„Kinder sollen sich auch langweilen…Frühförderung heisst auch Freiraum, Freizeit, Freiheit“…

…ein interessantes Interview mit der Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag über die Bedeutung des Spiels für Bildungsprozesse, Zeit mit den Eltern und Freiräume für unbeaufsichtigtes Erkunden der Lebenswelt. Wie stark die von Margrit Stamm vertretene Haltung der aktuellen Sozialpolitik entgegensteht, lässt sich am Achten Familienbericht ersehen:

„…Notwendig ist ein bedarfsgerechter Ausbau an qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen in Kindertageseinrichtungen und in der Tagespflege, der den Bedürfnissen der Kinder und Eltern entspricht und mit der lokalen Infrastruktur vernetzt ist. Erst wenn für alle Kinder Ganztagsbetreuungsplätze in hervorragender Qualität vorhanden sind, haben Eltern tatsächlich eine Wahlmöglichkeit. Die zeitliche Flexibilität der Betreuungsangebote sollte sich nach den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Eltern ausrichten. Für lange Betreuungsbedarfe im ersten Lebensjahr oder abends und nachts eignet sich (ergänzend) eine Tagespflegefamilie, die dem Kind eine familienähnliche, vertraute Umgebung bietet, besser als eine Kindertageseinrichtung, in der Kleinkinder schicht- und fluktuationsbedingtem Personalwechsel ausgesetzt sind.“ (Achter Familienbericht, 2012: „Zeit für Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik“ – Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/9000, S. 137).

Von den Bedürfnissen von Kindern und Eltern zu sprechen ist in diesem Zusammenhang bloße Gleichheitsrhetorik, die die Bedürfnisse der Kinder schon vergessen hat. Sie artikulieren von sich aus bis weit in das vierte Lebensjahr hinein gar kein „Bedürfnis“, einen Kindergarten oder eine Kita zu besuchen (siehe auch „Wahlfreiheit, die sogenannte“). Es sind die Eltern, die diese Bedürfnisse äußern, unter anderem weil Erwerbstätigkeit im Allgemeinen als erheblich wichtiger erachtet wird, als Zeit für die Kinder zu haben.

Vielleicht sollte der Familienbericht in Anlehnung an dieses Zitat besser umbenannt werden in „Zeit für Erwerbsarbeit“, denn alle „Wahlmöglichkeit“, die es heute gibt, besteht auf eigenes Risiko (kaum Anerkennung in der Rentenversicherung). Gravierender noch ist die normative Degradierung von Haushaltstätigkeiten. Wer für Kinder zuhause bleibt, um ihnen einen Schonraum in vertrauter Umgebung zu gewähren, muss sehen, wo er bleibt. Nur ein Bedingungsloses Grundeinkommen weist hieraus einen Ausweg, der nicht wieder über die Individuen hinweggeht.

Sascha Liebermann

Arfst Wagner über die Aufgaben einer Partei und das Bündnis Grundeinkommen

Das Archiv Grundeinkommen berichtet von einer Debatte in der Mailingliste des Netzwerk Grundeinkommen über das Bündnis Grundeinkommen. Hier der Auszug einer Stellungnahme von Arfst Wagner zur BGE-Partei:

„24.11.2016: Aus einer Mail:
Einwände gegen die Gründung einer monothematischen BGE-Partei:
In den Kommentaren zu:
www.grundeinkommen.de/22/09/2016/eine-partei-nur-fuer-grundeinkommen.html
und in der BGE-Debattenliste des Netzwerkes Grundeinkommen wird die Sinnhaftigkeit der BGE-Partei diskutiert.
U.a. äußert sich dort am Mi, November 23, 2016 um 22:01 Uhr Arfst Wagner:

„… Lieber XXXX
ich danke Dir für Deinen Beitrag.
Ich bin für das bGE seit etwa 15 Jahren öffentlich unterwegs, also schon seit vor Einführung der Agenda 2010.
Ich bin auch nahezu für jede phantasievolle Aktion für das bGE zu haben.
Und ich bin zwar Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, schreibe hier aber nicht als solcher, sondern als bGE-Aktivist.
Ich unterstütze die bge-Partei nicht. Und zwar nicht, weil ich bei den Grünen bin, sondern weil ich eine monothematische Partei für gefährlich halte. Das Ziel der Partei ist tatsächlich ein Einzug in den Bundestag. Das wäre anders ja auch blödsinnig. Wenn Du aber Leute in den Bundestag wählst und sie nur aufgrund eines einzigen Themas dort sitzen, dann ist das ein Anachronismus. Sollen die möglicherweise Gewählten dann zu allen anderen Themen schweigen? Das würde bedeuten, dass sie in den 5 Jahren Legislatur vielleicht im besten Fall 10 Tage was sagen werden. Und die Frage ist, was für Leute die Partei dann in den Bundestag entsenden würde, was sich herausstellt, wenn sie sich tatsächlich auch zu andern Themen äußern? Da wird man sicherlich so manche Überraschung erleben, denn in der bGE-Szene tummeln sich auch extrem viele Rechtslastige und Verschwörungstheoretiker. Mir wird bei dem Gedanken echt ganz anders. Schweigen solche Leute dann bei der Fluchtthematik, bei Kriegseinsätzen usw?
Dazu kommt, da es sich ja vorwiegend um eine Zweitstimmenkampagne handeln wird, das bedeutet, dass vermutlich fast alle Stimmen für die bge-Partei den Grünen und der Linken weggenommen werden, was diese beiden Parteien, die am nächsten drann sind am bGE, schwächen wird und nicht die anderen. CDU, AfD, SPD und FDP werden so gestärkt.
[…]
Und ich füchte, die Parteigründung ist eine völlig naive Geschichte, die der CDU, SPD, FDP und AfD in concreto hilft, das bGE aus dem Bundestag rauszuhalten, weil vielleicht wie beim letzten Mal der Linken und den Grünen die Prozente fehlen werden und damit die bGE-Befürworter beider Parteien, die meist noch in der zweiten Reihe sitzen, es wieder nicht schaffen werden, in den Bundestag zu kommen. Ich schreibe das aus echter Sorge und nicht aus Eigeninteresse, weil ich gar nicht vorhabe, wieder aussichtsreich für den Bundestag zu kandidieren.
[…]
Was ist denn das Parteiziel der bGE-Partei? Die Einführung des bGE? Dann bleiben meine Bedenken bzgl. monthematischer Partei bestehen: die der Unterwanderungsgefahr von Rechts und die des „Rumsitzens und Verbrauchens von Steuergeldern“ weil man sich ja zu anderen Themen nicht äußern kann.
[…]
Oder möchte man lieber mit Gleichgesinnten den Tag verbringen und sich nicht in den Schlamm von Debatten werfen, die manchmal richtig an die Nieren gehen? Davor wird man auch in einer neuen Partei mit Sicherheit nicht davonlaufen können. …“

„Universal Basic Income: Has its Time Come?“…

…fragte die BBC World Service und lud dazu eine Runde ein:

„To discuss all this and more, the BBC’s Ed Butler is joined by a panel of four: Professor Louise Haagh, Reader of Politics at the University of York, and the co-chair of the Basic Income Earth Network; Michael Tanner, Senior Fellow of the CATO Institute in Washington DC; Michael Faye, co-founder of Give Directly, which is piloting its own Universal Income project in Kenya; and Professor Ian Gough of the Centre for the Analysis of Social Exclusion at the London School of Economics.“

„Siemens-Chef plädiert für ein Grundeinkommen“…

…das meldet die Süddeutsche Zeitung (auch andere berichteten und nochmals die Süddeutsche). Unter anderem heißt es darin:

„Es würden absehbar „einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“, warnte Kaeser auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel. Auf sie warten könne man jedoch nicht, denn dann würden Deutschland und Europa verlieren. Also müsse die Gesellschaft dafür sorgen, „dass die Menschen versorgt sind“; sie müssten sehen: „Da ist einer da, der hilft mir.“ Deshalb werde „eine Art Grundeinkommen völlig unvermeidlich sein“.

Bezeichnend dann die Frage des Autors etwas später:

„Wie jedoch soll der Puffer aussehen? Wie soll etwa ein Grundeinkommen gestaltet sein und finanziert werden? Und selbst wenn alle hoch qualifiziert wären: Fände wirklich jeder einen Job? Und was ist mit all denen, die sich mit Bildung und Lernen eher schwer tun? Alles unklar.“

Nichts ist unklar, weil die Finanzierung immer aus dem volkswirtschaftlichen Leistungsgeschehen erfolgen muss. Es geht lediglich darum, wie der Ertrag (Volkseinkommen) in private und öffentliche Einkommen aufgeteilt wird. Das BGE wäre ein öffentlich bereitgestelltes Einkommen. Wer keine Volkserziehungsmaßnahmen will, muss sich Gedanken darüber machen, wie ein den Bildungsprozessen förderliches Zusammenleben und Bildungswesen aussehen könnte. Wer sich mit „Bildung und Lernen“ schwer tut, hat dafür womöglich gute Gründe. Auf der Basis eines BGE würde diese womöglich an Bedeutung verlieren, das BGE wäre ja immer da.

Sascha Liebermann

„Also: sie sind dumm, wenn ich das mal so zusammenfassen darf“…

…so Herfried Münkler über „große Teile“ des Volkes in einem Gespräch im Deutschlandradio Kultur. „Das Volk ist nicht dumm“ erwidert darauf Michael Hartmann an gleicher Stelle und zeigt auf, was die Wähler Trumps womöglich dazu bewogen hat, ihn zu wählen. Münkler hatte sich vor vielen Jahren ähnlich abfällig über das BGE geäußert. Dass es diese Herablassung ist, die auch in Deutschland Anlass dazu gegeben haben könnte, die AfD zu wählen, kommt Münkler gar nicht in den Sinn.

„Jobcenter kürzen Zehntausenden Familien Hartz-IV-Zahlungen“…

…meldet neues deutschland: „…Die staatlichen Zuwendungen für Arbeitslosengeld-II-Bezieher sind sehr knapp bemessen, das gilt für Bürger mit und ohne Kinder. Und wenn Hartz-IV-Empfänger ihre sogenannten Pflichten nicht erfüllen, werden sie mit Geldentzug bestraft. Auch das gilt für Menschen mit und ohne Kinder. Im vorigen Jahr gab es jeden Monat durchschnittlich rund 132 000 Hartz-IV-Bezieher, die mit Sanktionen belegt wurden. Etwa weil sie nicht zu einem Termin beim Jobcenter erschienen waren oder ein Arbeitsangebot abgelehnt hatten. Unter den Bestraften waren monatlich 42700 Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die mit Kindern in einem Haushalt lebten. Das zeigt eine Sonderauswertung von Daten der Bundesagentur für Arbeit für das Kooperationsprojekt »O-Ton Arbeitsmarkt«.“

Gegen Ende des Beitrags heißt es:

„…Stefan Sell hält die Sanktionspraxis der Jobcenter prinzipiell für fragwürdig. Bei der staatlichen Grundsicherung gehe es um ein Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums. »Wie kann das unterschritten oder gar vollständig entzogen werden?« Es werde Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht abschließend kläre, ob die Sanktionen zulässig sind, sagte Sell dem »nd«.“

In der Tat stellt sich die Frage, nach welchen Bedingungen unser Gemeinwesen das Existenzminimum bereitstellen will und ob die heutige Praxis angemessen ist. Aber zugleich muss man fragen, wie in einem Sicherungssystem, das sich auf den Vorrang von Erwerbstätigkeit vor allem anderen stützt, auf Sanktionen verzichtet werden soll? Sicher, der Gebrauch des Instruments lässt sich ändern, weniger restriktiv könnte er sein. Doch macht es den erwerbszentrierten Sozialstaat aus, sanktionieren zu können, das war auch vor der Agenda 2010 schon so. Die Forderung nach einer „repressionsfreien Grundsicherung“ ist entweder eine, die zum BGE führen soll, oder sie verbleibt im heutigen Gefüge. Dann ist sie politisch naiv, denn ohne Sanktionen, kein erwerbszentrierter Sozialstaat.

Sascha Liebermann

Belohnung von Komplettverweigerern oder Stärkung von Souveränität?

Nur weil das CSU-Twitter-Team das eine herausstellt, scheint das andere nicht ausgeschlossen zu sein, wenn auch keine offizielle Position. So verschickte die CSU über Twitter folgende Nachricht im Oktober:

…oder auch diese im November:

Siehe hierzu die angebrachten Kommentare zur Verunglimpfung unter dem Facebook-Beitrag.

In einer anderen Stellungnahme der CSU klingt das so:

Die Grünen wollen Sanktionen bei Hartz IV abschaffen. Damit werden Komplett- Verweigerer belohnt. Das ist ungerecht für jeden, der tagtäglich hart arbeitet.“

Am selben Tag sprach ich über das Bedingungslose Grundeinkommen in der CSU-Landesleitung in München auf Einladung eines Ortsverbandes. Es war eine ausnehmend sachliche und aufgeschlossene Diskussion mit etwa 100 Interessierten. Hier der Kurzbericht des Veranstalters:

„Bedingungsloses Grundeinkommen – sozialistisches Wunschdenken oder sinnvoller Ansatz?

Die Veranstaltung des OV Gern zum bedingungslosen Grundeinkommen fand am 14.11.2016 in der neuen CSU Landesleitung statt. Der Saal 1 war sehr gut gefüllt und der Resonanz der Teilnehmer nach zu urteilen, war die Veranstaltung ein großer Erfolg!
Im Vortrag von Prof. Dr Sascha Liebermann wurde klar herausgearbeitet, dass das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen eigentlich ein vom Grundgesetz her garantiertes Bürgergeld darstellt, was mit Sozialismus nichts zu tun hat. Im Gegenteil. Es wurde gezeigt, dass die momentanen sozialrechtlichen Strukturen, allen voran die Hartz IV Gesetze, noch dem gedanklichen Bereich der ehemaligen DDR entstammen, wo man versuchte mit Zwang und Sanktion Menschen zur Arbeit zu bewegen. Den Erfolg dieser „Denke“ kann man in den Geschichtsbüchern nachlesen.“ (Die Präsentation zum Vortrag finden Sie hier).

Wie in anderen Parteien, so ist auch die CSU vielstimmig, wenngleich das Interesse am BGE keine offizielle Position ist, aber in welcher Partei ist es das schon.

Sascha Liebermann