„Der Arbeitgeber wird zum Gott“…

…ein zugespitzes Zitat aus einem Interview mit dem ehemaligen Investmentbanker Rainer Voss („The Master of the Universe“), in dem die differenziertere Passage so klingt:

„In dieser Finanzblase habe ich ganz grundlegende normale Lebensfähigkeiten verloren. Die Fetischisierung der Arbeit ist, denke ich, ein gesamtgesellschaftliches Problem: wir sind unfähig zum Müßiggang. Heute bezeichne ich mich als Privatier; das Geld, das ich heute besitze, bedeutet für mich Freiheit. Schon Dostojewski sagte „Geld ist geprägte Freiheit“, wir begreifen es aber eher als Käfig! Ich bin deswegen ein großer Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens. Nur wer nicht im Hamsterrad dreht, kann anfangen, Sinnvolles zu tun.“

Die Fetischisierung von Erwerbsarbeit, sie hat er wohl im Auge, ist allerorten zu greifen, wenn wie selbstverständlich andere Leistungsformen übersehen („unbezahlte Arbeit“) werden. Dass Muße gerade Quelle der Entstehung von Neuem ist, dass sie notwendig ist, um eingefahrene Wege verlassen zu können, wird – wir Voss zurecht beklagt – nicht gesehen.

Sascha Liebermann

„Precht versus Butterwegge“ – mit zweierlei Maß? Was schreiben die Nachdenkseiten dazu?

Die Nachdenkseiten sind für manches eine interessante Quelle, auch für ihre Anmerkungen zur Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen – aber nicht etwa wegen ihrer differenzierten Einwände, sondern wegen ihrer Einseitigkeit. Jens Berger kommentierte nun das kürzlich abgedruckte Gespräch zwischen Richard David Precht und Christoph Butterwegge so:

„Prechts Äußerungen sind wirklich erschreckend. Man fragt sich unweigerlich, womit er eigentlichen den Ruf eines kritischen Vordenkers verdient hat. Seine Aussagen zum Grundeinkommen schwanken jedenfalls zwischen Banalitäten, Dummheiten und ungeschminktem Sozialrassismus. Dazu passt diese Passage aus dem Gespräch, die im „philosophie Magazin“ abgedruckt wurde …“ [An dieser Stelle wird die Passage zitiert, die für Aufsehen gesorgt hat, siehe hier, SL]

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„Warten auf die Ungleichheit“ – auch eine Seite der Einzelfallgerechtigkeit…

…ist, auf die Bearbeitung des eigenen Falles warten zu müssen. Deutlich macht dies Roland Frickenhaus auf kobinet am Beispiel der Reform des Bundesteilhabegesetzes. Wenn in Beiträgen über den gegenwärtigen Sozialstaat nicht selten betont wird, wie kürzlich von Gerhard Bosch, dass man individuelle Rechtsansprüche gegen ihn habe und damit eine Grundabsicherung immer gegeben sei, dann wird leicht vergessen, dass diese Ansprüche stets in Regelungen umgesetzt werden müssen. Diese Umsetzung im deutschen Geiste der Einzelfallgerechtigkeit führt ganz schnell zu für den Bezieher wenig übersichtlichen oder gar überschaubaren Ansprüchen, deren Beantragung aufwendig und häufig ohne Hilfe kaum zu bewerkstelligen ist (was dem Abrufen der Ansprüche nicht gerade förderlich ist). Wenn die Leistungen dann, wie es durchaus auch bei Arbeitslosengeld II-Beziehern vorkommt, lange auf sich warten lassen, bis die Berechnungen fertiggestellt sind und derjenige keine Überbrückungsleistungen bekommt bis dahin, wird deutlich, welche Vorzüge es hätte, mehr mit Pauschalen zu arbeiten, die schnell verfügbar sind (was ursprünglich einmal mit der Agenda 2010 vorgesehen war). Genau in diese Richtung weist ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das von den Verteidigern des Einzelfallgerechtigkeitssozialstaats dann aber abgelehnt wird. Will man eine praktizierbare und wirklich effektive Einkommensabsicherung oder eine Gesetzgebung, die Einzelfallgerechtigkeit im Auge hat, und darüber die Praxis des Leistungsbezuges übersieht?

Sascha Liebermann

„Nichts deutete auf ein prekäres Leben hin“…

…darüber schreibt die Schauspielerin Bettina Kenter-Götte in der Freitag. Es geht um „die Martermühle“ Hartz IV und was es bedeutet, sich darin bewegen zu müssen. Aus dem Beitrag:

„Selbst für JournalistInnen ist es schwierig, Einblicke in die Realität von Hartz IV zu erhalten. Wer nicht betroffen ist, hat keinen Zutritt zu dieser Schreckenskammer der Gesellschaft – und wer dort ist, verliert die Sprache: Schockstarr kämpfen Betroffene ums tägliche Überleben, wohl wissend, dass kaum jemand ihren Geschichten Glauben schenken würde, denn sie sind fürwahr unglaublich. „Hier hast du auch was zu trinken!“, sagte ein Politiker, als er bei einem Weinfest einem Obdachlosen Sekt über den Kopf goss. Fußfesseln für Arbeitslose wurden diskutiert, ein Professor schlug vor, Arbeitslose sollten ihre Organe verkaufen (dürfen). Selbst schwangere Frauen werden „sanktioniert“. Sie können wegen Stromsperren nach Leistungskürzungen ihren Babys kein Fläschchen mehr warm machen. Ich wollte die unglaublichen Geschichten erzählen und schrieb ein Buch, wie das Alltagsleben mit Heart’s Fear wirklich ist: erniedrigend, bedrohlich, bedrückend, aussichtslos, existenzgefährdend, absurd – und mitunter auch komisch. Während einer „Aufstock“-Phase, nach einer auswärtigen Autorenlesung, musste ich mir das Geld für die Heimfahrt leihen, von einer Zuschauerin.“

Wie riskant ein Leben im Schauspielberuf ist, siehe dazu auch frühere Kommentare von uns.

Sascha Liebermann

Trotz interessanter Überlegungen – Prechts Paternalismus neu aufgelegt

Da kann man Christoph Butterwegge, der nun wahrlich selbst paternalistische Einwände gegen ein BGE anführt, nur Recht geben mit seiner Entgegnung auf Precht in der hier abgebildeten Passage. Besonders irritierend ist, dass Precht zu Beginn der Aufzeichnung selbst ein Szenario entwirft, indem eine Mutter (warum nicht auch die Eltern?), mehr Zeit für ihre Kinder haben soll. Will man ihr die Entscheidung überlassen, braucht sie die Möglichkeiten dazu und die hat sie nicht, wenn sie erwerbstätig sein muss. Dass Kinder in bestimmten Altersphasen vor allem bei den ihnen am nächsten stehenden Personen sein wollen, taucht überhaupt nicht auf. Sonderbar, wie er für Selbstbestimmung plädieren kann, dazu interessante Überlegungen anführt und dann doch von oben auf bestimmte Gruppen herabblickt. So überraschend ist diese Haltung allerings nicht, zeigte sie sich doch schon früher gepaart mit einem Hang, Unterganggszenarien zu zeichnen (siehe hier sowie weitere Kommentare zu seinen Ausführungen). Hier geht es zum Podcast des DLF, in dem ich die aus dem Philosophiemagazin kopierte Passage nicht finden konnte, das hat womöglich damit zu tun, dass es sich um einen Zusammenschnitt handelt.

Sascha Liebermann