„Geld für wirkliche Freiheit“…

…so ist der Beitrag zum Bedingungslosen Grundeinkommen auf Zeit Online von Timo Reuter übertitelt.

Die medialen Wellen schlagen hoch seit Anfang des Jahres, da die Volksabstimmung in der Schweiz näher rückt. Viele Beiträge zum Bedingungslosen Grundeinkommen wurden in den letzten Wochen schon veröffentlicht. Der Beitrag von Timo Reuter sieht das BGE in der Tradition des Liberalismus, der aus seinen neoliberalen Überformungen befreit werden müsse.

Was schreibt er?

Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet, dass der Staat die Menschen bezahlt, weil sie am Leben sind. Ohne Zwang, ohne Bedingungen – und zwar alle…“

Gleich zu Beginn eine – manche würden hier vielleicht sagen: vernachlässigenswerte – Irritation. Ich halte sie nicht für vernachlässigenswert, sie entstellt das BGE. Nicht „bezahlt“ der Staat (oder eben nicht der Staat, siehe hier) dafür, dass „Menschen … am Leben sind“. Das Gemeinwesen stellt das BGE aus dem Steueraufkommen seinen Angehörigen und anderen Bezugsberechtigten bereit. Und wer ist der „Staat“? Es ist die Vergemeinschaftung der Bürger im politischen Solidarverband, der Staat steht nicht über ihnen, was eine Formulierung wie „Der Staat bezahlt…“ zumindest nahelegt.

Danach heißt es:

„Das ist nicht verwunderlich, denn ein existenzsicherndes Grundeinkommen käme wegen seiner Bedingungslosigkeit einer sozialpolitischen Revolution gleich. Es würde den Zwang zur Arbeit abschaffen, welcher der Logik des Arbeitsmarktes immanent ist.“

Der „Zwang“ ist nicht der „Logik des Arbeitsmarktes“ immanent, sondern der normativen Verpflichtung, Einkommen über diesen Arbeitsmarkt erzielen zu sollen. Es könnte auch einen Arbeitsmarkt ohne die normative Verpflichtung im Sinne des Gebotes „Du sollst erwerbstätig sein“ geben.

Auch folgende Passage ist ungenau:

„Am Grundeinkommen scheiden sich die Geister über politische Grenzen hinweg. Die Gewerkschaften sind dagegen, der Milliardär Götz Werner ist der in Deutschland bekannteste Verfechter dieser Idee, die Arbeitgeberverbände halten es für „nicht finanzierbar und leistungsfeindlich“, das globalisierungskritische Netzwerk Attac oder die katholischen Arbeitnehmerbewegung wiederum sind dafür.“

In den Gewerkschaften gibt es durchaus Befürworter, sie sind eindeutig in der Minderheit. Attac ist nicht im Allgemeinen dafür, lediglich die AG Genug für alle hat sich meines Wissens für ein BGE ausgesprochen, das ist eine kleine Gruppe.

Später heißt es:

„Zwar gerieten radikale wirtschaftsliberale Positionen zwischenzeitlich durch Entwicklungen wie die Weltwirtschaftskrise 1929 in den Hintergrund – doch nur, um einige Jahrzehnte später in Form des Neoliberalismus umso härter zurückzuschlagen.“

Es gibt zweierlei Neoliberalismus, den in Anlehnung an Alexander Rüstow, der in einem Ordnungsrahmen und einer notwendigen Sozialpolitik die Voraussetzungen dafür sieht, dass dem Markt Aufgaben überlassen werden können, und die – heute meist damit verbundende – Variante eines beinahe anti-staatlichen Neoliberalismus, der in der Privatisierung und den Marktgesetzen die allumfassend regelnde Kraft sieht. Peter Ulrich hat diesen Unterschied in seinem Buch „Integrative Wirtschaftsethik“ sehr klar herausgearbeitet.

Nach einigen Überlegungen zur „realen Freiheit“, wie sie Philippe van Parijs entwickelt hat und die sich für ihn mit dem BGE verbindet, schreibt Timo Reuter:
„Das wird aber nicht allein durch ein existenzsicherndes Einkommen, etwa im Sinne der deutschen Sozialsysteme, erreicht, sondern vor allem dadurch, dass diese materielle Basis bedingungslos allen Menschen gewährt wird. Erst die Bedingungslosigkeit macht das Grundeinkommen zu einem entscheidenden Trumpf des modernen Liberalismus.“

Ja – nein, zumindest missverständlich. Was bedeutet „alle Menschen“? Es kann sich ja nur um die Menschen handeln, die im Rechtsbereich eines Gemeinwesens leben oder Angehörige dieses Gemeinwesens sind, für die es Sorge zu tragen hat. Für andere ist ein Gemeinwesen nicht legitimiert zu handeln. Jedes demokratisch-republikanische Gemeinwesen konstituiert sich durch einen Souverän: das Volk der Staatsbürger. Das BGE ist also zuallererst eine Alimentierungsleistung des Gemeinwesens an sich selbst, also an seine Staatsbürger. Von diesen abgeleitet, da sie das Gemeinwesen auf Basis von Rechten und Pflichten tragen müssen, erweitert sich die Alimentierung auf Personen mit einem definierten Aufenthaltsstatus. Sie würden ein BGE erhalten, weil sie sich im Rechtsbereich des Gemeinwesens niedergelassen haben, wozu es allerdings der Zustimmung des Gemeinwesens bedarf (ganz anders ist das für die Staatsbürger). Diese Zustimmung kann nationalstaatlich erfolgen oder durch transnationale Regulierungen (z. B. Freizügigkeit in der EU) möglich geworden sein. Wie auch immer, es bedarf der Zustimmung des Gemeinwesens. In der BGE-Diskussion wird diese Differenzierung sehr häufig geringgeschätzt, weil durch die Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern eine Diskriminierung vorgenommen werde. Im wörtlichen Sinne ist das in der Tat der Fall, es wird unterschieden zwischen zwei verschiedenen Status. Wer diese Unterscheidung aufgeben will, gibt die Realität einer politischen Vergemeinschaftung von Staatsbürgern mit Rechten und Pflichten auf. Denn diejenigen, die nicht Staatsbürger sind, haben dem Gemeinwesen gegenüber keine Pflichten und nur bestimmte Rechte, vor allem sind sie nicht im umfassenden Sinne Angehörige.

Timo Reuter fragt dann: 

„Würden sie [die Menschen mit BGE, SL] sich für die Faulheit entscheiden, wie Kritiker des Grundeinkommens behaupten? Diese Frage bleibt bis zur Einführung offen – und ist bis dahin vom jeweiligen Menschenbild abhängig.“

Was tatsächlich geschehen wird, bleibt in der Tat offen, weil wir es nicht vorhersagen können. Jedoch ist es nicht einfach eine Frage des „jeweiligen“ Menschenbildes, welche Auswirkungen für möglich erachtet werden. Forschung – wie immer strittig in der Wissenschaft – kann sehr wohl dazu etwas sagen, welche Überzeugungen in der Vergangenheit Menschen bei ihren Entscheidungen geleitet haben und wie diese Überzeugungen sich zu dem verhalten, was ein BGE eröffnet. Auch das erlaubt natürlich keine Vorhersage, macht aber manches plausibler. Denn die handlungsleitenden Überzeugungen, auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden, lassen sich nicht wie Meinungen tagesaktuell wechseln, sie haben sich im Zuge eines Bildungsprozesses herausgebildet und können nicht manipulativ verändert werden. Insofern ändern sie sich nicht einfach durch die Einfhrung eines BGE. Und weiter:

„Vieles spricht aber gegen das kaltherzige Bild des Homo oeconomicus, eines allein seine eigenen Interessen maximierenden Individuums. Denn neben dem Monetären gibt es viele weitere Gründe zu arbeiten, etwa soziale Integration, Selbstverwirklichung, Stolz oder Anerkennung. Und 1.000 Euro monatlich würde den meisten wohl nicht reichen.“

Das räumen die Wirtschaftswissenschaften ja schon länger selbst ein (z. B. Reinhard Selten), wenngleich nach wie vor davon ausgegangen wird, dass „Präferenzen“ einer „Nutzenfunktion“ entsprechen bzw. Entscheidungen im Modus einer „rationalen Wahl“ erfolgen. Eingeräumt wird ebenfalls, dass der homo oeconomicus nur ein „Modell“ zum Rechnen sei, denn irgendwie müsse man ja rechnen, wie mir ein Wirtschaftswissenschaftler einmal sagte. Womit er zugleich einräumte, dass dieses Modell mit der Wirklichkeit wenig bis gar nichts zu tun habe. Na denn. Die republikanische Demokratie, in der wir leben, mit ihren spezifischen Voraussetzungen ist aber kein Modell, sie ist praktizierte Realität.

Sascha Liebermann

„Da finde ich das bedingungslose Grundeinkommen eine ganz bezaubernde Idee“

…so Martina Römmelt-Fella, Geschäftsführerin der FELLA Maschinenbau GmbH, im Interview mit der Wochenzeitung freitag. Darin äußert sie sich auch dazu, was TTIP für die kleinen und mittelständischen Unternehmen bedeuten könnte, welche Nachteile es brächte und weshalb sie dagegen ist (siehe „KMU gegen TTIP“).

Die Passage im Wortlaut:

„freitag: Aber es sind gerade Vertreter des Mittelstands, die die Rente mit 63 und den Mindestlohn kritisieren und noch mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt fordern. Geht der mittelständische Wunsch nach Bürokratieabbau zulasten der Arbeitnehmer?
Römmelt-Fella: Den Mindestlohn finde ich selbst wichtig und richtig. Mangelhaft ist die Umsetzung. Denn die ist für uns, obwohl wir grundsätzlich weit höhere Stundensätze als 8,50 Euro zahlen, nur mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand zu bewerkstelligen. Außerdem stellt sich die Frage: Können Unternehmen diese Regelung nicht auch einfach umgehen?
Was sieht die Alternative aus?
Die Fokussierung auf das Thema ist nicht ausreichend. Man müsste einen Weg finden, wie die Arbeitnehmer hierzulande von diesem gewaltigen Produktivitätszuwachs profitieren können, und zwar auch, wenn sie nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind. Da finde ich das bedingungslose Grundeinkommen eine ganz bezaubernde Idee.“

Missverständlich ist an dieser Stelle, dass ein BGE dazu dienen soll, auch diejenigen am Produktivitätszuwachse teilhaben zu lassen, die nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind. Das ist nach allgemeinem Sprachgebrauch nur der Fall, wenn sie nicht erwerbstätig sind. Also würde das BGE nur für den Fall bereitgestellt, dass jemand erwerbslos ist. Das sieht die Idee aber keineswegs vor, sie soll jederzeit bereitstehen. Womöglich hätte sich durch eine Nachfrage des Interviewers aufklären lassen, was Frau Römmelt-Fella genau meint. Bei manchen derer, die in jüngster Zeit das Bedingungslose Grundeinkommen als interessante Alternative benannt haben (siehe hier und hier), war nicht klar, in welcher Form es bereitgestellt würde, ob tatsächlich eine Leistung von der Wiege bis zur Bahre gemeint war.

Sascha Liebermann

„Wer hat Angst vorm Bedingungslosen Grundeinkommen? Mythen und Fakten“

Das Netzwerk Grundeinkommen schreibt zu dieser Veranstaltung: „Etwas mehr als 60 Leute waren dabei als Lisa Paus, MdB (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Martin Delius (Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin) und Olaf Michael Ostertag (LAG Bedingungsloses Grundeinkommen DIE LINKE. Berlin) am 18. Januar in Berlin der Frage nachgingen: Wer hat Angst vorm bedingungslosen Grundeinkommen? Organisiert wurde die Diskussion von der Tageszeitung „neues deutschland“ und der LAG Bedingungsloses Grundeinkommen DIE LINKE. Berlin (grundeinkommen.de berichtete). Ein Vorgespräch mit Paus, Delius und Ostertag brachte die Zeitung am Tag der Veranstaltung…“ Weiterlesen

„Mut zur Transformation – Stimmen zum Bedingungslosen Grundeinkommen“…

…“Endlich ist es da! Unser Heft zum bedingungslosen Grundeinkommen ist erschienen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Was könnte das für unsere Gesellschaft bedeuten und wie könnte es überhaupt funktionieren? In unserem 80-seitigen Gratisheft liefern wir verständliche Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Hier kann unser Gratisheft bestellt werden: info@mutzurtransformation.com Das ganze Heft können Sie auch hier als PDF downloaden: Mut_zur_Transformation.“

Grundeinkommen und Subsidiarität – verbreitete Missverständnisse

In der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen trifft man immer wieder auf die Behauptung, dass es das Subsidiaritätsprinzip verletze (Broschüre des Roman Herzog Instituts, darin die Beiträge von Steffen Roth und Elke Mack) und damit die Grundfesten moderner demokratischer Gemeinwesen angreife. Es richte sich gegen Eigenverantwortung und fördere Kollektivismus usw. In einem früheren Kommentar hatte ich das schon einmal aufgegriffen. Schaut man sich die entsprechende Passage der dafür häufig herangezogenen Enzyklika „Quadragesimo Anno“ an, kann man nur staunen:

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„Die Schweiz arbeitet weiter“…

…meldet grundeinkommen.ch

Auf dem Bundeshausplatz in Bern wurde gestern eine repräsentative Umfrage zum Bedingungslosen Grundeinkommen in der Schweiz präsentiert.

„…Die Schweiz ist weltweit das erste Land, welches 2016 – voraussichtlich am 5. Juni – über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstimmt. Im Rahmen einer telefonischen Mehrthemenbefragung wurden Ende November 2015 1076  Stimmberechtigte der Deutsch- und Westschweiz vom Meinungsforschungsinstitut DemoSCOPE befragt. Die Resultate der Umfrage zeigen, dass nur ein sehr kleiner Teil der Schweizerinnen und Schweizer mit einem bedingungslosen Grundeinkommen aufhören würde zu arbeiten…“