Macht der Bürger – die Causa zu Guttenberg

Was geschehen kann, wenn die Möglichkeiten des Internets verantwortungsvoll und vernünftig genutzt werden, hat die Causa zu Guttenberg gezeigt. Seine Erklärung zum Rücktritt hat nochmals bestätigt, dass er weder aufrichtig Reue noch Einsicht zeigt. Ohne die Hilfe Freiwilliger bei der Sichtung der Doktorarbeit (Siehe Artikel von Hans Leyendecker, Süddeutsche Zeitung, und Florian Güßgen, Stern) wäre es nicht möglich gewesen, so schnell einen Eindruck darüber zu gewinnen, was an den Plagiatsvorwürfen dran ist. Das Internet ermöglichte eine Transparenz und Koordination, die zuvor undenkbar gewesen ist.

Wie Herr zu Guttenberg überhaupt soweit kommen konnte (siehe auch hier), weshalb er zumindest so beliebt war, dass er bei Straßenumfragen gut abschneidet (so wenig sie auch aussagen mögen), sagt viel über unser Verhältnis zur Politik. Nicht selten erachten wir sie zu unrecht als schmutziges Geschäft, als Tummelplatz für Opportunisten, die sich in die eigene Tasche wirtschaften usw. usf. Der Vorurteile über Politiker sind viele, sie sind zugleich Vorurteile über politisches Handeln als solches. Damit werfen sie ein Licht auf unser Verhältnis zu unserem Gemeinwesen: wir schelten gerne andere, dass sie nichts zum Gemeinwohl beitragen – und machen es uns in dieser Haltung bequem.

Für die Grundeinkommensdiskussion ist die „Plagiatsffäre“ durchaus ermutigend; es zeigt, wie mächtig Bürger sein können, die sich beharrlich und klar artikulieren – und zwar öffentlich, nicht zuhause am Küchentisch. Ohnmacht – ein verbreitetes Gefühl – weicht alsbald, wenn die Möglichkeiten genutzt werden, die heute schon bestehen, um die Idee eines Grundeinkommens zu verbreiten. Dass wir es nicht so schnell einführen werden, wie der Bundesverteidigungsminister zurückgetreten ist, steht außer Frage – die Zukunft ist offen.

Sascha Liebermann

„Kostgänger“ des Staates – ein Einwand gegen das Grundeinkommen

Ein häufig gegen das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) vorgebrachter Einwand besagt, es mache die Bürger zu „Kostgängern“ des Staates; es halte sie in Abhängigkeit, statt ihnen Möglichkeiten zur Selbstversorgung zu eröffnen.

Angesichts der Möglichkeiten, die ein bGE uns Bürgern tatsächlich eröffnete, angesichts der Verantwortung, die es in unsere Hände legte, kann dieser Einwand nur verwundern. Die bevormundende Fürsorglichkeit, die unser heutiges Sozialsystem kennzeichnet und schon immer gekennzeichnet hat, all die Kontrollen und Überwachungen, höbe ein bGE ja gerade auf. Wir erklärt sich dann dieser Einwand?

„Kostgänger“ soll wohl heißen, der Einzelne werde vom ‚Staat’ abhängig, entmündigt und in seiner Initiative geschwächt. Hier wird ein Bild vom Gemeinwesen gezeichnet, in dem seine grundlegende Bedeutung für Entwicklung und Entfaltung des Einzelnen gar nicht gesehen wird. Schon jedes Kind ist, da es unselbständig auf die Welt kommt, von der bedingungslosen Anerkennung durch seine Eltern abhängig, um sich zu entwickeln. Nur in dem von ihnen gewährten Schutzraum und durch ihre Liebe kann es reifen und nur dadurch wird es einmal in der Lage sein, seine Familie zu verlassen, um sein Leben in die Hand zu nehmen und eine eigene zu gründen. Familie gibt es aber nur dort, wo es ein Gemeinwesen gibt, das sie wiederum schützt und unterstützt, das also Möglichkeiten schafft, damit Eltern sich auch ihren Kindern widmen können. Schon diese ‚Abhängigkeit’, wenn man sie so nennen will, ist eine Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung. Diese ‚Abhängigkeit’ ist also Bedingung des Bestehens und nicht, wie manche offenbar noch heute glauben, ein notwendiges Übel, dessen man sich besser entledigen sollte, wie der ‚Staat’ ein Übel sei, mit dem man „wohl“ leben müsse. Der ‚Staat’ ist aber unser Gemeinwesen, das Gemeinwesen etwas, ohne das wir nicht wären und zugleich wäre es nicht ohne uns. Nähmen wir Bürger nicht ohnehin unser Leben in die Hand, achteten nicht unsere politische Ordnung und trügen nichts zum Gemeinwohl bei, dann existierte unser Gemeinwesen gar nicht – wir aber auch nicht.

Ideologische Schlagworte wie „Kostgänger“ oder auch Wendungen wie „Sozialhilfeempfänger liegen dem Gemeinwesen auf der Tasche“ offenbaren also lediglich, dass diejenigen, die sie benutzen, noch gar nicht begriffen haben, weshalb ihr Leben möglich ist. Alle, so müßte es eigentlich heißen, liegen in einem Gemeinwesen notwendig allen auf der Tasche, alle sind „Kostgänger“ aller, denn ein Gemeinwesen ist ein Solidarverband. Zwar benötigen wir auch Geldmittel zur Finanzierung unserer öffentlichen Infrastruktur, so daß manche sagen könnten, die Erwerbstätigen finanzierten den Sozialstaat. Doch auch diese Leistung sowie die Leistungsbereitschaft hat ihre Wurzeln in der Solidarität, in der Anerkennung des Einzelnen – des Bürgers – um seiner selbst willen. Nicht durch Geld erhält sich ein Gemeinwesen, sondern durch Loyalität. Leistungen in Familie und Ehrenamt sind ebenso wichtig wie solche im Beruf, keine ist wichtiger als die andere – ohne eine von allen, ohne Loyalität, wäre unser Gemeinwesen gar nichts, es würde nicht existieren.

Weshalb dem Einzelnen eine bestimmte Solidarität, eine bestimmte Loyalität abfordern – also: Ewerbsarbeit zu leisten -, wenn wir ohnehin auf sein Engagement vertrauen können und es auch müssen? Solidarisch und loyal ist der Einzelne am besten, wenn man ihn das tun läßt, womit er einen Beitrag leisten kann – und nicht wenn wir ihm sagen, welchen er zu leisten hat.

Sascha Liebermann

Abwehrgefechte und journalistische Verweigerung – Maybrit Illner

Schon der Titel „Geld fürs Nichtstun. Wie gerecht ist ein Grundeinkommen für alle?“ unter dem die Sendung Maybrit Illner stand, ließ nichts Gutes ahnen. Allzu bekannt ist die zwanghafte Dauerwitzigkeit, mit der die Moderatoren des öffentlich rechtlichen Fernsehens alles und jeden überziehen. Ernsthafte Fragen auch ernsthaft zu diskutieren, das scheint unmöglich. Sich in den Dienst der öffentlichen Meinungsbildung zu stellen – die erste Aufgabe eines Journalisten – ist zur Ausnahme geworden. Nicht nur die Themen auch die Gäste werden zur Dekoration der Moderatorin und des Senders degradiert.

Diesem Gehabe fügt sich auch, daß Gäste vorgeführt und instrumentalisiert werden, wie ein Gast, Bezieher von ALG II, der sich zum Vorschlag des Grundeinkommens äußern sollte. Nur weil er ALG II bezieht und die ganze Mühle des Apparats durchlitten hat, von daher sich selbstverständlich nach einer Arbeitsstelle sehnt – sollte er deshalb dem Grundeinkommen aufgeschlossener sein als andere? Keineswegs, wie zu erfahren war. Auch hat er „gerechnet“ und genauso wenig die Veränderungen durch das Grundeinkommen berücksichtigt wie die anderen Kritiker auch. Statt sich auf die Idee einzulassen oder tragfähige Einwände vorzubringen, stimmt er ein: „Die [ALG II-Bezieher] wollen alle arbeiten“ und lehnt deswegen das Grundeinkommen ab. Ihn vorzuführen hatte zumindest eine entscheidende Wirkung: Schon aus Takt kritisiert niemand seine Äußerungen. Auch so beinflußt man die öffentliche Meinung, genau dazu hat ihn Frau Illner benutzt.

„Geld für’s Nichtstun“ – mit einem solchen Etikett versehen, läßt sich ein Vorschlag leicht desavouieren, er sollte offenbar verunglimpft werden. Das Grundeinkommen wird ja nicht für das Nichtstun gewährt, sondern um dem Einzelnen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung zu eröffnen oder, wie Dieter Althaus sagte, um ihm Freiheit zurückzugeben. Womöglich nutzen manche diese Freiheit zum Nichtstun, aber ist das heute anders? Wer sich nur und vor allem des Geldes wegen engagiert, wie ernsthaft interessiert er sich für die Aufgabe, für deren Bewältigung er das Geld erhält – wohl gar nicht. Solche Mitarbeiter sind nirgendwo gern gesehen, weder in Unternehmen, noch in wohltätigen Organisationen und auch als Bürger sind sie nicht bereit, einen Beitrag zu leisten. Nur aber, weil es davon wenige gibt, sollten wir alle bestrafen? Und wer weiß, was diejenigen, dies sich heute nicht engagieren, täten, gäbe es ein Grundeinkommen? Da hilft es auch nicht weiter, die üblichen Vorurteile zu verbreiten wie Oswald Metzger (Die Grünen) oder Rita Knobel-Ulrich (Journalistin) es getan haben. Wo von Freiheit gesprochen wird, sehen sie das Schlaraffenland heraufziehen, ohne Peitsche keine Leistung – das gilt natürlich nicht für Metzger und Knobel-Ulrich selbst, sondern für die anderen.

Die subtilen Einspieler und Schaubilder waren tendenziös, als säßen wir Bürger auf einer Parkbank herum und warteten nur auf die Überweisung des Grundeinkommens. Auch der Vergleich des ALG II mit dem Solidarischen Bürgergeld (SB) war mutwillig verzerrt. Er sollte zeigen, daß ALG II-Bezieher sich mit dem SB verschlechtern würden, enthielt allerdings keinen Hinweis auf die heute geltenden Anrechnungsregelungen für Zuverdienste (80-90% ab 101 € werden angerechnet). Beim SB ist die Anrechnung geringer, beim bGE ist sie erst gar nicht vorgesehen.

Otmar Schreiner (SPD) erregte sich dann über die Ungerechtigkeit, daß auch Reiche das Grundeinkommen erhalten würden. Warum auch nicht, als Bürger unseres Gemeinwesens steht es jedem zu. Otmar Schreiner war wohl nicht bewußt, daß heute sowohl Kindergeld als auch Steuerfreibetrag ebenso für alle gelten, auch für diejenigen, die es seiner Auffassung nach nicht brauchen. Vollbeschäftigung sei sehr wohl erreichbar, wenn man nur wolle, so der Tenor von Otmar Schreiners Ausführungen. Aber wozu sollten wir sie anstreben, wenn ein Grundeinkommen vielfältigere Entfaltungsmöglichkeiten schaffen würde, als wir je zuvor hatten – ohne Sozialverwaltung, Gängelung, Betreuung? Darüber hinaus würde endlich jedes Engagement anerkannt und wertgeschätzt, ob es nun Erwerbsarbeit wäre, die Erziehung der Kinder oder das bürgerschaftliche Engagement.

Wer nun behauptet, wir haben doch schon eine Grundsicherung und bräuchten deswegen gar kein bGE, wie Frau Knobel-Ulrich, der bezeugt, daß er sich mit dem bGE nicht auseinandergesetzt hat. Dies war auch ein Mangel der gesamten Sendung. Statt den Vorschlag einmal breit auszuleuchten und ins Verhältnis zu gegenwärtigen Regelungen zu setzen, wurde abgewehrt, wo es nur ging. Was man fürchtet, ohne Argumente dagegen zu haben, das muß man abwehren.

Oswald Metzger ereiferte sich, das Grundeinkommen sei eine Stillhalteprämie – daran läßt sich ablesen, was er von uns Bürgern hält. Wer glaubt, wir Bürger lassen uns einfach „stillhalten“, der traut uns nichts zu. Wer uns nichts zutraut, der hält es für wichtig, daß wir „in Arbeit gesetzt“ werden. Ganz in diesem Sinne auch Otmar Schreiner, der eine Spaltung der Gesellschaft befürchtet, was er nur kann, weil er meint, die tatsächliche „Integration“ erfolge über Erwerbsarbeit und nicht über die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen. Das bGE erlaubte es dem Einzelnen, dort initiative zu werden, wo er es für richtig hält, mehr Freiraum als heute, hätte er dann. Wo also soll die Spaltung herkommen? Bürger bleiben wir alle, wo auch immer wir uns engagieren, ob wir etwas leisten oder nicht, Bürger sind wir um unser Gemeinwesen willen. Doch genau das Bewußtsein von diesem Zusammenhang fehlt.

Sascha Liebermann

Bürgergeld und Grundeinkommen – Geniestreich oder Wahnsinn?

Unter diesem Titel hatte die Stiftung Marktwirtschaft zu einer Diskussion über Grundeinkommen und Bürgergeld in den Deutschen Bundestag nach Berlin eingeladen. Der Titel zeugt noch von der Befremdung, die der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens auslöst, denn ein Geniestreich im Sinne einer genialischen Einzelleistung einer Person ist der Vorschlag keinesfalls. Vielmehr entspringt er einer sachhaltigen Analyse unserer gegenwärtigen Lage und der Möglichkeiten, die sich uns bieten, die wir bislang aber nicht ergreifen wollen.

Götz W. Werner, der den Eröffnungsvortrag hielt, hob vor allem eines heraus, was schon darin zum Ausdruck kam, wie er das Publikum ansprach: Als Bürger seien wir aufgerufen, über das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken, da es eine Vielzahl an Möglichkeiten für unsere Probleme biete. Unser Bemühen, unsere Probleme mit Methoden zu lösen, die diese Probleme erst hervorgebracht haben, habe dazu geführt und könne dies weiter tun, daß das Vertrauen der Bürger in unser Gemeinwesen abnimmt. Das bedingungsloses Grundeinkommen hingegen vertraue in den Initiativgeist des Einzelnen, in dem auch unser Gemeinwesen gründet.

Angesichts des großen Interesses an der Veranstaltung (ca. 300 Gäste, darunter Politiker, Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Wohlfahrtsorganisationen) war bezeichnend, wie wenig, beinahe gar nicht, in den folgenden Beiträgen auf genau diesen Punkt: das Vertrauen in den Einzelnen als Vertrauen in die Bürger, eingegangen wurde. Nicht eine Frage in der anschließenden Diskussion griff diesen Zusammenhang auf. Von „Anreizen“ wurde in einem fort gesprochen, von Freiheit war nicht die Rede, denn sie ist das Gegenteil von Anreizen. Prof. Horst Siebert (Vortragsmanuskript) bemerkte an einer Stelle gar: Würde man die „Anreize“ beseitigen, dann bliebe nur die intrinsische Motivation, ein Wahnsinn. Intrinsische Motivation ist in seinem Verständnis offenbar bedenklich, eher ein zu steuernder Trieb als der Ausgangspunkt von Initiative. Da nimmt es nicht wunder, wenn wir unsere ausgefahrenen Bahnen nicht verlassen können: wo Freiheit winkt, droht Untergang.

Um so größer war das Interesse an den Berechnungen, die die vermeintliche Untauglichkeit des bGEs belegen sollten. Prof. Clemens Fuest, als Experte geladen, verlor kein Wort über die Annahmen, die den Berechnungen zu grunde lagen. War von „Beschäftigungseffekten“ die Rede, dann ging es um Erwerbsarbeit, nicht aber um die vielfältigen Formen von Engagement, von denen ein Gemeinwesen lebt. Wertschöpfung wurde nur gefaßt als die in Preisen ausdrückbare volkswirtschaftliche Leistung, nicht aber wurde von der „Leistung“ gesprochen, die in Preisen nicht vorliegt: Erziehung, Bildung, politische Loyalität usw. ohne die unser Gemeinwesen gar nicht bestehen könnte. Neben Götz W. Werner wies nur Katja Kipping (Die Linke/ Netzwerk Grundeinkommen) auf deren Bedeutung hin.

Prof. Fuest behauptete zwar, daß er nur von Fakten spreche, erläuterte aber an keiner Stelle, daß Berechnungen Arte-Fakte sind. Sie sind statisch und schreiben die Annahmen in die Zukunft fort, die den Berechnungen zugrunde liegen – also Annahmen der Vergangenheit. Sie beziehen also gerade nicht die Möglichkeiten ein, die das bGE schafft und wie sich das Handeln der Menschen ändern könnte. Wie sollten Berechnungen auch dazu in der Lage sein, sie simulieren lediglich eine Wirklichkeit, nicht aber sind sie die Wirklichkeit. Diese Borniertheit, vor dem Hintergrund einer schon lange währenden Diskussion auch in den Wirtschaftswissenschaften darüber, wie es möglich ist, nicht-monetär erfaßte Leistungen in Berechnungen auszudrücken, war erstaunlich – vor allem angesichts der Gewißheit, in der sie sich präsentierte. Berechnungen schauen in die Vergangenheit, das bGE hingegen in die Zukunft.

Womöglich war es der Dauerbeschuß der Freiheitsidee mit den „Anreizproblemen“, der sie hat verschütt gehen lassen in der Diskussion. Geradezu beängstigend war es, wie Experten und auch Politiker immerzu von den Anreizen sprachen, die nötig seien, damit wir Bürger etwas leisten. Eine wunderbare Allianz ergab sich zwischen dem Vertreter der SPD (Grotthaus), der Vertreterin der Grünen (Dückert) und Prof. Fuest. Alle gemeinsam gegen das Solidarische Bürgergeld von Herrn Althaus.

Wieder einmal hat sich gezeigt: die Gegner des Grundeinkommens wie die Befürworter stehen auf allen Seiten.

Sascha Liebermann

"Nie wieder Hartz IV" (Die Zeit) – wahrlich weltfremd

In Die Zeit vom 12.4.2007 hat sich Kolja Rudzio in dem Beitrag „Nie wieder Hartz IV“ mit dem Grundeinkommen beschäftigt. Derselbe Autor hatte sich schon einmal im September 2005 in dem Beitrag „Sozialhilfe für alle“ zum Grundeinkommen geäußert.

Nach einer kurzen Darstellung kursierender Vorschläge zum Grundeinkommen, in der auch wieder einmal manches durcheinander geht, die Negative Einkommensteuer mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gleichgesetzt wird und betont werden muß, daß das Grundeinkommen nichts Neues sei, sind die abschließenden Ausführungen die eigentlich interessanten.

Dort heißt es z.B.: „Alle Rechenspiele haben einen Pferdefuß: Ihr Ergebnis steht und fällt mit der Frage, wie sich das Verhalten der Menschen ändert, wenn das mühelose Einkommen gesellschaftliche Realität ist.“

Ganz genau, das können wir nicht vorhersagen, wir können aber sehr wohl daraus, wie die Menschen in der Vergangenheit gehandelt haben, nach welchen Überzeugungen sie dies taten, Schlußfolgerungen darauf ziehen, was ihnen wichtig ist und ob es wahrscheinlicher ist, daß sie Möglichkeiten der Selbstbestimmung ergreifen oder sich dirigieren lassen werden.

Weiter heißt es in dieser Passage: „Werden die, die heute noch brav [Hervorhebung SL] zur Arbeit gehen und Steuern zahlen, dann genauso viel schuften wie bisher? Oder würden sich immer größere Milieus an Alimentierung gewöhnen und dauerhaften Anstrengungen gar nicht mehr gewachsen sein?“

Ob die Einzelnen brav, also gehorsam und obrigkeitsliebend zur Arbeit gehen werden, das scheint den Autor mehr zu kümmern als die Frage, was denn dagegen spricht, daß sie die Freiheiten ergreifen werden. Man könnte meinen, heute lebten wir in einem Gefängnis, als kontrollierten Wärter die Folgsamkeit der Insassen – dabei leben wir in einer Demokratie. Kolja Rudzio hat in die Bürger und ihr Verantwortungsempfinden wenig Vertrauen. Was ist nun weltfremd, die Einschätzung Kolja Rudzios oder das Vertrauen in die Bürger?

An einer anderen Stelle heißt es: „Menschenbilder bietet die Wissenschaft zuhauf. Aber eine Prognose, wie sich eine Gesellschaft langfristig verändern würde, lässt sich nicht ableiten. Auch in der Praxis gibt es kaum Erfahrungen.“

Was wäre daraus nun zu folgern? Etwa dies, daß es abwegig ist, den Bürgern zu vertrauen, weil ihr Handeln nicht berechenbar ist; daß also, weil man die Bürger nicht berechnen kann, ihnen auf keinen Fall vertraut werden sollte?

Weise heißt es später: „’Aber viele junge Leute müssen wir mit unendlich viel Aufwand für Arbeit begeistern, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass sie auch so Geld bekommen.’ Sie wüssten genau, was sie im Amt erzählen müssten, damit ihnen keine Leistungen gestrichen würden.“

Diese jungen „Leute“ sind also lebensklug, könnten wir sagen, sie spüren genau, in welche Mühle wir sie drängen. Was haben wir der Jugend denn zu bieten, außer den ewiggleichen, freiheitsfeindlichen Sprüchen der vergangenen 10 Jahre? Daß eine gewisse Verweigerungshaltung auch Protest ist, aus einem Ohnmachtsempfinden heraus geschieht – wer würde das bezweifeln. Wenn tagein tagaus in der öffentlichen Diskussionen, den politischen Stellungnahmen und der Schule verkündet wird, individuelle Neigungen und Interessen seien unbedeutend oder nachrangig, die Hauptsache es werde irgendeine Arbeit gemacht – dann sollte uns das nicht überraschen. Statt dessen täte es not, nach den Gründen zu fragen.

In der Fortsetzung der Äußerung wird es noch deutlicher: „’Die haben ihr bedingungsloses Grundeinkommen schon!’ Deshalb sei auch die Bereitschaft groß, eine Lehre abzubrechen. ‚Es fehlt immer häufiger der Wille, bei der Arbeit auch einmal einen Konflikt durchzustehen’, sagt Henke, der seit über 30 Jahren im Arbeitsamt tätig ist.“

Auch hier sollten wir uns nach den Gründen fragen. Weshalb einen Konflikt durchstehen und woher die Kraft dafür nehmen, wenn man sich mit der Sache, um die es geht, nicht identifiziert, wenn sie den eigenen Interessen nicht entspricht?

Schließlich zeigt sich, was für real gehalten wird: „Die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens erscheint da manchen wie ein Befreiungsschlag zur Überwindung der sozialpolitischen Ohnmacht. Ginge es aber nur um das Ziel, den Menschen Alternativen zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen, so ließe sich das auch ohne einen kompletten Systemwechsel erreichen. Geld ohne klassische Arbeit – Beispiele für eine schrittweise Umsetzung sind das Elterngeld [man höre und staune, als sei das ein Schritt in die Freiheit] oder die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente. Auch Bafög, Altersteilzeit oder Arbeitslosengeld könnten weniger restriktiv gewährt werden. Selbst eine staatliche Förderung von Sabbaticals ist denkbar. Das alles ist zwar weniger berauschend als die große Sozialutopie vom Einkommen ohne Arbeit – aber real.“

Da läßt sich nur resümieren: Wer nicht verstanden hat, daß wir schon heute in die Bürger vertrauen müssen und es tun, auch wenn wir dies nicht wahrhaben wollen, denn ohne Vertrauen ist eine Demokratie gar nicht möglich; wer nicht wahrhaben will, daß Mitarbeiter in Unternehmen produktiv und kreativ sind, wenn sie eine Aufgabe gerne übernehmen, sich mit ihr identifizieren, wer also all das verleugnet und für irreal hält, der – und nicht das bedingungslose Grundeinkommen – ist wahrlich weltfremd.

Sascha Liebermann

Gregor Gysi und Hans Werner Sinn – eine Allianz gegen das bedingungslose Grundeinkommen

Eine wunderbare Bestätigung für die einen, ein untrüglicher Beweis für die anderen war in „Menschen bei Maischberger“, am 13. Februar, der Auftritt von Gregor Gysi. Wer noch Zweifel daran hatte, daß Hans Werner Sinn und Gregor Gysi (wie auch im letzten Jahr schon Oskar Lafontaine, Rudolf Hickel und Albrecht Müller) am selben Strang ziehen, konnte sich des Gegenteils vergewissern.

Während Hans Werner Sinns beharren auf der vermeintlich notwendigen Berechenbar- und Finanzierbarkeit des Grundeinkommens einen deutlich buchhalterischen Geist erkennen ließ, für den nichts wirklich sein kann, was nicht in Zahlenkolonnen ausdrückbar ist, gab sich Gregor Gysis Verständnis von Gerechtigkeit und Menschenwürde deutlich zu erkennen: Wo kein Arbeitswille bzw. keine Arbeitsbereitschaft – da soll es auch keine Gegenleistung geben, „ein bißchen Druck ist schon nötig“. Bürger, die um ihrer selbst willen geachtet werden, weil sie das Fundament unseres Gemeinwesens, der Volkssouverän, sind, scheint es für Gregor Gysi nicht zu geben. Menschenwürde ist in seiner Vorstellung die Menschenwürde durch Erwerbsarbeit – wer sich daran nicht beteiligt, verletzt die Menschenwürde der anderen. Mit solchen Vorstellungen steht der Rückkehr in den Arbeiter- und Bauernstaat, in die alte Gesellschaft der Werktätigen nichts mehr entgegen.

Ist Hans-Werner Sinn nun auch Sozialist oder Gregor Gysi Neoliberaler?

Will Hans Werner Sinn also durch den Niedriglohnsektor Druck auf uns Bürger als Erwerbstätige ausüben, da nur so buchhalterisch „bessere“ Zahlenkolonnen zu erzeugen sind, darf es nach Gysi an Druck nicht fehlen, damit Arbeitsfähige auch zu Arbeits- also Erwerbsarbeitssuchenden werden. Denn nur das sei gerecht, nur das verletzte die Menschenwürde nicht. Ein gewaltiger rhetorischer Aufwand Gysis war notwendig, um das Mißtrauen in die Eigeninitiative der Bürger nicht ganz so obrigkeitstaatlich erscheinen zu lassen und die entsprechenden Vokabeln wie Solidarität, Gerechtigkeit, Sozialstaat und dergleichen abzuspulen. Doch nur, wer sich davon blenden ließ, konnte überhören, worum es eigentlich geht: Vertrauen ist ein hehres Ideal, Mißtrauen ist notwendig, deswegen ist eine Kontrolle der Bürger, eine Überwachung ihres ausreichend an den Tag gelegten Arbeitsanreizes am besten.

Können Entscheidungen, die unser Gemeinwesen betreffen und die Zukunft eröffnend gestalten sollen, überhaupt berechnet werden? Können wir ernsthaft die Frage, wie wollen wir leben, derjenigen danach, ob wir es nach heutigen Vorstellungen auch bezahlen können unterordnen? Ließen wir uns darauf ein, was würden wir noch zu verändern in der Lage sein – gar nichts. Wer die Frage nach der Finanzierbarkeit stellt, behauptet zugleich, die Folgen einer Entscheidung, die in die Zukunft reicht, seien zu errechnen. Doch Rechenmodelle, die nicht zufällig auch Simulationen genannt werden, setzen nur das Denken der Vergangenheit in die Zukunft fort. Wo aber umgedacht werden muß, müssen wir auch mit den Vorstellungen der Vergangenheit brechen.

An einem kann doch kein Zweifel bestehen, daß nämlich unser Wohlstand auf die Leistungsbereitschaft von uns Bürgern zurückgeht. Nichts spricht dafür, daß diese Leistungsbereitschaft mit einem Grundeinkommen schwächer würde, sie nähme doch wohl eher zu, denn das Grundeinkommen stellte alle Bürger gleich, behandelte ihre Engagement gleichwertig, ob sie zusätzlich ein Erwerbseinkommen erzielten oder nicht.

Sascha Liebermann