Arbeitsangebot, Teilzeitarbeit, Ehegattensplitting und Familie…

…hier wieder einmal ein Vorschlag, wie das Arbeitsangebot von Frauen erhöht werden könnte, die Ersetzung des Ehegattensplittings reiche dazu nicht aus.

Würde man – das ist hier allerdings nicht die Frage des Autors – sich überlegen, was denn hilfreich wäre, damit Familien mehr Zeit füreinander haben können, dann ist die Erhöhung des Arbeitsangebots das Gegenteil dessen, was nötig wäre. Nicht nur Kleinkinder benötigen viel Zeit mit ihren Eltern, auch Jugendliche suchen Gespräche, aber nicht nach Termin und dann, wenn es den Eltern gerade passt. Gelegenheiten dazu entstehen am einfachsten, wenn man Zeit miteinander verbringt – das gilt auch noch für Jugendliche -, dazu muss man nicht aufeinandersitzen. Andersherum – für die Eltern – gilt das ebenso, sofern man nicht nur Lebensabschnittsbegleiter sein will, denn miteinander vertraut zu werden und zu bleiben, erfordert ebenfalls Zeit miteinander, überhaupt braucht es sie, um die Elternposition zu füllen.

Sascha Liebermann

„Die Neue Grundsicherung“…

…der CDU liegt als Kurzbroschüre vor (siehe hier). Ich kommentiere manche Passage aus dem Beschluss vom 18. März. Dass es sich nicht um den großen Aufbruch handelt, der verkündet wurde, haben wir schon kommentiert (siehe hier). Was gäbe es sonst noch dazu zu sagen?

„Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch etwas kann. Wir sind der festen Überzeugung, dass Arbeit sinnstiftend ist und Teilhabe sowie Eigenständigkeit ermöglicht. Dafür braucht es einen starken aktivierenden Sozialstaat, der den Prinzipien von Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung folgt.“ (S. 1)

Der erste Teil ist eine Selbstverständlichkeit, sonst könnte die Demokratie gleich einpacken und die Unternehmen ebenso, es gäbe sie gar nicht. Der zweite Teil hingegen betont, was ohnehin schon der Fall ist und von den etablierten Parteien vertreten wird – der Vorrang von Erwerbstätigkeit ist hier schon erkennbar. Eigenständigkeit und Erwerbstätigkeit sind jedoch nicht dasselbe, es sei denn, man behauptete, Eigenständigkeit hinge von erzieltem Einkommen ab. Eigenständigkeit im Sinne der Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit ist jedoch eine davon unabhängige Dimension. Sie kann lediglich durch Einkommensmangel in ihrer Entfaltung eingeschränkt sein. Wenn Arbeit „sinnstiftend“ ist, sie ihre Bedeutung aus sich heraus gewinnt, dann bedarf es keiner sanktionsbewährten Grundsicherung. Dafür braucht es eben keinen „starken Sozialstaat“, sondern einen, der die Eigenständigkeit stärkt, aber nicht verengt auf Erwerbsteilnahme. Solidarität im Sinne dessen, dass die Eigenständigkeitszumutung der Demokratie von jedem zuerst einmal alleine zu tragen ist und der Sozialstaat ihn darin unterstützen muss, erfordert gerade keine Verengung auf Erwerbstätigkeit. Subsidiarität in diesem Sinne ist nicht zu verwechseln mit Einkommenserzielung durch Erwerbsteilnahme.

Dass die Bezeichnung „Bürgergeld“ verwirrend ist, weil sie nahelegt, es stehe jedem Bürger ohne Wenn und Aber zu, ist durchaus zutreffend und wurde entsprechend schon früh gerade von BGE-Befürwortern kritisiert. Die CDU entdeckt hiermit Altbekanntes, trifft allerdings auch einen Punkt, obwohl sie an der Einführung ja selbst mitgewirkt hat.

„Schlecht gemachte Sozialpolitik bewirkt genau das Gegenteil. Sie alimentiert und lähmt damit Menschen. Sie frustriert die Fleißigen und schwächt damit die Bereitschaft zur Solidarität.“ (ebd.)

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„Es geht nicht um anstrengungslosen Wohlstand“…

…ein denkbarer Kontrast zur Warnung vor den „Arbeitsverweigerern“ in der Diskussion um das Bürgergeld sind Ausführungen Götz Werners in einem Gespräch mit Planet Interview aus dem Jahr 2010. Man kann dies – wie immer wieder geschehen – als naiv abtun, die Überlegungen haben allerdings einiges für sich, wenn man sich die Zusammenhänge klar macht.

„Der Mensch in seiner Grundveranlagung versucht, Arbeit einzusparen und nicht Arbeit zu schaffen oder zu sichern. Er bemüht sich um einen sparsamen Umgang mit Ressourcen wie Zeit und menschliche Arbeit. Er will in der gleichen Zeit mehr schaffen, das führt zur Streichung von Arbeitsplätzen. Dass wir darin ein Problem sehen, liegt nur daran, dass wir Arbeit und Einkommen miteinander verkoppeln.“

Von einer „Grundveranlagung“ zu sprechen ist verkürzt, die Richtung hingegen nicht, wenn die Sache selbst betrachtet wird: Handlungsprobleme müssen gelöst, Arbeitsgänge also erledigt, bestenfalls reduziert statt vermehrt werden. Kaum jemand wird ernsthaft dafür plädieren, auf Automatisierungsmöglichkeiten zu verzichten, wo sie sinnvoll sind, Menschen zu entlasten und Lebenszeit frei werden lassen. Möglich ist das aber nur mit einer entsprechenden Haltung gegenüber Handlungsproblemen, die sich nicht erzwingen lässt, sie muss sich herausbilden (Sozialisation). Wer meint, mit Sanktionen, gar schärferen, wäre das zu erreichen, geht an der Sache vorbei. Entsprechend heißt es an einer anderen Stelle:

„Je besser sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit verbinden können, desto kreativer, initiativer und desto leidenschaftlicher machen sie ihre Arbeit und das ist die Grundlage für den Erfolg.“

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„…das komplette System vom Kopf auf die Füße stellen“…

…darüber spricht Carsten Linnemann in diesem Kurzinterview und sieht im Vorschlag der CDU, eine neue Grundsicherung einzuführen, offenbar den großen Wurf. Man fragt sich allerdings, ob das denn der Fall wäre. Vom Kopf auf die Füße wird den Ausführungen im Gespräch zufolge nichts gestellt, es sind doch eher Anpassungen innerhalb des bestehenden Gefüges, teils wäre es die Rückkehr zu Altbekanntem im Arbeitslosengeld II. Zu behaupten, es gebe keine verbindliche Kooperation mehr zwischen „Staat“ und „Bürgergeldempfänger“ muss man wohl als Wahlkampfgetöse verstehen. Linnemann sagt selbst, dass die Mehrheit der Bezieher gar nicht im Fokus der Neuen Grundsicherung stehe – „wir reden über den ganz harten Kern“. Das ganze Getöse dient also der Aufmischung weniger Bezieher, als handele es sich dabei um gewiefte, hartgesottene, sich durch nichts beirren lassende Bürgergeldbezieher, die wirklich mit allen Wassern gewaschen sind. Man könnte meinen, es gebe heute keine Sanktionsmöglichkeiten im Bürgergeldbezug. Linnemann begründet das Getöse damit, es den „Menschen schuldig“ zu sein, „die jeden Tag arbeiten gehen“. Hat er die denn gefragt und haben sie dem zugestimmt? Oder handelt es sich nicht eher um unverhältnismäßige Mittel, die wenig Erfolg – gemessen an dem vorausgesetzten Ziel – versprechen? Wenn man den Worten der Leiterin eines Jobcenters (Interview im NDR) folgt, gelangt man zu einer ganz anderen Einschätzung (siehe auch hierhier und hier). Beratungsprozesse benötigen Zeit, gerade wenn es um den Personenkreis geht, der hier im Fokus steht, der in der Regel vielfältige Beschwernisse hat. Kurzfristige Erfolge seien unrealistisch. Sind das ganz neue Einsichten? Nein, sie sind altbekannt (siehe die Verlinkungen oben). Zuguterletzt meint Linnemann noch, wir brauchten „dringend in Deutschland einen Mentalitätswandel“ – starker Tobak, würde ich denken. Sicher, wir stehen vor Herausforderungen; sicher ist auch, dass Altbewährtes sich nicht mehr eignen mag, dazu gehört aber gerade auch die Haudrauf-Sozialpolitik, die kein Problem löst.

Sascha Liebermann

„Auch das bedingungslose Grundeinkommen kommt wieder auf die Agenda“…

…ein Kommentar – oder besser gesagt ein ironisierendes Untergangsszenario – von Beat Balzli in der Neuen Zürcher Zeitung. Er beschließt seinen Beitrag folgendermaßen:

„Hinter jeder Disruption herrscht Dunkelheit. Maschinen machen Genies leistungsfähiger und dem Mittelmass den Garaus. Der Abgang der Boomer hinterlässt Lücken, dämpft den Absturz nur. Der empathiebefreite Volkswirt nennt es Sockelarbeitslosigkeit. Die KI besorgt künftig nicht demselben Menschen einen Job, dem sie ihn zuvor genommen hat. Die Mittelschicht findet sich im Abklingbecken der Transformation wieder: Mittelmanager, Marketingplaner . . . oder wie die Dinosaurier einer bald untergegangenen Arbeitswelt alle heissen.“

Ein Szenario, das in der BGE-Diskussion immer wieder beschworen wurde, wenn auch unter wechselnden Schlagworten: Ende der Arbeit, Digitalisierung und jetzt Künstliche Intelligenz. Ob es nun eintreffen wird, wird sich zeigen. Auch früher schon war es verkürzt, ein BGE vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktentwicklung für notwendig zu erachten, damit geriet aus dem Blick, worum es im Zentrum gehen müsste: die Selbstbestimmungmöglichkeiten in einem Gemeinwesen, die Eröffnung von Gestaltungsfreiräumen – letztlich die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen in der politischen Ordnung.

„Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens beobachten die Entwicklung genau. Trotz Niederlagen an der Urne kommt das Konzept irgendwann zurück. Verlockender und unbezahlbarer denn je, trifft es dann auf eine gewandelte Schweiz, in der die Eigenverantwortung erodiert. Die Politik tut gut daran, sich bereits heute darauf vorzubereiten – mit einer intelligenten Antwort. Ahornsirup für alle ist keine Lösung.“

Man könnte auch sagen, der Autor hat genau diese Dimension eines BGE, in der es um Demokratie und Bürger geht, nicht im Auge.

Sascha Liebermann

„Der Sozialstaat ist ein Argument für Deutschland“…

…Interview mit Johannes Geyer auf Spiegel Online. Gegen Ende entgegnet er auf einen nicht treffenden Vergleich:

„Diese Analogie zur Klimawissenschaft, in der ein System in einen Zustand wechselt, aus dem es kein Zurück gibt, ist Unsinn. Wegen der Abgaben verlassen wohl nur sehr wenige Hochqualifizierte, die überall arbeiten können, das Land. Ein Treiber großer Migrationsbewegungen sind sie nicht, zumal auch andere Industriestaaten überaltern. Nicht zuletzt ist der Sozialstaat selbst ein Argument für Deutschland. Er kostet nicht nur, sondern leistet auch – und er stützt eine friedliche und sichere Gesellschaft.“

Freude bei den Empfängern des sogenannen Bürgergeldes…

…dürfte bald aufkommen angesichts der Einigung der Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten darüber, dass „Produkte vom Markt verbannt und an den Grenzen beschlagnahmt werden sollen, wenn festgestellt wurde, dass Zwangsarbeit eingesetzt wurde.“ (dpa – zit. n. Hellweger Anzeiger vom 6. März 2024, S. 6) Warum? Laut dem Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit der International Labour Organization von 1930, Art. 2, Abs. 1, das am 1. Mai 1932 in Kraft trat, gilt als „‚Zwangs- oder Pflichtarbeit‘ im Sinne dieses Übereinkommens […] jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.“ (Deutschland hat dies ratifizierts. auch hier) – Also müssen Produkte, die aus Arbeit hervorgehen, die Empfänger von Sozialleistungen unfreiwillig ausüben und nur, um Sanktionen zu entgehen, „vom Markt verbannt werden“. – Welcher Unternehmer will das Risiko schon eingehen?

Thomas Loer