„Wer wie viel kriegen soll Grundeinkommen in Hamburg – so soll es funktionieren“…

…wie ist dieser Bericht in der Hamburger Morgenpost über das Vorhaben von Expedition Grundeinkommen zu verstehen? Ist ein gestaffeltes Grundeinkommen vorgesehen? Was hätte das noch mit der Ausgangsidee zu tun? Weshalb eine solch breite Staffelung? Was könnte ein Feldversuch unter solchen Bedingungen überhaupt noch aussagen?

Sascha Liebermann

„Pilotprojekt Grundein­kommen. Wir wollen es wissen“…

…das kündigt der Berliner Verein „Mein Grundeinkommen“ an und nennt erste Details des Vorhabens, das als „Die große Studie zur Wirkung des Bedingungslosen Grundeinkommens auf Menschen und Gesellschaft“ bezeichnet wird. Weitere Informationen sollen bekannt gegeben werden. Bescheiden („die große Studie“ – nicht etwa „eine“) klingt das nicht gerade, entspricht indes der „Mission“ des Vereins:

„Wir erforschen das Bedingungslose Grundeinkommen, führen die öffentliche Debatte und entwickeln die Plattform für eine progressive Bewegung. Unsere Vision fürs 21. Jahrhundert: Eine Gesellschaft, die sich für alle gut anfühlen kann.“

„Wir“ steht sicher für den Verein, anderes wäre wenig sinnvoll. Geforscht wird von – zumindest ist das der Ankündigung des Pilotprojekts zu entnehmen – Forschungsinstituten oder ist „erforschen“ hier umgangssprachlich gemeint? Wenn „wir“ für den Verein steht, ist es doch ziemlich erstaunlich, dass er alleine „die“ öffentliche Debatte führen soll, denn zu einer Debatte gehören verschiedene Parteien, also Diskutanten. Wenn sie alle aus dem Verein kommen, ist das kaum eine öffentliche Debatte. Soll es eine öffentliche sein, können sie nicht aus dem Verein alleine kommen, dann müsste „wir“ etwas anderes sein als das „wir“ des Vereins. Wenn letzteres nun zutrifft, dann führt nicht „Mein Grundeinkommen“ „die öffentliche Debatte“, sondern verschiedene zusammen führen „eine“ über das Grundeinkommen. Treffender wäre „auch Mein Grundeinkommen leistet einen Beitrag zur Debatte“ oder „engagiert sich in der Debatte“ – doch so lautet die „Mission“ nicht, wäre vielleicht schlicht zu wenig.

Sascha Liebermann

Nachtrag 24.2.2020: Auf der Website ist der Text zur Mission verändert worden. Nun lautet er: „Wir probieren aus, wie ein Grundeinkommen in der Praxis wirkt.“

„Expedition Grundeinkommen“ – wo beginnt direkte Demokratie?

Diese Frage stellt sich angesichts der neuen Initiative „Expedition Grundeinkommen“, die Volksentscheide bzw. -abstimmungen in mehreren Bundesländern anstrebt, um so Grundeinkommensexperimente auf „staatlicher Ebene“ auf den Weg zu bringen. Dazu heißt es auf der Website:

„Unser Reiseplan

Im Oktober haben wir mit einer Petition auf change.org gestartet, die knapp 20.000 Menschen mitgezeichnet haben. In den kommenden Monaten werden wir in mehreren Bundesländern mit euch zusammen Volksabstimmungen starten.“

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„Wäre ich Aktivist, wäre ich für kleine Reformen“ – über Arbeitssozialisation, Feldexperimente und „junge Menschen“…

…darüber spricht Georg Vobruba, Professor emeritus an der Universität Leipzig, anlässlich eines Interviews der Stiftung Grundeinkommen mit ihm. Vobruba ist über lange Zeit schon mit dem Thema Grundeinkommen vertraut. Gleich zu Beginn geht es darum, wie er zur öffentlichen Debatte steht:

„[…] Ich bin eigentlich immer bemüht, mich nicht in die Debatte einzumischen und mich mit meinem Dafür oder Dagegen zurückzuhalten, weil es auf mein Votum nicht ankommt. Ich finde es sinnvoller, die Debatte zu beobachten.“

Angedeutet wird ein wichtiger Unterschied, der zu beachten ist: Einmischung vs. Beobachtung. Letzteres steht bei Vobruba wahrscheinlich für sozialwissenschaftliche Analyse, ersteres für intellektuelles Engagement für eine Sache oder anders ausgedrückt: er differenziert zwischen Theorie und Praxis. Obwohl diese Differenzierung selbstverständlich sein sollte, wird sie ja nicht selten eingerissen oder gar bewusst überschritten. So ist es z. B. häufig nicht klar, wo bei Christoph Butterwegge Analyse und wo intellektuelles Engagement stattfindet. Und in der Tat kommt es auf das Votum des Sozialwissenschaftlers nicht an, auf das des Bürgers allerdings schon. Insofern wäre eine Einmischung möglich, ohne die „Beobachtung“ aufzugeben.

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„Einmal Grundeinkommen, bitte“ – etwas differenzierter wäre auch nicht schlecht…

…so ließe sich ein Beitrag von Mariam Misakian und Annika Janßen auf enkelfähig, einem Online-Magazin, das zum Unternehmen Franz Haniel & Cie gehört, zusammenfassen. Die Autorinnen geben eine Übersicht zur Diskussion um ein Grundeinkommen anhand verschiedener Feldexperimente, deren Aussagekraft sie zwar anzweifeln, ohne aber daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen. Wenn Entscheidungen getroffen werden, die die Einführung einer Neuerung betreffen, kann man nie sagen, was genau dabei herauskommt – das gilt nicht nur für die Sphäre des Politischen, sondern für das ganze Leben, also auch für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Nun, was folgt daraus, etwa, gar keine Entscheidungen zu treffen und alles lassen, wie es ist? An zitierten Äußerungen wird deutlich, wie sehr es hierbei stets um die Frage geht, ob eine solche Veränderung auch gewollt ist.

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„Obwohl sie bedingungslos Geld bekommen, arbeiten die Menschen weiter“…

…darüber schrieb Marie Rövekamp im Tagesspiegel.

Zwar sagt dieser Befund nicht direkt etwas über ein Leben mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen von der Wiege bis zur Bahre (siehe hierzu unsere Kommentare zu Feldexperimenten), er macht aber auf etwas aufmerksam, dass gemeinhin übersehen wird. Leistungsbereitschaft und Vergütung hängen überhaupt nicht unmittelbar miteinander zusammen, Leistungsbereitschaft ist eine davon unabhängige Dimension. Sie scheinen heute nur miteinander zusammenzuhängen, weil Einkommen nicht ohne Leistungsbereitschaft erzielt werden kann, das Erwerbsgebot verknüpft beides.

Dafür interessant ist diese Dokumentation:

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Anke Hassel für Feldexperimente zum BGE!?

Den Eindruck erweckt zumindest eine Twitter-Nachricht von ihr, die dafür plädiert, dem BGE mit Feldexperimenten auf den Grund zu gehen.

An der Kurzdiskussion zum Tweet mit Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft wird auch das methodische Selbstverständnis deutlich, auf deren Basis Für und Wider betrachtet von beiden betrachtet werden. „Evidence-based policy making“ wie Anke Hassel das nennt, kennt nur standardisierte Datentypen (sogenannte „quantitative Forschung“) und deren ebenso standardisierte Auswertungen. Dabei gibt es andere methodische Traditionen aus der fallrekonstruktiven Forschung, die hier zu rate gezogen werden könnten und die keine durch ein Feldexperimente geschaffene artifizielle Konstellation benötigte. Denn Feldexperimente können gerade nicht leisten, was offenbar beide davon immer noch erhoffen, siehe hier.

Siehe Kommentare von uns zu früheren Beiträgen Anke Hassels zum BGE hier.

Sascha Liebermann

Finnlands Experiment – Berichterstattung sucht sich aus, was gefällt…

…den Eindruck erhält man, wenn die verschiedenen Beiträge in den Medien, die das Archiv Grundeinkommen gesammelt hat, durchschaut. Diese selektive Deutung der vorläufigen Ergebnisse entspricht dem, was Erfahrungen mit früheren Versuchen ebenso gezeigt haben, siehe hier und hier. Siehe auch „What (If Anything) Can We Learn from the Preliminary Results of the Finnish Basic Income Experiment?“.

„Soll Deutschland ein bedingungsloses Grundeinkomen einführen?“ – Für Experimente: Jürgen Schupp, dagegen: Dominik Enste…

…beide Beiträge befinden sich auf der Website des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Jürgen Schupps Position zusammengefasst:

„Sämtliche Initiativen werden wissenschaftlich begleitet und sollen ergebnisoffen evaluiert werden. Womöglich kommt am Ende dabei raus, dass ein bedingungsloses Einkommen im Saldo eher kontraproduktiv ist. Aber vielleicht auch, dass statt eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle eine hybride Form genau das ist, was unsere Sozialsysteme brauchen.“

Schupp überschätzt in meinen Augen die Leistungsfähigkeit solcher Experimente, wenn auch sein Plädoyer für eine offene Diskussion sympathisch ist. Er unterschätzt aber zugleich etwas ganz Entscheidendes, die Autonomiezumutung, die unserer politischen Ordnung innewohnt, weil sie die Mündigkeit (siehe auch hier) eines jeden Bürger nicht nur voraussetzt und anerkennt, sie fordert sie ihm auch ab. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen setzt nichts Anderes voraus und mutet genau dasselbe zu. Was heute schon vorausgesetzt wird, kann nicht Gegenstand einer Prüfung sein, es sei denn, man wolle prüfen, ob das Bestehen der Demokratie eine gute Idee ist.

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