Zeitsouveränität erlangen, Erwerbszentrierung aufheben – aber wie?

Frühere Kommentare zu Beiträgen Teresa Bückers finden Sie hier und hier.

Zaghafte Schritte: Kindergrundsicherung ohne Eltern,…

…daran hat sich in der Ausarbeitung nichts geändert, die die Bundesministerin Lisa Paus im Interview mit der tagessschau erkennen lässt. Vieles ist noch zu entscheiden, was die Ausgestaltung betrifft, das wird im Gespräch deutlich. Worin sieht die Ministerin die Veränderung durch eine Kindergrundsicherung?

„Paus: Der Paradigmenwechsel besteht darin, dass wir eine strukturell verfestigtete Kinderarmut in Deutschland systematisch angehen. Erstens durch die finanziellen Leistungen, zweitens durch die Bündelung der vielen Leistungen, bei denen selbst Expertinnen und Experten nicht mehr durchblicken, und drittens durch eine neue Servicepflicht des Staates.“

Das spricht für mehr Übersichtlichkeit und ist zu begrüßen, aber zugleich gilt doch: Kinderarmut ist Einkommensarmut der Eltern, will man das eine nicht, kann man das andere nicht lassen – sie gehören zusammen.

Weiter heißt es:

„Viele Familien wissen nicht, auf welche Sozialleistungen sie Anspruch haben. Wir wollen künftig alle Familien erreichen, die einen Anspruch haben. Heute nehmen bis zu 70 Prozent aller Familien, die einen Anspruch auf Leistungen haben, diesen nicht wahr. Wir wollen aus der Holschuld der Bürgerinnen und Bürger künftig eine Servicepflicht des Staates machen. Darin liegt ein großer Hebel. Dafür werden wir ein digitales Kindergrundsicherungsportal und den „Kindergrundsicherung Check“ schaffen.“

Das ist in der Tat skandalös und bestätigt die Ziel-Ungenauigkeit des bestehenden Sozialstaats. Doch auch hier gilt sie nur für die Kinder, für die Eltern kann er zielungenau bleiben.

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„Das Märchen vom undemokratischen Bürger“…

…darüber schrieb im vergangenen April im Nordkurier Carsten Korfmacher und machte ein paar treffende Anmerkungen zu Meinungsumfragen und der undifferenzierten, leichtgläubigen Reaktionen auf sie.

Anlässlich einer standardisierten Befragung (denn das sind Umfragen in der Regel) des Allensbachers Umfrageinstituts unkten manche, sie komme zu „beunruhigenden Ansichten“. Korfmacher schreibt dann „Forscher werteten die Ergebnisse dem SWR zufolge als Anzeichen dafür, dass fast ein Drittel der Deutschen das demokratische System infrage stellt, wenn nicht gar abschaffen würde – was ganz offensichtlich Unsinn ist.“ Korfmacher hingegen macht etwas anderes in den Antworten ausfindig: „Eine mögliche erwünschte Alternative zu ‚dem demokratischen System‘ im Sinne der Befragten wäre ja kein autoritäres, anti-demokratisches Regime, sondern ein System mit noch mehr Einflussmöglichkeiten, noch mehr Bürgerbeteiligung.“ Insofern müssten die Befunde also differenzierter betrachtet werden. Weiter schreibt er:

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Ein „sinnsuchendes Wesen“ benötigt kein „aktivierendes Instrument“,…

…sondern eines, das seine Suche nicht behindert, deswegen ist ein BGE eine dieser Eigenheit angemessene Einkommensabsicherung.  Es war und ist ein Kennzeichen der bisherigen Sozialpolitik auf Aktivierung (oder auf „Anreize“) zu setzen, weil davon ausgegangen wird, dass Bürger von sich aus nicht aktiv sind – und was heißt schon „aktiv“. Wenn die Sozialpolitik Initiative hemmt, es an ihr aber grundsätzlich nicht mangelt, ist das kein Problem der Bürger, sondern eines der Sozialpolitik.

Welche Verdrehungen in dieser Hinsicht die öffentliche Diskussion bestimmen, konnte man kürzlich wieder bei der Hans-Böckler-Stiftung erfahren, für die Erwerbsintegration ganz oben steht.

Sascha Liebermann

Eine Verwechslung,…

… denn nirgendwo ist der Einzelne so austauschbar wie in der Erwerbsarbeit. Im Gemeinwesen hingegen ist er es als Bürger nicht. Die einzige Integration, die in Erwerbstätigkeit möglich ist, ist die in ein Leistungsethos, das aber aufgabenbezogen und nicht an die Person gebunden ist. Das zu verwechseln eröffnet eine weitreichende Einsicht in Honneths Demokratieverständnis. Siehe auch hier.

Sascha Liebermann

„Arbeitender Souverän“ – alles beim Alten…

…, so scheint es bei Axel Honneth. Siehe unsere früheren Auführungen dazu hier.

Sascha Liebermann

Erfahrungsbildung oder Stoffvermittlung?

Diese alte Frage stellt sich nun wieder, wenn Erfahrungsbildung heißt, einen Erfahrungsprozess zu durchlaufen, in dem sich die Fähigkeiten einer Person herausbilden, Neues zu erzeugen, wozu in Schule und Studium auch gehört, Argumentationszusammenhänge herzustellen und das Problem, auf das hin sie eine Antwort geben, zu bestimmen. Stoffvermittlung beinhaltet hingegen lediglich, Bekanntes, Routinisiertes, zu reproduzieren oder aufzubereiten (siehe auch hier).

Die Diskussion um ChatGPT macht etwas deutlich, wie sehr die Entstehung von Neuem im Zentrum von Bildungsprozessen stehen muss und nicht die Reproduktion des Routinisierten. Die vergangenen Jahrzehnten waren aber durch letzteres dominiert, wie die Bologna-Reformen in den Hochschulen besonders deutlich werden ließen: Lehre wurde zu Unterricht, die Offenheit des Bildungsprozesses bei relativ geringen Pflichtanteilen (in den alten Magisterstudiengängen) zur relativen Dominanz von Pflichtanteilen und Verworkloadisierung des Studiums. Dass sich in den „Bologna“-Reformen auch der Geist von Misstrauen, Kontrolle und Beaufsichtigung zum Ausdruck gebracht hat, sollte nicht übersehen werden.

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