Das ist die übliche Erwerbszentrierung von allem. Der Zwang zur Lohnarbeit wird nicht thematisiert, sondern nur Verbesserungen innerhalb der Lohnarbeit. Dabei ist es gerade dessen Aufhebung, die der Sorge-Arbeit den Freiraum gibt, den sie braucht. Das macht’s #BGE. (MS)
— BGE Eisenach (@bge_esa) May 4, 2022
Kategorie: Vereinbarkeit von Familie und Beruf
„Fehlanreize abbauen, Kinderbetreuung ausbauen und finanzielle Absicherung stärken“…
…so das wirklich überraschende – irgendwie doch ewig gleiche – Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung, mit ungeahnten Schlussfolgerungen. Man lese nur dies und beachte die Wunderwirkung von „Anreize“:
„Insbesondere die Kombination aus Ehegattensplitting, steuer- und abgabenfreien Minijobs und fehlenden Betreuungsmöglichkeiten setzt starke Anreize für eine traditionelle Rollenaufteilung, in der die Frau weniger Erwerbsarbeit und dafür mehr Sorgearbeit übernimmt als der Mann. Dabei sind die Vorteile einer solchen Spezialisierung im Haushalt über das Leben gering, der Preis langfristig aber hoch: ‚Viele Frauen stecken in der Zweitverdienerinnenfalle fest. Dadurch sind es bei Trennungen und im Alter vor allem Frauen, die gravierende finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssen‘, mahnt Barišić. ‚Wohlfahrtstaatliche Leistungen, die einen spezifischen Lebensentwurf fördern, sollten der Vergangenheit angehören, zumal Familie heute deutlich vielfältiger ist als früher.‘
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„Auch Väter müssen lernen zu verzichten“…
… schreibt Philipp Krohn in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Bezahlschranke) und thematisiert diese Frage nicht zum ersten Mal, hier handelt es sich um zwei Buchrezensionen. Die pädagogische Anleihe im Titel wäre allerdings nicht nötig gewesen, um die Relevanz der Frage deutlich zu machen, denn um Lernen geht es nicht. Es geht vielmehr um die Frage, welchen Stellenwert Familie hat angesichts einer stetigen Ausweitung von Betreuungszeiten und der Absenkung des Betreuungsalters seit Einführung des Elterngeldes. Nicht mehr, sondern weniger Zeit für Familie nehmen sich Eltern, und das Elterngeld ist eine Prämie für Erwerbstätige, auch wenn Krohn zurecht kritisiert, dass Besserverdiener davon stärker profitieren.
Die Chimäre von der „Vereinbarkeit“ – dennoch muss sie sein…
…so zumindest liest sich der Beitrag Livia Gersters in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Bezahlschranke) vor dem Hintergrund des Rücktritts der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Anne Spiegel. Die darin zitierten Politikerinnen, die selbst Mütter sind, sehen den Rücktritt und seine Begründung aus verschiedenen Perspektiven. Sie begrüßen, dass sichtbar wird, wir fordernd der „Politikbetrieb“ ist, wie unterschiedlich seine Erwartungen an Väter und Mütter, wie wenig er auf die Herausforderungen von Familien Rücksicht nimmt. Zugleich aber soll es möglich sein, beides zu „vereinbaren“, das Vollzeit-Engagement in der Politik und Familienleben. Dass der Alltag anders aussehen könnte, Abstimmungen zusammengelegt werden könnten usw. wird mit Blick auf das Europäische Parlament aufgezeigt. Die hierfür zitierte Politikerin kommentiert das so:
„Deshalb war es auch selbstverständlich, dass die Abgeordneten abends bei ihren Familien waren“.
Immerhin, doch: vereinbar? Wo ist die Vereinbarkeit, wenn der Alltag mit Vollerwerbstätigkeit beider Eltern gepflastert ist und das Familienleben in die Randzeiten entschwindet? Von einem realistischen Verständnis von Familie ist das weit entfernt, eben doch Un-Vereinbarkeit.
Sascha Liebermann
Eine wichtige Frage, die heute schnell unter dem Vereinbarkeitsgebot verschüttgeht…
Höre ich selten (nie?), dass neben der historischen Bedeutung einer Person auch die Frage beantwortet wird, wie ihre inhaltliche Arbeit mit #Sorgearbeit (un-)vereinbar war. Als Mutter frage ich mich das immer. Bei @Herstory_pod kommt es vor!
— Johanna Wenckebach (@jo_wenckebach) April 22, 2022
…nicht nur für Mütter, für Väter ebenso, wie einst ein Manager es laut eines Beitrags in brandeins ausdrückte:
„Seine Managerkollegen von früher schmunzeln vermutlich schon über die Wortwahl. Alexander May ist ein Beispiel dafür, was in keiner erbaulichen Ministeriumsbroschüre steht, aber jeder schnell merkt, der Kinder bekommt: Familie hat ihren Preis. Karriere auch. Ob die Gleichung aufgeht, muss jeder für sich selbst entscheiden.“
Siehe unseren früheren Beiträge hierzu.
Sascha Liebermann
„Die entrückten Grünen“ – ein durchaus treffender Kommentar, aber ohne Perspektive…
…von Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Außerdem ist die Entrückung keine Besonderheit der Grünen, sie trifft auf alle Parteien zu. Auch wird seit Jahren mit vereinten Kräften der Ausbau der Ganztagsbetreuung vorangetrieben, ohne ernsthaft zu erwägen, was das für das Familienleben bedeutet, wenn dafür nur die Randzeiten des Erwerbslebens übrigbleiben. Von Altenbockum hat recht, wenn er es als Privileg betrachtet, heute mit einem Gehalt auskommen zu können, für die Mehrheit der Familien gilt das nicht, teils, weil sie darauf nicht verzichten können, teils weil sie es nicht wollen. Das nimmt nicht Wunder angesichts der verherrlichenden Feier von Erwerbsteilnahme in den vergangenen vierzig Jahren. Statt das Normalmodell der Vollerwerbstätigkeit in Frage zu stellen ist es zum Modell für alle Erwerbspersonen geworden. Das Familienleben wird in die Kita ausgelagert, was übrigbleibt, als „quality time“ verklärt. Doch dem Beitrag mangelt eine Perspektive. Wenn es denn so ist, dass die herrschende Vorstellung von Erwerbstätigkeit Familien an ihre Grenzen bringt, was dann? Davon ist nichts zu lesen, denn auch in der FAZ wird gemeinhin Erwerbstätigkeit der Vorrang vor allem anderen eingeräumt oder habe ich da etwas übersehen?
Siehe unsere früheren Beiträge zu dieser Diskussion hier.
Sascha Liebermann
Es wäre schon entlastend, würde das offen eingestanden, statt es in wohlklingende Formeln zu verpacken…
Ich finde der Fokus liegt auf dem Thema (Un-) Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Sehr viele Menschen schultern die gesellschaftstragende #Carearbeit in stiller Überforderung.
Bedingungsloses #Grundeinkommen für alle bringt grundsätzliche und notwendige Entspannung. pic.twitter.com/ZyfMBrI8Sr— Susanne Wiest (@susannewiest) April 11, 2022
…die darüber hinwegtäuschen, welch dauerndes Spannungsverhältnis es bedeutet, sich beidem gleichumfänglich widmen zu wollen. Familiale Bedürfnisse lassen sich nicht planen, Erwerbstätigkeit schon. Ersteres erfordert stets die ganze Person der Eltern, letzteres können auch andere tun.
Siehe unsere früheren Beiträge dazu hier.
Sascha Liebermann
„Alltagshelfer“-Vorschlag erinnert an „Elterngeld“ – den Vorteil haben Besserverdiener,…
…nicht aber Haushalte mit niedrigen Einkommen, für die der Eigenanteil von 60% immer noch zu hoch ist. Dienen soll das ganze unter anderem dazu, „Massenarbeitslosigkeit“ vorzubeugen (siehe hier und hier). Abgesehen davon ist der Blick auf Haushalt und Sorge interessant, der sich hiermit auftut, denn Heils Vorschlag führt zu einer Vererwerbstätigung von Sorgetätigkeiten, die zugleich Gemeinschaftserfahrung ermöglichen. Sorgetätigkeiten werden als wegzuorganisierender Aufwand betrachtet, der an andere übertragen werden könne. Keine Beachtung findet – so zumindest in den Äußerungen, die ich auffinden konnte -, dass Sorgetätigkeiten Gemeinschaftserfahrungen sind, Hinwendung zum Anderen als ganzer Person bedeuten, für den man da ist und zu dem man in einer konkreten Beziehung steht, deren Grenze nicht ein Vertragsverhältnis ist. „Alltagshelfer“ verschaffen nicht mehr „Zeitsouveränität“, sie fügen sich nur zugunsten von Erwerbstätigkeit in das Spannungsverhältnis von Familie und Beruf ein, statt es zugunsten von Familie zu verändern.
Siehe zum Elterngeld frühere Beiträge hier, hier und hier, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier, hier und hier.
Sascha Liebermann
Fürsorge gesellschaftlich anerkennen und zugleich auslagern – das vollziehen…
…Sarah Menne und Antje Funcke im Policy Brief der Bertelsmannstiftung (siehe auch hier) über „Aufstocker-Familien in Deutschland: Wenn das Geld trotz Job nicht ausreicht“ und schlagen vor, wie dem begegnet werden könnte. Am Ende des Beitrages werden verschiedene „Reformbausteine“ benannt, dazu gehört u. a. eine Kindergrundsicherung. Die Vorschläge beruhen allergings auf einer offenbar unverrückbaren Prämisse, was in Widersprüche führt: Es heißt z. B.:
„Ohne Care-Arbeit wäre unsere Gesellschaft aber nicht überlebensfähig. Zeit, Zuwendung und Fürsorge sind wichtige Bedarfe im Leben eines Kindes oder einer/ eines Jugendlichen – genauso wie von Erwachsenen. Wir müssen daher über andere Ansätze nachdenken, wie Fürsorge gesellschaftlich anerkannt und die Arbeitswelt so ausgestaltet werden kann, dass Frauen und Männer Care-Arbeit und Erwerbstätigkeit gut miteinander vereinbaren können. Gerade Alleinerziehende brauchen dabei besondere Unterstützung, um einer auskömmlichen Erwerbstätigkeit nachgehen zu können – nicht nur prekären und/oder geringfügigen Jobs – und gleichzeitig ihrer besonderen Fürsorge- verantwortung für die Kinder nachkommen zu können. Und damit sind wir beim nächsten Reformbaustein.“
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Wieder einmal Kritik des Ehegattensplittings, Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und keine Zeit für Familie
Zitat: „Problematisch ist aber nicht nur der Beschäftigungseffekt, sondern auch das [..] Gesellschaftsbild, das die Ehe mit klassischer Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern als dominierende Form des Zusammenlebens sieht.“
Sehr richtig! /end https://t.co/RC0w6K8Ki3— Achim Truger (@AchimTruger) September 16, 2021
In diesem Tweet wird auf eine Zusammenfassung des ifo-Standpunktes in der Süddeutschen Zeitung verwiesen. Als erstes, das wird in der SZ zitiert, fällt auf, wie deutlich Haushaltstätigkeit und Erwerbstätigkeit einander entgegengesetzt werden und erstere letzterer nachgeordnet wird. Wünschenswert sei die Zunahme an Erwerbstätigkeit, was praktisch aber bedeutet, weniger Zeit für Haushaltstätigkeiten zu haben. Das ist heute schon eine bedenkliche Entwicklung, wie einförmig in dieses Horn geblasen wird, ohne die Folgen zu bedenken. Der Ausbau von Ganztagsbetreuung in Kita und Schule schreitet voran, d. h. bis zu 45 Stunden pro Woche in einer Einrichtung, das ist mehr Zeit in der Kita als am Arbeitsplatz. Das Alter, in dem Kinder in die Kita gehen sollen, wurde abgesenkt (U3) in den letzten Jahren. Die Betreuungsquoten für Ein- und Zweijährige haben stark zugenommen. All das dient primär der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung. Was das ifo-Institut – wie viele Befürworter eines Abschieds vom Ehegattensplitting – anstrebt, ist eben eine noch stärkere Integration in Erwerbstätigkeit, was praktisch eine weitere Beschränkung von Familienzeit bzw. Zeit außerhalb von Erwerbstätigkeit im Allgemeinen bedeutet (siehe auch hier). Selbst die Familienberichte der Bundesregierung, trotz teils anders lautender Überschriften, befürworten dies. Dabei wäre die Frage zu stellen, ob nicht vielmehr die Möglichkeiten für Eltern, sich der Familie oder anderen Aufgaben außerhalb von Erwerbstätigkeit zu widmen, verbessert werden sollten, wenn es ernst werden soll mit „Zeit für Familie“. Solange Kinder den Schonraum Familie für ihre Entwicklung benötigen, wäre es geradezu wünschenswert, das dieser auch mit Leben gefüllt ist und nicht mit Abwesenheit.