Es wird ein Maßstab gesetzt und von diesem aus ein „Problem“ bestimmt. Warum gilt der Maßstab, warum sollte er gelten? Setzt man einen anderen Maßstab, ergibt sich ein anderes Problem: zu wenig Zeit füreinander, gerade für Eltern und ihre Kinder. (1/2)
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) January 3, 2025
Kategorie: Erwerbstätigkeit
Erwerbstätigkeit bei syrischen Flüchtlingen – der Zeitverlauf ist relevant…
In dieser Frage scheint es mir doch unerlässlich, die Längsschnittdaten einzubeziehen, also den Verlauf zu beachten, wie das IAB (https://t.co/jGd50mfd4e, https://t.co/ycMQ8FJMRC) es jüngst getan hat. Dann stellt sich die Lage differenzierter dar. https://t.co/Gd5e9og7ET
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) January 6, 2025
…darüber hinaus weist der Beitrag des IAB auf ähnliche Phänomene hin, wie bei Flüchtlingen aus der Ukraine, dass Sprachkenntnisse zu Beginn eine hohe Hürde sind, Möglichkeiten der Kinderbetreuung usw.
Davon abgesehen lässt sich zurecht fragen, ob das Ziel einer möglichst hohen Erwerbsquote über allem anderen stehen soll, denn eine hohe Erwerbsbeteiligung, nach Vorstellungen einiger in Vollzeit, bedeutet wenig Zeit für Familie. Wer also über das eine spricht, sollte über das andere nicht schweigen.
Sascha Liebermann
„Soziale Integration“?…
Ersteres ließe sich verändern. Wer aber will, dass weiterhin Erwerbsarbeit die zentrale Möglichkeit der Selbsterhaltung bleibt, muss dafür sorgen, dass Erwerbsarbeit vor allem menschen- & gesellschaftsgerecht ist. Teilhabe ist nur ein (!) – wiewohl: berechtigter – Aspekt davon. https://t.co/vQoDAc9w74
— SeTh (@EconomicEthics) August 31, 2023
…behauptet wird das gerne, ohne einen genaueren Blick darauf zu richten, was Erwerbstätigkeit auszeichnet. In Erwerbsverhältnissen ist Aufgabenbewältigung der Maßstab, an dem der Einzelne sich messen lassen muss, er bleibt solange in diesem Verhältnis, wie er seine Aufgaben erledigt bzw. wenn nicht, andere es nicht bemerken oder sich daran nicht stören. Es geht nicht um den Einzelnen um seiner selbst willen. Letzteres aber genau ist die einzige soziale Integration, in der die Person im Mittelpunkt steht, in Erwerbsverhältnissen ist sie das genau nicht, es geht nur um Leistung.
Was diese Unklarheit und Verklärung von Erwerbstätigkeit betrifft, unterscheiden sich Unternehmens- und Erwerbstätigenvertreter nicht.
Sascha Liebermann
Arbeitslosigkeit und Krankheitsrisiko – anders als gedacht
Dass „Arbeitslosigkeit“ das Krankheitsrisiko erhöht, hat wenig mit dem Kapitalismus zu tun.
Es hat mit unserer Sozialpolitik zu tun. Sie delegitimiert Joblosigkeit. Sie erklärt es zum individuellen Versagen.
Das macht sie, um die Erwerbsnorm zu stärken.#BGE #Grundeinkommen https://t.co/eF09kdJ3NJ
— BGE Eisenach (@bge_esa) July 21, 2023
„Das Ziel:…“
Das Ziel: noch mehr Erwerbsteilnahme, was bislang schon für eine hohe Abwesenheit der Väter gesorgt hat, nun dasselbe für die Mütter. Und Familienleben? Was wäre die Wirtschaft ohne Familien, die sich um das Wohlergehen ihrer Kinder kümmern. Beides geht nicht zur selben Zeit. https://t.co/v93Qxijdag
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) March 21, 2023
Siehe zu dieser Frage auch diese Beiträge hier.
Diskussion mit ungewöhnlicher Stimme und unerwarteten Schlussfolgerungen – Jürgen Wegge zu Motivation und Erwerbsarbeit
In der Online-Diskussionsreihe „60 Minuten“ des ifo-Institut ging es am 12. Juli um das „Bedingungslose Grundeinkommen“. Diskutanten waren: Prof. Ronnie Schöb, Prof. Jürgen Schupp, Prof. Jürgen Wegge.
Ronnie Schöb war am Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministerium der Finanzen beteiligt und hatte sich schon früher dazu geäußert, dass ein darin simuliertes BGE vielfach unerwünschte Effekte habe (siehe hier). Seine Einwände waren erwartbar, vor allem bezogen sie sich auf die Folgen für das Arbeitsangebot aufgrund höherer Steuerbelastung (laut Gutachten). Jürgen Schupp ist dem BGE äußerst aufgeschlossen und sieht Chancen darin. Er begleitet für das DIW das Pilotprojekt Grundeinkommen wissenschaftlich und setzt darauf, durch das Projekt belastbare Einsichten zu den etwaigen Auswirkungen zu erhalten. Jürgen Wegges Beiträge waren insofern interessant – besonders zu Beginn -, weil er darlegte, dass der Motivationsbegriff in der Psychologie bzw. Arbeitspsychologie äußerst komplex sei und keineswegs auf einen „Anreiz“, nämlich Einkommen, reduziert werden dürfe. Damit hob er einen der Standardeinwände aus den Angeln, der dem BGE entgegengehalten wird.
„Abschaffung des Ehegattensplitting könnte […] Menschen in Arbeit bringen“ – eindimensionale Debatte, weil eindimensionale Ziele
Über etwaige Folgen des in Deutschland existierenden Ehegattensplittings kann unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert werden, die sich in der Debatte durchaus wiederfinden, z. B. der Verhältnismäßigkeit, der Bevorteilung von Besserverdienern, der Benachteiligung Geringverdienern, die Überbewertung der Ehe usw. Es gibt jedoch Aspekte, die kaum zur Sprache kommen bzw. die die Diskussion dominieren, so z. B. hier „Abschaffung des Ehegattensplittings könnte 500000 Menschen in Arbeit bringen“, also der Zugewinn an Arbeitsplätzen durch Umgestaltung in Individualbesteuerung. Kaum zur Sprache kommt, welche Folgen die weitere Steigerung der Erwerbsquote für das Leben jenseits davon hat. Mehr Erwerbsteilnahme bedeutet weniger Zeit für Familie, Angehörige, Freunde, Ehrenamt. Deutlich wird das in diesem Beitrag:
„Wie hat sich diese Reform [des Ehegattensplittings, SL] vor 50 Jahren in Schweden ausgewirkt? Schweden ist mittlerweile eines der Länder mit der höchsten Erwerbsbeteiligung von Frauen: Fast 85 Prozent aller 25- bis 54-jährigen Frauen gehen einer Beschäftigung nach, und es gibt keine großen Unterschiede mehr im Erwerbsverhalten von Männern und Frauen oder von verheirateten und unverheirateten Frauen. Das war nicht immer so. In den 1960er-Jahren, also vor der Reform, lag die Erwerbstätigenquote verheirateter Frauen auch in Schweden nur bei rund 50 Prozent.“(Nicola Fuchs-Schündeln, Michèle Tertilt, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Anfang Juni)
Die Besteuerung wird hier in Zusammenhang mit dem Erwerbsverhalten gebracht, auch wenn die Autorinnen vorsichtig sind, Veränderungen aus der Steuerreform in Schweden direkt abzuleiten. Denn gesamtgesellschaftliche Veränderungen in der Deutung von Geschlechterpositionen, also Veränderungen in normativer Hinsicht, spielen dafür, dass solche Reformen möglich sind, eine nicht unerhebliche Rolle. Ganz frei von der Tendenz, direkte Folgen aus der Steuerreform zu ziehen, sind die Autorinnen dennoch nicht, obwohl ihnen sicher bekannt ist, dass Korrelation nicht dasselbe wie Kausalitäten sind. Gleichwohl ist das Ziel deutlich: es geht um die Erhöhung der Erwerbsquote. Sie erwähnen nur indirekt im weiteren Text, dass es hierzu eines weiteren Ausbaus von Kinderbetreuungseinrichtungen bedarf, was genau aber heißt, weniger gemeinsame Zeit zu haben, weniger Erfahrungen miteinander zu machen. An der Quote der Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen lässt sich diese Entwicklung gut ablesen, ebenso an der Absenkung des Zugangsalters und der Ausdehnung der Betreuungszeiten. Der Ausbau von Ganztagsschulen sowohl im Primar- als auch im Sekundarbereich bezeugt das ebenfalls. Das Ehegattensplitting ist eine Form, in der die Entscheidung, weniger bzw. gar nicht erwerbstätig zu sein steuerlich unterstützt wird, sofern man es sich leisten kann. Für Geringverdiener gilt das z. B. kaum (Wirkungen des Ehegattensplittings auf Geringverdiener hat einst Axel Troost ermittelt). In der Debatte, das ist auffällig, gilt ein Ziel als gesetzt: die Erhöhung der Erwerbsteilnahme. Andere werden kaum diskutiert, z. B. mehr Freiraum für Nicht-Erwerbstätigkeit zu schaffen.
„Drei Viertel der 18- bis 64-Jährigen leben von ihrer eigenen Erwerbstätigkeit“ – ein verbreitetes Missverständnis,…
…als hieße das, sie sorgten selbst für ihr Einkommen. Doch diese Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes entspricht einem verbreiteten Missverständnis, in dem sich eine Überhöhung von Selbständigkeit zeigt. Denn Einkommen ist nur die andere Seite der Inanspruchnahme einer Leistung, Einkommen kann es nur geben, wenn auf der anderen Seite jemand diese Leistung – worin immer sie bestehen mag – in Anspruch nimmt. Diese Vereinseitigung trifft man noch dort an, wo institutionelle Akte etabliert sind, z. B. wenn es um die Verleihung akademischer Grade geht. So kann man immer wieder in Lebensläufen auch von Wissenschaftlern lesen, dass sie sich dort und dort „promoviert haben“. Dann bräuchte es das ganze Verfahren nicht mehr, wenn die Kandidaten sich schon selbst die Grade verleihen könnten.
„Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss den Niedriglohnsumpf austrocknen“…
…fordert der DGB in einer Stellungnahme und weist auf den Zusammenhang von Armut und Lohnniveau hin. Wer wollte dagegen im Allgemeinen etwas sagen, doch – wie nicht anders zu erwarten für eine Gewerkschaft – geht es natürlich immer um Erwerbstätigkeit, auch als Lösung für Armut. Wohin das führt, zeigt die Entwicklung in Kindergärten und Kitas, die stetige Ausweitung der „Betreuungszeiten“ sowie der Absenkung des Betreuungsalters – also: weniger Zeit für Familie (siehe auch zur Situation Alleinerziehender hier).
Sascha Liebermann
„Erwerbstätigkeit für 47% der Bevölkerung Haupteinkommensquelle“…
…oder andersherum 53% haben andere Einkommensquellen, leben also nicht „von der eigenen Hände Arbeit“, wie illusionsgeneigt die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts deutet. Der „eigenen Hände Arbeit“ ist eine beliebte Verklärung der angeblich individuell erbrachten Leistung, um von der umfänglichen Abhängigkeit von Leistungen anderer abzulenken. Alleine am Phänomen der „unbezahlten Arbeit“ wird deutlich, wie sehr das eine ohne das andere gar nicht möglich ist, doch wer will sich das schon anhören, wird damit doch der Vorstellung das Wasser abgegraben, Leistung sei irgendwie eins zu eins zurechenbar – das ist die Illusion des Leistungslohns. Es lebt sich gut mit dem Märchen davon, dass die „einen für die anderen“ bezahlen, die Erwerbstätigen also für die Nicht-Erwerbstätigen, ohne zu erwähnen, was die Nicht-Erwerbstätigen für die Erwerbstätigen leisten.
Sascha Liebermann