„Niko Hammann – einer für alle“

Kürzlich verstarb unerwartet Niko Hammann, der sich um die Volksinitiative in der Schweiz durch sein Engagement verdient gemacht hat. Grundeinkommen.ch schreibt:

„Einer, der zum Erfolg der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle in der Schweiz viel beigetragen hat, war Niko Hammann. Er starb unerwartet am 1. Mai 2015. Enno Schmidt hat einen filmischen Nachruf auf ihn verfasst. Der Film zeigt einen, der aktiv für das bedingungslose Grundeinkommen einstand. Er zeigt eine kurze Ansprache von Niko Hammann, Szenen der Unterschriftensammlung bis zur Einreichung der Initiative und ein Interview mit ihm für das Belgische Fersehen.“

„Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“

In der Sendung Kirche im WDR (Rede als PDF) sprach Pfarrerin Silke Niemeyer zum 1. Mai und bezog sich auf eine häufig zitierte Wendung aus den Paulus-Briefen.

Ihren Ausführungen ist in vielerlei Hinsicht zuzustimmen – sie enden so:

„…Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen? Die Arbeiterbewegung hat die nötige Ergänzung gefunden und Paulus damit einen Dienst erwiesen: „Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr.““

Recht hat sie, doch wie erhält er das Essen, unter welchen Bedingungen? Wie muss die Bereitstellung aussehen, das sie unseren Lebensbedingungen und -möglichkeiten entspricht (siehe auch hier und hier)? Wenn der Mensch als Mensch im Zentrum stehen soll, was immer nur in einem konkreten Gemeinwesen der Fall ist – wenn er also ein konkreter Mensch unter konkreten historisch-gewachsenen Lebenszusammenhängen ist und nicht ein Gattungswesen -, dann muss die Bereitstellung diesen Verhältnissen entsprechen. Und sie muss als erstes gebieten, dass er es erhält, weil er Mensch im oben genannten Sinne ist. Dann darf Erwerbstätigkeit als Gebot nicht an erster Stelle stehen, was sie aber tut, wenn die Existenzsicherung zur Notfall- oder Ausnahmeleistung wird, wie das in allen Systemen sozialer Sicherung der Fall ist. Sie gewähren Leistungen erst, wenn kein Erwerbseinkommen vorliegt oder erzielt wird. Genau an diesem Vorrang hält die Arbeiterbewegung jedoch bis heute fest und sie entspricht gerade nicht dem Menschenbild des Neuen Testaments, wenn man der Auslegung Bischof Knuths folgt. 

Wollen wir also damit ernst machen und den Menschen in den Mittelpunkt stellen, brauchen wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das alle erhalten, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Alle dafür notwendigen Voraussetzungen sind vorhanden: Staatsbürger erhalten es und Personen mit Aufenthaltstitel (welcher genau, wäre zu definieren). Weder bedarf es eines Systemwechsels dazu, noch eines neuen Menschen.

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen – eine wirklich schlechte Idee schlechte Finanzierung, Sozialabbau und Wertverlust der Arbeit…“

…zu diesem Schluss kommt Samuel Rüegger Nationalratskandidat der SP (Schweiz) für Basel-Stadt bei den Nationalratswahlen im Herbst. Nachdem in den letzten Tagen die ablehnende Haltung der Jusos in der Schweiz zur Eidgenössischen Volksinitiative deutlich in den Medien zu vernehmen war, ist damit womöglich der Auftakt zur Volksabstimmung im nächsten Jahr gemacht. Wer für den Nationalrat kandidiert, muss Stellung beziehen.

Noam Chomsky zur Basic Income Guarantee

Der amerikanische Linguist Noam Chomsky, bekannt für die Entwicklung der „Generativen Grammatik“ hat sich kürzlich zum Grundeinkommen geäußert im Rahmen eines längeren Gesprächs über verschiedene Themen. Dass er dabei eine historische Verkürzung der Idee und eine Vermischung von Bedingungslosem Grundeinkommen und Negativer Einkommensteuer vornimmt, sei hier nur angemerkt. Siehe hier.

„Warum der Kapitalismus im Prinzip nicht zu retten ist“…

…so der Titel eines Gesprächs Mathias Greffraths mit Ulrike Herrmann im Deutschlandfunk, das lesens- bzw. hörenswert ist. Es finden sich darin unter anderem Ausführungen über Grundeinkommen, Wachstum, Arbeitszeitverkürzung. Auf die zum Grundeinkommen soll hier eingegangen werden. Ulrike Herrmann äußert sich ausdrücklich befürwortend zum Grundeinkommen, gemeint ist offenbar das BGE. Bislang hatte sie das anders gesehen (siehe hier, hier und hier). Siehe zu den Ausführungen Frau Herrmanns auch den Kommentar des Grundeinkommens-Mems Köln (vom 20.4.) bei Facebook.

In der folgenden Passage geht es um das Grundeinkommen:

„Greffrath: Das ist der lange Atem der Historikerin. So, jetzt lassen Sie uns mal eine positive Variante erwägen, einen demokratischen Übergang in eine globale soziale, ökosoziale Marktwirtschaft, die auch noch irgendwie eine andere Art von Wachstum, inneres Wachstum, sagen wir mal, mehr Kultur und so weiter, immaterieller Wohlstand, Arbeitszeitverkürzung, die große Utopie von vielen, vielen, vielen durch die Jahrhunderte, von den Gewerkschaften aus Schwäche aufgegeben, mit Grundsicherung – damit könnte man ja politisch heute anfangen.
Herrmann: Ja, aber das würde das Wachstum ja gar nicht bremsen. Nur mal zwei konkrete Beispiele, die Sie anführen: Arbeitszeitverkürzung. Wir hatten schon eine extreme Arbeitszeitverkürzung. Die Leute zu Bismarcks Zeiten, die haben 70 Stunden in der Woche gearbeitet, wir arbeiten nur noch 40. Wir haben alle sechs Wochen Urlaub, wir fangen überhaupt erst mit 30 an zu arbeiten, weil wir bis dahin eine Ausbildung machen. Viele haben dann, wenn sie Kinder kriegen, noch mal frei. Und wir gehen relativ früh in Rente, nämlich mit 60. Das heißt, da –
Greffrath: Kann man doch unendlich weitermachen, den Prozess. So, wie Keynes gesagt hat, 15 Stunden die Woche, …
Herrmann: Ja, genau. Dabei sieht man, wir alle arbeiten ständig weniger, aber das Wachstum geht weiter. Die Vorstellung, dass man allein durch Arbeitszeitverkürzung das kapitalistische Wachstum bremst, ist völlig abwegig.“

So weit, so gut. Aber warum ist das so, wie erklärt sich diese Entwicklung? Von Bismarck bis heute ist der Wohlstand gewaltig gewachsen, der Wohlstand an Verfügung über Lebenszeit, der die Voraussetzung dafür ist, Muße haben zu können. Diese Entwicklung allerdings vollzog sich innerhalb der Vorstellung, dass ein gutes Leben mehr oder weniger mit einem pflichtbewussten Erwerbsleben identisch war. Leistung wurde selbstverständlich als Leistung in diesem Zusammenhang betrachtet mit all seinen Folgen. In dieser Passage sagt Herrmann zu diesem Hintergrund nichts, der jedoch wichtig wäre, um zu verstehen, woraus dieses Wachstumsstreben resultierte (siehe Max Webers Untersuchung zur Protestantischen Ethik). Konsum war demzufolge etwas, das man sich verdient hatte. Der Erwerb von Gütern, abgesehen von ihrem Charakter, eine Problemlösung darzustellen, ist eben zugleich Symbol des Erwerbsstrebens und -erfolgs. Wachstum war also Ausdruck dieses Erfolgs, der in seiner Wertigkeit über allen anderen stand.

„Greffrath: Man könnte die Beschleunigung des Wachstums bremsen dadurch.
Herrmann: Nein! Weil die kapitalistische Mechanik ist dann, wenn etwas knapp wird, wird investiert, um das knappe Gut, in diesem Fall Arbeit, erst recht zu ersetzen. Das Gleiche ist jetzt mit dem Grundeinkommen. Nicht, dass Sie mich missverstehen. Ich bin für ein Grundeinkommen. Nur, der Witz am Grundeinkommen wäre – also anders, als viele der Befürworter das sehen -, es würde auch wieder das Wachstum beschleunigen.
Denn Grundeinkommen hätte ja den Effekt, dass die Löhne steigen. Denn wenn die Leute sagen können, ach, ich arbeite gar nicht, denn ich habe ja ein Grundeinkommen, müsste man ihnen ja mehr bieten, damit sie arbeiten. Wenn die Löhne erst mal steigen, haben die Leute mehr Geld, um zu konsumieren. Prompt geht schon wieder das Wachstum los.“

Zuvor hatte Ulrike Herrmann festgehalten, dass es illusorisch sei, durch Arbeitszeitverkürzung alleine das Wachstum zu bremsen. Hier nun geht sie noch einen Schritt weiter. Die „kapitalistische Mechanik“ sei dafür verantwortlich, dass investiert werde, in Technologie, um das knappe Gut Arbeit zu ersetzen. Was sie hier der „Mechanik“ zuschlägt, ist allerdings Ausdruck eines Bewertungszusammenhangs, denn nur dann muss das Gut ersetzt werden, wenn die Produktionsmenge beibehalten oder gar erhöht werden soll – relativ zum Konsum. Das geht wiederum nur, wenn es eine Absatzchance gibt. Die sich stellende Frage ist ja nun gerade, ob die Wertigkeit von Konsum unter Bedingungen eines Grundeinkommens dieselbe bliebe oder ob sie nicht vielmehr durch die relative Abwertung von Erwerbstätigkeit und die relative Aufwertung anderer Tätigkeitsbereiche dazu führte, dass Konsum die Bedeutung, Ausdruck beruflichen Erfolgs und des besonders wichtigen Beitrags zum Gemeinwohl zu sein, einbüßen würde. Die „kapitalistische Mechanik“ operiert nicht wie ein perpetuum mobile, sie hat ein normatives Fundament, das wiederum eine bestimmte Lebensführung höher bewertet als andere. An ihr würde das BGE rütteln.

Im darauffolgenden Absatz spricht sie dem Grundeinkommen denselben Effekt zu, es werde zur Steigerung von Wachstum führen. Das Grundeinkommen sorgte allerdings dafür, dass sich Einkommen anders zusammensetzen würde als heute, denn vor jeglichem Lohn, der erzielbar wäre, hätte der Einzelne schon das Grundeinkommen. Damit relativiert sich die Bedeutung des Lohnes als Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes je mehr, desto mehr Personen in einem Haushalt leben. Nur, weil Mitarbeiter dann auf diesen Lohn – vorausgesetzt, das Grundeinkommen wäre hoch genug – verzichten könnten, müssen Löhne nicht notwendig steigen, zumal die Einkommenssumme ja mit BGE höher sein könnte, selbst wenn der Lohn niedriger ausfiele. Aufgrund des Haushaltseffekts ist es nicht einmal zwingend, dass Löhne, die heute als sehr niedrig gelten, steigen müssten, da die betreffende Person bzw. der Haushalt vom Lohn gar nicht abhängig wäre. Solchen Überlegungen von Zweiflern allzuschnell entgegengehalten, dass es naiv sei zu glauben, Mitarbeiter würden für einen unerheblichen Lohn zu arbeiten bereit sein, wenn sie doch schon das BGE hätten. Dieser Einwand ist allerdings sehr voraussetzungsvoll: 1) Es wird der beschriebene Zusammenhang nicht berücksichtigt, wie Einkommen sich heute zusammensetzen und welche Effekte ein BGE auf diese Zusammensetzung hätte; 2) dass Erwerbstätigkeit nicht mehr der herausragende Beitrag zum Gemeinwohl wäre; 3) wie die relative Abwertung von Erwerbstätigkeit sich auf Konsum auswirken würde; 4) unterschätzt wird die Bedeutung der inhaltlichen Seite beruflichen Engagements, ihre sinnerfüllende Seite und damit der Unterschied zwischen der heutigen Situation und der mit BGE. Dazu bedarf es weder eines idealistischen, optimistischen oder sonstwie verklärten Menschenbildes. Es reicht vollkommen aus, heutzutage diese Zusammenhänge genau zu betrachten und zu differenzieren. Ulrike Herrmanns These ist ganz der verbreiteten Auffassung verbunden, dass der Anreiz, hier monetärer Art, entsprechend sein müsste, damit überhaupt die Bereitschaft bestünde, eine Stelle anzunehmen – die sinnerfüllende Seite wird unterschätzt. Wenn jedoch die Arbeitsbedingungen und die Aufgabe, um die es geht, interessant sind und zu den Ambitionen desjenigen passen, der vor der Entscheidung steht, ob er sie annehmen soll, weshalb sollte er dies auch bei gleichbleibendem oder relativ niedrigerem Lohn nicht tun, wenn er doch weiß, dass sein Einkommen ausreichte? Da dieser Zusammenhang nicht erwogen wird, schließt Ulrike Herrmann, dass steigende Löhne ganz der „kapitalistischen Mechanik“ folgend zu steigendem Konsum führen müssen.

Wie geht das Gespräch an dieser Stelle weiter?

„Greffrath: Es sei denn, man fährt sozusagen alle Regler gleichzeitig runter. Man arbeitet weniger, man konsumiert weniger, es wird weniger produziert, jedenfalls in Europa. Woanders kann es ja noch weiter wachsen, sodass die Durchschnittswachstumsrate auf jeden Fall ein bisschen sinkt. Bei uns geht sie gegen Null, oder wir schrumpfen sogar ein bisschen. Die anderen holen nach. Damit hätten wir ja vielleicht noch ein, zwei Jahrhunderte gewonnen.
Herrmann: Ja, theoretisch wäre das möglich, vielleicht, aber das Problem ist, dass man dann ja hat, wenn man jetzt das Wachstum in Europa vorsätzlich abwürgt, hätte man hier sofort eine Krise. Und zwar eine schwere, chaotische Schrumpfungskrise wie jetzt in Griechenland. Also, die Leute stellen sich das immer so vor, dass man irgendwie ein Volkseinkommen hat, das man verteilen kann, so, als sei das stabil. Aber das ist ein Prozess, und wenn man diesen Prozess stört, dann ist auch nichts mehr da, was man verteilen kann, sondern man hat die Krise

Herrmann: Nee, nee, nein – also nicht, dass Sie mich missverstehen. Ich würde mir wünschen, dass man einen Weg findet, aus dem Kapitalismus auszusteigen. Aber es ist viel schwieriger, als die Leute denken. Und die Vorstellung, dass man dann eben irgendwie weniger Wirtschaft hat und mehr Staat, ist natürlich deswegen schwierig, weil der Staat ja nur verteilen kann, was erwirtschaftet wird.“

Das BGE mit seinen möglichen Auswirkungen hätte das Zeug dazu, einen Weg aus diesem Hamsterrad zu weisen, das nicht so unausweichlich ist, wie Ulrike Herrmann es darstellt. Sie vernachlässigt die kulturell-historisch gewachsene, herausgehobene Bewertung von Erwerbstätigkeit für die „kapitalistische Mechanik“, die historisch relativ jung ist. Das BGE würde genau hier eine Umwertung vollziehen und damit andere Wertigkeiten setzen. Was dann daraus gemacht wird, ist offen.

Sascha Liebermann

„Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens schlagen zurück“…

unter diesem Titel hat Norbert Häring auf meine Replik auf seine Ausführungen reagiert. Weshalb er meint, dass „die Befürworter“ „zurückschlagen“, wo er nur auf zwei verweist, erschließt sich nicht. Auch „schlage“ ich nicht „recht giftig“ zurück, sondern nutze dieselbe sachliche Schärfe, der er gefolgt war. Ob ich ihn im „Eifer“ falsch zitiert habe, das zu entscheiden, sei dem Leser überlassen. Wer selbst scharfe Einschätzungen vorbringt, sollte doch nicht überrascht sein, dass er sachlich scharfe Entgegnungen erhält.

Sascha Liebermann