„Fakten“ – Datenerhebung und -auswertung sowie ihre Engführung

Siehe zu dieser Frage auch hier.

„Keine Totalverweigerer“

Darüber schreibt Timo Steppat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der sich den Arbeitsalltag in einem Jugendjobcenter angesehen und Gespräche geführt hat. Es geht darin also um Bürgergeldbezieher unter 30 Jahren, die Mär der angeblichen „Totalverweigerer“ und meist gute Gründe derjenigen, die einen Termin nicht wahrnehmen. Die Problemlagen sind komplex, teils biographische Traumata, teils fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder Alleinerziehender, die deswegen ein Arbeitsangebot nicht annehmen könnten, teils fehlende Sprachkenntnisse.

„Die Bereichsleiterin Monika Aglogo, die das Jugendjobcenter führt, sagt: ‚Ich kenne keine Totalverweigerer. Ich kenne nur junge Menschen, die nicht zu uns kommen.‘ Manche seien von zu Hause ge­flohen oder psychisch krank. Ihnen die Sozialleistungen zu entziehen, führe dazu, dass sie weiter in Armut und Obdachlosigkeit rutschten.“

Weshalb manche der Mitarbeiter die Verschärfung der Sanktionen bei Erwachsenen befürworten, die sie gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen für das falsche Mittel halten, bleibt unklar.

Angesichts der vielen hämischen Einlassungen über Bürgergeldbezieher ist jeder Artikel wichtig, der über den Alltag differenziert berichtet. Siehe auch Argumente für Erziehungscamps – Einwände gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

Ernüchterung oder realistische Einschätzung? Welche Schlüsse können gezogen werden?

Auch wenn der Titel der Kolumne Marcel Fratzschers irreführend ist und es sich bei den jüngst vorgestellten Ergebnissen des Pilotprojekts Grundeinkommen weder um ein allgemeines BGE noch um eines über die Lebensspanne handelte, weist er doch selbst auf die Beschränkungen des Projekts hin und die Vorsicht, mit der die Ergebnisse bewertet werden sollen. Von daher können diesbezüglich keine Schlüsse auf ein allgemeines BGE gezogen werden.

Zwei Aspekte seien in dem Beitrag herausgehoben. Fratzscher schreibt erstens:

„Ein bedingungsloses Grundeinkommen führt vermutlich nicht per se dazu, dass sich deutlich mehr Menschen selbstständig machen. Ausschlaggebend für eine solche Entscheidung sind die individuellen Fähigkeiten, Chancen und Informationen. Oder andersherum formuliert: Mehr Geld ist meist keine essenzielle Voraussetzung für eine Verhaltensänderung in Bezug auf Arbeit und Qualifizierung, sondern mehr Geld ist das Resultat von Qualifizierung und Anstrengungen.“

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Was muss ein BGE leisten, um als relevant beachtet zu werden?

„Wirkt das Grundeinkommen Wunder?“

So ist der Beitrag von Johannes Pennekamp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung übertitelt, der sich mit den Ergebnissen des Pilotprojekts Grundeinkommen befasst, die gestern präsentiert wurden. Der Beitrag ist nüchtern gehalten, polemisiert nicht und stellt Fragen, die andere auch stellen. Insofern, könnte man schlußfolgern, sind die Ergebnisse der Feldstudie also unspektakulär, regen nicht auf, weisen nicht auf negative Effekte hin, es gibt nichts zu beklagen. Zu dieser Nüchternheit passt der Titel allerdings überhaupt nicht. Wer würde ernsthaft „Wunder“ erwarten, wo er es mit realen Menschen zu tun hat, die sind, wie sie sind? Ist der Titel doch Ausdruck der Messlatte, die an ein BGE angelegt wird? Drunter lohne eine Einführung ohnehin nicht?

Was wäre nun aus dem nüchternen Befund zu schließen? Er wäre der CDU-Kampagne gegen das Bürgergeld gegenüberzustellen, mit den Einsichten abzugleichen zu den angeblichen „Totalverweigerern“ (siehe auch hier) usw.

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Fallstricke und Eigenheiten standardisierter Befragungen

Der Volksverpetzer hat vor zwei Jahren schon einen informativen Beitrag zu den Fallstricken und Eigenheiten standardisierter Befragungen veröffentlicht, der für Interessierte gut lesbar ist. Darin wird auf die Schwierigkeiten eingegangen, repräsentative Daten zu gewinnen, auf die Fehlertoleranz der Messungen und anderes mehr.

Nicht erwähnt – und das ist grundlegend – wird hingegen die problematische Datenqualität aufgrund der Eigenheiten standardisierter Befragungen, in denen die ihr Handeln deutenden Subjekte in Messvariablen zerlegt werden und in der Messung als Individuen nicht mehr in Erscheinung treten, so dass die Zusammenhänge der gemessenen Variablen nicht rekonstruierbar ist. Um das Handeln zu verstehen, müssen aber die Deutungswelten der Einzelnen in ihrem inneren Zusammenhang bestimmt werden, das geht am besten und genauesten auf der Basis nicht-standardisierter Datentypen (Transkripte von Forschungsgesprächen – Interviews oder andere von der Praxis hervorgebrachte Daten) und einer detaillierten Auswertung, wie sie in manchen Verfahren der sogenannten qualitativen Sozialforschung durchgeführt wird. Die in der Datenform liegende Beschränkung der Datenqualität solcher Befragungen reicht also viel weiter und ist grundlegender als die im oben verlinkten Beitrag erwähnten Eigenheiten.

Siehe zu diesen Fragen auch unseren früheren Kommentare hier und hier.

Sascha Liebermann