Das liberale Bürgergeld – Hartz IV light?

Christian Lindner (siehe auch den Beitrag in junge welt) hat den beinahe versunkenen Vorschlag eines liberalen Bürgergeldes, zu dem die FDP im Jahr 2005 einen Beschluß gefasst hatte, wieder hervorgeholt. Siehe frühere Kommentare von unserer Seite dazu hier, hier und hier. Auf den Vorschlag wird auch Bezug genommen in einem Interview mit Sascha Liebermann und Theo Wehner bei Zeit Online (hier die Langfassung).

„Ich frage mich, ob er die Menschen in ihren Belangen ernst nimmt“…

…sagte die stellvertretende Bundesvorsitzende des Bündnis Grundeinkommen, Cosima Kern. Sie antwortet damit auf eine Äußerung Christian Lindners, der davon sprach „manchmal brauchst du so einen Arschtritt“ und dem Bedingungslosen Grundeinkommen attestierte, dass es das nicht leisten könne.

„…manchmal brauchst du so einen Arschtritt“…

…diese Haltung eines liberalistischen Paternalismus‘ oder paternalistischen Liberalismus legte Christian Lindner (FDP) in einer Pro Sieben-Sendung an den Tag. Klaas Heufer-Umlauf befragte ihn in seiner Sendung „Ein Mann, eine Wahl“. Zitiert wurde daraus meist die Passage, in der es um darum geht, dass ein junger Mensch mit 18 Jahren manchmal einen Tritt in den „Arsch“ benötigt. Das Interview mit Lindner ist aber widersprüchlich, und zwar ebenso widersprüchlich wie schon sein Gespräch mit Konstantin Faigle vor einigen Jahren.

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Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein – irgendwie auch was mit Grundeinkommen

Der entsprechende Auszug aus dem Koalitionsvertrag der neuen Regierung in Schleswig-Holstein lautet:

„Wir werden daher ein Zukunftslabor mit den Akteurinnen und Akteuren der Arbeitsmarktpolitik und aus der Wissenschaft ins Leben rufen, in deren Rahmen die Umsetzbarkeit neuer Absicherungsmodelle, z.B. ein Bürgergeld, ein Grundeinkommen oder die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme, diskutiert und bewertet werden sollen. Ebenso wichtig wie die soziale und ökonomische Flexibilisierung des Arbeitslebens soll dabei auch die Entbürokratisierung der Arbeits- und Sozialverwaltung sein. Die Ergebnisse dieses Prozesses wollen wir in die bundespolitische Debatte tragen, um unser Land fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen und um Existenzängste von den Bürgerinnen und Bürgern fern zu halten.“ (S. 31)

„FDP: Kinder-Grundeinkommen statt Elterngeld“ – wäre das ein Schritt zum allgemeinen Grundeinkommen?

Dieser Vorschlag kommt aus der FDP (siehe auch hier), klingt zuerst gut, erweist sich schnell aber als beschränkt. Was hilft es Eltern, wenn ihre Kinder ein Grundeinkommen erhalten, sie aber weiter erwerbstätig sein müssen, um das Auskommen der Familie zu sichern? Wie wir die FDP kennen, soll das Grundeinkommen sicher nicht so üppig ausfallen, dass Eltern zuhause bleiben könnten. Selbst wenn das der Fall wäre, bliebe aber die normative Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit für Erwachsene bestehen, denn das Kindergrundeinkommen richtet sich an Kinder und entlässt Eltern nicht aus der Erwerbsverpflichtung.

Dass ein Kindergrundeinkommen nicht notwendig ein Einstieg in ein allgemeines Grundeinkommen wäre, darauf hat Sascha Liebermann in einem früheren Blogbeitrag hingewiesen, siehe „Gleiches Kindergeld für alle, Kinder-BGE – Schritte zum BGE für alle Bürger?“, „Förderung des Kindeswohls ohne Eltern“ und „Elterngeld abschaffen?“.

Weiter hinein ins Arbeitshaus

„Die Jugend soll arbeiten“, so ist ein Beitrag in der taz übertitelt, der von den jüngsten Plänen der Regierungskoalition spricht. Überraschend? Nein, konsequent, denn Daumenschrauben können immer weiter angezogen werden. Haben sie bislang nichts bewirkt, waren sie zu wenig angezogen. Also, nichts Neues von CDU und FDP (siehe Kommentar vom letzten September).

Bürgergeld und Grundeinkommen – besser als Hartz IV?

So lautet der Titel eines Dossiers bei n-tv.

Äußerungen Guido Westerwelles – wie z. B. diese: „Und ich finde, es ist geradezu eine zynische Debatte, wenn diejenigen, die in Deutschland arbeiten, die aufstehen, die fleißig sind, sich mittlerweile dafür entschuldigen müssen, dass sie von ihrer Arbeit auch etwas behalten möchten. Denn wir können nicht nur eine Debatte führen über die Bezieher von staatlichen Leistungen, sondern wir müssen endlich auch an diejenigen denken, die hart arbeiten, die haben auch Familien zu versorgen. Und mehr und mehr werden diejenigen, die arbeiten in Deutschland, zu den Deppen der Nation“ (siehe Interview im Deutschlandfunk) – könnten trotz ihres anti-liberalen Charakters gerade Wasser auf die Mühlen des bGEs sein.

Die notorische Behauptung, der zu geringe Abstand zwischen Erwerbseinkommen und Transferleistung (Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe im Besonderen) mindere die Bereitschaft, sich zu engagieren, zeigt genau, wie wenig liberal die FDP denkt. Sie müht sich nicht, der Wirklichkeit ins Angesicht zu blicken, sonst würde sie feststellen, dass Menschen trotz Verletzung des Lohnabstandsgebots dennoch erwerbstätig sind und viele Widrigkeiten in Kauf nehmen, um es bleiben zu wollen. Gerade die Aufstocker sind hierfür der beste Beweis. Reden wir erst gar nicht von all den Ehrenamtlichen z.B. in Vereinen, Parteien, Kirchen, der Fürsorge in den Familien und der Loyalität der Bürger zur politischen Ordnung: für all das, erhält man keinen Lohn und tut es dennoch.

Dass es sich beim Bürgergeld, das nun wieder ins Spiel kommt, nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen handelt, weiß auch ein Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (siehe auch Die Welt), zu berichten. Wie sehr die FDP das Wohl der Bürger aus dem Blick verloren hat, lässt sich auch an der ewigen Wiederkehr der Behauptung erkennen, die einen zahlten für die anderen, die einen seien „Kostgänger“ der anderen. Wer so denkt, muss zum „Faulheitsbekämpfer“ werden.

Dem kleinbürgerlichen Freiheitsverständnis der FDP entspringt auch die Vorstellung, Sozialleistungen machten Menschen abhängig, wie jüngst Generalsekretär Lindner behauptete. Wer die Entstehung der Problemlagen nicht sehen will, der heute eine dauerhafte Alimentierung notwendig macht, schaut eben nicht hin. Würde er es tun, dann sähe er, dass die Ursachen woanders zu suchen sind, nicht aber in den Sozialleistungen (siehe „Armut – wovon reden wir?“).

Für die Grundeinkommensdiskussion könnte dies unerwarteten Aufwind bringen.

Sascha Liebermann

FDP Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen

Seitdem der Ausgang der Bundestagswahl zeigte, dass die FDP aller Wahrscheinlichkeit nach Regierungspartei werden wird, nehmen die Pressemeldungen über das FDP Bürgergeld zu. Manche sehen darin einen Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen, weil Leistungen pauschaliert werden sollen, anderen sehen einen weiteren Abbau von Transferleistungen auf uns zukommen. Wer wissen möchte, was es mit dem FDP Bürgergeld auf sich hat, dem sind zwei Broschüren empfohlen, in denen Kerstin Funk (Broschüre ) und Peter Altmiks (Broschüre) ausdrücklich den Unterschied zwischen bGE und Bürgergeld darlegen. Beide Verfasser arbeiten für die Friedrich Naumann Stiftung. Ausführungen finden sich auch im Bundestagswahlprogramm 2009 (S. 9 und 16). Das FDP Bürgergeld ist nicht einmal so liberal wie eine radikale Negative Einkommensteuer, es verzichtet nicht auf die Bedürftigkeitsprüfung und es ist so niedrig angesetzt, dass es gerade keine Freiräume schafft. Darüber hinaus ist die Sprache in den Broschüren Zeugnis für die Haltung der Liberalen: Nicht auf Engagement und Gemeinsinn der Bürger wird vertraut, auf die bildende Kraft der Selbstbestimmung, wie sie den Bürgerrechten zugrundeliegt, sondern auf Anreize. Dass die FDP damit im Kreis derer verbleibt, die in der Bekämpfung von Faulheit und innerer Verwahrlosung die größten Übel der Gegenwart erkennen, ist nicht neu, wir haben darauf jüngst und in der Vergangenheit hingewiesen. (Einen treffenden Kommentar hat auch die Financial Times Deutschland verfasst) Die liberale Rhetorik kann und will gar nicht über den Geist des Arbeitshauses, der sie durchweht und damit die Reduzierung der Bürger auf Erwerbstätige, hingwegtäuschen.

Sascha Liebermann

Nachtrag (11.10.2009): Mittlerweile hat das FDP-Bürgergeld vielfältige kritische Kommentare hervorgerufen. Neben den oben genannten wird es nun ausdrücklich als Sozialstaatsfalle bezeichnet, das Transferabhängigkeit zementiere, so Hilmar Schneider vom IZA. Die Kritik weist zugleich den Weg, den der Verfasser vorschlägt: mehr Workfare, mehr Gegenleistung also, da das Bürgergeld nur den Niedriglohnsektor stärke, sonst aber gar nichts. Große Veränderungen zu Hartz IV bringe es nicht, insofern sei es eine Mogelpackung, oder eben nur eine Änderung der Nomenklatur. Gleichmacherei schaffe das Bürgergeld, so Klaus Ernst von der Linkspartei – ja, wenn es denn wenigstens eine Gleichheit für alle Bürger von der Wiege bis zur Bahre auf ausreichend hohem Niveau wäre, dann wäre das Ziel eines bGE erreicht. Davon ist bei Ernst natürlich keine Rede, auch er frönt dem Arbeitshaus. Es bleibt die Hoffnung, dass die Debatte, wie Enno Schmidt, Wasser auf die Mühlen eines bGE ist, denn sie macht sichtbar, wohin das Bürgergeld führen würde und mit welch aberwitzigem „Weiter so“ die Hartz IV-Befürworter am Alten festhalten. Das hatte wohl auch Götz W. Werner im taz-Interview vor Augen, als er davon sprach, das Bürgergeld helfe, neu zu denken.

Nachtrag (25.10.2009): Andere, wie Michael Opielka und Wolfgang Strengmann-Kuhn, erkennen im Bürgergeld auch Chancen, weil die Auszahlung des Bürgergeldes durch das Finanzamt stattfinden soll. Zugleich soll aber ein Prüfung von Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft stattfinden, diese aber seien dem Finanzamt „systemfremd“ und würden das Entstehen „neuer Bürokratie“ verlangen, so Strengmann-Kuhn. Würde aber ein echtes integriertes Steuer- und Transfersystem geschaffen, könnte dies zur Negativen Einkommensteuer führen, die ungleich liberaler ist als das Bürgergeld in der jetzigen Fassung und als Hartz IV. Opielka hält die Überprüfung der Arbeitspflicht vom Konzept des Bürgergeldes her für nicht durchführbar: „Die Arbeitspflicht bleibt bei einem Bürgergeld pure Rhetorik“ und sieht dadurch ungewollt ein Grundeinkommen heraufziehen. Bedenkt man jedoch, wie sehr auf Workfare im Wahlkampf direkt und indirekt gepocht wurde, dann wäre es ebenso denkbar, dass genau diese Seite des Bürgergeldes gestärkt und die andere, die Strengmann-Kuhn starkmacht, geschwächt wird. Wir werden sehen.

Freiheit der Bürger und Beschäftigungsförderung – ein und dasselbe?

Die öffentliche und politische Aufmerksamkeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen hat seit Jahresbeginn erheblich zugenommen. Am Montag, den 26. März, hat das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut eine Studie vorgelegt, die dazu dienen soll, die Finanzierbarkeit eines Solidarischen Bürgergeldes zu plausibilisieren. Heute legte die Konrad Adenauer Stiftung ebenfalls eine Studie mit demselben Zweck vor. Für eine solche Plausibilisierung reicht es aus, bisher vorhandene Mittel zur Finanzierung von Transferleistungen (z.B. Sozialbudget) modellhaft in ein Grundeinkommen umzurechnen. Diese Studien sind hilfreich und ihr Stellenwert für die weitere Diskussion ist beträchtlich, denn sie sprechen etwas in aller Deutlichkeit aus, das in der Diskussion noch immer nicht genügend Berücksichtigung gefunden hat: Berechnungen sind statisch, sie stellen Simulationen auf der Grundlage von bestimmten Annahmen dar (ceteris paribus). Sie erlauben keine Aussagen zu tatsächlichen Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens, denn welche Entscheidungen in der Zukunft unter veränderten Lebensmöglichkeiten, wie sie das bGE schafft, getroffen werden, ist nicht vorhersehbar. Daß diese Grenze der Aussagekraft von Berechnungen offen ausgesprochen wird, öffnet womöglich den Blick für die systematischen Fragen, also die Fragen nach den Überzeugungen, denen Bürger in ihren Entscheidungen in der Regel folgen.

Und hier haben die Studien eine Schwachstelle. Sie unterschätzen, wenn nicht sogar übersehen, welche Bedeutung es für mögliche Auswirkungen hat, daß das bGE zuallererst die Bürger als Bürger anerkennt, ihnen den gebührenden Platz einräumt: das bGE ist ein Bürgereinkommen und keine Sozial- oder Hilfeleistung. Im bGE kommt zum Ausdruck, welche Bedeutung wir der Freiheit der Bürger, der Möglichkeit zur Selbstentfaltung für unser demokratisches Gemeinwesen einräumen. Nicht beschäftigungsfördernde Effekte z.B. im Niedriglohnbereich stehen im Zentrum, wie die um Akzeptanz ringenden Studien sich bemühen deutlich zu machen. Solche Effekte sind nur Neben-Effekte einer freiheitlichen politischen Ordnung, die in der Bereitstellung eines bGE deutlich wird.

Um mögliche Auswirkungen zu ermessen ist die Ausgestaltung entscheidend, dazu gehören z.B. die Höhe des bGE, ob es von der Wiege bis zur Bahre bereitgestellt wird, also immer verfügbar ist, ohne auf zusätzliche Einkommen angerechnet zu werden. Wer die Auswirkungen erwägen und einschätzen will, muß sich Gedanken darüber machen, weshalb wir Bürger so handeln, wie wir handeln.

Wie weit die FDP von einer freiheitlichen Ordnung entfernt ist, läßt sich in einem Stern-Interview mit Andreas Pinkwart nachlesen.

Sascha Liebermann