„Hartz IV ohne Sanktionen: Bei ihrem Bürgergeld begeht die Ampel 3 entscheidende Fehler“ – als Analyse…

…ist der Beitrag von Oliver Stock auf der Website von focus angekündigt, aber wo ist sie nur – die Analyse?

Werden Sanktionen ausgesetzt, Arbeitslosengeld-Beziehern keine Pflichten zur Wiedereingliederung auferlegt, stehen sie „dauerhaft außerhalb des marktwirtschaftlichen Systems“. Aber weshalb sollte das so sein? Auf diesen Schluss kann nur kommen, wer davon ausgeht, es bestünde auf Seiten der Bezieher kein Interesse, erwerbstätig zu sein.

Es herrsche doch Arbeitskräftemangel, deswegen sei die Entscheidung des Bundestages ein Zeichen in die falsche Richtung. Auch hier setzt Stock wieder voraus, Arbeitslosengeldbezieher wollten nicht erwerbstätig sein – wie kommt er darauf? Dass es gute Gründe gibt, sich anderen Aufgaben zu widmen als der Erwerbstätigkeit, wird in keiner Form bedacht. Dort, wo Mangel herrscht, gibt es verschiedene Gründe, z. B. die Tendenz der vergangenen Jahrzehnte, Ausbildungsberufe gegenüber einem Studium abzuwerten (da haben die Arbeitgeber mitgewirkt), schlechte Arbeitsbedingungen und eben keine „automatischen“ „Preisanpassungen“ im Gefolge von Knappheit. Bessere Bezahlung nützt auch bei widrigen Arbeitsbedingungen wenig.

Zuletzt wird noch im Geiste der Stilllegungsprämie behauptet, wozu die Entscheidung führe und – das darf natürlich nicht fehlen – der Mangel an Anreize im Hartz-IV-System. Da ist die sogenannte Analyse schon abgeschlossen. Der Beitrag hat unweigerlich Ähnlichkeiten mit dem, den ich gestern kommentiert habe.

Sascha Liebermann

Haltung, aber welche?

Diese Frage wirft der Beitrag von Nikolaus Blome auf Spiegel Online auf. Die Einseitigkeit seiner Haltung hatte ich gestern schon kommentiert, da Blome einen Gegensatz zwischen Solidarität und Bedingungslosem Grundeinkommen entwirft, der so nicht besteht, es sei denn, Haltung gewinne man durch sanktionsbewehrte Sozialleistungen. Es finden sich in dem Beitrag noch andere Passagen, die ähnlich einseitig sind. Blome schreibt:

„Das [Aussetzen von Sanktionen, SL] aber stuft den Wert von Arbeit und Arbeiten weit herunter, weil das individuelle Bemühen darum der Allgemeinheit fortan gleichgültig zu sein hat. Seit Beginn der Coronapandemie sind übrigens auch die Vermögenskontrollen und die Prüfung auf angemessenen Wohnraum ausgesetzt. Kurzum: Mit diesem letzten Federstrich hat die Bundesregierung de facto ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt, das obendrein von den markanten Inflationstreibern Miete und Heizung entkoppelt ist, weil dafür ja das Amt zahlt.“

Blome erwähnt in keiner Weise, dass es um das Existenzminimum geht und die Diskussion über Sanktionen eine ist, die sich dagegen ausspricht, das Minimum unter Vorbehalt zu stellen. Wenn, wie es weiter heißt, mit dem Aussetzen der Sanktionen die „Allgemeinheit“ nichts mehr an Gegenleistung erwarten dürfe, stuft das keineswegs den „Wert von Arbeit […] herunter“, es hebt hingegen heraus, dass erfolgreiche „Arbeit“ voraussetzt, dass sie zu einer Person passt und diese zu ihr. Apropos Haltung – die Haltung, die darin zum Ausdruck kommt, ist die, von der grundsätzlichen Bereitschaft bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen, es ist dieselbe Haltung, die der Demokratie innewohnt und in der sie davon ausgeht, dass eine solche Bereitschaft sich nicht erzwingen lasse, ohne sich die eigenen Grundlagen wegzuziehen.

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Finde den Fehler…

…- denn zwischen Bedingungslosem Grundeinkommen und Solidarität besteht kein Gegensatz. Auch wenn es ein BGE gibt, stellt sich die Frage für jeden, was er beitragen kann und will, doch sie stellt sich in aller Offenheit und wird nicht auf Erwerbsbeteiligung beschränkt, und sie stellt sich umfassender, denn jegliches Engagement zählt, auch wenn es nur dazu dient, den eigenen Alltag gut bewältigen zu können, weil das eine große Herausforderung ist. Ausgangspunkt muss hierbei die vorbehaltlos geltende Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen sein, denn sie tragen das Gemeinwesen. Wer daran zweifelt, zweifelt an den Grundfesten der Demokratie.

Sascha Liebermann

„…demokratisch erwachsen [werden]…“ heißt…

Stand der Unterschriftensammlung zur Volksinitiative in der Schweiz…

…darüber berichtet das Initiativkommitee auf der entsprechenden Website. Neun Monate sind zum Sammeln noch Zeit.

Das Initiativkommitee scheint einen anderen Weg zu beschreiten als die Initianten der ersten Eidgenössischen Volksinitiative oder es wird darüber einfach wenig berichtet.

Die erste Initiative setzte  gezielt auf öffentliche Auftritte und inszenierte die Kampagne geschickt (siehe auch hier), und zwar nicht nur zum Sammeln, noch stärker war dies vor der Abstimmung im Jahr 2016.

Abseits dieser Inszenierung, die zu einer solchen Kampagne dazu gehört, ist das Sammeln von Unterschriften in einer derart verfassten Demokratie wie der Schweiz eindrucksvoll. Ich hatte damals Gelegenheit, einige Stunden das Sammeln am Basler Hauptbahnhof zu unterstützen, hier mein Bericht dazu.

Sascha Liebermann

Hat das womöglich etwas mit Erhebungs- und Auswertungsmethode zu tun?

Wer mit nicht-standardisierten Daten wie Forschungsgesprächen arbeitet, kann bei sorgsamer fallrekonstruktiver/ interpretativer Auswertung nie auf den Gedanken kommen, dass es anders sein könnte. Ein solcher Befund mag also diejenigen erstaunen, die mit standardisierten Daten arbeiten, andere hingegen nicht.

Ob diese Studie detailliert ausgewertet hat, diese Einschätzung sei dem geneigten Leser überlassen, sie ist hier frei zugänglich.

Sascha Liebermann

Soziokulturelles Existenzminimum, Mitwirkungspflichten und Boni-Systeme

Sebastian Thieme hat in diesem Twitter-Thread bedenkenswerte Anmerkungen zu Sanktionen im Sozialgesetzbuch und dem diesbezüglich ambivalenten Urteil des Bundesverfassungsgerichts gemacht. An manchen Stellen scheinen mir Ergänzungen oder auch Nachfragen dazu angebracht.

Dass es eine Widersinnigkeit sei, das soziokulturelle Existenzminimum kürzen zu dürfen, dem sei hier nicht widersprochen, schließlich wird der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer, der sich aus derselben Begründung legitimiert, auch nicht bei abweichendem Verhalten gekürzt. Darin kommt nun wieder die Ungleichbehandlung zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen zum Ausdruck.

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Erwerbsbeteiligung von Frauen, Zeit für Familie für Männer – zugleich Festhalten an Erwerbsgebot

Bezug genommen wird in diesem Tweet auf den DIW Wochenbericht 9 / 2022, S. 139-147. Dort finden sich auch Erläuterungen zur Methodik der Studie, es handelt sich um eine Wiederholungsbefragung (siehe dazu auch hier). Eine der Schlussfolgerungen aus der Studie lautet:

„Ausbau der Ganztagsbetreuung, Reform des Elterngeldes und Subventionierung von haushaltsnahen Dienstleistungen können egalitäre Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit fördern.“

Und weiter heißt es am Ende des Studientextes:

Erwerbsbeteiligung von Frauen, Zeit für Familie für Männer – zugleich Festhalten an Erwerbsgebot weiterlesen