

In den Gewerkschaften gibt es durchaus Befürworter, sie sind eindeutig in der Minderheit. Attac ist nicht im Allgemeinen dafür, lediglich die AG Genug für alle hat sich meines Wissens für ein BGE ausgesprochen, das ist eine kleine Gruppe.

Später heißt es:

„Zwar gerieten radikale wirtschaftsliberale Positionen zwischenzeitlich durch Entwicklungen wie die Weltwirtschaftskrise 1929 in den Hintergrund – doch nur, um einige Jahrzehnte später in Form des Neoliberalismus umso härter zurückzuschlagen.“

Es gibt zweierlei Neoliberalismus, den in Anlehnung an Alexander Rüstow, der in einem Ordnungsrahmen und einer notwendigen Sozialpolitik die Voraussetzungen dafür sieht, dass dem Markt Aufgaben überlassen werden können, und die – heute meist damit verbundende – Variante eines beinahe anti-staatlichen Neoliberalismus, der in der Privatisierung und den Marktgesetzen die allumfassend regelnde Kraft sieht. Peter Ulrich hat diesen Unterschied in seinem Buch „Integrative Wirtschaftsethik“ sehr klar herausgearbeitet.

Nach einigen Überlegungen zur „realen Freiheit“, wie sie Philippe van Parijs entwickelt hat und die sich für ihn mit dem BGE verbindet, schreibt Timo Reuter:
„Das wird aber nicht allein durch ein existenzsicherndes Einkommen, etwa im Sinne der deutschen Sozialsysteme, erreicht, sondern vor allem dadurch, dass diese materielle Basis bedingungslos allen Menschen gewährt wird. Erst die Bedingungslosigkeit macht das Grundeinkommen zu einem entscheidenden Trumpf des modernen Liberalismus.“

Ja – nein, zumindest missverständlich. Was bedeutet „alle Menschen“? Es kann sich ja nur um die Menschen handeln, die im Rechtsbereich eines Gemeinwesens leben oder Angehörige dieses Gemeinwesens sind, für die es Sorge zu tragen hat. Für andere ist ein Gemeinwesen nicht legitimiert zu handeln. Jedes demokratisch-republikanische Gemeinwesen konstituiert sich durch einen Souverän: das Volk der Staatsbürger. Das BGE ist also zuallererst eine Alimentierungsleistung des Gemeinwesens an sich selbst, also an seine Staatsbürger. Von diesen abgeleitet, da sie das Gemeinwesen auf Basis von Rechten und Pflichten tragen müssen, erweitert sich die Alimentierung auf Personen mit einem definierten Aufenthaltsstatus. Sie würden ein BGE erhalten, weil sie sich im Rechtsbereich des Gemeinwesens niedergelassen haben, wozu es allerdings der Zustimmung des Gemeinwesens bedarf (ganz anders ist das für die Staatsbürger). Diese Zustimmung kann nationalstaatlich erfolgen oder durch transnationale Regulierungen (z. B. Freizügigkeit in der EU) möglich geworden sein. Wie auch immer, es bedarf der Zustimmung des Gemeinwesens. In der BGE-Diskussion wird diese Differenzierung sehr häufig geringgeschätzt, weil durch die Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern eine Diskriminierung vorgenommen werde. Im wörtlichen Sinne ist das in der Tat der Fall, es wird unterschieden zwischen zwei verschiedenen Status. Wer diese Unterscheidung aufgeben will, gibt die Realität einer politischen Vergemeinschaftung von Staatsbürgern mit Rechten und Pflichten auf. Denn diejenigen, die nicht Staatsbürger sind, haben dem Gemeinwesen gegenüber keine Pflichten und nur bestimmte Rechte, vor allem sind sie nicht im umfassenden Sinne Angehörige.

Timo Reuter fragt dann: 

„Würden sie [die Menschen mit BGE, SL] sich für die Faulheit entscheiden, wie Kritiker des Grundeinkommens behaupten? Diese Frage bleibt bis zur Einführung offen – und ist bis dahin vom jeweiligen Menschenbild abhängig.“

Was tatsächlich geschehen wird, bleibt in der Tat offen, weil wir es nicht vorhersagen können. Jedoch ist es nicht einfach eine Frage des „jeweiligen“ Menschenbildes, welche Auswirkungen für möglich erachtet werden. Forschung – wie immer strittig in der Wissenschaft – kann sehr wohl dazu etwas sagen, welche Überzeugungen in der Vergangenheit Menschen bei ihren Entscheidungen geleitet haben und wie diese Überzeugungen sich zu dem verhalten, was ein BGE eröffnet. Auch das erlaubt natürlich keine Vorhersage, macht aber manches plausibler. Denn die handlungsleitenden Überzeugungen, auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden, lassen sich nicht wie Meinungen tagesaktuell wechseln, sie haben sich im Zuge eines Bildungsprozesses herausgebildet und können nicht manipulativ verändert werden. Insofern ändern sie sich nicht einfach durch die Einfhrung eines BGE. Und weiter:

„Vieles spricht aber gegen das kaltherzige Bild des Homo oeconomicus, eines allein seine eigenen Interessen maximierenden Individuums. Denn neben dem Monetären gibt es viele weitere Gründe zu arbeiten, etwa soziale Integration, Selbstverwirklichung, Stolz oder Anerkennung. Und 1.000 Euro monatlich würde den meisten wohl nicht reichen.“

Das räumen die Wirtschaftswissenschaften ja schon länger selbst ein (z. B. Reinhard Selten), wenngleich nach wie vor davon ausgegangen wird, dass „Präferenzen“ einer „Nutzenfunktion“ entsprechen bzw. Entscheidungen im Modus einer „rationalen Wahl“ erfolgen. Eingeräumt wird ebenfalls, dass der homo oeconomicus nur ein „Modell“ zum Rechnen sei, denn irgendwie müsse man ja rechnen, wie mir ein Wirtschaftswissenschaftler einmal sagte. Womit er zugleich einräumte, dass dieses Modell mit der Wirklichkeit wenig bis gar nichts zu tun habe. Na denn. Die republikanische Demokratie, in der wir leben, mit ihren spezifischen Voraussetzungen ist aber kein Modell, sie ist praktizierte Realität.

Sascha Liebermann

„Da finde ich das bedingungslose Grundeinkommen eine ganz bezaubernde Idee“

…so Martina Römmelt-Fella, Geschäftsführerin der FELLA Maschinenbau GmbH, im Interview mit der Wochenzeitung freitag. Darin äußert sie sich auch dazu, was TTIP für die kleinen und mittelständischen Unternehmen bedeuten könnte, welche Nachteile es brächte und weshalb sie dagegen ist (siehe „KMU gegen TTIP“).

Die Passage im Wortlaut:

„freitag: Aber es sind gerade Vertreter des Mittelstands, die die Rente mit 63 und den Mindestlohn kritisieren und noch mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt fordern. Geht der mittelständische Wunsch nach Bürokratieabbau zulasten der Arbeitnehmer?
Römmelt-Fella: Den Mindestlohn finde ich selbst wichtig und richtig. Mangelhaft ist die Umsetzung. Denn die ist für uns, obwohl wir grundsätzlich weit höhere Stundensätze als 8,50 Euro zahlen, nur mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand zu bewerkstelligen. Außerdem stellt sich die Frage: Können Unternehmen diese Regelung nicht auch einfach umgehen?
Was sieht die Alternative aus?
Die Fokussierung auf das Thema ist nicht ausreichend. Man müsste einen Weg finden, wie die Arbeitnehmer hierzulande von diesem gewaltigen Produktivitätszuwachs profitieren können, und zwar auch, wenn sie nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind. Da finde ich das bedingungslose Grundeinkommen eine ganz bezaubernde Idee.“

Missverständlich ist an dieser Stelle, dass ein BGE dazu dienen soll, auch diejenigen am Produktivitätszuwachse teilhaben zu lassen, die nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind. Das ist nach allgemeinem Sprachgebrauch nur der Fall, wenn sie nicht erwerbstätig sind. Also würde das BGE nur für den Fall bereitgestellt, dass jemand erwerbslos ist. Das sieht die Idee aber keineswegs vor, sie soll jederzeit bereitstehen. Womöglich hätte sich durch eine Nachfrage des Interviewers aufklären lassen, was Frau Römmelt-Fella genau meint. Bei manchen derer, die in jüngster Zeit das Bedingungslose Grundeinkommen als interessante Alternative benannt haben (siehe hier und hier), war nicht klar, in welcher Form es bereitgestellt würde, ob tatsächlich eine Leistung von der Wiege bis zur Bahre gemeint war.

Sascha Liebermann