„Das kleine Einmaleins der Arbeitslosenstatistik“

Angesichts erneuter Meldungen zur „niedrigsten Arbeitslosigkeit“, die auch gut informierte und nachdenkliche Journalisten beeindruckt, sei wieder einmal darauf verwiesen, wie sehr es hier um statistische Kunstwelten geht, die manchmal sehr wenig mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Zur Schärfung des Blicks sei ein Beitrag über „Arbeitslosenstatistik“ empfohlen und auf einen früheren Beitrag von uns hingewiesen: „So viele Erwerbstätige wie nie zuvor“.

Erfolgsmeldungen am Arbeitsmarkt? Ja, aber anders als gedacht


Seit Dezember sind solche Plakate allerorten zu sehen (siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), die uns in die Irre führen sollen. Zutreffend heißt der Beitrag von Ulrike Herrmann in der taz deswegen „Die Lüge von der Arbeit“, denn die genauere Betrachtung der Statistik lehrt etwas anderes. Das Arbeitsvolumen gemessen in Jahresarbeitsstunden ist weiter gesunken – das ist nicht der Erfolg, den Bundeswirtschaftsminister Rösler mit dieser Kampagne feiern will (siehe auch „Schwache Lohnentwicklungen im letzten Jahrzehnt„). Er könnte aber dennoch gefeiert werden, nur in einem anderen Sinn, denn schließlich belegt er, dass wir weiterhin die Effizienz der Produktion gesteigert haben (siehe unsere Beiträge „So viele Erwerbstätige wie nie zuvor“ und „Es gibt kein Beschäftigungswunder“). Die Meldung ist für die Ideologie der Arbeitsmarktpolitik also ein Schlag ins Gesicht, für den Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens hingegen ein weiterer Beleg.

„Der Wettlauf mit den Maschinen“

So lautet die deutsche Übersetzung des Buches „Race against the Machine“ von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, Forscher am Massachusetts Institute of Technology  (MIT). Zumindest in der Besprechung des Buches klingen die Befunde nicht allzu überraschend und neu, gerade wenn man die Entwicklung des Arbeitsvolumens – nicht der Arbeitsplätze – in Deutschland betrachtet.

An einer Stelle heißt es:
„Solow stimmt Brynjolfsson und McAfee zu, dass die Politik kurzfristig mehr für Aus- und Weiterbildung tun sollte. Eine andere Frage, die im Buch nur zwischen den Zeilen gestellt werden, sei jedoch: Wie organisieren wir eine Wirtschaft, in der enorm viele Arbeitskräfte überflüssig werden und fast alle Arbeit von Robotern erledigt wird – auch die Produktion von Robotern? „An diesem Punkt müssen wir uns Gedanken machen, wie man die Bevölkerung ernährt“, sagt Solow. Ein Weg sei natürlich, das Kapital zu demokratisieren. „Wenn alle Einkünfte effektiv vom Kapital – Maschinen und anderem – erzielt werden, wird die Wirtschaft eine Art riesiger Anlagefonds – eine Situation, in der das Eigentum am ganzen Kapital über die Bevölkerung verteilt wird“, so Solow. Davon seien wir aber noch hundert bis zweihundert Jahre entfernt. „Vielleicht werden wir dies auch nie erleben.“

Zumindest gibt es schon Vorschläge dazu, wie das aussehen könnte, z.B. mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, davon hat Robert Solow womöglich noch nicht gehört oder er lehnt es ab. Wie lange der Weg dahin ist, hängt von uns Bürgern ab. Wollen wir ein BGE, dann wird es kommen; wollen wir keins, dann wird es nicht kommen.

Sascha Liebermann

So viele Erwerbstätige wie nie zuvor…

…das verkündete neulich Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, bei Maybrit Illner. Wo er recht hat, hat er recht. Ist das nicht ein Erfolg, der gefeiert werden müsste?

Sehen wir einmal davon ab, dass solche Meldungen, gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen, gar nicht mehr vorkämen, weil sie unbedeutend wären – was besagt die Zahl denn unter heutigen Umständen?

Sie informiert uns nur darüber, wie viele Erwerbstätige es gibt. Sie gibt keine Auskunft darüber, ob es sich um Vollerwerbs- oder Teilzeitarbeitsplätze handelt (das gerade letztere großen Zuwachs erfahren haben, zeigt hingegen die Statistik). Hebt man also diesen Umstand heraus und betrachtet ihn nicht im Verhältnis zu anderen Größen, mag er beeindrucken. Vor allem aber täuscht er uns über die wirklichen Verhältnisse hinweg. Für die Leistungserbringung in einer Volkswirtschaft ist die Zahl der Erwerbstätigen unerheblich, entscheidend ist das Arbeitsvolumen in Stunden im Verhältnis zu hergestellten Gütern und Diensten. Darauf hat meiner Erinnerung nach in der Sendung keiner der Diskutanten hingewiesen. Betrachtet man nämlich das Verhältnis von Arbeitsvolumen zu erzeugten Gütern, dann fällt etwas ganz anderes ins Auge. Das Arbeitsvolumen im langfristigen Trend ist stetig gesunken, währende das Bruttoinlandsprodukt gestiegen ist (Hinweis 1, Hinweis 2). Wohlstand wird durch Produktivität erreicht, nicht durch Heere von Erwerbstätigen. Weiß das Michael Hüther etwa nicht? Wohl kaum, dazu wäre ein erhebliches Maß an Ignoranz notwendig. Viel näher liegt es, in der Feier einer solche unbedeutenden Zahl wie der Erwerbstätigen ein anderes Motiv am Werk zu sehen. Wer der Überzeugung ist (mit Wissenschaft hat das dann nichts mehr zu tun), dass politisches Ziel die Integration über den Arbeitsmarkt sein müsse, für den ist die Erwerbstätigenzahl wichtig. Sie zeigt an, wie viele es dahin geschafft haben. So erklärt sich unter anderem die Fixierung Hüthers auf diese Zahl, ohne die anderen in Betracht zu ziehen. Diese Werthaltung bleibt auch nicht ohne Einfluss auf Studien. Wie die Welt im Institut der Deutschen Wirtschaft aussieht, habe ich selbst während einer Podiumsveranstaltung erlebt und in einem kleinen Bericht notiert.

Weshalb wäre nun, gäbe es ein bGE, diese ganze Diskussion von gestern? Die Antwort ist ganz einfach. Weil es dem Einzelnen eine dauerhafte Einkommenssicherheit gewährte, die es erlaubte, jedweder Tätigkeit nachzugehen. Falls es angestellt nicht möglich sein sollte, dann eben selbständig oder ohnehin wie in einem Ehrenamt. Um ein Einkommen zu erhalten, bedürfte es keiner Registrierung bei der Arbeitsagentur oder sonst einer Behörde mehr, denn mit dem Innehaben der Staatsbürgerschaft oder einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis erhielte man es von der Wiege bis zur Bahre. Einzige Voraussetzung wäre, dass wir weiterhin bereit sind, uns so zum Wohle des Gemeinwesens einzusetzen, wie wir es heute schon tun.

Wie albern müssen uns heutige Debatten um Erwerbslosigkeit, Erwerbstätige und Förderprogramme vorkommen, wenn wir sie von der Warte eines bGEs aus betrachten. Doch solange wir es nicht haben, werden uns diese Debatten verfolgen. Es ist längst Zeit, uns von diesem Hemmnis zu befreien.

Sascha Liebermann

„Es gibt kein Beschäftigungswunder…“

…das melden nun auch die VDI-Nachrichten, nachdem bislang meist das Gegenteil behauptet wurde:

„…Das Beschäftigungswunder ist in Wahrheit keines, sagt der Ökonom Kooths. Entscheidend sei nicht die Zahl der Arbeitsplätze, sondern das Arbeitsvolumen, also die Zahl der pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden. Und die liegt in Deutschland aktuell auf dem Niveau des Jahres 2000 und der Mitte der 90er-Jahre. Seinerzeit waren es rund 57,6 Mrd. Stunden. Kooths: „Damals hat niemand das deutsche Jobwunder ausgerufen.“ Die Ursache für die steigende Erwerbstätigkeit seien mehr Teilzeitarbeit und Mini-Jobs. Die Bruttolöhne je Arbeitnehmer sollen, so der Jahreswirtschaftsbericht, in diesem Jahr um 2,1 % steigen, die Inflation soll bei 1,8 % liegen. Real würden dann die Löhne um 0,3 Prozentpunkte zulegen. Dennoch geht Brüderle davon aus, dass der Konsum um 1,6 % wachsen wird..“

Wir hatten darauf auch schon hingewiesen anlässlich einer Feier der Beschäftigungszunahme durch Rainer Hank in der FAZ.

„Es gibt ganz schön was zu tun“…

…lautet die Schlussfolgerung von Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Artikel wäre kaum der Erwähnung wert, bietet er nur die verbreitete Verwechslung von Arbeitsplätzen und Arbeitsvolumen. Dass die Beschäftigtenzahl gestiegen ist, sagt gar nichts darüber aus, um welche Arbeitsplätze es sich handelt und schon gar nicht darüber, wieviel Stunden dort gearbeitet wird. Auch das Sinken der Erwerbslosigkeit stellt in vielerlei Hinsicht ein Artefakt dar (siehe „Verbrämte Statistik“). Viel aufschlussreicher ist da ein Blick auf das Arbeitsvolumen (siehe „Statistisches Taschenbuch 2010“, Punkt 4.8, S. 68; siehe auch „Datenreport 2008“, S. 334), das im langen Trend gesunken ist.

Man kann dem Autor darin zustimmen, wenn er gegen die mindestens missverständliche, wenn nicht gar unsinnige These vom „Ende der Arbeit“ wettert. Doch schüttete man das Kind mit dem Bade aus, wenn mit der polemischen Zuspitzung dieser These die gesamte Frage verabschiedet würde. Unterstützend könnte ihm beigesprungen werden, denn wo Menschen leben, werden immer Aufgaben entstehen, die gemeinschaftlich zu bewältigen sind – Arbeit gibt es also immer. Die Frage ist aber, welche Art sie ist, wo und unter welchen Bedingungen? Hank redet wie selbstverständlich nur von Erwerbstätigkeit, weil sie für die entscheidende Arbeit gehalten wird. Andere, für unser Gemeinwesen unerlässliche Leistungen, die jenseits des Arbeitsmarkts erbracht werden, sind – nicht nur seiner Auffassung nach – nicht der Rede wert (siehe „Als Steuerzahler sage ich da ‚Gute Nacht'“).

Nehmen wir einmal den Fall an, der durch die demographische Entwicklung womöglich eintreten könnte, dass es wieder viel mehr Stellenangebote als Stellensuchende gäbe, dass sogar die Definition von Vollbeschäftigung erreichbar wäre, die die Volkswirtschaftslehre vorsieht. Es bliebe jedoch etwas vollkommen anderes, laut diesem Konzept Vollbeschäftigung zu erreichen oder durch ein bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt erst die Möglichkeit zu haben, mit dem voll und ganz beschäftigt zu sein, das man für richtig und wichtig erachtet. Deswegen gälte auch bei erreichbarer Vollbeschäftigung noch immer: Freiheit statt, nicht Freiheit zu und schon gar nicht Freiheit durch Vollbeschäftigung muss das Ziel bleiben.

Sascha Liebermann