…das ist Meera Zarembas Replik auf den Beitrag von Ralf Stegner auf vorwärts, auf den wir schon hingewiesen haben. Siehe auch den polemisch zuspitzenden Vortrag von ihr über die „Arbeitsgesellschaft“ hier.
Zaremba schreibt in einer Passage ihres Beitrags:
„Die Arbeitsmotivation sinkt übrigens nicht, wenn Menschen Grundeinkommen erhalten. Im Gegenteil. Noch nie hätten sie so viel gearbeitet und seien dabei so wenig gestresst gewesen, berichten viele der Teilnehmer. Andere Experimente, z.B. aus den USA und Kanada, kommen zu ähnlichen Ergebnissen.“
Über welche Art von Grundeinkommen wird hier gesprochen? Aussagen über ein Bedingungsloses Grundeinkommen lassen diese Feldexperimente (siehe hierzu auch die Beiträge von Karl Widerquist) nicht zu, weil sie zeitlich befristet und der Bezieherkreis begrenzt ist oder gar andere BGE-fremde Voraussetzungen bestanden. Warum ist das von Bedeutung? Solange der Status der Personen, die am Experiment teilnehmen, ein Ausnahmestatus ist, der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit im Allgemeinen (also außerhalb des Sonderstatus) aber in Kraft bleibt, entfaltet er seine Wirkung auch bei den Teilnehmern. Denn die Teilnahme verleiht ihnen einen privilegierten Status im Verhältnis zu anderen, der mit einer besonderen Rechtfertigungsverpflichtung dafür einhergeht, etwas Sinnvolles mit dem Privileg zu unternehmen. Darüber hinaus gibt es ein Leben nach dem Feldexperiment, vor dem Entscheidungen während des Experiments Bestand haben müssen. Die Frage, wie der Einzelne im Arbeitsmarkt langfristig erfolgreich sein kann, bleibt trotz Experiment bestehen. Der Hinweis darauf, dass Teilnehmer sich in den Pilotprojekten z. B. weiterbildeten, länger zur Schule gingen (wie in Dauphin, siehe hier) oder Möglichkeiten ergriffen, die ihnen zuvor verstellt waren oder verstellt schienen, belegt nicht, dass sie dies ebenso tun würden, wenn der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit durch ein allgemeines BGE aufgehoben gewesen wäre. Dieses Argument gilt ebenso für die Gewinner von „Mein Grundeinkommen“, die durch eine einer Lotterie vergleichbaren Verlosung in einen Ausnahmestatus rücken, wenn sie gewonnen haben. Es ist verständlich, wie in der öffentlichen Diskussion häufig gefordert, dass man gerne gesicherte Erkenntnisse über das hätte, was ein BGE tatsächlich mit sich brächte, doch so verständlich der Wunsch, so illusionär, geradzu zukunftsfeindlich ist er. Das heißt nicht, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf anderem Wege gewonnen werden oder schon gewonnen wurden, nicht aufschlussreich sein könnten (siehe zur Diskussion dazu hier und z. B. eine Datenbank hier). So könnte, sofern das Datenmaterial dieser Experimente es zulässt, danach gesucht werden, welchen Stellenwert berufliches und anderes Engagement im Allgemeinen für den Einzelnen hat, inwiefern die inhaltliche Bindung an eine Sache, eine Aufgabe, die es beruflich zu bewältigen gibt, ohnehin den Vorrang vor Einkommensfragen hat, solange jemand nicht existenziell bedroht ist. So könnte mit manchem Vorurteil aufgeräumt werden, demgemäß schon in der Vergangenheit die Bedeutung von Einkommen dafür, erwerbstätig zu werden, überbewertet wurde (eine solche beschränkte Perspektive findet sich z. B. hier).
Zaremba schreibt weiter:
„Die Digitalisierung wird dieses Problem weiter verschärfen. Sie bedeutet Automatisierung auf allen Gebieten – in der Industrie, im Handel, im Dienstleistungsbereich. Die Arbeitswelt wird sich in kurzer Zeit vollständig verändern. Die Angst, nicht mithalten zu können, wird sich intensivieren.“
Wer weiß schon, was da genau auf uns zukommt? Rationalisierungsprozesse aufgrund der Nutzung von Computertechnologie sind nicht neu, die Frage ist, was sich nun tatsächlich verändern wird. Zumal diese Entwicklung mit demographischen Veränderungen (siehe hier und hier) einhergeht. Sollte eintreffen, was manche befürchten oder erhoffen, dann würde ein BGE zumindest eine Einkommensgarantie leisten. Der Rest ist Kaffeesatzleserei.
Und zuletzt noch eine Anmerkung:
„Behörden können mit ihren Formularen jedoch niemals die Komplexität der Lebensrealität abbilden. Sie können eine unberechenbare Zukunft nicht verwalten. Sie sabotieren im schlimmsten Fall das Wohlergehen der Menschen, wenn sie diese massenweise zu Bittstellern machen, bürokratisch kontrollieren und in schlechte Arbeit drängen.“
Nicht „Behörden“ machen „Menschen“ zu „Bittstellern“, es sind die Bürger, die eine solche Politik unterstützen oder sogar für wünschenswert halten, sonst würde es sie gar nicht geben können. Darin liegt der Grund für die stigmatisierende Kraft der Sozialgesetzgebung, dass sie durch einen breiten Konsens getragen wird. Nicht zu erklären ist aus diesem Umstand, weshalb dieser Sozialpolitik in einer Unterdrücktenhaltung begegnet wird, denn die Leistungen, um die es geht, sind keine Almosen, es handelt sich um Rechtsansprüche, die durch das Gemeinwesen gerade als erwünschte eingerichtet sind. Warum gehen wir damit so defensiv um, wir sollten offensiv damit umgehen. Bei allen Widrigkeiten, die mit den Systemen sozialer Sicherung eingehen, so handelt es sich um durch einen politischen Konsens getragene Rechtsansprüche. Das sehen wir, als Bürger unseres Landes, aber viel zu wenig, weil wir kaum ein Bewusstsein davon haben, welche Stellung die Bürger in der Demokratie haben. Diesen Mangel kann ein BGE alleine nicht beseitigen, die Diskussion darüber trägt aber dazu bei, sich klar zu machen, in wessen Dienst der Sozialstaat stehen sollte, im Dienst der Bürger oder der Erwerbstätigen? Der Verweis auf das Grundgesetz hilft nicht weiter, wenn die dort verfasste politische Grundordnung nicht mit Leben gefüllt wird. Das müssen die Bürger selbst tun.
Sascha Liebermann