"Adieu Grundeinkommen" – ein Abwicklungsversuch von Reinhard Bütikofer, Bündnis 90/ Die Grünen

„Adieu Grundeinkommen“ ist ein Beitrag übertitelt, in dem – oder besser: mit dem – Reinhard Bütikofer versucht, das Grundeinkommen abzuwickeln. Allerdings setzt er sich mit der Idee kaum auseinander, wie sich in diesem Zitat erkennen läßt:

„Vor allem ist es nicht gelungen, den Respekt vor der Würde der Arbeitenden und Arbeitslosen zur verlässlichen Richtschnur des Gesetzes zu machen. Viele Menschen spüren und erleben das. Sie werden nicht aufhören, dagegen zu rebellieren. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, können wir gegen die verschiedenen sozialpolitischen Projektemacher, Demagogen und Illusionskünstler nichts ausrichten, die mit ihrer Proselytenwerbung genau an diesem Punkt ansetzen.“

Die Würde des Menschen ist an seine Freiheit gebunden, entscheiden zu können, was er mit seinem Leben anfangen will. Doch genau diese Würde kümmert Reinhard Bütikofer nicht. Er beläßt es bei allgemeinen Formeln, wenn es darum geht, die von ihm favorisierte bedarfsorientierte Grundsicherung zu propagieren. Angesichts der Möglichkeiten, vor denen wir heute stehen, mißachtet jede bedarfsorientierte Grundsicherung die Würde.

Und dann dies, man staunt:

„Es ist richtig, dass Leistungsempfängerinnen und -empfänger bereit sein sollten, „der Gesellschaft etwas zurück zu geben“. Doch diese Bereitschaft ist nicht identisch mit Arbeitszwang oder der Pflicht zu sinnloser Beschäftigung. Sie kann unterschiedliche Formen haben und reicht von der normalen versicherungspflichtigen Beschäftigung bis hin zum bürgerschaftlichen Engagement. Es sollte Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Alternativen geben, und die Selbstsuche und Selbstorganisation muss Vorrang haben vor „Zuweisung“.“

Von einer Idee nimmt man die wichtigsten Begriffe und schon klingt es gut. Doch hier geht es um mehr als nur Vokabeln, es geht darum, welche Möglichkeiten geschaffen werden. Der Einzelne hat nur dann Wahlmöglichkeiten, er kann sich nur dann bürgerschaftlich engagieren, wenn die Erzielung von Einkommen nicht an erster Stelle steht. Kein bürgerschaftliches Engagement ist ohne Erwerbseinkommen möglich, das ist klar. Eine bedarfsorientierte Grundsicherung – nomen est omen – behält diese Verpflichtung bei, denn sie wird nur gewährt, wenn ein Bedarf besteht. Dieser Bedarf ist ein Einkommensbedarf, der nur für diejenigen gilt, wie Bütikofer sagt, die kein ausreichend hohes Einkommen erzielen. Also doch: Erwerbsarbeit ist das größte und soll es bleiben.

All das, was Reinhard Bütikofer mit komplizierten Regelungen erreichen will, wäre mit einem BGE viel einfacher zu erreichen. Doch Voraussetzung dazu wäre es, uns Bürgern die Freiheit dazu zu geben. Da hört der Spaß auf. Offenbar droht unseren Politikern von keiner Seite mehr Gefahr als von Bürgern, die selbst darüber befinden, woran sie „teilhaben“ wollen.

Sascha Liebermann

Was ist das solidarische Bürgergeld – bedingungsloses Grundeinkommen oder Steuergutschrift?

In einem Gastkommentar für Spiegel Online „Bürgergeld statt Mindestlohn“ hat der Ministerpräsident Thüringens, Dieter Althaus, für seinen Vorschlag eines Solidarischen Bürgergeldes geworben.

In dem gesamten Beitrag fällt nicht einmal der Ausdruck bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), der für Dieter Althaus in früheren Äußerungen wichtig gewesen ist. Seine Ausführungen bestärken auch den Eindruck, den wir an früherer Stelle schon einmal geäußert haben, daß sein Vorschlag viel mehr dem einer Negativen Einkommensteuer (NE) entspricht als einem bedingungslosen Grundeinkommen. Der Unterschied zwischen beiden ist schnell benannt: Während das BGE immer verfügbar sein soll und eine eigene Einkommensart bildet, die mit anderen nicht verrechnet wird, folgt die Negative Einkommensteuer dem Ausgleichsprinzip. „Negativ“ ist sie, weil sie erst dann einer Person gewährt wird, wenn ihr Erwerbseinkommen unter einer definierten Höhe bleibt. Wer z.B. nur 500 € Erwerbseinkommen erzielt, das Mindesteinkommen aber 800 € beträgt, erhält einen Ausgleich aus Steuermitteln.

Nun könnte man sagen, es bleibe sich gleich, ob man mit einem BGE oder einer NE auf diesem Betrag kommt. Genau darin aber liegt der Unterschied ums Ganze. Die NE hält am Erwerbsprinzip fest, gemäß dem Motto: Jeder muß zuerst einmal versuchen, Erwerbseinkommen zu erzielen. gelingt ihm dies nicht, dann erhält er eine Steuergutschrift. Das BGE hingegen folgt der Maxime: Jeder soll in die Lage versetzt werden, das zu tun, was ihm am Herzen liegt, was er für wichtig und richtig erachtet. Da es zahlreiche Betätigungsfelder jenseits von Erwerbsarbeit gibt, bedarf er dazu eines Einkommens. Ohne ein solches hätte er gar keine Wahl. Was also wie ein rechnerischer Unterschied erscheinen könnte, ist einer der Freiheit – der Freiheit, sich entscheiden zu können in Absehung von Einkommenserzielung.

An einer anderen Stelle heißt es: „Das Solidarische Bürgergeld im Sinne einer negativen Einkommensteuer bekommen nur diejenigen Bürger ausbezahlt, die es tatsächlich benötigen.“

Damit führen wir das Bedürftigkeitsprinzip fort, das schon heute stigmatisierend wirkt: Um festzustellen, ob jemand bedürftig ist, müssen wir definieren, worin Bedürftigkeit besteht. Mit einem BGE hingegen würden wir endlich das Bedürftigkeitsprinzip aufgeben: Das BGE ist ein Bürgereinkommen, die Bürger erhalten es um ihrer selbst willen. Sie werden dadurch in die Lage versetzt, mehr Verantwortung zu übernehmen und sind zugleich abgesichert. Ob sie es dann „benötigen“, können sie selbst am besten entscheiden.

Weiter heißt es: „Mir ist es wichtig, daß wir die zusätzliche Unterstützung auf die konzentrieren, die sie wirklich benötigen. Das schließt eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik ein. Wer selbstständig laufen kann, den sollte man nicht behindern. Wer Hilfe benötigt, der wird an die Hand genommen“.

Heißt „selbständig laufen“ denn, einer Erwerbsarbeit nachzugehen? Sie steht mit einer NE nach wie vor im Zentrum, gilt als dasjenige, dem wir nachstreben sollten. Dann würde das Solidarische Bürgergeld doch nur – wenn auch viel liberaler als unsere gegenwärtigen Sicherungsleistungen – eine Form dessen sein, was wir gegenwärtig haben. Wir würden die Chancen, die ein BGE uns bietet, nicht ergreifen.

Langfristig kann unser Ziel doch nur sein, Freiheit und Solidarität zu stärken. Freiheit aber schließt auch ein, sich nicht am Arbeitsmarkt zu orientieren, sondern Tätigkeiten jenseits davon zu verfolgen, die ebenso wichtig sind – das ermöglicht nur ein BGE.

Sascha Liebermann

Strukturschwache Regionen und das bedingungslose Grundeinkommen

Strukturschwache Regionen werden heute solche Gebiete in Deutschland genannt, die aufgrund ihrer geringen wirtschaftlichen Leistungskraft und folglich geringem Steueraufkommen auf eine besondere Förderung aus öffentlichen Mitteln angewiesen sind. Diese Förderung kann z.B. über den Länderfinanzausgleich erfolgen, sie kann aber genauso über zweckgebundene Mittel gestaltet werden (z.B. für bestimmte Branchen wie die Landwirtschaft) und über zusätzliche Abgaben („Solidaritätsbeitrag“). Der Freistaat Bayern wurde mit solchen Mitteln gefördert, das Ruhrgebiet wird es heute noch. Vor allem sind es die östlichen Bundesländer, aber auch einige Regionen in den westlichen, die besonders gefördert werden (siehe Karte). Allerdings erfolgt die Förderung meist zweckgebunden, sie soll also dazu dienen, bestimmte Ziele zu erreichen. Das heißt noch lange nicht, daß eine solche Förderung ihr Ziel auch erreicht, ob nicht gar Ziele angestrebt werden, die mit den Gegebenheiten einer Region gar nicht vereinbar, gar illusorisch sind. Wo es langfristig an Wirtschaftskraft fehlt, wo Menschen kein Einkommen erzielen können, wandern sie ab. Das haben in den vergangenen Jahren viele getan, viele junge dazu, mehr Frauen als Männer. In den betroffenen Regionen führt dies zu einer Verschärfung der Lage, Arbeitslosigkeit hat noch zugenommen und durch die Abwanderung gehen auch Menschen verloren, die einen langfristigen Aufbau gestalten könnten.

Wie würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die Lage dieser Regionen verändern?

Aus wirtschaftlichen Gründen, um ein Einkommen zur Lebensunterhaltung zu erzielen, müßte niemand mehr abwandern. Mit einem Grundeinkommen, solange es hoch genug wäre, würden sich ganz andere Möglichkeiten eröffnen. Regionen, die heute dafür gefördert werden, agrarwirtschaftliche Nutzflächen stillzulegen oder bestimmte Nutzpflanzen anzubauen, wären auf zweckgebundene Subventionen nicht mehr angewiesen. Kulturlandschaftliche Pflege wäre möglich, ohne daß dazu eine Förderung erfolgen müßte. Jegliche unternehmerische Initiative wäre viel einfacher zu bewerkstelligen als heute, denn auf Basis des Grundeinkommens sind Löhne von der von der Funktion der Existenzsicherung befreit. Selbst dort, wo geringere Löhne als heute zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt würden, könnte das Einkommen in der Summe höher sein. Was hier gälte, würde gleichermaßen für jeden Bereich gelten, in dem Güter und Dienstleistungen in einer solchen Region hergestellt würden, aber ganz genaus in solchen, die keine Güter in diesem Sinne erzeugen, sondern Selbstzweck sind wie Kunst und Wissenschaft, Kultur im allgemeinen. Zweckgebundene Förderung, wie sie heute stattfindet, wäre zwar auch zukünftig möglich, doch würde sie nicht mehr darüber bestimmen, wo sich die Menschen, wenn sie eine solche Förderung erhalten wollten, zu engagieren hätten. Das Grundeinkommen gäbe die Freiheit, auch wenn die öffentliche Förderung andere Zwecke für wichtig erachtet als der Einzelne, sich dennoch dort zu engagieren, wo er es für wichtig und richtig hält.

Sascha Liebermann

Rechnerisch oder systematisch? Zwei Perspektiven auf das bedingungslose Grundeinkommen

In einem Gespräch über „Grundeinkommen für alle“ zwischen Thomas Straubhaar und Hilmar Schneider im Deutschlandfunk, am 13. Juni, entstand wiederholt Verwirrung. Während Straubhaar eher auf die verändernde Kraft des Grundeinkommens hinwies, betonte Schneider vor allem, daß sich mit einem bGE gar nicht so viel ändern würde, wie viele glauben. Er warnte davor, zu große Erwartungen zu erwecken.

Woher rührt die unterschiedliche Einschätzung?

Als erstes ergibt sich eine solche daraus, wie man die Veränderungen betrachtet. Richtet man – rechnerisch – das Augenmerk nur auf den Geldbetrag, der am Ende den Bürgern als bGE zur Verfügung steht, dann könnte man zum Schluß kommen, es veränderte sich gar nichts durch das bGE. Diese Einschätzung gilt nicht nur für den Vergleich von bGE und ALG II. Er gilt auch für den von bGE und Negativer Einkommensteuer (z.B. Milton Friedman), die wesentlich liberaler wäre als ALG II. Schneider veranlaßte dies in dem Gespräch dazu festzustellen, daß die Nettosteuerschuld, die im Althausmodell ab einer bestimmten Einkommensgrenze entstehe, doch für diejenigen, die dann eine höhere Steuerlast tragen, als der Betrag des bGEs ist, vom bGE gar nichts hätten. Diese Schlußfolgerung muß ziehen, wer nur den Geldbetrag in Augenschein nimmt.

Allerdings macht es schon selbst bei diesem Betrag in Höhe von ALG II einen Unterschied, ob er frei verwendet werden kann, ob er frei von Kontrolle und Beaufsichtigung vergeben wird oder nicht. Auch Althaus sieht eine bedingungslose Vergabe vor, so daß also die Bürger, denn alle sollen das bGE erhalten, frei über es verfügen können und an das bGE keine Gegenleistungsverpflichtungen gebunden sind.

Die Sache sieht also ganz anders aus, wenn die Veränderungen, die ein bGE ermöglicht, systematisch betrachtet werden. Rückt man die Gewährungsbedingungen dabei ins Zentrum, ist selbst bei gleicher Betragshöhe wie ALG II eines erreicht: mit einem bGE von der Wiege bis zur Bahre wären alle Bürger gleichgestellt – ihr Engagement, wo immer es stattfände, wäre gleichwertig. Das Engagement wäre allerdings nur möglich, wenn der Betrag auch ausreicht, um auf Erwerbsarbeit zu verzichten.

Die Gleichwertigkeit des Engagements entsteht aus dem einfachen Zusammenhang, daß das Gemeinwesen den Betrag gewährt, ohne eine Vorleistung zu erwarten bzw. mit der Gewährung eine Rückführung in den Arbeitsmarkt zu verbinden. Ansprüche auf Transferleistungen müßten also nicht erst erworben werden, es gäbe auch nichts mehr nachzuweisen, wie es heute der Fall ist. Mit der Aufhebung dieser Verpflichtungen fiele auch der stigmatisierende Effekt der Transferleistungen weg, den nicht nur Hilmar Schneider offenbar für unbedeutend hält.

Das bGE wird vom Status (Staatsbürger bzw. dauerhaft Aufenthaltberechtigter), nicht von einer Leistung abhängig gemacht. Es ist keine Ermäßigung oder ein Steuerfreibetrag, wie Thomas Straubhaar sagte, denn einen Steuerfreibetrag kann nur geltend machen, wer Erwerbseinkommen erzielt hat, das bGE aber erhalten alle.

Von der Systematik aus gedacht, sind vom bGE erhebliche Veränderungen zu erwarten: die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen, die durch die Gewährung des Betrags ausgesprochen wird, stärkt die Solidarität, weil das bGE selbst schon solidarisch ist; jeder wird sich dann fragen, was er beitragen will und kann; das normative Ideal, demzufolge Erwerbsarbeit der höchste Zweck ist, würde aufgehoben und vieles mehr.

Daß die Freiheit, die wir ermöglichen wollen, auch von der Höhe des Betrags abhängt, versteht sich von selbst. Doch die Erfahrung zeigt, der schwerste Schritt ist der, ein wirklich bedingungsloses Grundeinkommen zu wollen. Wagen wir diesen Schritt, steht die Diskussion um die Höhe auf einer anderen Grundlage.

Sascha Liebermann

Paternalismus in zwei Kleidern – Kurt Beck und die Marktliberalen

Künstlich baut Kurt Beck in seinem Beitrag „Das soziale Deutschland“ (FAZ, 11. Juni, S. 10) einen Gegensatz zwischen der SPD und dem sogenannten Neoliberalismus der CDU auf. Vergessen gemacht werden soll wohl, wer die Politik der letzten Jahre maßgeblich geprägt hat: die SPD. In einer Reaktion auf Becks Beitrag hat Gerald Braunberger (FAZ, 12. Juni, S. 15) zurecht auf dessen verzerrte Darstellung des Neoliberalismus hingewiesen. Er hält nämlich, in der frühen ordoliberalen Gestalt, das staatliche Ordnungsgefüge für unerläßlich, um eine Marktwirtschaft zu ermöglichen.

Bei aller Kritik daran allerdings sind sich Beck und Braunberger auch einig, wie folgende Zitate zeigen:

Beck: Erwerbsarbeit ist es, die aus Armut und dauerhafter Ausgrenzung herausführt. Sie verschafft Anerkennung und Selbstwertgefühl, und sie öffnet den Weg in ein selbständiges Leben, und: Wer seine Zukunft durch eigene Anstrengung erst gewinnen muß, der spürt, welches Gewicht die Forderung nach gleichen Rechten hat. Nicht Besitz darf den Ausschlag geben, sondern die immer neue Chance des Erwerbs, nicht Ort oder Status der Geburt dürfen entscheiden, sondern allein die immer offene Perspektive eines tätigen Lebens.

Braunberger: Der neoliberale Staat ist allerdings eines nicht: eine Umverteilungsmaschine, deren Vertreter meinen, die Bürgersolidarität sei umso höher, je mehr Geld dem einen zwangsweise genommen und dem anderen gegeben werde. Er ist einer, der Freiheitsrechte innerhalb der von ihm gesetzten Ordnung respektiert, aber keiner, der den Menschen in paternalistischer Manier vorschreiben will, wie sie zu leben haben.

Worin unterscheiden sich beide Ausführungen? Doch nur darin, wie die Erwerbsverpflichtung realisiert werden soll, nicht aber darin, daß sie beibehalten werden muß. Beide wollen also gleichermaßen paternalistisch definieren, worin ein Beitrag zum Gemeinwesen besteht.
Erstaunlich ist an Becks Ausführungen, wie geschmeidig er einige der Schlagworte und Thesen aufgreift, die sonst von Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens gebraucht werden. Daran wird deutlich, wie genau in der voranschreitenden Grundeinkommensdiskussion hingeschaut werden muß, um einzuschätzen, was jemand vertritt (vgl. Enno Schmidt zu Straubhaar).

Einerseits spricht Beck von dem Willen der Einzelnen, einen Beitrag zu leisten – dann müssen sie folgerichtig nicht dazu gedrängt werden, wie es heute geschieht. Andererseits äußert er auch folgendes: Die demokratische Gesellschaft ist auf die aktive Beteiligung aller ihrer Bürgerinnen und Bürger gegründet. Sie entspricht damit dem Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit, das man auch auf die Formel „Mitarbeiten und Mitbestimmen“ bringen könnte.

Gerade der letzte Teil ist undemokratisch, weil er Mitbestimmung von Mitarbeit abhängig macht. Es heißt ja nicht „Mitbestimmen und Mitarbeiten“, Beck dreht die Reihenfolge um, aus Demokratie und Selbstbestimmung der Bürger wird eine Erwerbstätigengesellschaft. Der nächste Schritt wäre, eine vorübergehende Einschränkung der Bürgerrechte dort vorzusehen, wo ein Bürger sich dauerhaft der Erwerbsarbeit verweigert. Nun könnte man hier unterstellen, die sei eine bösartige Deutung, doch letztlich ist damit wörtlich genommen und konsequent weitergedacht, was in der zitierten Passage zum Ausdruck kommt. Vollwertiger Bürger ist in dieser Vorstellung nur der Erwerbstätige. Mit dieser Haltung läßt sich die sanktionierende Sozialpolitik à la Hartz IV sehr gut rechtfertigen.

Deutlich wird dies auch in der einzigen Passage, in der Beck sich zum bedingungslosen Grundeinkommen äußert: Ich finde es gar nicht so rätselhaft, daß von Marktradikalen bis zu Postkommunisten ein fauler Kompromiß über ein sogenanntes „bedingungsloses Grundeinkommen“ geschlossen wird. Durch Besitz Begünstigte drängen darauf, gering belastet und von der Gesellschaft in Ruhe gelassen zu werden. Das ist die übliche Abwehr, doch „in Ruhe gelassen“ – und zugleich ermutigt – würden alle. Die positive Seite der Ermöglichung, die auch Becks Vorstellung eines „vorsorgenden Sozialstaats“ innewohnen müßte, wäre mit dem bGE auf einfache Weise wirkungsvoll erreicht.

Weiter heißt es: Die anderen nehmen es hin, daß die Schwächeren nur noch alimentiert und damit abgespeist und ausgegrenzt werden. Das Ergebnis wäre sicher nicht die klassenlose Gesellschaft, sondern eine Spaltung Deutschlands in einen produktiven und einen stillgelegten Teil.

Wie ließe sich jemand ausgrenzen und abspeisen, der durch das bGE in die Lage versetzt würde, sein Leben in die Hand zu nehmen, zu jeder Zeit, für jede ihm wichtige Sache oder Person? Daß auch Beck, wie schon andere Kritiker (Daniela Schneckenburger, Oswald Metzger [beide Die Grünen]; Andrea Nahles, SPD) vor ihm, davon ausgehen, Bürger ließen sich stillegen, ist bezeichnend: So kann nur denken, wer den Menschen gar nichts zutraut und glaubt, zu allem bedürften sie einer fürsorglichen Betreuung. Hatte Beck dem nicht gerade an anderer Stelle widersprochen? Sein vorsorgender Sozialstaat ist ein bevormundender Betreuungsstaat, das ist gewiß.

Obwohl Beck auch solche Dinge sagt: Leistungsträger sind doch nicht nur Besserverdiener, sondern oft gerade die kleinen Leute in ihrem Beruf, in ihrer Nachbarschaft, in ihrem Verein und ihrer Familie – besteht kein Zweifel, für welche Zukunft er steht. Im Unterschied zu anderen Mitgliedern der SPD, wie im Kreisverband Rhein-Erft, nimmt er die Freiheit der Bürger nicht ernst, würde er sonst entsprechende Vorschläge unterbreiten und das bGE in seinen Chancen erkennen. Was er und auch seine Kritiker vorschlagen, ist doch nur eine Fortsetzung der aktivierenden entmündigenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mit anderen Vokabeln. Auch damit unterschätzen beide die mündigen Bürger, die das bemerken.

Sascha Liebermann

SPD Rhein Erft für bedingungsloses Grundeinkommen

Im Sommer 2006 wurden wir zweimal von der SPD Rhein Erft zur Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeladen. Nun hat der Kreisverband sich dafür ausgesprochen, das bGE ins Grundsatzprogramm der SPD aufzunehmen. Ein Bericht zum Parteitag findet sich hier.

Das Bedingungslose Grundeinkommen auf „Ratten“-Fang (Hans-Olaf Henkel)

„Rattenfänger“ seien die Vertreter eines bedingungslosen Grundeinkommens, eine „spinnerte“ Idee sei es – so eröffnete Hans-Olaf Henkel seine Diskussion über das Grundeinkommen im ZDF Nachtstudio am 20. Mai. Götz W. Werner und Michael Opielka hätten an dieser Stelle zurecht die Sendung verlassen können, denn sie waren direkt angesprochen – sie blieben aber, um viel wirkungsvoller und für die Sache klärend auf die Einwände zu antworten.

Was von Hans-Olaf Henkel in dieser Sendung zu erwarten war, das ist zu Beginn deutlich geworden. Berufen dazu, die Nation aufzuklären und zu erziehen, die „Ratten“ – also uns Bürger – vor der Verführung zu bewahren, wie er in der Sendung bekannte („Wir müssen die Menschen dazu erziehen, für sich selbst sorgen zu können“), zeigte er nicht den Funken eines Bemühens, sich mit der Idee auseinanderzusetzen. Statt dessen spulte er die Thesen zum Untergang der deutschen Wirtschaft, des Bildungswesens usw. ab, die man in den letzten Jahren immer wieder von ihm vernehmen konnte. Er bemerkte nicht, wie sehr er mit dieser Haltung urdeutsche Besserwisserei zur Schau stellte, die er des öfteren schon anderen attestiert hat. Er weiß schon immer, was richtig ist, ein argumentativer Streit ist deswegen überflüssig.

Die dramatischen Folgen der Konsumsteuer wollte er Götz Werner vor Augen führen, was dann wohl in grenznahen Gebieten mit seinen DM-Märkten geschähe? Als dieser darauf entgegnete, in Konstanz seien, trotz der in Deutschland im Vergleich zur Schweiz viel höheren Mehrwertsteuer, die Umsätze der DM-Märkte hervorragend, wich Henkel aus. War wohl ein schlechtes Beispiel.

Eine Konsumsteuer von 50% wäre eine Katastrophe für grenznahe Unternehmen – kein Wort verlor er darüber, daß es dann keine Einkommensteuer mehr geben soll, die Einkommen von Unternehmen und Privatpersonen also entlastet würden. Die Binnenwirtschaft würde gestärkt, ein wirklicher Arbeitsmarkt könnte entstehen.

Wenn er nun selbst nichts zu sagen hatte – auf einen Gegenvorschlag wartete man vergebens –, weshalb dann nicht wenigstens gute Einwände oder Nachfragen zum Grundeinkommen vorbringen? Dazu hätte er sich damit beschäftigen müssen, das wollte er auf keinen Fall. Vielmehr erkennt er in der Diskussion eine gesellschaftspolitische Fehlentwicklung, die Diskussion sei gefährlich.

Ganz gleich, ob über die dynamisierenden Effekte des bGEs auf die Wirtschaft, die Freiheit zum Wollen und die Befreiung vom Müssen, die Entlastung der Arbeit und der Wertschöpfung diskutiert wurde – alles hoffnungslos, denn Hans-Olaf Henkel wußte schon immer Bescheid.

Erstaunen mußte die Überheblichkeit, die sowohl Herr Henkel als auch Herr Druyen gegenüber der Politik an den Tag legten. Sie haben leicht reden, müssen sich politisch nicht bewähren und um Stimmen kämpfen – da ist es ein Leichtes, die Welt zu belehren. Thomas Druyen, der das bGE für vollkommen absurd hielt und die Grundeinkommensdiskussion auf den Mangel politischer Kompetenz zurückführte, hatte auch keinen Gegenvorschlag zu bieten – das ist nicht ganz richtig: ein Beschäftigungsmarkt müsse her, für über 60 Jährige. Auch er hat das bGE nicht verstanden, wie es scheint, denn mit einem solchen müßte niemand beschäftigt werdener könnte sich aber mit allem beschäftigen, das er für interessant hielte.

In einem waren sich beide – Henkel und Druyen – sicher: sie wußten schon immer Bescheid, und genau das ist ein ernsthaftes Problem für eine Diskussion über Lösungen für unsere Probleme.

Sascha Liebermann

Abwehrgefechte und journalistische Verweigerung – Maybrit Illner

Schon der Titel „Geld fürs Nichtstun. Wie gerecht ist ein Grundeinkommen für alle?“ unter dem die Sendung Maybrit Illner stand, ließ nichts Gutes ahnen. Allzu bekannt ist die zwanghafte Dauerwitzigkeit, mit der die Moderatoren des öffentlich rechtlichen Fernsehens alles und jeden überziehen. Ernsthafte Fragen auch ernsthaft zu diskutieren, das scheint unmöglich. Sich in den Dienst der öffentlichen Meinungsbildung zu stellen – die erste Aufgabe eines Journalisten – ist zur Ausnahme geworden. Nicht nur die Themen auch die Gäste werden zur Dekoration der Moderatorin und des Senders degradiert.

Diesem Gehabe fügt sich auch, daß Gäste vorgeführt und instrumentalisiert werden, wie ein Gast, Bezieher von ALG II, der sich zum Vorschlag des Grundeinkommens äußern sollte. Nur weil er ALG II bezieht und die ganze Mühle des Apparats durchlitten hat, von daher sich selbstverständlich nach einer Arbeitsstelle sehnt – sollte er deshalb dem Grundeinkommen aufgeschlossener sein als andere? Keineswegs, wie zu erfahren war. Auch hat er „gerechnet“ und genauso wenig die Veränderungen durch das Grundeinkommen berücksichtigt wie die anderen Kritiker auch. Statt sich auf die Idee einzulassen oder tragfähige Einwände vorzubringen, stimmt er ein: „Die [ALG II-Bezieher] wollen alle arbeiten“ und lehnt deswegen das Grundeinkommen ab. Ihn vorzuführen hatte zumindest eine entscheidende Wirkung: Schon aus Takt kritisiert niemand seine Äußerungen. Auch so beinflußt man die öffentliche Meinung, genau dazu hat ihn Frau Illner benutzt.

„Geld für’s Nichtstun“ – mit einem solchen Etikett versehen, läßt sich ein Vorschlag leicht desavouieren, er sollte offenbar verunglimpft werden. Das Grundeinkommen wird ja nicht für das Nichtstun gewährt, sondern um dem Einzelnen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung zu eröffnen oder, wie Dieter Althaus sagte, um ihm Freiheit zurückzugeben. Womöglich nutzen manche diese Freiheit zum Nichtstun, aber ist das heute anders? Wer sich nur und vor allem des Geldes wegen engagiert, wie ernsthaft interessiert er sich für die Aufgabe, für deren Bewältigung er das Geld erhält – wohl gar nicht. Solche Mitarbeiter sind nirgendwo gern gesehen, weder in Unternehmen, noch in wohltätigen Organisationen und auch als Bürger sind sie nicht bereit, einen Beitrag zu leisten. Nur aber, weil es davon wenige gibt, sollten wir alle bestrafen? Und wer weiß, was diejenigen, dies sich heute nicht engagieren, täten, gäbe es ein Grundeinkommen? Da hilft es auch nicht weiter, die üblichen Vorurteile zu verbreiten wie Oswald Metzger (Die Grünen) oder Rita Knobel-Ulrich (Journalistin) es getan haben. Wo von Freiheit gesprochen wird, sehen sie das Schlaraffenland heraufziehen, ohne Peitsche keine Leistung – das gilt natürlich nicht für Metzger und Knobel-Ulrich selbst, sondern für die anderen.

Die subtilen Einspieler und Schaubilder waren tendenziös, als säßen wir Bürger auf einer Parkbank herum und warteten nur auf die Überweisung des Grundeinkommens. Auch der Vergleich des ALG II mit dem Solidarischen Bürgergeld (SB) war mutwillig verzerrt. Er sollte zeigen, daß ALG II-Bezieher sich mit dem SB verschlechtern würden, enthielt allerdings keinen Hinweis auf die heute geltenden Anrechnungsregelungen für Zuverdienste (80-90% ab 101 € werden angerechnet). Beim SB ist die Anrechnung geringer, beim bGE ist sie erst gar nicht vorgesehen.

Otmar Schreiner (SPD) erregte sich dann über die Ungerechtigkeit, daß auch Reiche das Grundeinkommen erhalten würden. Warum auch nicht, als Bürger unseres Gemeinwesens steht es jedem zu. Otmar Schreiner war wohl nicht bewußt, daß heute sowohl Kindergeld als auch Steuerfreibetrag ebenso für alle gelten, auch für diejenigen, die es seiner Auffassung nach nicht brauchen. Vollbeschäftigung sei sehr wohl erreichbar, wenn man nur wolle, so der Tenor von Otmar Schreiners Ausführungen. Aber wozu sollten wir sie anstreben, wenn ein Grundeinkommen vielfältigere Entfaltungsmöglichkeiten schaffen würde, als wir je zuvor hatten – ohne Sozialverwaltung, Gängelung, Betreuung? Darüber hinaus würde endlich jedes Engagement anerkannt und wertgeschätzt, ob es nun Erwerbsarbeit wäre, die Erziehung der Kinder oder das bürgerschaftliche Engagement.

Wer nun behauptet, wir haben doch schon eine Grundsicherung und bräuchten deswegen gar kein bGE, wie Frau Knobel-Ulrich, der bezeugt, daß er sich mit dem bGE nicht auseinandergesetzt hat. Dies war auch ein Mangel der gesamten Sendung. Statt den Vorschlag einmal breit auszuleuchten und ins Verhältnis zu gegenwärtigen Regelungen zu setzen, wurde abgewehrt, wo es nur ging. Was man fürchtet, ohne Argumente dagegen zu haben, das muß man abwehren.

Oswald Metzger ereiferte sich, das Grundeinkommen sei eine Stillhalteprämie – daran läßt sich ablesen, was er von uns Bürgern hält. Wer glaubt, wir Bürger lassen uns einfach „stillhalten“, der traut uns nichts zu. Wer uns nichts zutraut, der hält es für wichtig, daß wir „in Arbeit gesetzt“ werden. Ganz in diesem Sinne auch Otmar Schreiner, der eine Spaltung der Gesellschaft befürchtet, was er nur kann, weil er meint, die tatsächliche „Integration“ erfolge über Erwerbsarbeit und nicht über die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen. Das bGE erlaubte es dem Einzelnen, dort initiative zu werden, wo er es für richtig hält, mehr Freiraum als heute, hätte er dann. Wo also soll die Spaltung herkommen? Bürger bleiben wir alle, wo auch immer wir uns engagieren, ob wir etwas leisten oder nicht, Bürger sind wir um unser Gemeinwesen willen. Doch genau das Bewußtsein von diesem Zusammenhang fehlt.

Sascha Liebermann

Das Menschenbild des Grundeinkommens „ist nicht wünschenswert“ (Prof. Gerhard Bosch)

Im Funkhausgespräch auf WDR 5, am 30. März diesen Jahres, haben Götz W. Werner und Gerhard Bosch (Professor an der Universität Duisburg Essen) über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert („Grundeinkommen – der Traum vom sorgenfreien Leben“). Die Einwände des Arbeits- und Wirtschaftssoziologen verdienen eine Kommentierung, denn an ihnen wird deutlich, wie tief das Mißtrauen gegenüber den Bürgern ist, wie sehr wir eine Politik machen, die von der Ausnahme und nicht von der Regel ausgeht.

Zuerst fiel das individualistische Menschenbild des Soziologen auf, der partout nichts vom „Staat“ geschenkt haben will. Er will sein Leben selbst gestalten und sein Geld selbst verdienen. – Was hat dies mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu sein? Offenbar hat es vor allem mit einem Menschenbild zu tun, das glaubt, es gebe einen einzigen Bürger in unserem Land, der sich selbst versorgen, der ohne die kollektive Unterstützung unseres Gemeinwesens überhaupt leben könne. Gerade Gerhard Bosch als Professor müßte es besser wissen, er muß sich nicht am Markt bewähren, kann als Beamter geschützt forschen und lehren. Und nicht einmal für den privatwirtschaftlichen Markt gilt, was er für den Einzelnen behauptet. Sonderbar, daß er genau für den Markt etwas einräumt, was er für den Einzelnen nicht gelten läßt: daß beide nämlich vom Gemeinwesen abhängig sind. Der Markt ist nur existent durch die ordnungspolitische Stabilisierung, die das Gemeinwesen leistet. Erstaunlich genug, daß ein Soziologe all dies behauptet, denn wir alle leben vom und im Gemeinwesen.

Darüber hinaus verbietet ein Grundeinkommen nicht, ein zusätzliches Erwerbseinkommen zu erzielen, genausowenig wie es vorsieht, die Lebensgestaltung in die Hand des „Staates“ zu legen – auch das behauptet Gerhard Bosch in der Sendung. Heute haben wir doch viel weniger Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten, als es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen der Fall wäre. Fragt man sich, woher all die sonderbar verdrehten Einwände gegen das Grundeinkommen herrühren, stößt man letztlich auf das, was dann auch eingeräumt wird: Gerhard Bosch hält das Menschenbild des Grundeinkommens für nicht wünschenswert. Eigentlich müßt er dann auch gegen die Demokratie sein, die auf den Gestaltungswillen des Einzelnen setzt; gegen die die marktwirtschaftliche Ordnungspolitik, die darauf setzt, daß Unternehmer und Unternehmen Güter und Dienstleistungen erzeugen.

Wo er mit den Konsequenzen seiner Einwände polemisch konfrontiert wird, gibt er sich erschrocken. Doch Sachhaltigkeit und Nüchternheit sind nicht dasselbe. Ein sachhaltiges Argument kann durch polemische Zuspitzung an Klarheit gewinnen – in nüchterner Askese läßt sich alles behaupten, ohne ein einziges Argumente vorzubringen.

Im Unterschied zum Paradies, also zu einem sorgenfreien Leben, wie es Gerhard Bosch einem Leben mit Grundeinkommen attestiert, wäre es eine enorme Herausforderung. Jeder Mensch stünde viel mehr als heute vor der Frage, was er mit seinem Leben anfangen will. Nicht mehr, sondern weniger Intervention des „Staates“ würde das Grundeinkommen bedeuten.

Wer Arbeitslosengeld II für ein Grundeinkommen hält, wie Gerhard Bosch, hat sich entweder nicht mit den Vergabebedingungen beschäftigt oder hält die rigide Kontrolle für erstrebenswert. „Aktivierung von Arbeitslosen“, „Druck“ sei notwendig, sonst würden wir die Bedürftigen sozial vernachlässigen. „Drogenabhängige Jugendliche“ benötigen sozialarbeiterische Unterstützung – wer hätte etwas dagegen – doch unter welchen Bedingungen findet sie heute statt? Freiwillig oder erzwungen?

Wer ALG II erhalten will, muß eine rigide Kontrolle und Durchleuchtung über sich ergehen lassen. Was wie beratende Hilfe dargestellt wird, ist heute tatsächlich eine Bevormundung und unterläuft die Voraussetzungen für eine gelingende Hilfe: nur wenn Rat und Hilfe freiwillig gesucht werden, werden die Selbstheilungskräfte des Einzelnen gestärkt. Erzwungene Hilfeleistungen setzen nur die Stigmatisierung fort, die wir heute schon erleben. Statt von den Ausnahmen her unser Sozialsystem zu entwerfen, wie es Gerhard Bosch tut, müssen wir von der Regel her denken. Statt ein Szenario der „sozialen Vernachlässigung“ zu entwerfen, die mit dem Grundeinkommen einhergehe, sollten wir uns einmal fragen, weshalb Einzelne nicht oder kaum in der Lage sind, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Wer in dieser Lage ist, wird durch ein Grundeinkommen gestärkt, er muß sich vor keiner Behörde mehr rechtfertigen, er könnte vom Grundeinkommen leben, solange es hoch genug ist.

Doch dem Einzelnen zu vertrauen, das fällt uns besonders schwer (siehe auch „Grundeinkommen – ein gefährlicher Traum“, von Carsten Schneider (MdB, SPD): ) da werden alle möglichen Einwände mobilisiert und Gefahren mahnend beschworen, die doch letztlich nur eines offenbaren: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – und genau damit würde das bedingungslose Grundeinkommen Schluß machen.

Sascha Liebermann

"Nie wieder Hartz IV" (Die Zeit) – wahrlich weltfremd

In Die Zeit vom 12.4.2007 hat sich Kolja Rudzio in dem Beitrag „Nie wieder Hartz IV“ mit dem Grundeinkommen beschäftigt. Derselbe Autor hatte sich schon einmal im September 2005 in dem Beitrag „Sozialhilfe für alle“ zum Grundeinkommen geäußert.

Nach einer kurzen Darstellung kursierender Vorschläge zum Grundeinkommen, in der auch wieder einmal manches durcheinander geht, die Negative Einkommensteuer mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gleichgesetzt wird und betont werden muß, daß das Grundeinkommen nichts Neues sei, sind die abschließenden Ausführungen die eigentlich interessanten.

Dort heißt es z.B.: „Alle Rechenspiele haben einen Pferdefuß: Ihr Ergebnis steht und fällt mit der Frage, wie sich das Verhalten der Menschen ändert, wenn das mühelose Einkommen gesellschaftliche Realität ist.“

Ganz genau, das können wir nicht vorhersagen, wir können aber sehr wohl daraus, wie die Menschen in der Vergangenheit gehandelt haben, nach welchen Überzeugungen sie dies taten, Schlußfolgerungen darauf ziehen, was ihnen wichtig ist und ob es wahrscheinlicher ist, daß sie Möglichkeiten der Selbstbestimmung ergreifen oder sich dirigieren lassen werden.

Weiter heißt es in dieser Passage: „Werden die, die heute noch brav [Hervorhebung SL] zur Arbeit gehen und Steuern zahlen, dann genauso viel schuften wie bisher? Oder würden sich immer größere Milieus an Alimentierung gewöhnen und dauerhaften Anstrengungen gar nicht mehr gewachsen sein?“

Ob die Einzelnen brav, also gehorsam und obrigkeitsliebend zur Arbeit gehen werden, das scheint den Autor mehr zu kümmern als die Frage, was denn dagegen spricht, daß sie die Freiheiten ergreifen werden. Man könnte meinen, heute lebten wir in einem Gefängnis, als kontrollierten Wärter die Folgsamkeit der Insassen – dabei leben wir in einer Demokratie. Kolja Rudzio hat in die Bürger und ihr Verantwortungsempfinden wenig Vertrauen. Was ist nun weltfremd, die Einschätzung Kolja Rudzios oder das Vertrauen in die Bürger?

An einer anderen Stelle heißt es: „Menschenbilder bietet die Wissenschaft zuhauf. Aber eine Prognose, wie sich eine Gesellschaft langfristig verändern würde, lässt sich nicht ableiten. Auch in der Praxis gibt es kaum Erfahrungen.“

Was wäre daraus nun zu folgern? Etwa dies, daß es abwegig ist, den Bürgern zu vertrauen, weil ihr Handeln nicht berechenbar ist; daß also, weil man die Bürger nicht berechnen kann, ihnen auf keinen Fall vertraut werden sollte?

Weise heißt es später: „’Aber viele junge Leute müssen wir mit unendlich viel Aufwand für Arbeit begeistern, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass sie auch so Geld bekommen.’ Sie wüssten genau, was sie im Amt erzählen müssten, damit ihnen keine Leistungen gestrichen würden.“

Diese jungen „Leute“ sind also lebensklug, könnten wir sagen, sie spüren genau, in welche Mühle wir sie drängen. Was haben wir der Jugend denn zu bieten, außer den ewiggleichen, freiheitsfeindlichen Sprüchen der vergangenen 10 Jahre? Daß eine gewisse Verweigerungshaltung auch Protest ist, aus einem Ohnmachtsempfinden heraus geschieht – wer würde das bezweifeln. Wenn tagein tagaus in der öffentlichen Diskussionen, den politischen Stellungnahmen und der Schule verkündet wird, individuelle Neigungen und Interessen seien unbedeutend oder nachrangig, die Hauptsache es werde irgendeine Arbeit gemacht – dann sollte uns das nicht überraschen. Statt dessen täte es not, nach den Gründen zu fragen.

In der Fortsetzung der Äußerung wird es noch deutlicher: „’Die haben ihr bedingungsloses Grundeinkommen schon!’ Deshalb sei auch die Bereitschaft groß, eine Lehre abzubrechen. ‚Es fehlt immer häufiger der Wille, bei der Arbeit auch einmal einen Konflikt durchzustehen’, sagt Henke, der seit über 30 Jahren im Arbeitsamt tätig ist.“

Auch hier sollten wir uns nach den Gründen fragen. Weshalb einen Konflikt durchstehen und woher die Kraft dafür nehmen, wenn man sich mit der Sache, um die es geht, nicht identifiziert, wenn sie den eigenen Interessen nicht entspricht?

Schließlich zeigt sich, was für real gehalten wird: „Die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens erscheint da manchen wie ein Befreiungsschlag zur Überwindung der sozialpolitischen Ohnmacht. Ginge es aber nur um das Ziel, den Menschen Alternativen zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen, so ließe sich das auch ohne einen kompletten Systemwechsel erreichen. Geld ohne klassische Arbeit – Beispiele für eine schrittweise Umsetzung sind das Elterngeld [man höre und staune, als sei das ein Schritt in die Freiheit] oder die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente. Auch Bafög, Altersteilzeit oder Arbeitslosengeld könnten weniger restriktiv gewährt werden. Selbst eine staatliche Förderung von Sabbaticals ist denkbar. Das alles ist zwar weniger berauschend als die große Sozialutopie vom Einkommen ohne Arbeit – aber real.“

Da läßt sich nur resümieren: Wer nicht verstanden hat, daß wir schon heute in die Bürger vertrauen müssen und es tun, auch wenn wir dies nicht wahrhaben wollen, denn ohne Vertrauen ist eine Demokratie gar nicht möglich; wer nicht wahrhaben will, daß Mitarbeiter in Unternehmen produktiv und kreativ sind, wenn sie eine Aufgabe gerne übernehmen, sich mit ihr identifizieren, wer also all das verleugnet und für irreal hält, der – und nicht das bedingungslose Grundeinkommen – ist wahrlich weltfremd.

Sascha Liebermann