Neues von der SPD? Ach wo – ein Interview mit Sigmar Gabriel

Oft bedarf es keiner langen Ausführungen, um zu erkennen, woher der Wind weht, welche Denkwelten also die Weltwahrnehmung führen. In einem Interview mit der Welt am Sonntag, vom 1.7., äußerte sich Sigmar Gabriel zu den Prinzipien, denen gemäß er ein Mindesteinkommen, hier eine Mindestrente, gerechtfertigt findet:

WaS: Wie denken Sie über eine Mindestrente?

G: Das kommt darauf an, was man unter diesem etwas schillernden Begriff versteht. Wenn damit gemeint ist: Niemand, der sein Leben lang [sic] rentenversichert war und über viele Jahrzehnte gearbeitet hat, darf im Rentenalter auf Sozialhilfeniveau kommen, nur weil er unverschuldet arbeitslos war oder in den Niedriglohnsektor gedrückt wurde – dann bin ich sehr dafür.

Zwar geht es hier nicht um das Bedingungslose Grundeinkommen, doch das Verständnis von verdienter Rente, das Sigmar Gabriel erkennen lässt, spricht Bände. Die Unterscheidung von verdientem Renter, der ein Leben lang erwerbstätig war und Sozialhilfeempfänger zeigt, für welche Sozialpolitik der SPD-Vorsitzende und damit die SPD als Partei, die ihn als Vorsitzenden trägt, steht: Vorrang der Erwerbstätigen und zwar nicht aller, sondern derer, die ein Leben lang erwerbstätig waren (wie weltfremd ist das in heutigen Zeiten?!). Wer sich entscheidet, für seine Kinder zuhause zu bleiben (und zwar mehr als drei Monate wie Herr Gabriel), wer nicht kontinuierlich rentenversichert ist, hat es einfach nicht verdient. Apropos Niedriglohnsektor, hier scheint Herr Gabriel vergesslich zu sein und nicht nur er.

Sascha Liebermann

Wieder einmal: Erwerbstätige versus Arbeitsvolumen

Die Ausstellung „Was tun? Über den Sinn menschlicher Arbeit“ im Senckenberg Museum Frankfurt wird von der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit einem Projekt begleitet. Auf FAZ.NET, ihrem Onlineportal, werden „Fakten“ präsentiert, die dem Projekt zugrunde liegen.

Beachten Sie die Registerkarte „Erwerbstätige“ und wechseln Sie dann zu „Im Vergleich“. Während unter „Erwerbstätige“ die Frage „Geht uns die Arbeit aus?“ mit dem Verweis auf die gestiegene Zahl an Erwerbstätigen beantwortet wird, zeigt „Im Vergleich“ eine gegenläufige Tendenz: Das Arbeitsvolumen ist gesunken. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten ist seit 1991 (in der Tendenz, das schließt einen zwischenzeitlichen Anstieg nicht aus) gesunken, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hingegen gestiegen (siehe Statistisches Bundesamt). Auf diesen Zusammenhang haben wir (wie auch andere) immer wieder hingewiesen (hier, hier und hier). Zwar geht uns nicht „die Arbeit“ aus, das war in dieser überspitzten Form schon immer unhaltbar, denn, wo Menschen sind, gibt es etwas zu tun.

Statt in einer solchen Entwicklung einen Erfolg zu sehen, der Freiräume schaffen ließe – wir benötigen weniger Arbeitsstunden um diesselbe Wertschöpfung oder sogar mehr hervorzubringen – schreibt die FAZ mit Verweis auf die Weltbank: In Deutschland und Europa werde weniger gearbeitet. Das suggeriert, das wir zu wenig arbeiten und deswegen unser Wohlstand gefährdet sei. So wird aus einer Erfolgsmeldung eine Klage.

Sascha Liebrermann

Vollbeschäftigung, adé?

Von wegen, es bedarf lediglich eines Blickes in die aktuelle Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte. Trotz manch kritischer Bemerkung zum Konzept Vollbeschäftigung scheinen sich die Autoren darin einig, dass sie nach wie vor ein erstrebenswertes Ziel sei.

Thomas Straubhaar z.B., der sich schon wiederholt zum einem Grundeinkommen seiner Vorstellung nach positiv geäußert hat, stimmt in den Chor derer ein, die die Zunahme von Erwerbsarbstätigen als Erfolg feiern. Wie ein Wirtschaftswissenschaftler es unterlassen kann, Erwerbstätigenzahl und Arbeitsvolumen ins Verhältnis zu setzen, ist erstaunlich. Wird die Entwicklung des Arbeitsvolumens einbezogen, stellt sich der sogenannte Erfolg ganz anders dar: er ist ein Scheinerfolg. Das sieht auch Heinz Bontrup so, zieht daraus aber Schlüsse, die nicht zum Grundeinkommen führen, sondern zur Verteilung von Erwerbsarbeit. Sie ist, so könnte man zuspitzen, das Gegenteil dessen, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen erreichen will.

Und überhaupt würde sich manche Frage anders stellen, wenn es ein BGE gäbe. Heute sorgt uns die Erwerbslosigkeit. Wenn wir über sie reden, reden wir jedoch über zweierlei. Auf der einen Seite steht der Einkommensmangel, der ein auskömmliches (was allerdings auch Erwerbstätige trifft) Leben verhindert; auf der anderen die Sorge, am gesellschaftlichen Leben, das gegenwärtig in vielerlei Hinsicht durch Erwerbsarbeit dominiert wird, teilnehmen zu können (selbst wenn man mit anderen Tätigkeiten voll und ganz beschäftigt ist, z.B. in der Familie). Da durch die normative Überhöhung von Erwerbstätigkeit beide Seiten heute so erscheinen, als gehörten sie zusammen, beklagen wir Erwerbslosigkeit als Problem. Mit einem BGE hingegen wäre das Einkommen (das zumindest ist das Ziel) abgedeckt, wodurch sich die Frage nach Tätigkeiten anders stellt. Nun würden auch diejenigen befreit möglich sein, die bislang im Schatten stehen, heute mehr denn je: Fürsorge in der Familie und bürgerschaftliches Engagement. Wer keine ihm entsprechende weiß oder findet, könnte sie zumindest geduldig suchen oder herauszufinden versuchen, wo seine Neigungen und Interessen liegen. Erwerbslosigkeit? Das wäre einmal gewesen.

Sascha Liebermann

„Das kleine Einmaleins der Arbeitslosenstatistik“

Angesichts erneuter Meldungen zur „niedrigsten Arbeitslosigkeit“, die auch gut informierte und nachdenkliche Journalisten beeindruckt, sei wieder einmal darauf verwiesen, wie sehr es hier um statistische Kunstwelten geht, die manchmal sehr wenig mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Zur Schärfung des Blicks sei ein Beitrag über „Arbeitslosenstatistik“ empfohlen und auf einen früheren Beitrag von uns hingewiesen: „So viele Erwerbstätige wie nie zuvor“.

So viele Erwerbstätige wie nie zuvor…

…das verkündete neulich Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, bei Maybrit Illner. Wo er recht hat, hat er recht. Ist das nicht ein Erfolg, der gefeiert werden müsste?

Sehen wir einmal davon ab, dass solche Meldungen, gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen, gar nicht mehr vorkämen, weil sie unbedeutend wären – was besagt die Zahl denn unter heutigen Umständen?

Sie informiert uns nur darüber, wie viele Erwerbstätige es gibt. Sie gibt keine Auskunft darüber, ob es sich um Vollerwerbs- oder Teilzeitarbeitsplätze handelt (das gerade letztere großen Zuwachs erfahren haben, zeigt hingegen die Statistik). Hebt man also diesen Umstand heraus und betrachtet ihn nicht im Verhältnis zu anderen Größen, mag er beeindrucken. Vor allem aber täuscht er uns über die wirklichen Verhältnisse hinweg. Für die Leistungserbringung in einer Volkswirtschaft ist die Zahl der Erwerbstätigen unerheblich, entscheidend ist das Arbeitsvolumen in Stunden im Verhältnis zu hergestellten Gütern und Diensten. Darauf hat meiner Erinnerung nach in der Sendung keiner der Diskutanten hingewiesen. Betrachtet man nämlich das Verhältnis von Arbeitsvolumen zu erzeugten Gütern, dann fällt etwas ganz anderes ins Auge. Das Arbeitsvolumen im langfristigen Trend ist stetig gesunken, währende das Bruttoinlandsprodukt gestiegen ist (Hinweis 1, Hinweis 2). Wohlstand wird durch Produktivität erreicht, nicht durch Heere von Erwerbstätigen. Weiß das Michael Hüther etwa nicht? Wohl kaum, dazu wäre ein erhebliches Maß an Ignoranz notwendig. Viel näher liegt es, in der Feier einer solche unbedeutenden Zahl wie der Erwerbstätigen ein anderes Motiv am Werk zu sehen. Wer der Überzeugung ist (mit Wissenschaft hat das dann nichts mehr zu tun), dass politisches Ziel die Integration über den Arbeitsmarkt sein müsse, für den ist die Erwerbstätigenzahl wichtig. Sie zeigt an, wie viele es dahin geschafft haben. So erklärt sich unter anderem die Fixierung Hüthers auf diese Zahl, ohne die anderen in Betracht zu ziehen. Diese Werthaltung bleibt auch nicht ohne Einfluss auf Studien. Wie die Welt im Institut der Deutschen Wirtschaft aussieht, habe ich selbst während einer Podiumsveranstaltung erlebt und in einem kleinen Bericht notiert.

Weshalb wäre nun, gäbe es ein bGE, diese ganze Diskussion von gestern? Die Antwort ist ganz einfach. Weil es dem Einzelnen eine dauerhafte Einkommenssicherheit gewährte, die es erlaubte, jedweder Tätigkeit nachzugehen. Falls es angestellt nicht möglich sein sollte, dann eben selbständig oder ohnehin wie in einem Ehrenamt. Um ein Einkommen zu erhalten, bedürfte es keiner Registrierung bei der Arbeitsagentur oder sonst einer Behörde mehr, denn mit dem Innehaben der Staatsbürgerschaft oder einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis erhielte man es von der Wiege bis zur Bahre. Einzige Voraussetzung wäre, dass wir weiterhin bereit sind, uns so zum Wohle des Gemeinwesens einzusetzen, wie wir es heute schon tun.

Wie albern müssen uns heutige Debatten um Erwerbslosigkeit, Erwerbstätige und Förderprogramme vorkommen, wenn wir sie von der Warte eines bGEs aus betrachten. Doch solange wir es nicht haben, werden uns diese Debatten verfolgen. Es ist längst Zeit, uns von diesem Hemmnis zu befreien.

Sascha Liebermann

Grüne Grundsicherung – ein Nachtrag

Vor einigen Wochen haben wir in unserem Blog den Entwurf zu einer „Grünen Grundsicherung“ kommentiert und auf systematische Schwächen dieses Vorschlages aufmerksam gemacht. Anlaß war, daß es mehr und mehr Vorschläge gibt, die als bedingungsloses Grundeinkommen dargestellt werden, in ihrer Konzeptionierung aber das bedingungslose in ein bedingtes Grundeinkommen verwandeln, z.B. durch einen zu niedrig angesetzten Betrag.

Mittlerweile hat Bündnis 90/ Die Grünen (Baden Württemberg) ein Diskussionsportal zur Grünen Grundsicherung eingerichtet. Der dort abgelegte längere Eröffnungsbeitrag, verfaßt von Thomas Poreski (einem der Verfasser des kommentierten Vorschlags), ist hier Anlaß zu einem Nachtrag.
Es heißt dort: „Jede Alternative muss deshalb so konkret ausformuliert sein, dass sie nicht nur philosophischen, sondern auch politischen Maßstäben genügt“. In der Tat ist dies wichtig, doch läßt die Gegenüberstellung von philosophisch und politisch erahnen, wodurch ein Vorschlag „konkret“ wird. Grundsätzliche Erwägungen, wie wir sie seit Beginn vorgenommen und in der öffentlichen Diskussion zu verbreiten versucht haben, gelten wohl eher als philosophisch. Sie sind nicht darauf gerichtet, Umsetzungsschritte zu entwerfen, sondern grundlegende Fragen auszuleuchten, die es dann erst erlauben, bedacht über Umsetzungsschritte zu diskutieren. Das „Philosophische“ ist also in der Tat sehr „praktisch“, wenn es darum geht, Wirkungszusammenhänge menschlichen Handelns deutlich zu machen und damit mögliche Wirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auszuleuchten.

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