Ist das denn nur ein „Gedankenexperiment“, es ist doch in vielerlei Hinsicht Realität?

Wo sonst, wenn nicht in der westlich liberalen Demokratie, ist dieses Vertrauen institutionalisiert, ist es zur Legitimationsquelle von Herrschaft geworden? Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dies einst prägnant formuliert, Ernest Renan hat es in anderer Form getan: „Das Dasein einer Nation ist – erlauben Sie mir dieses Bild – ein tägliches Plebiszit, wie das Dasein des einzelnen einen andauernde Behauptung des Lebens ist“, es wären weitere zu nennen – oder ein Blick in das Grundgesetz zu werfen. Insofern wäre ein BGE eben nur die Konsequenz aus einer solchen politischen Ordnung und eine Überwindung eines Sozialstaats, der anachronistisch ist, der Stellung seiner Bürger in der Demokratie nicht gemäß.

Siehe dazu auch hier.

Sascha Liebermann

„Jeder Mensch hat ein Anrecht…“…

…ergänzen müsste man noch: Es darf keine Bürger zweiter Klasse geben, denn der Bürgerbegriff benennt etwas Grundsätzlicheres als der Arbeitnehmerstatus. Was soll man zu solchen Äußerungen des Bundesarbeitsministers noch sagen? Da kann die Konsequenz nur Hartz IV sein.

Sascha Liebermann

„Scholz lehnt Grundeinkommen ab. Hat der SPD-Kanzlerkandidat das S vergessen?“…

…fragt Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel. Casdorff schreibt, dass ein BGE „klassisch sozial und demokratisch ist: Der Staat überweist monatlich einen festen Betrag an alle Bürger, unabhängig von deren Kontostand und ohne Gegenleistung“, das wäre seiner Meinung nach Grund genug für die SPD, sich dem BGE anzunehmen. Casdorff übersieht dabei aber, dass die SPD keine Tradition hat, in der sie Nicht-Erwerbstätige für genauso wichtig erachtet wie Erwerbstätige, es fehlt ihr ein positiv besetztes Verständnis von bürgerschaftlicher Vergemeinschaftung, die das wirklich integrierende Moment ist – nicht die Erwerbstätigkeit. Sie steht für die weitestgehende Auswechselbarkeit des Einzelnen, weil er nur der Bewältigung einer Aufgabe zu dienen hat, daran bemisst sich sein Wert. Das ist die moderne Form von Arbeitsverhältnissen, die zugleich eine Befreiung von Leibeigenschaft bedeutete. Soziale Integration, wie es häufig genannt wird, leistet sie aber nicht. Die politische Vergemeinschaftung der Bürger schon.

Sascha Liebermann

„Das bedingungslose Grundeinkommen – eine Frage des Menschenbildes“ oder des Blicks auf die Realität?

In seinem Beitrag auf FirstLife stellt Hannes Rolfes in groben Zügen Aspekte der Diskussion dar und plädiert für ein positiveres Menschenbild. Das kann man tun und auf die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen verweisen, allerdings ist ein Menschenbild ja nicht einfach etwas, das man sich aussucht wie ein Kleidungsstück. Welches Menschenbild wir haben hat seinen Grund darin, wie wir über den Menschen denken. Darüber hinaus aber steht das vom Autor skizzierte negative Menschenbild im Widerspruch zu den praktischen Erfahrungen, die man leicht machen kann, denn auch im Alltag muss jeder Entscheidungen treffen, also „kreativ“ sein in gewisser Hinsicht und sein Leben in die eigenen Hände nehmen. Die Grundfesten unserer Demokratie (Art. 20 (2)) macht die Zumutungen deutlich, die für uns alltäglich sind, dass wir nämlich auf die Mündigkeit der Bürger setzen, ihre Selbstbestimmung bzw. Autonomie. Wer ein negatives Menschenbild hat, muss sich die Frage stellen, ob es mit der Realität übereinstimmt. Das ist der Lackmustest.

Siehe unsere früheren Ausführungen zu Bedeutung des Menschenbildes hier und hier.

Sascha Liebermann

Bedingungsloses Grundeinkommen oder Recht auf Arbeit? Demokratie spielt keine Rolle

Martin Kronauer hatte in der Ausgabe von Prokla im Dezember 2019 für ein Recht auf Arbeit und gegen das Bedingungslose Grundeinkommen plädiert. Stephan Lessenich antwortet ihm in der März-Ausgabe von Prokla und bringt zentrale Einwände vor. Beide Beiträge sind bei Labournet zugänglich, siehe hier. Die Studie Lessenichs für die Friedrich Ebert Stiftung, auf die sich Kronauer u.a. bezieht, finden Sie hier.

Lessenich konstatiert gegen Ende seines Beitrags, worin das eigentliche Skandalon des Bedingungslosen Grundeinkommens bestehe, es sei die Bedingungslosigkeit, denn sie breche mit dem „bürgerlichen Leistungsprinzip“, das für eine Leistung eine Gegenleistung vorsehe. Das allerdings erweist sich bei genauerer Betrachtung als Verkürzung eines modernen Leistungsethos, dessen Maßstab das Erzeugen von Problemlösungen ist. Die verkürzte, von Lessenich zitierte, Variante steckt noch in der Vorstellung fest, Erwerbstätigkeit zu überhöhen, und zwar um den Preis des Herabsetzens von Leistung. Arbeitsplätze stehen im Zweifelsfall über dem Leistungsethos (siehe hier und hier), weil sie Selbstzweck sind.

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Kevin Kühnert: „…meine Angst ist, dass die andere Hälfte der Gesellschaft“ – Bevormundung durch Besorgnis

In diesem Videointerview redet sich Kevin Kühnert um Kopf und Kragen, wenn es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen geht. Er schildert, was ihm Angst mache angesichts eines BGE  (ab Minute 28:22). Zuerst gibt er seine Aufgeschlossenheit zu erkennen, zeigt in die Kamera, welches Buch er dazu lese, erzählt, mit wem er darüber spreche und dass die Argumente, die pro BGE vorgebracht werden, alle gut klingen. Er nennt selbst einige Beispiele, was durch es möglich werde (z. B. Zeitsouveränität). Dann geht es mit den Einwänden los – wobei Einwände gegen ein BGE folgen gar nicht.

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Wenn das eine nicht aus dem anderen folgt – der Sozialphilosoph Axel Honneth zum Grundeinkommen

Axel Honneth, Prof. em. an der Goethe-Universität Frankfurt, äußerte sich in einem Interview mit dem Handelsblatt ausführlich zum Bedingungslosen Grundeinkommen und weiteren Fragen, die damit in Verbindung stehen. Dabei fällt auf, dass Honneth sich recht abstrakt mit gesellschaftlichen Entwicklungen befasst, so z. B. hier:

„[Handelsblatt] Dabei hatte der Mensch wohl noch nie so viel Freizeit wie heute.
[Honneth] Es ist aber eine freie Zeit, die viel stärker als früher gleichzeitig von Forderungen des Arbeitslebens durchzogen ist – was durch die Digitalisierung inzwischen noch gesteigert wurde. Nur die wenigsten von uns sind doch konsequent offline am Abend und am Wochenende.“

Hier wie auch an späteren Stellen verliert Honneth kein Wort darüber, wie sehr die Bedeutung des  „Arbeitslebens“ durch sozialpolitische Reformen verstärkt wurde. Zwar reagierten die Agenda 2010 und ihre Vorläufer schon auf Wandlungen in der Deutung des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, sie haben zugleich aber diese verstärkt. Die Verschärfung von Sanktionsmöglichkeiten so wie die workfare-Ausrichtung der Sozialpolitik haben diese Entwicklung institutionalisiert. Die Entleerung des Leistungsbegriffs (siehe auch hier), die Bejubelung jegliches Zuwachses an Erwerbstätigen, ganz gleich in welchem Umfang, sind Ausdruck dessen. Es sind nicht einfach „Forderungen des Arbeitslebens“, wie Honneth sagt, es handelt sich um einen breiten normativen Konsens bezüglich des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, der dazu führt, dass sich die „Forderungen des Arbeitslebens“ so entwickeln können. Vielleicht würde Honneth das auf Rückfrage ähnlich sehen, es fällt allerdings auf, dass er es gar nicht erwähnt.

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