Standardrentner, Durchschnittsrenter, Rentenanwartschaften und Bedingungsloses Grundeinkommen

Mit statistischen Daten ist das so eine Sache, sie sagen nichts über die konkrete Person und ihre Situation aus, konstruieren hingegen einen Durchschnitts- oder Medianwert, etwas, das es im konkreten Leben so nicht gibt. Da solche Erhebungen die politische Diskussion aber erheblich prägen, sei hier dennoch auf einen Artikel des Handelsblatts hingewiesen. Ihm zufolge könnte der Standardrentner, der, bei einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro, 45 Jahre kontinuierlich in die Rentenversicherung eingezahlt hat, eine Rente von 1.224 Euro in West und 1.086 Euro in Ostdeutschland erwarten. Bedenkt man allerdings, dass nach Angaben des Handelsblatts nur „vier von zehn Männern […] statistisch gesehen über diesen langen Zeitraum erwerbstätig [sind]. Bei den Frauen sind es ganze vier Prozent. Legt man diese Werte zugrunde, liegt die Durchschnittsrente in Westdeutschland bei 697 Euro (Männer 970 Euro, Frauen 473 Euro) und in den neuen Bundesländern bei 826 Euro (1.044 Euro für Männer und 676 Euro für Frauen). Zum Vergleich: Die Durchschnittspension für Beamte liegt nach einer Studie der Universität Freiburg bei rund 2.500 Euro. […] Was zudem nachdenklich stimmt: Der Durchschnittsverdiener braucht 27 Jahre, um auf 627 Euro Rente zu kommen. Das ist der Betrag, den auch Hartz-IV-Bezieher bekommen und der als Grundsicherung gilt. Wer weniger verdient, braucht sogar noch länger.“

Manche Kritiker des Grundeinkommens, aber durchaus auch Befürworter, erachten die Aufgabe der Rente, eine Lebensstandardsicherung zu gewährleisten  als wichtig (ob das Aufgabe eines Gemeinwesens ist, darüber kann zurecht gestritten werden). Auch seien erworbene Rentenanwartschaften zu beachten und stehen nicht zur Disposition. Juristisch ist das zutreffend, aber was bedeutet das tatsächlich vor dem Hintergrund der hier zitierten Zahlen?

Nehmen wir einmal an, es käme zur Einführung eines Grundeinkommens in der Höhe von 1000 Euro. Damit würde das obere Rentenniveau der Durschnittsrente (1044 Euro) zur Regel erhoben. Selbst für einen „Durchschnittshaushalt“ mit zwei erwachsenen Rentnern, auch hier seien die höchsten Werte angesetzt, wäre ein Grundeinkommen von 2000 Euro verfügbar gegenüber einer Rente von 1720 Euro heute (1044+676). Ein Grundeinkommen würde auch ohne Beibehaltung einer umlagefinanzierten Zusatzrente für Arbeitnehmer eine Besserstellung erwirken.

In diese Betrachtung, die nur ein Rechenexempel bietet, ist noch gar nicht einbezogen, wie sehr die Verfügbarkeit eines BGEs über die Lebensspanne die gesamte Lebenslage verändert. Der Einzelne verfügt auf dieser Basis über ganz andere Möglichkeiten, kann ganz anders mit Lebensentscheidungen verfahren und darüber hinaus könnte er, wenn gewollt, auch noch in eine freiwillige, umlagenfinanzierte Rentenversicherung einzahlen. Im Vergleich mit der deutigen Lebenssituation wären das gewaltige Veränderungen im positiven Sinn. Wer kann das nicht wollen?

Sascha Liebermann

„Fragwürdige Drittelung des Lebens“…

…lautet die Überschrift zu einem Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung von heute, der eine interessante Perspektive eröffnet, aber keine Lösung benennt. Er erinnert an die heutige Unterteilung des Lebens in drei Phasen – Aufwachsen und Ausbildung, Erwerbstätigkeit, Ruhestand/Freizeit – und fragt, ob sie denn den noch zeitgemäß sei. Work-Life-Balance, so die Kritik, reiße Momente des Lebens auseinander, die zusammengehören, eben die genannten drei.

Auch wenn der Beitrag, ohne es auszusprechen Lösungsvorschläge erahnen lässt wie Verlängerung der Lebensarbeitszeit und Senkung der Standards sozialer Absicherung, spricht er dies nicht offen aus. Im Gang der Gedankenführung jedoch könnte am Ende, wie eine reife Frucht, die gepflückt werden kann, das bedingungslose Grundeinkommen stehen. Alles, was der Beitrag benennt, wäre möglich, ohne jemanden zu etwas bestimmtem zu drängen. Der Verzicht auf ein Renteneintrittsalter, wenn durch das bGE für eine dauerhafte Absicherung – wenn auch nicht des Lebensstandards – gesorgt wäre; mehr Zeit für Familie, wer will; früheres Ende der Erwerbstätigkeit, wenn gewünscht usw. Im Unterschied zu Vorschlägen wie der Verkürzung der Arbeitszeit, der Einführung eines Mindestlohns und der Erhöhung der Erwerbsquote – alles Ziele, die Erwerbstätigkeit weiterhin zum Zentrum des Lebens machen würden, böte das bGE einen freiheitlich-solidarischen Ausweg. Es liegt in der Luft.

Sascha Liebermann

Vorwände statt Einwände – Jürgen Trittin zum bedingungslosen Grundeinkommen

Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) hat auf Abgeordnetenwatch eine Frage zum bedingungslosen Grundeinkommen beanwortet. Darin schreibt er:

„…wir haben eine intensive Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen geführt. Wir nehmen diese Vorschläge sehr ernst. Unseres Erachtens ist aber Skepsis angebracht, wenn damit geworben wird, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eine globale Alternative zum bestehenden Sozialstaat sein könnte…“
Nun, das vertritt kein ernsthafter Befürworter, allenfalls wird dies unterstellt (siehe z.B. hier), die Skepsis ist also unangebracht, sie hängt in der Luft.

Weiter heißt es:
„…Die meisten sozialstaatlichen Institutionen werden nicht entbehrlich sein. Die Rentenversicherung kann nicht über Nacht abgeschafft werden, über viele Jahrzehnte wären die erworbenen Ansprüche zu bedienen…“
Auch eine Abschaffung über Nacht fordert niemand, selbst derjenige nicht, der die Frage an Herrn Trittin gestelllt hat. Erworbene Ansprüche können bedient werden, es ist aber eine Frage des politischen Willens, wie lange das geschehen muss. Außerdem könnte das bGE einen Teil der Ansprüche decken, andere würden aus dem allgemeinen Steueraufkommen gedeckt. Hierüber wird es eine Diskussion geben müssen. Also, auch kein tragfähiger Einwand.

Weiter:
„…Auf die Krankenversicherung, Pflegeversicherung oder auch die Eingliederungshilfe für Behinderte kann gar nicht verzichtet werden…“
Auch das fordert niemand ernsthaft, allerdings: die Krankenversicherung kann anders gestaltet werden, ebenso die Pflegeversicherung, vielleicht wäre sie gar nicht mehr nötig, dasselbe gälte für die Eingliederungshilfe. Sie könnte durch das bGE bis zur Höhe des bGEs ersetzt werden. Einwand dahin.

Weiter:
„…Da viele Bürgerinnen und Bürger arbeiten wollen, wird unseres Erachtens auch Arbeitsmarktpolitik nicht entbehrlich. Ganz davon zu schweigen, dass Bildungseinrichtungen verbessert und ausgebaut werden müssen…“
Arbeitsmarktpolitik könnte, wo sie nötig wäre, aber ganz anders aussehen. Wie unser Bildungswesen auszusehen hätte, damit es das Individuum stärkt, steht auf einem anderen Blatt, ist auch kein Einwand gegen das bGE, vielmehr gilt: gerade das bGE ermöglicht auf einfache Weise Bildungsanstrengungen, weil es das Individuum als solches stärkt. Auch hier wird es eine Diskussion geben müssen. Einwand zerstoben.

Weiter:
„…Ein bundeseinheitliches Grundeinkommen wäre zudem nicht überzeugend. Die sehr unterschiedlichen Wohnkosten müssten zum Beispiel berücksichtigt werden (über eine Regionalisierung oder über das Wohngeld). Auch können die Bedarfe der Antragsteller nicht über einen Kamm geschoren werden. Besondere Bedarfe wären rechtlich also zu decken. Damit müsste auch eine Behörde erhalten bleiben, die über solche Fragen befinden würde…“
Hat sich Jürgen Trittin mit der Diskussion beschäftigt? Kennt er die Argumente? Hier gewinnt man den Eindruck, er hat nicht Einwände, sondern Vorwände. Selbstverständlich sollen Bedarfe oberhalb des bGEs gedeckt werden. Ist das bGE hoch genug, würde sich ein Wohngeld womöglich erübrigen. Abgesehen davon, gibt es triftige Einwände gegen eine regionale Anpassung des bGEs. Eine solche würde die Ballungsraumbildung bestärken. Ohne Wohngeld hingegen wäre der Mietwohnungsmarkt gezwungen, sich den neuen Bedingungen anzupassen, zumindest dann, wenn es weiterhin öffentlichen Wohnungsbau gäbe.

Statt differenzierter Einwände, nur Vorwände, um ein bGE nicht zu unterstützen. Da weiß man zumindest, was man an den Grünen, die in der Mehrheit sind, hat.

Sascha Liebermann