Deutschland, eine Arbeitsgesellschaft oder eine Bürgergemeinschaft?

„Der Arbeit ihren Wert geben“ (Quellen: SPD, FAZ), unter diesem Titel veröffentlichten der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer ihren Beitrag zum Tag der Arbeit am 1. Mai.

Nun, was gibt es zu berichten? Nichts Überraschendes, werden in dem Beitrag die geläufigen Loblieder gesungen und der Wert der Arbeit beschworen. Aber welcher? Auf die Antwort muss der Leser nicht lange warten, selbstverständlich dreht sich alles um Erwerbsarbeit. Ebenso wenig überraschend ist die Behauptung, das Gemeinwesen als Gemeinwesen bilde sich an und durch Erwerbsarbeit:

„Uns droht das Bewusstsein verloren zu gehen, dass es der Wert der Erwerbsarbeit ist, der Zusammenhalt und Wohlstand begründet. Der Tag der Arbeit Anlass genug, diesen Aspekt verstärkt in den Mittelpunkt der notwendigen Debatte über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft zu rücken.“

Mit der Zuspitzung darauf, das in Rede stehende Gemeinwesen als „Arbeitsgesellschaft“ zu bezeichnen, ist an dem Beitrag nichts mehr zu retten. Keine Rede von der bedingungslosen Verleihung der Bürgerrechte, der Volkssouveränität und all dem Engagement, das ohne Orientierung an Einkommenserzielung erfolgt. Keine Rede davon, dass es gerade nicht die Erwerbsarbeit ist, also die Leistung für Gegenleistung, die ein Gemeinwesen zusammenhält, sondern die bedingungslose Bereitschaft sich zum Wohle des Ganzen einzubringen, damit es sich erhalten kann, weil es einen eigenen Wert hat. Bürgerrechte sind eben keine Erwerbstätigenrechte – doch ein solcher Gedanke scheint den Verfassern des Beitrags noch nie durch den Kopf gegangen zu sein.

Man mag hier einwenden, am Tag der Arbeit sei gerade die Feier der Erwerbsarbeit geboten. Genauso gut hätte man aber auch am Tag der Arbeit daran erinnern können, dass ein Gemeinwesen von bürgerschaftlicher Loyalität und Solidarität lebt, sie unerlässlich sind, während Erwerbsarbeit geben gar keine bürgerschaftlichen Verpflichtungen noch Rechte begründet.

Wer sich noch fragen sollte, weshalb wir uns in der politischen und öffentlichen Diskussion mit dem Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens so schwer tun, obgleich wir viele Elemente davon schon haben, sie nur auf eine andere Grundlage stellen müssten, der lese den Schlusssatz:

„Wer eine fortschrittliche Gesellschaft will, der muss den Wert des Menschen und den Wert seiner Arbeit wieder schätzen lernen. Denn Deutschland bleibt nur als Arbeitsgesellschaft zukunftsfähig.“

Der Wert des Menschen und der Wert der Arbeit sind zwei vollkommen verschiedene Dinge, denn der Wert des Menschen ist ein Selbstzweck, er bemisst sich am Menschen selbst, der Wert der Arbeit hingegen liegt in ihrem Resultat, darin, wozu sie dienen soll. Wer das nicht unterscheiden kann – und das ist allzu verbreitet (siehe z.B. hier und hier) – versteht auch nicht, worum es beim bedingungslosen Grundeinkommen geht: um den Wert des Gemeinwesens und seiner Bürger als eigenständigem Bezugspunkt, einem Wert um seiner selbst willen.

Sascha Liebermann

Fachinformation Grundeinkommen – Literatursammlung zur Grundeinkommensdiskussion

„Die vorliegende Recherche Spezial beleuchtet die Diskussion zum Grundeinkommen, wie sie seit ca. einem Jahrzehnt in Deutschland, Österreich und der Schweiz geführt wird. Die Basis der Widerspieglung dieser Diskussion bilden die in den GESIS-Datenbanken SOFIS (Sozialwissenschaftliches Forschungsinformationssystem) und SOLIS (Sozialwissenschaftliches Literaturinformationssystem) dokumentierten sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekte und Publikationen aus dem deutschsprachigen Raum zu diesem Thema.

Hier geht es zur PDF-Datei: Fachinformation Grundeinkommen

Die Sammlung ist instruktiv dafür, sich einen Eindruck über die Breite und Intensität der Debatte zu verschaffen, auch wenn sie sich auf eher sozialwissenschaftliche Beiträge beschränkt und andere aus der öffentlichen Diskussion, die als Stellungnahmen von Bürgern betrachtet werden können, gar nicht aufführt.

„Fern und dennoch nah“ – Mitschnitt eines Vortrags von Sascha Liebermann

Mitschnitt eines Vortrags von Sascha Liebermann „Fern und dennoch nah: Weshalb ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Konsequenz aus der Gegenwart ist“ (siehe auch die Beiträge von Rainer Funk und Franz Segbers) anlässlich der Tagung Das bedingungslose Grundeinkommen – mehr als eine sozialromantisch-utopische Alternative zu HARTZ IV?! der Internationalen Erich Fromm Gesellschaft in Löwenstein im September 2010. Eine Druckfassung der Beiträge von Segbers und Funk (als PDF verfügbar) finden sich im Fromm Forum.

Einen Kommentar von Sascha Liebermann zu Franz Segbers Ausführungen anlässlich seines Vortrags in Bremen über bedingunsloses Grundeinkommen finden Sie hier.

Verdi-Broschüre zum Grundeinkommen

Die November-Ausgabe 2010 von „verdikt. Mitteilungen der Fachgruppen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di“ hat sich mit dem Grundeinkommen befasst. Darin ist ein Beitrag von Wolfgang Spellbrink, Richter am Bundessozialgericht enthalten, an dem sich ablesen lässt, wie die Auseinandersetzung über das Grundeinkommen dort geführt wird. Vergleichbar argumentiert auch Christoph Butterwegge, von dem ebenfalls in dieser Ausgabe von „verdikt“ ein Beitrag abgedruckt ist. Wer weiteren Einblick in die Debatte mit den Gewerkschaften sucht, findet ihn im Buch „Arbeit und Freiheit im Widerspruch? Bedingungsloses Grundeinkommen – ein Modell im Meinungsstreit“.