„Obrigkeit“ und „Nanny-Staat“: Thomas Sattelberger hat die Demokratie nicht verstanden

Thomas Sattelberger, vielfältig engagierter ehemaliger Manager u. a. bei der Deutschen Telekom, hat sich in einer Kolumne im manager magazin mit der Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen befasst. Der Titel seines Beitrags, „Arbeit statt Opium“, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wohin die Überlegungen führen. Von einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem BGE zeugt der Beitrag nicht (siehe auch hier), ohne Unterstellungen kommt er ebenfalls nicht aus.

So schreibt er über die „Silicon-Valley-Heroen“, dass sie „mit der sozialen Maske des Grundeinkommens die Folgen ihres unsozialen Plattformkapitalismus vergesellschaften“ wollen. Es mag solche Stimmen geben, aber allen dies vorzuhalten kommt doch einem Haudrauf gleich. Und wenn Sattelberger besonders unter „Grüne[n] und Altlinke[n]“ diejenigen sieht, die „die Befreiung von (Lohn-)Abhängigkeit und Erpressbarkeit“ erhofften, dann übersieht er, wie breit die Debatte mittlerweile ist und die genannten bislang nicht zu den großen Unterstützern des BGE gehörten, sieht man von Einzelnen ab.

Von der einfachsten Sorte ist Sattelbergers Vorwurf an „deutsche Unternehmensführer“, mit dem BGE einen Vorschlag zu unterstützen, der eine „Gesellschaft“ entstehen lasse, „die, ohne eine Leistung zu erwarten, die Existenz von Individuen absichert“. „Leistung“ ist hier, wie unschwer zu erkennen ist, ausschließlich als Erwerbsleistung gedacht, sonst hätte Sattelberger das so nicht schreiben können. Sie entsteht offenbar nur, wenn die Existenz von „Individuen“ nicht abgesichert ist. Interessen an einer Tätigkeit, weil sie für richtig und wichtig erachtet wird, scheint es in seinen Augen nicht zu geben, allenfalls als Ausnahmefall wird sie zugestanden. Davon einmal abgesehen fallen alle anderen Leistungsformen, die für unser Zusammenleben ebenso unersetzlich sind, unter den Tisch.

Sattelberger wettert gegen „ein naives gesellschaftliches Modell eines Nanny-Staats, in dem Menschen von der Obrigkeit oder von den Tech-Plutokraten alimentiert werden“. Nur, wer ist die „Obrigkeit“ in einer Demokratie? Legitimationsquelle ist der Volkssouverän, das ist die höchste „Obrigkeit“. Genauso ist es im Grundgesetz niedergelegt, das sich der Souverän gegeben hat und das ihn schützt. In diesem Sinne sieht der demokratische verfasste Staat gerade nicht vor, den Bürgern eine bestimmte Lebensform vorzuschreiben, zumal die Rede von der Nanny unterstellt, die Bürger seien nicht mündig. Das sind sie in der Demokratie aber qua Stellung, die sie darin einnehmen. Die Mündigkeit wird ihnen auch abverlangt. Weder das Grundgesetz noch das BGE sind also Ausdruck eines „Nanny-Staats“, die Obrigkeit kommt von unten, wenn man so will. Von dieser Demokratie hat Sattelberger offenbar noch nichts gehört oder ihre Grundlagen nicht verstanden.

Interessant wird es, wenn Sattelberger angesichts der „Digitalisierung“  „eine Riesenaufgabe nicht nur für (Hoch-)Schulen, sondern auch für die betriebliche Weiterbildung und die qualitative Personalplanung“ erkennt:

„Bildungsinstitutionen und Unternehmen stehen in der Verantwortung, den Erwerb interdisziplinärer Fachkompetenz mit ethisch und moralisch fundierter Lernkultur zu verknüpfen – für eine menschenwürdige Zukunft der Arbeit. Gerade Wirtschaftslenker dürfen hier nicht einem technizistischen Determinismus verfallen.“

Wer hätte im Großen und Ganzen etwas gegen dieses Anliegen? Weshalb aber den Appell an Unternehmen und „Wirtschaftslenker“ richten, als seien sie die Speerspitze derer, die wüssten, welche Bildung wichtig ist. Waren es nicht die Interessenverbände der Wirtschaft, die in den letzten Jahren sich zuerst für Bachelor- und Masterstudiengänge starkgemacht haben, unbedingt kürzere Studienzeiten wollten, um dann festzustellen, dass der falsche Weg beschritten wurde? Waren es nicht dieselben Verbände, die von Hochschulabsolventen eine größere Nähe zu den Erfordernissen der Wirtschaft erwarteten, um dann festzustellen, dass sie zu stromlinienförmig werden? Menschenwürdig wird die „Zukunft der Arbeit“ dann sein, wenn Arbeitnehmer sich unwürdigen Bedingungen verweigern bzw. über widrige verhandeln können. Heute sitzen sie in vielerlei Hinsicht am kürzeren Hebel. Das aber sieht Sattelberger nicht.

Es bedarf nicht, wie er dann schreibt, einer „öffentlichen Debatte über ganz neue Gesellschaftsmodelle“. Hätte er seine Augen auf die Grundlagen unseres Zusammenlebens heute gerichtet, dann hätte er ein „Gesellschaftsmodell“ erkennen können, das längst auf die Anforderungen der Zukunft vorbereitet ist und längst praktiziert wird. Es ist gerade die Verfasstheit der Demokratie, die Pluralität fördert, dadurch die besten Bedingungen dafür schafft, dass Neues entstehen kann. Lebensführung heute ist Lebensführung angesichts einer enormen Autonomieerwartung an den Einzelnen, die Grundlage der Demokratie ist und im Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Wenn Sattelberger Zweifel daran hat, ob die heutige Form der Sozialpartnerschaft noch für die Herausforderungen geeignet ist, dann wäre es naheliegend, im BGE eine Chance zu sehen, die aus dem Geist der Demokratie erwächst. Dass zu erkennen setzt jedoch voraus, nicht mehr die Erwerbstätigen im Zentrum zu sehen, sondern die Bürger. Dazu müsste ihre Mündigkeit ernstgenommen werden, statt sie paternalistisch zu unterlaufen.

Sascha Liebermann

„Mehrheit der Deutschen für bedingungsloses Grundeinkommen“ – oder auch dagegen, je nachdem

WirtschaftsWoche online zitiert eine entsprechende „repräsentative Umfrage“ des Cashbackportals shoop.de, die davon berichtet, wie groß die Zustimmung zum BGE sei. In die Studie selbst erhält man keinen Einblick, man weiß also nicht genau, was gefragt und wie das BGE erklärt wurde. Es ist nicht lange her, da wurde eine Umfrage mit gegenteiligem Ergebnis präsentiert, siehe hier. Oder vielleicht doch besser diese Umfrage nehmen, die positiver ausfiel, siehe hier. Die könnte dann mit einer anderen wieder verbunden werden, siehe hier.

Diese Meinungsumfragen, darüber habe ich schon öfter geschrieben, sind vollkommen nichtssagend – das hat methodische Gründe (siehe hier). Sie erfragen etwas, ohne dass sich der Befragte dazu verbindlich verhalten muss. Sie halten nicht tatsächliche Entscheidungen fest, sondern beschäftigen sich nur mit hypothetischen Welten im Sinne von „Was wäre wenn…?“. Aus Zustimmung bzw. Ablehnung zu einer Frage folgt nichts – so oder so hat es keine Auswirkungen, die verantwortet werden müssen. Für das Leben kommt es aber stets auf darauf an, was tatsächlich getan wird, was also zu verantworten ist. Solange man etwas nicht konkret verantworten muss, kann man große Reden halten, das ist ein bekanntes Phänomen. Man kann gegen dieses und jenes oder auch für dieses und jenes sein. Doch wie sieht es aus, wenn es nicht beim Reden bleibt, sondern eine Entscheidung verantwortet werden muss?

Deswegen ist es ein eklatanter Unterschied, ob jemand befragt wird, nachdem er eine Entscheidung getroffen hat, wie z. B. bei Wahlen, wenn Wähler gerade das Wahlbüro verlassen haben. Oder ob er befragt wird, ohne dass eine konkrete Entscheidung bevorsteht. Was könnte aus diesen methodischen Eigenheiten von Meinungsumfragen folgen? Sie sollten als das genommen werden, was sie sind: als unverbindliche Befragungen, in denen man nichts darüber erfährt, weshalb jemand die Antwort gegeben hat, die er gegeben hat. Sie sagen nichts darüber aus, was die Befragten tatsächlich täten, wenn… . Deswegen ist es ein Akt der Mündigkeit, sie in ihre Schranken zu verweisen, was viel zu wenig geschieht. Oder am besten: gar nicht erst teilnehmen, wenn man darum gebeten wird. Auch das ist klärend.

Sascha Liebermann

Grundeinkommensprojekt in Kenia von GiveDirectly

Hierzu gab es verschiedene Meldungen in jüngerer Zeit. Die Basic Income News berichteten darüber, ebenso die Süddeutsche Zeitung. Noch hat GiveDirectly die Mittel für dasProjekt nicht zusammen, steht aber offenbar kurz davor. In der Berichterstattung wird hervorgehoben, was die Feldversuche leisten, welche Einsichten sie zutage fördern könnten usw. Über den eigenartigen Charakter solcher Projekte, die Entwicklungshilfevorhaben ähneln, nicht von den Regierungen der Länder, in denen sie stattfinden, finanziell unterstützt werden usw. wird wenig bis gar nichts geschrieben, das ist verwunderlich. Sascha Liebermann hat sich dazu mehrfach geäußert, siehe hier und hier.