Leistungsbereitschaft ernstnehmen oder sie per Anreiz degradieren?

Siehe unsere früheren Beiträge zur Frage nach dem angemessenen Leistungsverständnis hier.

Lohnabstand und „Erwerbsanreiz“ – die Gefahr einer verkürzten Betrachtung

Siehe unsere Kommentare zu der Diskussion um „Anreize“ hier.

„Sanktionsfreie Mindestsicherung“

So ist es – siehe unsere früheren Kommentare dazu hier.

„Sämtliche Sozialleistungen […] würden wegfallen“…

…behauptet Till Requate, Professor für Volkswirtschaftslehre (Universität Kiel), im Interview mit focus. Was ihn zu dieser Einschätzung veranlasst, ist nicht zu erkennen. Sicher, es gibt in der Diskussion Befürworter, die solche Vorstellungen haben, doch das sind Befürworter unter anderen, die eine Beibehaltung sozialstaatlicher Transferleistungen „oberhalb“ eines BGE vorsehen.

Milton Friedman taucht wieder auf und wird als Vorläufer einer „Art bedingungslose[n] Grundeinkommens“ dargestellt, doch genau das vertrat er nicht. Die Negative Einkommensteuer operiert auf anderer Grundlage, was Requate dann auch sagt, womit die Vorläuferschaft auch schon aufgehoben ist. Ein BGE sei kein „Geld fürs Nichtstun“, wie auch hier wieder vom Gesprächspartner suggeriert wird.

Wer nun behauptet, ein BGE ersetze alle sozialstaatlichen Transferleistungen, muss zu folgender Überlegung gelangen:

„[focus]Und wo ist der Haken?

Unter anderem, dass das Existenzminimum durch diese Beträge in Städten wie München oder Frankfurt nicht abgedeckt wäre. Das Wohnen ist hier schlichtweg zu teuer. „Bedingungslos“ bedeutet aber: Der Erhalt dieses Geldes ist an keinerlei Bedingungen geknüpft. Sämtliche Sozialleistungen wie das Bürgergeld, die Grundsicherung im Alter, die Grundsicherung bei Erwerbsunfähigkeit, Fördergelder wie das BaföG, aber auch das Wohngeld würden wegfallen – unabhängig davon, wo man wohnt.“

Wer nicht auf die Streichung aller Leistungen setzt, hätte das Problem nicht. Auch stellt sich die Lage für Haushalte mit mehreren Personen anders dar als für Alleinstehende. Insofern spricht Requate über eine bestimmte Ausgestaltung, nicht über das BGE im Allgemeinen.

Welche Lösung sieht er dafür?

„Sämtliche Sozialleistungen […] würden wegfallen“… weiterlesen

„…muss den Sozialstaat neu aufstellen…“

…“Durch Einwanderung treten neue ideologische Auseinandersetzungen auf den Plan, andere bestanden schon oder werden verstärkt. Wer Ideologie in ihren tödlichen Zuspitzungen wirksam und an der Wurzel bekämpfen will – und ich nenne Rechtsextremismus, Islamismus und Antisemitismus ganz bewusst in einer Reihe –, muss den Sozialstaat neu aufstellen: weniger Transferleistungen. Mehr gezielte Leistungsanreize und starke öffentliche Institutionen.“

Das schreibt Cem Özdemir in seinem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – und man hat den Eindruck, obwohl er damit über das Thema seines Beitrags weit hinausgeht, er greife die Debatte über das Bürgergeld auf, in der wiederholt wilde Behauptungen aufgestellt wurden. Warum stellt er diesen Zusammenhang her, der keineswegs naheliegt?

„…muss den Sozialstaat neu aufstellen…“ weiterlesen

„Warum die aktuelle Bürgergelddebatte nicht die richtigen Schwerpunkte setzt“…

…ein differenzierter Beitrag aus dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung vom März diesen Jahres.

Dass auch hier Sanktionen für „unverzichtbar“ erklärt werden, nachdem dargelegt wurde, wie die Lage der Leistungsbezieher ist und in welchem Fall überhaupt Sanktionen ausgesprochen wurden, muss man unter normativer Voreingenommenheit verbuchen. Sie entspricht ganz dem Geist der Nachrangigkeit von Grundsicherungsleistungen und dem Ziel, Bezieher wieder in Erwerbstätigkeit zu bringen. Man könnte allerdings auch anders argumentieren, denn Erwerbstätigkeit ist ja kein Selbstzweck, es geht dabei um Wertschöpfung, dass etwas geleistet wird, was anders nicht geleistet werden kann, und dazu braucht es zuallererst engagierte und interessierte Mitarbeiter. Gewinnt man die etwa über Sanktionsdrohungen? Das ist doch nicht nur unwahrscheinlich, sondern geradezu abwegig.

Es stellt ein grundsätzliches Problem der Debatte zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik dar, wie stark Leistung in dem hier genannten Sinne entwertet und durch Beschäftigungsaufnahme ersetzt wird, dass es nicht um Wertschöpfung, sondern um Erwerbsteilnahme geht, als würde uns das weiterhelfen. Dass die Bürger sich gegen diese Entwertung nicht wirklich wehren, dass es die Repräsentanten kaum tun und die Unternehmen es ähnlich sehen, hat etwas Zerstörerisches, wenn es um Leistung geht.

Sascha Liebermann