„Irrweg Grundeinkomen“ – ein angekündigtes Buch hat Autoren und Titel geändert

Im Frühjahr wiesen wir auf eine Buchankündigung hin, deren Veröffentlichung sich offenbar verzögert hat. Nun soll das Buch im November erscheinen, allerdings mit teils anderen Autoren und unter einem veränderten Titel. Am Ankündigungstext hat sich nichts geändert. Liest man ihn als Ausblick auf das Buch, dann scheinen sich die Autoren nicht allzu differenziert mit dem Grundeinkommen auseinanderzusetzen. Alleine schon die Gegenüberstellung eines sorgenlosen Lebens mit Grundeinkommen und eines mühseligen mit Leistung und Arbeit verbundenen, ist einfältig. Angesichts einer großen Anzahl sachlich klarer Veröffentlichungen zum Grundeinkommen – auch internationaler – kann man sich nur wundern. Oder legt der Ankündigungstext vielleicht eine falsche Fährte und das Buch wartet etwa mit starken Argumenten gegen das Grundeinkommen auf? Zumindest würde das die Diskussion bereichern.

Aus der Ankündigung:

Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen?

Ist das bedingungslose Grundeinkommen das Tor zur „schönen neuen Welt“, in der alle nach ihren Bedürfnissen, Vorstellungen und Fähigkeiten sorgenlos leben können? Oder ist es nicht vielmehr eine gigantische potemkinsche Fassade, die die bittere Realität verführerisch verdeckt? Reiche werden immer reicher, Arme immer ärmer, und eine Clique feudaler Finanzmogule teilt die Welt unter sich auf – diese Zustände kann das Grundeinkommen jedenfalls nicht beseitigen.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Irrweg. Befürworter sehen es als bequemen und rettenden Ausweg, um – gestützt auf permanenten Konsum und exorbitante Besteuerung vor allem der Arbeitnehmer – die Menschenwürde des Einzelnen und die Grundlagen der Gesellschaft zu bewahren. Zweifellos gut gemeint, doch so würden nach Auffassung der Autoren die fundamentalen finanziellen, sozialen und gesellschaftlichen Ungleichheiten weiter verschärft. Um die Probleme zu lösen, bleibt nur diese Konsequenz: den eher mühseligen Weg gehen und durch Leistung, Arbeit, gerechte Entlohnung, ein strikt nach Leistungsfähigkeit bemessenes Steuer- und Sozialsystem, Umverteilung von Einkommen und Vermögen von oben nach unten sowie eine zukunftsorientierte Ausgabenpolitik unsere Existenz und die unserer Kinder sichern.

Über die Autoren 

Heiner Flassbeck arbeitet seit 2000 bei der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) in Genf, seit August 2003 ist er dort Direktor der „Division on Globalization and Development Strategies“. 1980-1986 Arbeit im Bundesministerium für Wirtschaft in Bonn. 1986-1998 Abteilungsleiter Konjunktur im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. 1998-1999 Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen unter Oskar Lafontaine. Im März 2005 wurde er zum Honorarprofessor an der Universität Hamburg ernannt.
Friederike Spiecker hat nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Uni Konstanz (1986-1991) in der Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin gearbeitet. Seit 1998 verbindet sie die Erziehung von drei Kindern mit publizistischer Tätigkeit zu den Bereichen Konjunkturpolitik, Makroökonomie und Arbeitsmarkt.
Volker Meinhardt ist Dr. Wirtschaftswissenschaftler (Dipl. Vw, Dipl. Kfm). , wissenschaftlicher Mitarbeiter am DIW bis 2005, Lehrtätigkeit Evangelische Hochschule Berlin ( 1989 bis 2011), Clark University, Worchester,(Mass, USA) 2001/2002. Arbeitsschwerpunkte: Finanzierung der Sozialpolitik, Alterssicherung, Grundsicherung.
Dr. Dieter Vesper war bis 2007 im DIW verantwortlich für Grundsatzfragen der Finanzpolitik. In den letzten Jahren arbeitete er freiberuflich, Arbeitsschwerpunkte waren Fragen der Staatsverschuldung und Stabilisierungspolitik, die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern undGemeinden, der Finanzausgleich sowie der Öffentliche Dienst.“

„Die Legende vom heiß begehrten Ingenieur“ – Reportage und Diskussion bei „report München“

Über Fachkräftemangel wird schon länger debattiert, gibt es ihn oder gibt es ihn nicht. report München berichtete im vergangenen Juli darüber, im blog der Sendung entspann sich eine Diskussion um die Frage, was dran ist am Fachkräftemangel. Hier ein Beitrag zur Sache auf den Nachdenkseiten, die immer wieder über die zweifelhafte Datengrundlage der Diskussion berichtet haben.

„Jeder Anreiz fällt weg“

Grundeinkommen.ch meldet: „Ein Streitgespräch in der Aargauerzeitung von Daniela Schwegler. Im Zentrum der Debatte steht der Begriff der Eigenverantwortung. Ist es eigenverantwortlich für sich selber zu sorgen? Oder ist es eigenverantwortlich nur Dinge zu tun, die man aus freiem Willen tut?
Epochale Entscheidung – Jeder Anreiz fällt weg“

„Streit um eine Utopie“ – Schweizer Wochenzeitung zum Grundeinkommen

Die Tageswoche, eine Schweizer Wochenzeitung, widmet ihre aktuelle Ausgabe dem Bedingungslosen Grundeinkommen unter anderem durch ein Streitgespräch zwischen Oswald Sigg, einer der Initianten der Volksinitiative und Mitglied der SP, und Corrado Pardini, Gewerkschafte der Unia und ebenfalls Mitglied der SP. Hier geht es zum Interview.

Wie zum Bedingungslosen Grundeinkommen? Was sind Zwischenschritte und was sind Sackgassen?

Diese Frage ist nicht erst seit dem letzten Kongress des Basic Income Earth Network eine der gewichtigen in der Grundeinkommensdiskussion. Sie stellte sich schon vor vielen Jahren (siehe z.B. die „Zwischenbilanz“ von Götz Werner aus dem Jahr 2008), auch die Diskussion um das Solidarische Bürgergeld von Dieter Althaus machte sich unter anderem daran fest. Kaufkraft und Ausgestaltung eines BGE sind wichtig dafür, ob auch die Effekte eintreten können, die Grundeinkommensbefürworter damit verbinden. Letztlich entscheidet sich jedoch alles daran, was die Menschen aus den Freiräumen, die ein BGE schafft, machen. Diese Offenheit ist nicht zu tilgen, sie bleibt bestehen.

Erhoffbar ist vieles, doch definitiv beantworten lässt sich erst, was geschieht, wenn das BGE einmal eingeführt worden ist. Diese Offenheit bereitet offenbar Unbehagen, nur ungern will man sich ihr überlassen. Aus diesem Grund wird nach Sicherheiten gesucht, Mikrosimulationen sollen sie verschaffen – ein durchaus verständlicher Wunsch, denn wer will sich schon unbedacht ins Ungewisse stürzen. Doch der Schein an Sicherheit, den solche Simulationen versprechen, trügt. Die Offenheit bleibt bestehen, sie lässt sich nicht aufheben. Daraus folgern manche, es sei unverantwortlich, einen Schritt zu wagen, dessen Folgen nicht bekannt sind. Ganz so ist es aber nicht, die Folgen sind ja bekannt: Anerkennung der Bürger um ihrer selbst und des Gemeinwesens willen; Schaffung von Freiräumen und damit mehr Möglichkeiten, das Leben nach eigenem Dafürhalten zu gestalten; Gleichstellung der bislang durch den Vorrang von Erwerbstätigkeit degradierten Tätigkeitsfelder (Familie, bürgeschaftliches Engagement) u.a. Das sind zwar nicht die Folgen, die mit Berechnungsmodellen zu bestimmen versucht werden, es sind aber die Folgen, die ein BGE herbeiführt und auf die es ankommt. Denn alles hängt davon ab, dass die Bürger sich auch zukünftig einbringen – aber das ist banal, galt in der Vergangenheit, in der Gegenwart und wird auch in Zukunft gelten.

Ist diese Offenheit nicht doch eine Überforderung? Wie, wenn es also doch um ein Wagnis geht, ist es möglich, zum BGE zu gelangen angesichts der doch immer noch erheblichen Vorbehalte? Wie können sie überwunden werden, wenn überhaupt? Welche Schritte, auch Zwischenschritte, könnten weiterführend sein, welche nicht? Ingmar Kumpmann hat in seinem Beitrag „Zwischenschritte zum Grundeinkommen…“ schon vor beinahe einem Jahr treffend dargelegt, dass überall dort, wo sich Ansatzpunkte zu bieten scheinen, zu allererst die Frage beantwortet werden muss, ob diese Ansatzpunkte die Erwerbszentrierung aufheben oder nicht. Er nennt einige Beispiele, die genau diesen Schritt nicht erlauben. Ich habe ebenfalls Beispiele dafür genannt, wie vermeintliche Anknüpfungspunkte in eine Sackgasse führen können (siehe meine Kommentare zum Kindergrundeinkommen und zum Mindestlohn). An ihnen anzusetzen, würde also nicht einen Zwischenschritt zum Grundeinkommen, sondern einen in eine Sackgasse bedeuten.

Weil die größte Barriere für die Einführung des BGE die heutige Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit vor allem anderen ist, dann ist nur von solchen Zwischenschritten etwas zu erwarten, die diese Vorrangstellung aufheben oder ihrer Aufhebung zuarbeiten. In der Diskussion um das Solidarische Bürgergeld, das nicht selten als Mogelpackung gescholten wurde (z.B. hier), war ein solcher Ansatz enthalten, wenn auch die Höhe des zu erreichenden Betrags (nach heutiger Kaufkraft) zu niedrig angesetzt war (siehe einen meiner Kommentare hier). Aber eines wäre in der damaligen Form denkbar gewesen. Selbst ein niedriges Grundeinkommen in der Höhe von 600 Euro hätte den Bruch mit der Überbewertung von Erwerbstätigkeit ebnen können – zu einer solchen Einschätzung ist auch Philippe van Parijs anlässlich des BIEN-Kongresses gelangt. Für eine alleinstehende Person hätte es, obwohl niedriger als verfügbare ALG II-Leistungen, eine bestimmte Absicherung nach unten bedeutet, ohne die ALG II-Bedingungen mitzuschleppen. Ein Haushalt, bei entsprechender Ausgestaltung, hätte Einkommen kumulieren können. Der damalige Vorschlag hatte also das Zeug, eine Tür aufzustoßen.

Gilt das auch für den Vorschlag eines Sockeleinkommens, wie ihn die Sozialpiraten vorgestellt haben? Der Gedanke ist nachvollziehbar. Durch die universelle Ausschüttung einer Steuerrückvergütung pro Person von 50 Euro wäre ein Grundeinkommen im allgemeinen Sinn des Wortes geschaffen – das unterscheidet diese Steuerrückvergütung von allen Leistungen, die wir geute haben. Es wäre an keine Leistungsbedingung mehr geknüpft, alle bezugsberechtigten Personen würden es erhalten. Statt einer „ex post“-Ausschüttung, wie sie für die Negative Einkommensteuer kennzeichnend ist, wäre es eine „ex ante“-Ausschüttung. Hätte sie das Zeug, den Weg zum BGE zu ebnen? Im Unterschied zum damaligen Vorschlag von Dieter Althaus ist der Betrag so niedrig, dass er nicht einmal kumulativ – für eine Familie – von Bedeutung wäre. Zwar würde die Kaufkraft erhöht (sofern die gesamte Ausgestaltung entsprechend wäre), doch die niedrigen Beträge schüfen keine Freiräume von Gewicht, hätten eher symbolischen Charakter. Ist es dennoch denkbar, dass ein Sockeleinkommen langsam zur Erosion der Erwerbszentrierung beitrüge? Ich halte es aufgrund der niedrigen Höhe für fragwürdig. Stärker gewichten würde ich noch einen anderen Aspekt. Weshalb nicht die öffentliche Debatte und Verbreitung der Idee fördern, um damit einer größeren Akzeptanz eines ausreichend hohen BGE zuzuarbeiten statt mit einem solchen Konzept anzusetzen? Beides zugleich kann man nicht glaubwürdig tun, weil das eine dem anderen entgegenläuft. Angesichts dessen, dass auch für diesen Vorschlag ein Umstellung samt Gesetzesänderungen notwendig ist, weshalb dann so zögerlich vorgehen, statt gleich anders anfangen, z.B. mit der Neufassung des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer hin zu einer Ausschüttung an alle?

Eine weitere Frage ergibt sich daraus, wie schnell ein BGE denn eingeführt werden solle, von heute auf morgen könne es ja nicht geschehen, sagen wohlwollende, indes ein wenig skeptische Befürworter. Das ist wohl wahr, aber auch trivial und angesichts der laufenden Debatte seit gut acht Jahren, die noch weiter sich ausbreiten muss, damit es zu einer Einführung kommen kann, ohnehin keine Option. Alleine die Diskussion hat schon manches in Bewegung gesetzt und wird es auch weiterhin tun. Bis der Tag gekommen sein wird, da das BGE eingeführt werden soll, haben sich die Bürger, deren Mehrheit notwendig ist, schon darauf eingestimmt, sonst würde es zur Mehrheit gar nicht kommen. Damit wäre dann ohnehin der Weg beschritten, der in einer Demokratie beschritten werden sollte: Willensbildung durch Debatte. Stimmen, die einer langsamen Einführung das Wort reden, da die Menschen auf diese Weise ebenso langsam an die neue Situation sich gewöhnen könnten, laufen den Grundfesten der Demokratie entgegen – sie fördern eine Pädagogisierung der Bürger. Was der Souverän will, wozu er sich bereiterklärt, das kann und muss er in aller Konsequenz selbst artikulieren und auch aushalten. Durch nichts anderes zeichnet sich die Mündigkeit aus, auf die wir schon heute setzen und die zukünftig ebenso unerlässlich sein wird (siehe dazu meinen Beitrag in diesem Band).

Sascha Liebermann