Seitdem nun mehrere Parteien sich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) beschäftigen und eigene Vorschläge erarbeitet, gar manche der typischen Gewährungsformeln – „von der Wiege bis zur Bahre“ (auch der hier diskutierte Vorschlag, S. 8) – aufgegriffen haben, ist es umso wichtiger, das Augenmerk aufs Detail zu legen. Dies soll hier bei einem Beitrag geschehen, der anläßlich des Zukunftskongresses von Bündnis 90/ Die Grünen diskutiert worden ist. Es handelt sich um den Entwurf „Grüne Grundsicherung“ von Thomas Poreski und Manuel Emmler.
Wenn Poreski und Emmler von einer Festschreibung des Sockelbetrags auf 500 € für Volljährige und 400 € für Minderjährige (S. 9) (aus Finanzierungserwägungen) sprechen, kann dieser Betrag nur nach heutiger Kaufkraft gemeint sein. Er ist so niedrig, daß auf jeden Fall ein Erwerbseinkommen hinzukommen muß, um ein armutsfestes Einkommen zu beziehen, was die Autoren selbst einräumen (S. 8). Damit aber ist der Ausdruck „bedingungslos“ ad absurdum geführt und seiner Bedeutung beraubt. Denn, wenn die Grundsicherung nicht ausreichend hoch ist, es eines zusätzlichen Einkommens auf jeden Fall bedarf, hat man kaum die Wahl, auf Erwerbsarbeit ganz zu verzichten. Nur wenn das aber ermöglicht wird, ist die Gleichwertigkeit jeglichen Engagements erreicht. Durch die Hintertür bleibt im Papier von Poreski und Emmler das Erwerbsprinzip aufrechterhalten und es wäre nicht dem Einzelnen überlassen, wo er sich engagieren will.
Der Mindestlohn, an dem die Autoren festhalten, wäre bei einem ausreichend hohen BGE überflüssig. Doch dann müßte die Entscheidung für ein wirklich freiheitliches Gemeinwesen getroffen werden, was die Autoren offenbar nicht wollen. Ist aber der Grundsicherungsbetrag zu niedrig, eröffnet dieses Modell gerade nicht diejenigen Freiheitsmöglichkeiten, die mit einem BGE gegeben wären und die aus unserer heutigen Misere erst hinausführten. Eine beim BGE mögliche Delegierung der Verhandlungen über Arbeitsbedingungen an die Mitarbeiter, der Verzicht auf Erwerbsarbeit zu jeder Zeit, ist bei der Grundsicherung nicht möglich. Auch wenn die Autoren hier das Gegenteil behaupten (S. 20) und versichern, daß die Entscheidungsfähigkeit des Einzelnen gestärkt werde, kann dies mit dem festgeschriebenen Betrag, gemessen an seiner heutigen Kaufkraft, nicht geleistet werden. Ein BGE in ausreichender Höhe hingegen würde den Einzelnen erheblich stärken.
Es wird ein Unterschied zwischen Grundeinkommensempfängern gemacht, die gearbeitet haben (sie erhalten bei Arbeitslosigkeit einen Zusatzbetrag) und anderen. Damit ist die Grundeinkommensidee gerade ihrer umwälzenden Kraft beraubt und die bisherigen Verhältnisse werden im großen und ganzen fortgeschrieben. Zwar können auch beim BGE die Mitarbeiter eine Abfindung aushandeln oder in eine Versicherung vorher eingezahlt haben, die im Fall der Arbeitslosigkeit fällig wird, doch wäre das keine staatliche Leistung. Das BGE zielt ja gerade darauf, auf solche Zusatzleistungen nicht angewiesen zu sein.
Emmler/Poreski halten an der Einkommensteuer (S. 8) fest und bleiben damit im Alten stecken. Die von Benediktus Hardorp und Götz Werner dargelegte Analyse der tatsächlichen Wirkung von Steuern macht deutlich, wer heute schon die Steuerlast trägt: der Verbraucher. Eine Unternehmensbesteuerung führt demnach in die Irre. Sie belastet nur den Prozeß der Wertschöpfung, also der Leistungserbringung, behindert damit auch Innovationen statt die Vernutzung von Leistungen zu belasten. Auch hier geht es aber nicht vor allem um eine technische Frage. Mit der Umgestaltung des Steuerwesens von einer Einkommen- zu einer Konsum-(Verbrauch)Steuer verwandelten wir unser Bewertungsgefüge: Heute bewerten wir, über wieviel Einkommen der Einzelne verfügt und schöpfen davon ab; die Konsumsteuer hingegen bewertet, was der Einzelne mit seinem Geld macht. Die Konsumsteuer entlastet Leistungserbringung und belastet Leistungsvernutzung (Konsum).
Man erkennt an dem Entwurf deutlich, wie wichtig die Systematik eines Vorschlages und die Höhe des BGEs darin ist. Aus diesem Grund reden wir stets davon, daß es so hoch als möglich sein soll, um deutlich zu machen: Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen ist auch eine Diskussion darum, wieviel Freiheit wir ermöglichen wollen und wieviel wir bereit sind, dafür umzuverteilen.
Sascha Liebermann