…ein Beitrag in der Fernsehsendung Monitor vom 2. Juni.
Siehe hierzu auch: „Das Bundesverfassungsgericht will (noch?) nicht: Keine Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen im Hartz IV-System“ von Stefan Sell.
…ein Beitrag in der Fernsehsendung Monitor vom 2. Juni.
Siehe hierzu auch: „Das Bundesverfassungsgericht will (noch?) nicht: Keine Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen im Hartz IV-System“ von Stefan Sell.
…berichtet focus in seiner online-Ausgabe. Gegenüber der Passauer Neuen Presse soll sie folgendes gesagt haben: „Wenn jeder unabhängig von seiner Leistung und Bedürftigkeit erst einmal 1000 Euro im Monat bekäme, würden Solidaritätsgedanke und Leistungsprinzip auf Dauer außer Kraft gesetzt“. Wie widersprüchlich dabei ihre Haltung ist, zeigte sich hier.
…“Die von der Bundesregierung geplante Hartz-IV-Reform wird nach Ansicht von Arbeitsmarktexperten und Anwälten zu einer erheblichen Verschlechterung für viele Hartz-IV-Empfänger führen, deren Bescheide falsch sind. Das geht aus Recherchen von REPORT MAINZ hervor. Die Möglichkeit rückwirkend Leistungen zu bekommen, werde nach dem Gesetzentwurf eingeschränkt.“ Eine Reportage in der Sendung „Report“ vom 17. Mai.
Nachdem wir kürzlich wieder über etwaige bevorstehende Verschärfungen im Sozialgesetzbuch II informiert haben, hier der Link zur Stellungnahme von Harald Thomé und Frieder Claus zum Kabinettsentwurf (siehe eine weitere Stellungnahme hier). Die junge welt und Frankfurter Allgemeine Zeitung (Montagsausgabe) berichteten über ein Schreiben der Jobcenter-Personalräte, in denen das Vorhaben kritisiert wird.
…so Andrea Nahles in der aktuellen Ausgabe von Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Wir hatten auf das lange Gespräch mit der Bundesministerin schon hingewiesen. Die Passage, in der sie auf das BGE zu sprechen kommt, verdient aber eine nähere Betrachtung. Zuvor geht es um die Folgen der Digitalisierung, die Verantwortung von Unternehmen und die Ungleichheit der Einkommensverteilung. Wie – so die Frage des Interviewers – wäre auf die Veränderungen am besten zu antworten? Nahles hält eine Bürgerversicherung für notwendig, deren Einnahmeseite im Unterschied zu heute breiter ist. In diesem Zusammenhang sagt sie folgendes:
„Nahles: Aber für die nächsten 10, 15 Jahre muss man sich gedanklich mit der Frage beschäftigen, wie sich bei einer zunehmenden Veränderung der Erwerbsformen auch die Finanzierung unseres Sozialstaates auf Dauer sichern lässt.
Dabei ist das Bürgerprinzip bei der Berechtigung von Sozialleistungen richtig, aber auch die Finanzierung aus allen Quellen. Aus allen Quellen, und nicht nur aus dem Arbeitseinkommen, das auch – wie gesagt – immer komplizierter zu erheben sein wird. Und wenn etwa der 3D-Drucker auf längere Sicht immer mehr die Fertigung revolutionieren wird, dann stellt sich die Frage, wie wir an den Mehrwert oder die Renditen dieser Wertschöpfungskette rankommen?“
Auf den ersten Blick könnte man denken, dass Andrea Nahles hiermit doch dem BGE die Tür öffnet, wenn sie das „Bürgerprinzip“ als Basis dafür erkennt, Sozialleistungen zu beziehen. Was hat sie hier wohl vor Augen? Wäre es ein Unterschied zu heute? In der Passage wird das nicht klar, der Interviewer fragt leider nicht nach. Sie wird kaum darauf hinauswollen, dass nur Bürger im Sinne von Staatsbürgern bezugsberechtigt sind, vielleicht eher Personen mit dauerhaftem Aufenthalt und einer entsprechenden Bewilligung in Deutschland. Im zweiten Teil erst kann man sich einen Reim darauf machen, dass der Unterschied zwischen einem Arbeitnehmer- und einem Bürgerprinzip wohl der sein muss, dass im Arbeitnehmerprinzip nur Arbeitnehmer für die Finanzierung herangezogen werden (Sozialabgaben), dem Bürgerprinzip folgend jedoch alle in einem System abgesichert werden, also auch Beamte und andere Gruppen, die bisher ein eigenständiges Versicherungssystem haben, z. B. Ärzte, einbezogen werden. Was hat das nun mit dem „Bürger“ zu tun? Es handelt sich bei der Bürgerversicherung, wie sie hier angedeutet wird, um eine erweiterte Arbeitnehmer- und Selbständigen-Versicherung. Diese wären ja noch immer beitrags- und nicht steuerfinanziert. Erst mit der Umstellung auf Steuerfinanzierung würde jedoch das Erwerbsprinzip nicht mehr im Zentrum des Versicherungssystems stehen. Das nun scheint die Bundesministerin hier aber nicht zu wollen.
Wir können hier festhalten, dass es nicht um einen starken Bürgerbegriff geht, wie er im Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Bürger im Sinne des Staatsbürgers meint hier nicht nicht den Souverän als Legitimationsquelle politischer Ordnung, sondern es ist ein um seinen Kern beraubtes Verständnis von Bürger.
Daran schließt unmittelbar die Passage an, in der es um das BGE geht.
„NG/FH: An dieser Stelle kommt dann meist sofort der Vorschlag des bedingungslosen Bürgereinkommens. Dann sind alle irgendwie geschützt, es wird steuerfinanziert und wir haben bei der Berechtigung und bei der Finanzierung klare Verhältnisse.“
Dem Interviewer, obwohl er das BGE einführt, ist es nicht behaglich damit. „Dann sind alle irgendwie geschützt“ – klingt fast schon verächtlich. Sie sind ja nicht „irgendwie“ geschützt, sondern von der Wiege bis zur Bahre haben sie eine verlässliche Rückendeckung, die die Bürger als Staatsbürger gerade ernst nimmt. Sie wären in einem Mape abgesichert, wie es heut nicht gilt, sofern das BGE eine entsprechende Höhe hätte.
„Nahles: Ich halte nichts von diesem bedingungslosen Grundeinkommen, weil es ein weiterer Beitrag zur Entwertung der Arbeit ist. In der Digitalisierung werden bestimmte Tätigkeiten möglicherweise mehr wertgeschätzt werden. Analytische Fähigkeiten, die Dienstleistung von Mensch zu Mensch werden tendenziell aufgewertet…“
Weshalb trägt das BGE zur „Entwertung von Arbeit“ bei? Hat Arbeit denn einen Eigenwert, ist sie Selbstzweck? Wenn wir unter Arbeit im allgemeinen Sinne verstehen, dass Leistungen für andere erbrachtet werden, dann bestimmt sich die Bedeutung von Arbeit danach, diese Leistung in einer angemessenen Weise zu erbringen. Wir können viel über Standards und Kriterien diskutieren, wann dies der Fall ist, der Zweck von Arbeit ändert sich dadurch jedoch nicht. Wo Arbeit auf Maschinen übertragen werden kann, ohne dass der Zweck von Arbeit beschädigt oder beeinträchtigt wird, würde doch menschliche Arbeitskraft frei, um sich Aufgaben zu widmen, die nicht auf Maschinen übertragen werden können. Dass sich hier die Frage stellt, wie die Maschinennutzung so möglich ist, dass wir nicht unsere eigene Existenzgrundlage schädigen, ist eine Frage, die sich darüber hinaus stellt. Menschliche Arbeitskraft nun von Arbeit zu entlasten, die Maschinen übernehmen können, und damit Freiräume für diejenige Arbeit zu schaffen, die Maschinen nicht angemessen übernehmen können, würde doch gerade eine Aufwertung menschlicher Fähigkeiten nach sich ziehen, statt sie in einen Wettbewerb gegen Maschinen zu stellen.
An der folgenden direkt an die vorangehende anschließenden Stelle wird erst deutlich, worin das vermeintliche Problem besteht:
„…Bestimmte Formen der monotonen, körperlich anstrengenden Tätigkeiten werden durch den verstärkten Einsatz von Robotern ersetzt und möglicherweise werden auch die Menschen, die das besonders gut konnten, in ihrer Identität, in dem, was sie an Werten schaffen, infrage gestellt. Das ist ein ganz schwieriger Prozess…
Weshalb ist das ein schwieriger Prozess? Zum einen ist er schwierig, sofern diejenigen, deren Aufgabenbereich verschwindet bzw. von Maschinen übernommen wird, in dem Glauben gelebt haben, sie seien nicht ersetzbar für diesen Prozess. Diese Schwierigkeit resultiert nicht aus der Bedeutung ihrer Arbeit für andere, sie ist vielmehr Ergebnis einer Überschätzung dessen, welche Bedeutung der Einzelne für die Leistungserstellung hat. Die Digitalisierung würde zu einer Klärung dahingehend führen, dass hinsichtlich der Bewältigung von Aufgaben jeder ersetz- bzw. austauschbar ist. Zum anderen ist aus heutiger Sicht dieser Prozess schwierig, weil die Überhöhung von Erwerbstätigkeit keine Alternativen kennt. Wer seinen Erwerbsarbeitsplatz verliert, verliert mit dem Einkommen zugleich die Möglichkeit, demjenigen Gebot zu folgen, das wir gegenwärtig für den höchsten Zweck halten: erwerbstätig zu sein.
Sowohl die erste wie die zweite Schwierigkeit sind jedoch auf einfache Weise zu bewältigen. Die erste, indem wir uns darüber klarwerden, dass nicht Arbeit Menschen in ein Gemeinwesen integriert, sondern die Zugehörigkeit qua Status. Insofern ist auch die Behauptung, Flüchtlinge würden durch Erwerbsarbeit am besten integriert werden, ein Trugschluss. Erwerbsarbeit ist der Inbegriff davon, dass nicht der Einzelne zählt, sondern die Arbeitskraft für einen bestimmten Zweck, dem sie zu dienen hat. Das steht erst dann in Frage, wenn die Würde des Menschen dabei nicht geachtet wird. Wir würden also endlich dahinkommen zu begreifen, dass wir nicht als Arbeitsgesellschaft zusammenhalten und füreinander einstehen müssen, sondern als Bürgergemeinschaft. Die zweite Schwierigkeit würde gerade und nur durch ein BGE gelöst, indem die Einkommenserzielung vom Erwerb in Gestalt eines Mindesteinkommens grundsätzlich abgekoppelt wird, d. h. wer ein BGE bezöge, wäre nicht mehr in einer Notlage, in der es zu helfen gelte. Nein, das BGE wäre der Normalfall, immer und zu jeder Zeit da, um dem Einzelnen den Rücken zu stärken. Es wäre auf diese Weise Ausdruck dessen begriffen zu haben, dass wir eine Bürgergemeinschaft sind und unseren Sozialstaat auf dieses Fundament stellen müssen. Für Frau Nahles scheint diese Überlegung weit weg zu sein.
Entsprechend heißt es an der unmittelbar folgenden Stelle:
„Nahles: …Aber dass das Konzept von Arbeitseinsatz und Vergütung oder Leistung als movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft grundlegend infrage gestellt oder verändert wird, glaube ich nicht. Das ist für mich eines der zentralen Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen…“
Wenn es ein BGE gäbe, würde es auch weiter eine Vergütung geben für diejenigen, die erwerbstätig wären. Das eine schließt das andere nicht aus, insofern konstruiert die Bundesministerin hier einen Scheingegensatz. „Arbeitseinsatz“ allerdings zum „zum Movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft“ zu verklären bezeugt nur, dass sie die anderen Quellen von Kreativität nicht gelten lässt. Schon heute sind diese anderen Quellen von Bedeutung, sie erhalten nur nicht den Rang, den sie verdienen.
„Nahles: Im Übrigen glaube ich auch, dass dadurch die Ängste der Mittelschicht nicht etwa bekämpft würden, wie sich das viele denken, sondern dass der Solidarcharakter des Sozialstaates als solcher sogar infrage gestellt würde. Dieser Ansatz ist also meines Erachtens nicht die Lösung, aber der Bürgerstaat, die Idee sozialer Bürgerrechte, das Prinzip der Vergemeinschaftung, welches ein Teil der Grundlage dieses Konzeptes ist, finde ich schon seit Jahren richtig. Man muss hier also differenzieren.“
Hier wird es noch einmal interessant, denn zuerst macht Nahles klar, dass ein BGE den Solidarcharakter des Sozialstaates in Frage stelle, ja, des gegenwärtigen schon, der ein Arbeitnehmersozialstaat ist. Er stellt aber nicht den Sozialstaat in Frage, der einem demokratischen Gemeinwesen gemäß wäre, das in seinem Zentrum selbstverständlich den Bürger hätte. Dem würde der zweite Teil des Absatzes noch entsprechen, den Frau Nahles „schon seit Jahren richtig“ findet. Ja, nun, er ist das Fundament unserer Demokratie, wenn sie das nicht richtig fände, wäre alles zu spät. Offenbar sieht sie aber den Widerspruch zwischen dem „Prinzip der Vergemeinschaftung“, einer Vergemeinschaftung von Bürgern als Staatsbürgern auf der einen und der erwerbszentrierten Sozialsysteme auf der anderen Seite nicht. Weshalb sieht sie ihn nicht? Weil sie in einem Selbstverständnis lebt, unser Gemeinwesen als Arbeitsgesellschaft zu begreifen. Das wird auch an folgender Stelle deutlich:
„Nahles: …Ich bin für ein Recht auf Weiterbildung. Ich möchte, dass die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung wird. Ich möchte, dass präventiv lebensbegleitend eine Weiterbildungsberatung stattfindet und dass zwischen BA, Unternehmen und den Arbeitnehmern ein Arrangement gefunden wird, wie Weiterbildung auch bei Klein- und mittelständischen Unternehmen funktionieren kann. Und der Betriebsrat ist hierbei ein ganz wichtiger Mediator, um die Sache dann auch ins Rollen zu bringen.“
„Präventiv lebensbegleitend“ soll eine Weiterbildungsberatung stattfinden?! Wir wissen, wie diese Beratung heute aussieht. Wer Leistungen beziehen will, hat nicht die Möglichkeit, sich beraten zu lassen, er wird zwangsberaten und kann dem nur entgehen, indem er den Leistungsbezug verlässt. Dann hat er eben kein Einkommen. Wofür steht Andreas Nahles nun? Das Gespräch offenbart die Widersprüche, in denen wir gegenwärtig stecken; es sind die Widersprüche eines Gemeinwesens, dass ein demokratisch-republikanisches Fundament hat, in dem die Staatsbürger einen bedingungslose Status innehaben. Dasselbe Gemeinwesen versteht sich aber als Arbeitsgesellschaft und kennt eine Arbeitnehmersolidarität. Beides gilt zugleich. Das bezeugt dieses Gespräch – wie einfach wäre eine Aufhebung dieser Widersprüche durch das BGE.
Sascha Liebermann
…schreibt Hans-Arthur Marsiske auf Telepolis:
„Die Arbeits- und Sozialministerin will über die Zukunft der Arbeit diskutieren – aber nur ohne Grundeinkommen
Bei der Frage zum bedingungslosen Grundeinkommen zuckte Andrea Nahles sichtbar zusammen, als würde schon allein das Wort der Arbeits- und Sozialministerin körperliches Unbehagen bereiten. „Ich hoffe doch, dass wir langfristig um so ein Grundeinkommen herumkommen“, sagte sie am Dienstagabend im Hamburger Metropolis-Kino. „Ich bin kein Fan davon.“
Siehe dazu das Interview von Thomas Meyer mit Andrea Nahles in „Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte.
…eine Kritik des Soziologen Stefan Kühl am Grünbuch Arbeiten 4.0 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Gegen Ende heißt es in Kühls Beitrag:
„Das Grünbuch ist ein Beispiel dafür, wie wenig man sich in der Arbeits- und Sozialpolitik im Moment traut, heiße Eisen wie beispielsweise das bedingungslose Grundeinkommen anzufassen. Stattdessen dominiert ein Wertekatalog mit Formulierungen wie „gute Arbeit“, „gerechte Löhne“ oder „gute Unternehmenskultur“. Wegen ihrer Abstraktheit haben Werte zwar hohe Konsenschancen, sie stecken aber gleichzeitig voller praktischer Widersprüche. Was ist denn „gute Arbeit“? Wie errechnet man den einen „gerechten Lohn“? Schließt eine „gute Unternehmenskultur“ Entlassungen aus? Man kann nur hoffen, dass das für nächstes Jahr geplante Weißbuch des Arbeitsministeriums aus mehr als nur einer großen „Begriffswolke“ zum Thema besteht.“
Muss man es überhaupt noch kommentieren, wenn solche Äußerungen wie jüngst von Bundesministerin Andrea Nahles in der Bild am Sonntag gemacht werden?
„BILD am SONNTAG: In Großbritannien gibt es eigene Mindestlöhne für Jugendliche. Braucht Deutschland das nicht auch, damit die Jugendarbeitslosigkeit nicht steigt?
NAHLES: Jede und jeder Jugendliche muss eine Ausbildung machen. Wir müssen verhindern, dass junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen. Deshalb sollen Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr – bis zum Ende der Schulpflicht – vom Mindestlohn ausgenommen werden.“
Vielfach ist diese Äußerung kommentiert worden, auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Weshalb sollten Jugendliche denn nicht die Freiheit haben, einen besser bezahlten Aushilfsjob anzunehmen, wenn er ihnen mehr entspricht als verfügbare Ausbildungsstellen? Würde das nicht der Logik des Arbeitsmarktes vielmehr entsprechen? Weshalb sollte es jemandem nicht freistehen, ob er eine Ausbildung machen oder es lassen will? Diese ganze Haltung gleicht einer „Erziehung zur Unmündigkeit“, wie sie bei anderen Vorschlägen ebenfalls zu erkennen ist. Bevormundung tritt in verschiedenen Gewändern auf (hier, hier und beim DIHK), sie hält uns von tragfähigen Lösungen ab, über den heutigen Reparaturbetrieb hinausführen, wie es ein Bedingungsloses Grundeinkommen täte.
Sascha Liebermann
…diese Überschrift könnte man den Äußerungen von Andrea Nahles, Mitglied im SPD-Bundesvorstand, einst Kritikerin der Agenda-Politik des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder, geben. In einem Gespräch mit Katja Kipping über den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens hat sie sich zur gegenwärtigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in aufschlußreicher Weise geäußert.
Schon der Auftakt ist bemerkenswert: Dieses Grundeinkommen wird es so niemals geben. Man kann ein Sozialsystem nicht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung organisieren.
Zwar ist Frau Nahles hier in einer Hinsicht zuzustimmen: daß es nur die Sozialpolitik gibt, die wir wollen und uns gefallen lassen und eine bessere nicht ohne unser Engagement kommen wird. Doch geht sie dort zu weit, wo sie uns Bürgern dekretiert, was wir für gerecht zu halten haben. Denn der Ist-Zustand sagt nichts darüber, ob es nicht eine Mehrheit für das Grundeinkommen geben kann, wenn einmal eine breite öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist. Sie ist ja schon auf dem besten Wege, denn im Unterschied zur bürgervergessenen Politik der etablierten Parteien findet die Diskussion zum Grundeinkommen dort statt, wo die Bürger sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und ein Gemeinwesen über Neuerungen streiten muß: in der Öffentlichkeit. Betrachtet man, wo die Diskussion ungefähr vor drei Jahren begonnen hat und wo sie heute steht, wie die Parteien auf sie reagieren, dann spricht alles für einen Umschwung.
Weiter heißt es: Wer Leistungen von der Gemeinschaft erhält, muss auch eine Gegenleistung bringen. Sonst geht die Ausgewogenheit von Geben und Nehmen verloren.
Dies mag Frau Nahles Deutung von Gerechtigkeit sein, ist sie aber gerecht, bringt sie uns weiter, löst sie eines unserer Probleme? Vielmehr hat uns doch gerade diese Vorstellung in die Sackgasse von Hartz IV, von Aktivierung, Anreizen und Gängelung geführt. Wie ein Reflex auf verloren gegangene Gewißheiten wirkt das ängstliche Festhalten an der Maxime des Gebens und Nehmens, die für Frau Nahles klar definiert ist: Wer empfängt, muß sich alle Gängelungen – hier als „Fördern“ kosmetisch verpackt – gefallen lassen. Als würde nicht schon heute gegeben, ohne daß genommen würde, und zwar durch das vielfältige Engagement in allen für unsere Gemeinschaft wichtigen Bereichen, doch diese gelten uns nicht viel. Statt dessen soll es wohl Arbeitsdienste, Elternbeaufsichtigungsbehörden und einen Bürger-TÜV geben.
Der Kerngedanke von Hartz IV war und ist richtig. Kein Mensch darf auf alle Zeiten in die Sozialhilfe abgeschoben werden, sondern jedem muss man die Chance auf einen Arbeitsplatz eröffnen.
Diese Reaktion soll wohl ein Vorwurf an die Adresse der Grundeinkommensbefürworter sein. Sicher hängt es von der Höhe ab, welche Freiheit wir uns ermöglichen, doch Andrea Nahles zieht Fürsorge und Beaufsichtigung der Freiheit vor, sie kann die Freiheit, die ein Grundeinkommen eröffnet, gar nicht denken, würde sie sonst die Chance auf einen Arbeitsplatz nicht höher bewerten als die Freiheit, sich entscheiden zu können.
Das ist kein Grund, 40 Millionen Menschen staatliche Leistungen zu geben, obwohl sie die gar nicht brauchen. Wer denkt an diejenigen, die im Schweiße ihres Angesichts für wenig Geld arbeiten und trotzdem Steuern zahlen?
Dieser Einwand gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen wird ja auch von Grundeinkommensbefürwortern selbst erhoben, die bestimmen wollen, wer es braucht und wer nicht (siehe auch den Bericht zum Kongress „Wege aus der Armut“), wer bedürftig ist und wer nicht. Der Gedanke des bGE ist aber ein ganz anderer, es will mit der Bedürftigkeitsprüfung brechen, die immer eine Beaufsichtigung und Definition notwendig macht, damit auch Sanktionen erfordert. Wer also die Bedürftigkeitsprüfung überwinden will, muß für ein bGE plädieren, denn als Bürgereinkommen stellt es alle gleich, egal, über welche weiteren Einkommen sie verfügen. Nur, wenn alle es erhalten, ist mit der Idee, die das bGE trägt, ernst gemacht, nur dann anerkennen wir uns Bürger als Bürger ausdrücklich als Grundlage unseres Gemeinwesens.
Deshalb halte ich daran fest, dass jeder im Hier und Jetzt das Recht auf einen Arbeitsplatz behält.
Wer dies fordert, ist vom Arbeitsdienst nicht weit entfernt, auch wenn dieser Arbeitsdienst heute „Fördern und Fordern“ genannt wird. Andrea Nahles will das Tauschprinzip des Marktes, Gegenleistung nur für Vorleistung, zum allgemeinen Prinzip erheben, demzufolge alles bilanziert und aufgerechnet wird, aus dem Gemeinwesen wird ein Tauschbetrieb. All die Befürchtungen darüber, Bürger könnten durch ein Grundeinkommen „abgeschoben“ werden, sollen ganz offensichtlich nur verdecken, wie sehr ihr Blick auf Erwerbsarbeit als einzige wertzuschätzende Leistung festgelegt ist.
Mit Ihrem Grundeinkommen würden wir vielen Menschen den quasi offiziellen Status legitimierter Arbeitslosigkeit verleihen. Die Mehrheit der Menschen will aber arbeiten und etwas für andere tun, etwas produzieren, das Nutzen und Anerkennung bringt
Wenn die „Menschen“ nun ohnehin arbeiten wollen, dann bräuchten wir sie ja nicht weiter in den Arbeitsmarkt zu drängen und könnten darauf vertrauen, daß Erwerbsarbeit ein Ort des Engagements sein würde, zu dem ohnehin viele streben. Doch diesen Widerspruch bemerkt Frau Nahles gar nicht, also vertraut sie doch nicht wirklich in dieses Wollen der Bürger, könnte sie sonst ein bedingungsloses Grundeinkommen begrüßen.
Wer würde denn in Ihrer schönen Welt den Müll entsorgen? Das ist einer der härtesten Jobs, den wir in diesem Land haben…Mein Vater ist Maurer. Das macht er sehr gerne. Er produziert etwas, das er vorzeigen kann. Er fährt mit mir durch die Stadt und sagt, das habe ich gemacht, dort habe ich gearbeitet. Das ist befriedigend für ihn. Arbeit ist Sinn. Den gibt es auch außerhalb der Erwerbsarbeit, ja. Aber für viele Menschen ist Arbeit, auch harte Arbeit, sehr zentral im Leben.
Der Klassiker unter den Einwänden darf nicht fehlen, seine Überhöhung allerdings spricht Bände, sollten wir deshalb etwas „harte“ Arbeiten aufrechterhalten, wenn wir Maschinen einsetzen könnten? Nur, wer Arbeit als Mühsal und Last versteht, wie Frau Nahles, verehrt die körperliche Arbeit: Je anstrengender desto wertvoller ist sie. Würden wir heute noch so denken, gäbe es wohl keine Schulen, keine Universitäten, keine Wissenschaft, es gäbe keine Kunst und keine Tätigkeiten – denn die Leistungen, die dort erbracht werden, sind ni
cht so leicht, wenn überhaupt, sichtbar zu machen. Auch wenn die Müllentsorgung wichtig ist, wer würde das bestreiten, ist sie dennoch nicht wichtiger und „härter“ als andere Tätigkeiten. Dies anzuerkennen, davon ist Frau Nahles weit entfernt.
Ich gehe von den Leuten bei mir im Dorf in der Eifel aus. Die Menschen dort wollen und brauchen einen bezahlten Job, der sie ernährt.
Mit diesem Beispiel ließe sich auf wunderbare Weise aufzeigen, was ein bedingungsloses Grundeinkommen für strukturschwache Gebiete und Regionen leisten könnte. Statt dort künstlich Arbeitsmärkte durch zweckgebundene Subventionen zu schaffen oder durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Einkommensplätze bereitzustellen, würde das bedingungslose Grundeinkommen den Bürgern ein Einkommen zur Verfügung stellen und ihnen erlauben, in ihrer Heimat zu bleiben und sich zu engagieren, wo immer sie es für wichtig und richtig erachten. Sie müßten nicht wegen des Einkommenserwerbs ihre Heimat verlassen.
Statt Bürgerarbeit, wie sie neuerdings als Errungenschaft gefeiert wird, würde ein bedingungsloses Grundeinkommen Freiheit ermöglichen, auch Freiheit dazu, sich für die Müllentsorgung zu engagieren.