„Bedingungsloses Grundeinkommen: Sind Experimente sinnvoll?“

Dieser Frage widmet sich Friedrich Breyer auf wirtschaftsdienst und richtet den Blick auf das Pilotprojekt Grundeinkommen, dessen Ergebnisse vor einigen Wochen präsentiert wurden.

Er eröffnet den Beitrag so:

„Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) besitzt Spaltungspotenzial für die Gesellschaft: Würde es zur Abschaffung der Armut beitragen oder die Zukunft unserer Leistungsgesellschaft gefährden? Wäre es auf die Dauer überhaupt finanzierbar? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie die Bürger auf die Einführung dieses neuen Sozialmodells reagieren würden. Würden sie weniger arbeiten und verlören sie den Ehrgeiz sich weiterzubilden?“

Warum hat ein BGE „Spaltungspotenzial“? Könnte es das haben, weil darum gestritten, darüber diskutiert wird – das aber muss nicht zu einer Spaltung führen, wie kommt er zu dieser Behauptung, was wird dafür vorausgesetzt? Wenn ein BGE eingeführt werden soll, muss es eine Auseinandersetzung über Für und Wider geben, aber auch das hat mit Spaltung nichts zu tun, sondern mit Willensbildung, zu der auch Dissens gehört. Am Ende ist entscheidend, ob eine Mehrheit zur Einführung bereit ist oder nicht.

Breyer referiert dann, was das Pilotprojekt Grundeinkommen auszeichnete und fragt:

„Ist die Frage nach den Wirkungen damit beantwortet? Muss der schwarz-rote Koalitionsvertrag umgeschrieben und schleunigst ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden?“

Das ist natürlich eine polemische Spitze, denn aus Forschungsergebnissen folgt unmittelbar nichts für die Praxis außer etwaigen Erkenntnissen darüber, welche Folgen ein BGE haben könnte. Womöglich ist es aber auch Ausdruck einer bestimmten Haltung zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik sowie der darin enthaltenen Höherstellung derer mit wissenschaftlicher Expertise gegenüber politischen Entscheidungsträgern – diese Haltung gibt es ja durchaus.

Was lässt sich nun aus dem Experiment schließen?

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„Bedingungsloses Grundeinkommen: Teuer und wirkungslos selbst für Bedürftige“

Alleine die Titelzeile des Beitrags von Dominik Enste für das Institut der deutschen Wirtschaft lässt aufhorchen, wenn man zum einen schon die Kommentare von Guy Standing und Scott Santens zum Stellenwert dieser Studie kennt, zum anderen sich mit dem Stellenwert von Feldexperimenten im allgemeinen befasst hat. Wie stark Enstes Darstellung von den Kommentaren der anderen beiden, die als Kenner der Materie gelten können, abweicht, ist frappierend. Bei der Lektüre und vor allem den Schlussfolgerungen gewinnt man den Eindruck, es werde nicht über dasselbe Projekt gesprochen. Während Enste von BGE spricht, ging es im Projekt um ein „guaranteed income“; während ein BGE keine Bedürftigungsprüfung kennt und an alle Personen gewährt wird, war das hier nicht der Fall, nicht einmal innerhalb eines Haushalts, wenn man dem Kommentar von Guy Standing folgt.

Enste ist auch früher schon dadurch aufgefallen, dass er wenig differenziert und durch eine bestimmte Brille auf den Vorschlag eines BGEs blickt, so dass der Beitrag hier als dankbare Bestätigung für frühere Vorbehalte verstanden werden kann.

Siehe unsere früheren Beiträge zu Kommentaren von Dominik Enste.

Sascha Liebermann

„We need to just do it“…

..Scott Santens comments on what Bonston Mayor Michelle Wu said.

Concerning the limits of field experiments, see here and here (mostly in German).

Sascha Liebermann

„Das Grundeinkommen wäre ein Desaster“…

…wenn denn die Annahmen zuträfen, die Studien innewohnen, aus denen solche Schlüsse gezogen werden. Davon geht Patrick Bernau (Bezahlschranke) wohl aus, wenn er in seinem Beitrag in der Frankfurter Allgemeine Zeitung dem Grundeinkommen solche Folgen attestiert. Er beruft sich dabei auf eine Studie (hier eine Vorfassung), die allerdings ebenso mit Annahmen operiert, also etwas simulieren, nicht aber von tatsächlichen Veränderungen zeugen. Bevor er auf sie eingeht widmet er sich kurz zweier Studien, einer des DIWs, die kürzlich veröffentlich wurde, und einer des Ifo-Institut (zum Vergleich der Studien von DIW und Ifo, siehe hier).

Bernau hält der DIW-Studie vor:

„Das heißt, die Studienautoren nehmen einfach an, dass die Deutschen mit Grundeinkommen so viel arbeiten würden wie ohne. Eine etwas andere Untersuchung, die der Lobbyverein vor zwei Jahren beim Ifo-Institut in Auftrag gab, lässt indes genau daran stark zweifeln.“

Die DIW-Studie hat ausdrücklich und bewusst davon abgesehen, etwaige Verhaltensänderungen zu simulieren und begründet, weshalb darauf verzichtet wurde. Wer die Rede von empirischer Sozialforschung ernst nimmt, kann der Begründung ohne weiteres folgen, denn die Simulation von Verhaltensänderungen ist eben nur eine Verlängerung von Befunden aus der Vergangenheit in eine Zukunft, die wir nicht kennen. Hierin sehe ich eine grundsätzlichen Einwand gegen solche Simulationen, auch wenn sie in manchen wissenschaftlichen Disziplinen zum Tagesgeschäft gehören. Diese Daten sagen nichts darüber aus, wie Menschen in Zukunft handeln werden. Selbst wenn man Verhaltensänderungen in der Zukunft im Verhältnis zur Vergangenheit für unwahrscheinlich hält, ist das bloß eine Vermutung, die der empirischen Grundlage entbehrt. Wir können erfahrungswissenschaftlich Handeln in der Vergangenheit methodisch diszipliniert untersuchen, nicht aber in der Zukunft, da geht es bestenfalls um Schätzungen auf der Basis von Vermutungen. Empirische Forschung schaut also notwendigerweise immer in die Vergangenheit – der Blick nach vorne verlässt den Boden der Erfahrungswissenschaft.

Dann schreibt Bernau folgendes:

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„BGE Experimente sind normativ nichtssagend“…

…, wie BGE Eisenach treffend schreibt, sie sind allerdings noch mehr: Feldexperimente wollen etwas überprüfen, das zu den Existenzbedingungen westlich-liberaler Demokratien gehört, die Selbstbestimmung der Bürger, ihre Mündigkeit – diese Voraussetzungen sind unverfügbar. Es handelt sich dabei nicht um idealisierte oder verklärte Voraussetzungen, es sind reale.

Feldexperimente (siehe hier und hier) laufen letztlich auf einen Bürger-TÜV hinaus und machen den Status der Bürger von der Deutung der Ergebnisse des Experimentes abhängig. Damit graben sie der Demokratie das Wasser ab, und zwar auf subtile Weise, die eher schleichend wirkt, letztlich ein technokratisches Demokratieverständnis erkennen lässt. Wer klären will, ob es ein BGE geben soll oder nicht, muss das über die Willensbildung tun.

Sascha Liebermann

Wahrheitsfindung und Willensbildung sind zwei verschiedene Dinge…

…, was Philip Kovce am Ende seines Beitrags so zusammenfasst:

„Daraus folgt, dass wir den wissenschaftlichen Geist der Wahrheitsfindung sowie den politischen Geist der Willensbildung klar und deutlich voneinander unterscheiden müssen. Für das Grundeinkommen bedeutet das, dass wir es zwar nach allen Regeln der Kunst drehen und wenden, aber weder testen noch simulieren können. Der politische Akt seiner Einführung lässt sich nicht vorwegnehmen. Das ist gewiss keine schlechte, sondern eine gute Nachricht, kündet sie doch von der Praxis bürgerlicher Selbstverständigung als einer Praxis der Freiheit.“

Wahrheitsfindung und Willensbildung sind zwei verschiedene Dinge… weiterlesen

Grundeinkommensexperimente – ein Symposium am FRIBIS…

…die Veranstaltung findet in Präsenz statt und wird aufgezeichnet. Man kann gespannt sein, welche Einschätzungen zu dem Status von Feldexperimenten diskutiert werden und welche politisch-legitimatorische Bedeutung ihnen zugemessen wird.

Die Basic Income Studies hatten dieses Jahr ein Special zu Feldexperimenten, siehe hier, darin auch ein Beitrag von Neves und Merrill.

Unsere Kommentare zu dieser Frage finden Sie hier, hier und hier.

„Obdachlose bekommen auf einen Schlag rund 5000 Euro“ – Was heißt „vernünftig“…

…und wäre es Ausdruck des Scheiterns, wenn die Bezieher den Betrag „unvernünftig“ verwendet hätten? Das Magazin stern berichtet über ein Projekt in Kanada, das schon in englischsprachigen Medien Thema war.

Die Frage, die sich hier stellt, ist eine, die sich bei allen Feldversuchen stellt, und zwar danach, was das Kriterium dafür ist, Scheitern oder Gelingen zu konstatieren. Warum ist das eine wichtige Frage? Weil sie deutlich macht, wie durch die Bewertung von Handeln wieder ein Kriterium formuliert wird dafür, was eine solche Transferleistung zu leisten habe. Erst also wenn sichergestellt ist, dass das Geld vernünftig verwendet wird, gilt das Projekt als gelungen. Damit wird ein Kriterium dafür formuliert, wann jemand selbst darüber entscheiden kann, was er mit Einkommen macht. Es ist diese unscheinbare Frage, die so folgenreich ist, als gäbe es heute ein Kriterium dafür, wann Bürger ihren Status als Bürger „vernünftig“ nutzten und wann der Status unter Vorbehalt gestellt werden müsste.

Sascha Liebermann