Rückwärtige Verklärung – Rudolf Hickel über die Arbeitslosenversicherung

Begriffe deuten die Welt, sind Weltdeutungen und damit häufig normativ grundiert. In dem nachstehenden Ausschnitt aus einem Interview mit der taz zur „Sozialen Marktwirtschaft“ äußert sich  Rudolf Hickel, Prof. em. an der Universität Bremen, zur Arbeitslosenversicherung vor der Agenda 2010. Interessant ist dabei die Verklärung, die er vornimmt und sich zugleich fraglos als Unterstützer der Erwerbszentrierung zu erkennen gibt:

„taz: Herr Hickel, Sie werfen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vor, sich auf die Soziale Marktwirtschaft zu berufen, aber grundlegende Paradigmen zu ignorieren.
Rudolf Hickel: Für den Nestor der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, standen zwei Prinzipen im Mittelpunkt: Wer sein Arbeitseinkommen unverschuldet als Folge von Krisen verliert, der wird durch das gesetzliche System, etwa die Arbeitslosenversicherung, aufgefangen. Das gilt spätestens seit der „Agenda 2010“ nicht mehr. Arbeitslose werden zu Tätern gestempelt. Ihnen werden Lohnverzicht und prekäre Arbeitsverhältnisse abverlangt. Auch das zweite Grundprinzip ist ausgehebelt worden: Wer durch den Verlust der Lohnarbeit später sozial in Not gerät, dem wird geholfen. Dieses Prinzip hat die Schröder/Riester-Rentenpolitik mit dem Druck, eine eigene Teilkapitalvorsorge zu finanzieren, beschädigt.“

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„Die Altersarmut kommt“ – und immer dieselben Empfehlungen…

…um dieser Entwicklung zu begegnen, das ist der Fall in Alexander Hagelükens Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (siehe auch den Kommentar dazu auf den Nachdenkseiten). Als Gegenmaßnahme wird zu Beginn der Vorschlag einer Grundrente zitiert, der allerdings nur Personen mit 35 Beitragsjahren zustehen soll, also nur wenige erreicht. Die anderen hätten das nachsehen. Hagelüken kommt auch auf „verdeckte Armut“ zu sprechen, in der auch das Phänomen nicht in Anspruch genommener Leistungen zum Ausdruck kommt, weil Betroffene der Stigmatisierung ausweichen. Und dann? Zum Schluss dann die üblichen Empfehlungen:

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Hartz IV = Bedingungsloses Grundeinkommen? Piketty verwirrt oder eher die Berichterstattung?

In einem Beitrag von Anja Ettel und Tobias Kaiser auf Welt Online „Bedingungsloses Grundeinkommen ist erst der Anfang“ zum im nächsten Frühjahr auf Deutsch erscheinenden neuen Buch von Thomas Piketty findet sich folgende Passage:

„Keinesfalls allerdings dürfe dieses Staatserbe mit einem bedingungslosen Grundeinkommen verwechselt werden, sagt der Ökonom. Und es sei schon gar nicht eine Konkurrenzvorschlag. ‚Ich bin für ein bedingungsloses Grundeinkommen, und in den meisten europäischen Ländern haben wir das ja bereits‘, sagt er und spricht damit Sozialleistungen wie Hartz IV an, auf das jedermann Anrecht hat. ‚Aber das bedingungslose Grundeinkommen ist erst der Anfang, es genügt nicht, wenn man wirklich Geld und Macht durch die Gesellschaft zirkulieren lassen will.'“

Hat er das wirklich gesagt? Zwar ist es zutreffend, dass es Sozialleistungen gibt, die als Rechtsanspruch niedergelegt sind, doch die Frage, ob der Anspruch geltend gemacht werden kann, hängt von Bedürftigkeit ab, ist also gerade nicht bedingungslos. Kaum vorstellbar, dass Piketty dieser Zusammenhang nicht klar sein sollte, man kann gespannt sein, ob noch anderes von ihm zu lesen sein wird. Dass ein BGE erhebliche Machtverteilung bedeutet, wenn jemand – vorausgesetzt, es ist ausreichend hoch – nicht von Erwerbsbedingungen abhängt, um Einkommen zu sichern, damit tun sich manche schwer.

Das von Piketty vorgeschlagene „Staatserbe“ wurde vor vielen Jahren schon einmal diskutiert. Als „stakeholder grant“ hatten es Bruce A. Ackermann und Anne Alstott in die Debatte geworfen, siehe den Band Redesigning Redistribution.

Sascha Liebermann

„My wife doesn’t work“ – es sollte selbstverständlich sein…

…ist es aber keineswegs. Es gehört noch immer zu den Selbstverständlichkeiten in der Grundeinkommensdiskussion, dass man in einem Vortrag ausführlich über die Seite „unbezahlter Arbeit“ spricht, über die Bedeutung von „Haushaltstätigkeiten“, hier ganz besonders: Erziehung, und in der Diskussion ist dieses Thema dann einfach weg, verschwunden. Allenfalls wird noch erwähnt, dass es besserer Arbeitszeit-Modelle bedarf, was den Vorrang von Erwerbstätigkeit nur im Zeitumfang minderte, nicht aber in seiner normativen Bedeutung.

Sascha Liebermann

„What I have done I have done because it has been play“