„400 Bewerbungen und kein Job“…

…schildert der Beitrag von Stefanie Schmidt in der taz, aus dem folgende Passage stammt:

„…Die letzte Möglichkeit, auch ohne Job menschenwürdig weiterzuleben, ist …? Hartz IV. Ein Stigma, über das man erst frei redet, wenn man diese Degradierung hinter sich hat. Wie es sich anfühlt, kann nur der beurteilen, der es selbst einmal bezog. Das Gefühl, keinen Platz in der Gesellschaft zu haben, dem „großen Ganzen“ nicht dienlich zu sein und dem eigenen Anspruch nicht zu genügen. Das Gefühl, man müsse sich vor der Familie, den Freunden und potenziellen Arbeitgebern immer wieder rechtfertigen.

Dabei sind es nicht diese, sondern der einfache Straßenidiot, der einem die tiefsten Stöße versetzt. Ich erinnere mich an eine Begegnung während eines Aushilfsjobs. Anna Netrebko sang im Untergeschoss. Ich stand eine Etage über ihr und packte Weihnachtsgeschenke von Kunden ein. In der linken Hand hielt ich eine Schere, mit der rechten kämpfte ich mit dem Geschenkband. Vor mir wuchs eine immer längere Schlange, die alle jetzt sofort ihr Präsent schön verpackt haben wollten. Ich lächelte. Plötzlich eine Stimme. Ein Kunde sprach zu mir. Ich blickte auf, lächelte ihn an. „Das ist doch eine Wohltat, diese Stimme zu hören, oder?“, sagte die Stimme. „Anna Netrebko! Eine begabte Frau. Tja, wären Sie auch so begabt, müssten Sie nicht hier oben stehen und Geschenke einpacken.“

„Wenn Roboter die Arbeit übernehmen“…

….darum geht es in einem Interview mit Joe Schoendorf, einem der Leiter des Weltwirtschaftsforums in Davos. Sorgenvoll blickt er in die Zukunft, in der durch Automatisierung Arbeitskraft in großem Umfang ersetzt werde, ohne dass entsprechend neue Arbeitsplätze entstehen, so die Behauptung. Nun, das kann sein, aber was ist das Problem? Schoendorf meint, dass die besten Köpfe der IT-Branche sich darüber Gedanken machen müssten, wie darauf reagiert werden könnte. Regulierung sei keine hilfreiche Option, meint er, was aber hat er dann vor Augen? Weshalb muss die IT-Branche sich Gedanken machen. Wenn das Bruttoinlandsprodukt sogar steigen werde, wie er meint, Wertschöpfung also entsteht, dann ist auch Kaufkraft vorhanden, sie muss nur in die Hand der Menschen gelangen. Lösung? Nun, ein Bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine solche, die dazu noch den Innovationsgeist fördern würde, den Schoendorf für so wichtig erachtet und zugleich erlaubte, sich den Herausforderungen zu stellen, auf die Soft- und Hardware keine Antwort haben.

Vorreiter Skandinavien?

Neil Irwin zeigt in einem Artikel in der New York Times auf, wie fortschrittlich die skandinavische Sozial-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik sei. Trotz extrem hoher Besteuerung ließen sich die Menschen dort nicht vom Arbeiten abbringen, was darauf hinweise, dass sie arbeiten wollen und nicht durch Anreize dazu gebracht werden müssen. Wenn er aufweist, was in den skandinavischen Staaten alles für infrastrukturelle Wohltaten, die aus den hohen Steuern finanziert werden, den Bürgern das Arbeiten ermöglichen, wird man allerding etwas stutzig. So heißt es mit Bezug auf die Berechnungen von Henrik Jacobsen Kleven von der London School of Economics: „There is a solid correlation, by Mr. Kleven’s calculations, between what countries spend on employment subsidies — like child care, preschool and care for older adults — and what percentage of their working-age population is in the labor force.“ Was bedeutet das? Nun, es heißt doch, dass – vor allem dort, wo Erwerbsarbeit ein normatives Normalmodell, einen starken normativen Konsens darstellt – der Druck auf diejenigen, die nicht „Beruf und Familie vereinbaren“ wollen, extrem gesteigert wird, denn nun gibt es keine „Ausrede“ mehr: die Kinder können ja „untergebracht“ werden… Die norwegische Kindergärtnerin Marianne Hillestad, die in dem Artikel zitiert wird, spricht es unumwunden aus: „The system is designed to keep us working.“ Das skandinavische System der Wohlfahrt, das auch hier immer wieder als Vorbild hochgehalten wird, ist also nicht etwa da, um den Bürgern ein würdevolles und freies Leben zu ermöglichen. Und wenn eine Krankenschwester aus Oslo, Camilla Grimsland Os, einerseits sagt: „Being home with my children is a blessing“, aber andererseits: „I feel that I contribute when I go to work.” – ja, was heißt das? Doch offensichtlich, dass, für die Kinder zu Hause da zu sein, für sie und ihre Landsleute eben nicht bedeutet, etwas beitzutragen, sondern eher als etwas Zusätzliches gilt, als ein persönlicher Luxus, der für sie „a blessing“ darstellt, aber kulturell-normativ doch vielleicht eher als „a mixed blessing“, als ein zweifelhaftes Vergnügen gesehen wird. Irwin macht diesbezüglich die zutreffende Bemerkung: „The Scandinavian countries may have cultures that encourage more people to work, especially women.“ Diese Beobachtung verweist auf die gern übersehenen kulturellen, arbeitsethischen Voraussetzungen der skandinavischen Länder. Vor deren Hintergrund sind die sozialen Errungenschaften dort nicht mit einem BGE vereinbar und auch keineswegs als Schritte auf dem Weg dorthin zu begreifen. Ziel des BGE ist demgegenüber die Befreiung von diesem normativen Erwerbszwang – und paradoxerweise ist eine Voraussetzung zu seiner Einführung die vorweggenommene gedankliche Befreiung davon.

Thomas Loer

„Dafür bezahlt zu werden, nichts zu tun“

Das ist Gegenstand eines Interviews auf Zeit Online mit dem Arbeitsforscher Roland Paulsen, der darin die These vertritt, dass es neben dem Phänomen der Arbeitsverdichtung auch das der Arbeitsleere gibt. Hier ein Interview mit Paulsen bei der BBC. Siehe auch „The Art of Nothing at Work“. Sein Buch „Empty Labor“ bei google books. Die Überlegungen von Paulsen sind für die Frage interessant, wieviel der heute aufgewandten Zeit tatsächlich für die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen notwendig ist und wieviel schlicht auf die Vorstellung zurückgeht, dass Erwerbstätigkeit per se sinnvoll ist. US-Amerikaner haben für das Präsenzzeigen am Arbeitsplatz einen prägnanten Ausdruck: face-time.

„Papa, trau‘ Dich!“

So lautete der Titel der „Story im Ersten“ am 19. Januar. Die Sendung beschäftigte sich damit, wie Väter heute mit der Herausforderung Elternschaft umgehen. Begleitet wurden Väter, die Elternzeit nahmen – manche kürzer, manche länger – und von ihren Erfahrungen berichteten. Das hätte die Chance geboten, mehr darüber herauszufinden, wie Väter das Hin- und Hergerissensein zwischen Beruf und Familie erleben. Ansatzweise geschieht das auch, so werden zwei Väter porträtiert, die „nur“ noch halbtags berufstätig sind, um nachmittags für ihre Kinder da zu sein. Einer berichtet darüber, dass er erst seit Aufgabe seiner leitenden Funktion realisiert hat, wie stark der Druck zuvor war und wie wenig er von seiner Tochter mitbekommen hatte. Beider Frauen allerdings arbeiten Vollzeit, die „traditionelle“ Aufteilung wird also einfach umgedreht und kein Blick daruf geworfen, wie ein Familienleben aussehen könnte, für das sich beide mehr Zeit nehmen. So ist am Film ein Widerspruch erfahrbar, der leider nicht weiter filmisch aufgenommen wird. Dass es keine „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf gibt, wie der prägnante Titel eines Buches „Die Alles ist möglich-Lüge“ es auf den Punkt bringt.

Siehe auch KannMannFrau von Gabriele von Moers und „Superfrauen, Supermütter, Vereinbarkeit von Familie und Beruf“

Sascha Liebermann

Keine Überraschungen von Günter Wallraff in Sachen Grundeinkommen

In einem Interview auf Zeit Online sagt er, dass das Bedingungslose Grundeinkommen zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führe. Das war’s dann auch schon mit dem Interview, wie Sie nachstehend lesen können:

„ZEIT ONLINE: Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeitswelt gerechter machen?
Wallraff: Ich sehe das Problem beim Grundeinkommen darin, dass es zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führen könnte. Deshalb sehe ich als Gegenkonzept die Humanisierung der Arbeit selbst: Die Arbeit muss wieder humaner, erträglicher und sinnstiftender werden. Niedere Arbeit muss aufgewertet werden.“

Wallraff hatte sich im März 2014 schon zum BGE in aufschlussreicher Weise geäußert. Dort sagte er in einer Diskussion mit Götz W. Werner:

“…ich bin da nicht ganz meiner Überzeugung, ich bin da noch schwankend, weil es wieder die Gesellschaft spaltet in diejenigen, die dann ja das Grundeinkommen haben und nicht animiert werden, sich sonstwo zu verwirklichen…”

Der Geist von Hartz IV lässt grüßen, manifestiert er genau diese Haltung der „aktivierenden Sozialpolitik“, die der Auffassung ist, dass Animation not tue. Ist das unter „Humanisierung der Arbeitswelt“ zu verstehen, die Wallraff so ein großes Anliegen ist?

Sascha Liebermann

Speenhamland und das Bedingungslose Grundeinkommen – ein Missverständnis

Wer sich eingehender mit der Diskussion um den Sozialstaat befasst, wird bald auf Speenhamland stoßen, ein System der Mindesteinkommenssicherung im England des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Am ehesten vergleichbar war sie wohl mit einem Kombilohn. Kritikern des Sozialstaats dient Speenhamland als Beleg dafür, wozu eine stark in die Lohnbildung eingreifende Sozialpolitik führen könne. Manche sehen es als Vorläufer des seit einigen Jahren diskutierten Bedingungslosen Grundeinkommens ( siehe Wikidpedia deutsch/ englisch; siehe auch andere Betrachtungen hier und hier). Dieser Vergleich ist nicht haltbar. Darüber hinaus ist die Quellenlage zum Speenhamland-System schwieriger, als es seine Bekanntheit vor allem durch die Ausführungen Karl Polanyis in The Great Transformation erwarten lassen. Anlässlich einer Kommentierung des Abschnitts über das Bedingungslose Grundeinkommen im Buch von Jürgen Borchert, Sozialstaatsdämmerung, habe ich mich vor etwa einem Jahr über neuere Studien erkundigt und war auf einen aufschlussreichen Artikel von Fred Block und Margret Somers “In the Shadow of Speenhamland” (2003) gestoßen. Er sei hier zur Lektüre empfohlen.

Es ist in der Grundeinkommensdiskussion, bei Befürwürtern wie Kritikern, ein verbreitetes Phänomen, vermeintliche historische Vorläufer zu benennen, um die Kontinuität des Anliegens zu stärken bzw. es als ewige Hoffnung abzuwerten. Die meisten Vorläufer erweisen sich schnell als unvergleichbar mit dem, was wir heute diskutieren.  Dennoch halten sich etliche schiefe Vergleiche, die der Diskussion zwar nicht abträglich sind, förderlich sind sie allerdings auch nicht.

Sascha Liebermann