Voller Illusionen, was das nun wird bewirken können – das ganze hieß „früher“ Hartz IV. Vorurteile sind beharrlich, Studienergebnissen gegenüber resistent.
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) November 13, 2025
„Ein integriertes Steuer- und Sozialtransfersystem zur Absicherung des Existenzminimums“…
…ein Vorschlag von Stefan Bach, Michael Opielka und Wolfgang Strengmann-Kuhn, zur PDF-Datei geht es hier.
Isö-Podcast Folge 2: Existenzminimum
Eine Podcastfolge zur sozialen Sicherung in Deutschland in all seinen Kompliziertheiten und seiner Unübersichtlichkeit – sehr informativ: https://t.co/8etGLPhGyA
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) November 10, 2025
„Wir wir fleißig wurden“ – doch wie gelangt der Autor zu seiner Deutung und was übersieht er?
Werner Plumpe, Prof. em., Historiker, hat in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Beitrag mit dem Titel „Wie wir fleißig wurden“ veröffentlicht, der sich mit dem Wandel der „Einstellung zur Arbeit“ befasst und in einem historischen Überblick von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis in die Gegenwart verfolgt. Darin geht es um das Verständnis von Leistung, das vorherrschte und noch die Nachkriegszeit prägte, welche Bedeutung die Erfahrung von Knappheit und Mangel für den materiellen Wohlstandszuwachs hatte. Am Ende geht es darum, ob der Sozialstaat der Gegenwart diesbezüglich wohlstandsförderlich sei oder nicht. Im ersten Teil des Beitrags schreibt Plumpe:
„So uneinheitlich das Bild im Einzelnen ist, der Stellenwert von Arbeit scheint dennoch zurückgegangen zu sein. Um zu begreifen, welcher Wandel sich gegenwärtig vollzieht, welche Bedeutung Meinungsumfragen haben, nach denen die Bevölkerung in der Pflichterfüllung nicht mehr ihre eigentliche Herausforderung sieht, hilft es, nach den historischen Wurzeln des lange Zeit gültigen Pflichtdenkens zu fragen.“
Dass der Stellenwert von Erwerbsarbeit, nur von der ist in Plumpes Beitrag die Rede, sich verändert hat, vor allem bezüglich seines Inhaltes, ist unstrittig, seine normative Bedeutung ist hingegen stärker als früher, man muss sich nur die Erwerbsquote anschauen und die Betreuungsquote in Kitas. Erwerbstätigkeit ist nicht mehr, wie Plumpe für frühere Zeiten behauptet, der Knappheit und dem Mangel geschuldet. Meinungsumfragen sind für eine solche Einschätzung eine schlechte Quelle, weil sie oberflächliche Selbsteinschätzungen wiedergeben. Plumpe neigt teils zu einer etwas mechanischen Deutung des Wandels im Arbeitsverhalten, obwohl er zugleich auf andere Aspekte diesbezüglich hinweist, so z. B. die anfangs religiös aufgeladene Bedeutung von Arbeit, deren normative Geltung sich heute von diesen Wurzeln schon lange gelöst hat:
„Doch Forschungen zur Sozialgeschichte des Arbeitsverhaltens haben ganz eindeutig gezeigt, dass es vor allem die mit der modernen Erwerbsarbeit verbundene Zunahme von Konsumchancen etwa bei Textilien oder bei Genussmitteln wie Tee und Zucker war, die das Arbeitsverhalten vieler Menschen zunehmend änderte. “
Annahmen ziehen Schlussfolgerungen nach sich, doch sind die Annahmen treffend?
Im Handelsblatt hat Bert Rürup, Wirtschaftswissenschaftler, einst „Wirtschaftsweiser“ und vielfältig Politikberater, einen Beitrag mit dem Titel „Von Hartz IV zum Bürgergeld und zurück“ (wir hatten denselben Titel für einen Kommentar genutzt, siehe hier) veröffentlicht. Wie dem Titel zu entnehmen ist, greift er die Diskussionen um das Bürgergeld auf und ordnet sie ein. Endlich habe auch die SPD ein Einsehen, dass die Einführung des Bürgergeldes ein Fehler war, so liest sich sein Beitrag, als seien damals grundsätzliche Änderungen eingeführt worden. Eher könnte man davon sprechen, dass die Bezugsregelungen etwas weniger strikt ausfielen, aber angesichts einer nach wie vor geltenden Bedürftigkeitsprüfung in Verbindung mit einem sanktionsbewehrten Leistungsbezug konnte nicht ernsthaft von einer wesentlichen Erleichterung für die Bezieher gesprochen werden. Deswegen war schon damals Kritik an der Bezeichnung „Bürgergeld“ laut geworden, da sie etwas suggeriere, das nicht der Fall war, und zwar dass eine Leistung für alle Bürger als Bürger war, ohne sonstige Bezugsbedingungen. Insofern ist die nun vorgesehene Veränderung eben nur eine Rückkehr zu dem, was es zuvor schon gab.
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„Ich bin nicht euer Hund“…
…so ist ein Beitrag von Nicolas Kurzawa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Bezahlschranke) übertitelt, der über die Erfahrungen von Arbeitsvermittlern im Jobcenter berichtet, Grundlage war ein Besuch im Jobcenter.
Von drei Gesprächen wird berichtet, alle drei sind unterschiedlich – dennoch geben sie Einblick in die alltägliche Arbeit. Solche Berichte kann man nur jedem empfehlen, der sich selbst nicht vorstellen kann, warum jemand Bürgergeld bezieht und er sei denjenigen empfohlen, die mit Haudrauf-Methoden die Debatte um das Bürgergeld angezettelt haben, die behaupten, es gebe ein ungeheures Potential an möglichen Erwerbstätigen, die im Bürgergeldbezug sich ausruhen, ganz zu schweigen von der großen Zahl an „Totalverweigerern“, die dort abhängen und sich ein schönes Leben machen.
Sascha Liebermann
Vortrag von Ute Fischer in München, am 17 November
Tolle Veranstaltung von #Grundeinkommen #München mit Ute Fischer am 17.11.2025 um 19 Uhr in der #Seidlvilla – kommt zahlreich! 🙌 #BGE #Care #Sozialsystem #FreiheitStattVollbeschäftigung pic.twitter.com/f3mXKIqTpX
— Mensch in Germany (@InMensch) October 20, 2025
Vollständige Streichung von Sanktionen möglich? Ein Kommentar von Stefan Sell…
…aus dem Jahr 2023 ist zur Klärung hilfreich (siehe den Kommentar hier). Hilfreich ist er, weil zuletzt geradezu empört auf die Vorschläge der Bundesregierung zur „Reform“ des Bürgergeldes reagiert wurde, dabei zeigt ein anderer Kommentar von Stefan Sell aus dem Januar 2024, wer eine solche Verschärfung samt erhoffter Einsparungen schon vorgesehen hatte: die damalige Bundesregierung durch einen Vorschlag des Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.
Sell schrieb im Dezember damals:
„Dass das BVerfG unter bestimmten Umständen auch den vollständigen Leistungsentzug als nicht grundsätzlich verfassungswidrig eingestuft haben, ist begründungsbedürftig. Hierzu die Argumentation des Gerichts, die gleichsam von oben nach unten gelesen werden muss: Zwei Begriffe sind hier von zentraler Bedeutung: Der Nachranggrundsatz und eine daraus abgeleitete Mitwirkungspflicht: Dazu das BVerfG, hier zitiert nach dem Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 (Hervorhebungen nicht im Original):
‚Die eigenständige Existenzsicherung des Menschen ist nicht Bedingung dafür, dass ihm Menschenwürde zukommt; die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen, ist vielmehr Teil des Schutzauftrags des Staates aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Grundgesetz verwehrt dem Gesetzgeber jedoch nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, solche Leistungen also nur dann zu gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können.'“
Entscheidend ist nach Sell dieser Absatz:
„‚Anders liegt dies folglich, wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern. Ihre Situation ist dann im Ausgangspunkt derjenigen vergleichbar, in der keine Bedürftigkeit vorliegt, weil Einkommen oder Vermögen aktuell verfügbar und zumutbar einsetzbar sind. Wird eine solche tatsächlich existenzsichernde und im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II willentlich verweigert, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, ist daher ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen.‘ (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16, Randziffer 209).“
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„Über 500 verschiedene Sozialleistungen in Deutschland“…
…hat das ifo-Institut ausfindig gemacht und eine Inventarliste erstellt. Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung:
„Als Sozialleistungen gelten Dienstleistungen, Geldleistungen, Sachleistungen oder andere Hilfen, die zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit erbracht werden im Sinne der Paragraphen 1 und 11 des Sozialgesetzbuchs I (SGB I). Die Autoren garantieren keine Vollständigkeit der Liste. Experten und Interessierte sind dazu eingeladen, potenzielle Ergänzungen oder Korrekturen mitzuteilen, um die Qualität und Vollständigkeit der Informationen zu verbessern. Die Datenbank ist aufrufbar unter: https://github.com/ifo-institute/sozialleistungen“
Hier geht es zur Pressemitteilung
Für die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist diese Auflistung interessant, weil damit deutlich gemacht werden kann, welche Möglichkeiten ein BGE stattdessen bietet. Von Beginn der Debatte an waren Fragen nach einer Vereinfachung des Leistungszugangs und der -bereitstellung zentral, damit Anspruchsberechtigte möglichst leicht ihre Ansprüche geltend machen könnten angesichts der hohen Rate geschätzter Nicht-Inanspruchnahme („verdeckte Armut„). Die Frage nach dem Zugang ist eine der Gerechtigkeit, hinzu kommt die Frage nach der Zielgenauigkeit, auch wirklich diejenigen zu erreichen, die sie am meisten benötigen. Der Bereitstellungsmodus entscheidet darüber, ob die Leistungsbereitstellung stigmatisierend ist oder nicht und im Falle eines BGE würde der Modus auf ein anderes Fundament gestellt, weil nun nicht mehr die Rückführung in den Arbeitsmarkt das vorrangige Ziel der Leistungen wäre, sondern die Stärkung der Selbstbestimmung der Bürger als Bürger.
Wenn es um die „Reform“ des Bürgergeldes geht, dann muss sie sich daran messen lassen, welche Antworten sie auf die oben genannten Fragen gibt. Die Messlatte wird durch ein BGE hoch gelegt, weil sich mit ihm viele Leistungen bündeln ließen, ohne andere, die darüber hinaus nötig blieben, in Frage zu stellen.
Sascha Liebermann
„Solidarität ist keine Einbahnstraße“…
…so ist das Interview mit Karl-Josef Laufmann, dem Minister für „Arbeit, Gesundheit und Soziales“ in Nordrhein Westfalen überschrieben, das der Generalanzeiger Bonn in der Wochenendausgabe vom 11./12. Oktober veröffentlichte. Darin geht es auch um das Bürgergeld und seine „Reform“. Drei Passagen seien hier kommentiert. An einer Stelle heißt es:
„Das Bürgergeld soll reformiert werden. Was muss sich ändern?
[Laumann] Wichtig ist, dass der Fokus wieder stärker auf der Arbeitsvermittlung liegt und wir die Eigenverantwortung der Arbeitssuchenden stärken. Sowohl in den Jobcentern als auch bei den Agenturen für Arbeit muss es wieder heißen: vermitteln, vermitteln, vermitteln.“
Der „Vermittlungsvorrang“ soll vermutlich wieder gelten, was den Druck auf Arbeitslosengeldbezieher erhöht, Stellenangebote anzunehmen, Laumann verklärt das, wenn er davon spricht, die „Eigenverantwortung“ „zu stärken“. Was erhofft er sich davon, welche Vorteile soll es bringen? Wenn es in Erwerbsverhältnissen darum gehen soll, dass Aufgaben angemessen erledigt und Neuerungen entwickelt werden, verlangt das ein Mindestmaß an Interesse und Bereitschaft, sich darauf auch einzulassen, sich mit der Aufgabe verbinden zu können. Jeder kann wissen, was dabei herauskommt, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, da reicht schon aus, sich selbst zu beobachten. Wenn nun der Druck erhöht wird, mag das der Statistik helfen und Steuergeld einsparen bei erfolgter Annahme des Angebotes, hilft es aber Unternehmen dabei, dass ihre Wertschöpfung steigt, dass Bereitstellungsprozesse für Güter und Dienstleistungen so ausgeführt werden, wie sie ausgeführt werden sollten? Das kann mehr als bezweifelt werden und Erfahrungen der Vergangenheit haben schon gezeigt, dass dies eher dazu führt, kurzzeitig anhaltende „Vermittlungserfolge“ zu verbuchen, die eben nicht von Dauer sind. Von daher ist das also kein Gewinn, einzig lassen sich Vorurteile bedienen und man kann behaupten, man hätte etwas unternommen, als komme es auf das Ergebnis nicht an.
In einer anderen Passage sagt Laumann:
