…eine Grafik die beim Magazin stern online zur Verfügung steht.
Kategorie: Mindestlohn
„…you can force business to pay their employees more, but you can’t force them to hire them…“
…schreibt Andrew Coyne in seinem Beitrag „Why a guaranteed minimum income is a better option than raising the minimum wage“ für National Post aus Kanada. Siehe frühere Kommentar von uns zu Bedingungslosesm Grundeinkommen, Mindestlohn und allgemeiner Arbeitszeitverkürzung hier, hier und hier.
Bedingungsloses Grundeinkommen, Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung?…
Kindergrundsicherung gegen Grundeinkommen oder: Kinder absichern ohne Eltern
vorwärts hat in diesem Jahr schon einige Beiträge über das Grundeinkommen veröffentlicht. Nun meldet sich dort Alexander Nöhring, Geschäftsführer des Zukunftsforum Familie, ein familienpolitischer Fachverband der Arbeitwohlfahrt, mit dem Beitrag „Die Kindergrundsicherung ist besser als ein Grundeinkommen für alle“, zu Wort. Er war unter anderen als Experte in der Anhörung im Landtag von Nordrhein Westfalen zu Kindergrundsicherung und Bedingungslosem Grundeinkommen geladen, von der wir berichtet haben (hier, zu den Expertenstellungnahmen geht es hier).
Es entbehrt nicht der Ironie, dass ein Verein wie das Zukunftsforum Familie, der sich als Vertreter von Familieninteressen versteht, vorwiegend für Erwerbsbeteiligung argumentiert, statt dafür, Eltern mehr Freiraum dafür zu verschaffen, sich der Aufgabe Elternschaft stellen zu können.
Im Beitrag heißt es ziemlich zu Beginn:
„Als ZFF sehen wir die Gefahr, dass die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) Anstrengungen zu einer sozial gerechten Arbeitsmarktpolitik, wie beispielsweise tarifvertraglichen Errungenschaften, entgegensteht. Bei den Befürworter*innen des Grundeinkommens ist auch der gesetzliche Mindestlohn umstritten. Das ZFF hingegen ist der Überzeugung, dass die Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden dürfen, für existenzsichernde und rentenfeste Löhne zu sorgen und die Realisierung von Bedingungen guter Arbeit zu erreichen, wie beispielsweise Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Lohngerechtigkeit, Work-Life-Balance und Gesundheitsmanagement.“
Eine Gefahr kann man in allen Vorschlägen erkennen, deren Auswirkungen nicht genau zu bestimmen sind, will sagen, die zwar Möglichkeiten schaffen, aber nicht garantieren, dass diese Möglichkeiten auch ergriffen werden. Dann müsste so ziemlich alles abgelehnt werden, das vom Bestehenden wegführt. Möglichkeiten haben es jedoch so an sich, dass sie auch nicht genutzt werden können und es ist gerade die Demokratie, die auf das selbstbestimmte Ergreifen bzw. Nicht-Ergreifen von Möglichkeiten setzt, statt das Ergreifen derselben vorzuschreiben. Statt abstrakt über Gefahren zu sprechen wäre doch auszuloten, welche Möglichkeiten ein BGE denn nun schüfe im Vergleich zum bestehenden Sozialstaat. Das geschieht in dem Beitrag jedoch nicht, sonst würde der Autor sich klar machen, weshalb ein ausreichend hohes BGE einen Mindestlohn (siehe auch hier) nicht mehr erforderlich macht, ein zu niedriges hingegen ihn womöglich notwendig machte.
Was die Arbeitgeber nicht alles leisten sollen. Die Frage wäre doch, ob es ihre Aufgabe ist und sein kann, ob sie dies Verantwortung überhaupt tragen können, all das zu leisten, was der Autor erwartet. Oder ob nicht vielmehr dies alles leichter erreichbar wäre, wenn die Arbeitnehmer über die entsprechende Verhandlungsmacht verfügten, dann könnten sie für vieles selbst streiten. Wo das nicht ausreicht, könnte über allgemeine Regelungen immer noch nachgedacht werden. Verhandlungsmacht wird es aber erst dann in jeder Lebenslage geben, wenn der eigene Lebensunterhalt unabhängig von einem Erwerbsverhältnis gesichtert ist. Genau das leistet ein BGE, eine Kindergrundsicherung hingegen nicht. Für die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf sei hier auf meinen älteren Beitrag verwiesen.
Weiter heißt es:
„Darüber hinaus erkennt das ZFF in einem BGE einen Widerspruch zum Ziel der Geschlechtergerechtigkeit: Es stünde dem feministischen Ideal einer eigenständigen Erwerbstätigkeit als emanzipatorische Praxis gegenüber. Zudem könnte es dazu führen, die aktuelle „Care-Krise“ zu verschärfen, anstatt sie zu mildern: Gut bezahlte (männliche) außerhäusliche Erwerbsarbeit stünde einer (weiblichen) privaten Fürsorgetätigkeit gegenüber, die durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zwar abgesichert, aber nicht ebenso gut entgolten wäre.“
Wer Emanzipation als Fortschritt hin zur weiteren Befestigung eines Arbeitsbegriffes versteht, in dessen Zentrum Erwerbstätigkeit steht – dann muss das so gedacht werden wie in dem Beitrag. Wenn Emanzipation aber Selbstbestimmung in Gemeinschaft, Freiraum zum Ergreifen von Möglichkeiten in alle Richtungen des Tätigseins heißt, dann geht das nicht ohne BGE. Nöhring bemerkt nicht, dass eine weitere Ausdehnung von Erwerbstätigkeit ihren normativen Vorrang weiter bekräftigt und gerade Fürsorgeeaufgaben in der Familie und darüber hinaus weiter herabsetzt.
Zu betonen, dass „eigenständige Erwerbstätigkeit“ emanzipatorisch sei, heißt letztlich, die Familie als Schonraum für Intimität und Nähe aufzugeben, denn, wer vollerwerbstätig ist, kann nicht mit den Kindern zuhause sein. Als sei es nicht schon länger ein Missstand, wenn Eltern – faktisch meist Väter – so wenig zuhause präsent sind, weil Vollerwerbstätigkeit dies eben nicht erlaubt. Nun soll dieser Missstand noch auf Mütter ausgehnt werden, damit wenigstens beide nicht da sein können. Worin besteht da der Fortschritt? Es ist ein Fortschritt, der den Schonraum Familie zerstört und an ihrer Statt die Zeit, die Kinder in Betreuungseinrichtungen verbringen sollen, weiter erhöht. Statt eine Sozialpolitik fortzuführen, die genau dahin strebt, würde ein BGE Freiräume öffnen, es würde gerade Eltern signalisieren, dass sie dazu ihre Haltung finden sollen, ohne ein bestimmtes Ziel anstreben zu sollen, heute die Rückkehr in Erwerbstätigkeit. In dem Moment, da Eltern unabhängig von Erwerbseinkommen dies entscheiden könnten, stellt sich nicht mehr die Frage, wer besser verdient – die heute manchmal bittere Realität, manchmal eine Ausrede und manchmal Ausdruck einer bewussten Entscheidung ist. Soll denn verwehrt werden, sich für das Zuhausebleiben zu entscheiden, ganz gleich, ob das „gleich“ oder „ungleich“ verteilt wäre? Wo keiner mehr muss, zeigt sich die Verantwortung für Fürsorge um so stärker – Ausreden wie heute – Erwerbstätigkeit – gibt es dann nicht mehr.
Aufklärung über den Emanzipationsbegriff folgt auf den Fuß:
„Für das ZFF steht die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums durch eigenständige Erwerbsarbeit an erster Stelle. Diese sorgt nicht nur für gesellschaftliche Wertschöpfung, sondern kann gleichfalls die Emanzipation von wirtschaftlicher Abhängigkeit unterstützen. Darauf hat u.a. auch Christoph Butterwegge in seinem Beitrag zu dieser vorwärts-Debatte hingewiesen.“
Es setzt sich fort, was wir schon diagnostizieren konnten: Individualistisch ganz im Sinne des erfolgreichen Marktakteurs argumentiert Nöhring hier. Das ZFF setzt sich – so kann man daran erkennen – nicht für Familie ein, sondern dafür, Familie der Erwerbstätigkeit und individualistischer Selbstversorgung nachzuordnen. Aus dem Blick gerät dabei, was Familie wie jede andere Lebensgemeinschaft auszeichnet, dass es keine, einzelnen Personen zuzuordnende Einkommen geben kann, sondern alle Einkommen immer Familieneinkommen sind, sonst ist es keine Lebensgemeinschaft. Das Gemeinschaftliche im Leben besteht bei Familie und Paarbeziehungen gerade darin, dass das Leben ein gemeinsames und kein separates ist. Wer Emanzipation daran festmacht, über eine unabhängige Einkommensquelle zu verfügen, hebt das gemeinschaftliche Leben gerade auf (siehe auch hier), reißt es auseinander. Dass unser Sozialstaat heute auf diese Eigenheiten nur ungenügende Antworten bietet, wie z. B. die lächerliche Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, steht auf einem anderen Blatt. Das BGE würde genau diesbezüglich eine große Verbesserung darstellen, aber nicht gegen, sondern mit Gemeinschaft. Es würde nicht weiter die Illusion nähren, dass Einkommen Individualverdienst seien und statt dessen deutlich machen, wie sehr hinter jedem Einkommen Gemeinschaftsleistungen stehen.
Indem Nöhring den Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung herausstellt, der durch Erwerbsarbeit erfolge, degradiert er die Leistungen von Familie zum Privatvergnügen – für einen solchen Verein, der Familieninteressen zu vertreten behauptet, erstaunlich. Wie soll Familie da eine Zukunft haben?
„Der Satz „Dem Staat und der Gesellschaft sollte jedes Kind gleichviel wert sein“ gewinnt hier eine besondere Bedeutung: Als ZFF meinen wir, dass dies nicht bedeutet, dass auch alle gleichviel ausbezahlt bekommen müssen. Es muss aber sichergestellt sein, dass alle Kinder auch tatsächlich ein Existenzminimum erhalten, welches zum Leben ausreicht und die soziokulturelle Teilhabe ermöglicht. Und um es deutlich zu sagen: Die derzeitigen Kinderregelsätze im SGB II/XII sind hierfür zu gering!“
Ganz konsequent der Linie einer individualistischen Vorstellung folgend wird für eine Kindergrundsicherung argumentiert, ohne nur ins Auge zu fassen, dass Kinder viel Zeit mit ihren Eltern – und anderen für sie wichtigen Personen – für ihr Wohlergehen benötigen. Dazu leistet eine Kindergrundsicherung keinen Beitrag, sie nährt nur die Ilusion, das Kindeswohl könne ohne die Eltern betrachtet werden:
„Das Konzept der Kindergrundsicherung könnte genau dies leisten. Im Rahmen des Bündnisses Kindergrundsicherung streiten wir deshalb zusammen mit vielen weiteren namhaften Verbänden (u.a. Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Kinderschutzbund, Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, pro familia Bundesverband, Naturfreunde Deutschland, Verband berufstätiger Mütter) und Wissenschaftler*innen für dessen Realisierung.“
Wer für mehr Erwerbstätigkeit der Eltern streitet, weil sie zu „gesellschaftlicher Wertschöpfung“ beitrage, hat eine Vorstellung vom Wohlergehen von Kindern, ohne an Eltern zu denken, ohne daran zu denken, dass gemeinsame Erfahrungen Zeit benötigen. Das Zusammenleben wird darauf reduziert, zur Wertschöpfung beizutragen, ohne dass die anderen Beiträge zum Fortbestehen des Gemeinwesens durch sozialisatorische Leistungen von Familien oder das Engagment der Bürger überhaupt erwähnt wird. Manche würden womöglich die Haltung, die hier gegenüber Familie an den Tag gelegt wird, als „neoliberal“ bezeichnen.
Sascha Liebermann
„Fakt ist!“ – Zusammenschnitt der Sendung über Armut, Reichtum und das Bedingungslose Grundeinkommen
Um das BGE geht es ab Minute 16.
Irrungen, Wirrungen – wo Klarheit not täte
Man sollte meinen, dass die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens, die damit verbunden ist, dass Arbeit als Quelle von Einkommen einerseits, als Quelle von Wertschöpfung und Lebenssinn andererseits endlich – gedanklich zumindest – unterschieden werden, auch die fixe Idee, Menschen arbeiteten nur, weil sie dazu angereizt würden, in den Orkus der Verirrungen in der Vorstellung von Menschen befördert hätte. Aber dies selbst ist ein Irrtum: Der Mensch als Reiz-Reaktions-Mechanismus schwirrt auch durch die Vorstellungen von BGE-Befürwortern.
So sagte unlängst Georg Vobruba in einem Interview in der SZ: „Wenn das [Grund-] Einkommen eine Höhe haben soll, die finanzierbar ist, würde es vermutlich den wenigsten reichen. Deshalb würden die meisten trotzdem arbeiten.“ (Hampel, Lea; Vobruba, Georg (2014): „Es gibt die Bereitschaft zu mehr Umverteilung“. Der Leipziger Volkswirtschaftler und Soziologe Georg Vobruba über die Kultur des fröhlichen Forderns. In: SZ: 20./21.9.2014; Hervorhebung TL) Menschen arbeiten also – so die Grundannhame hinter dieser Äußerung – nicht etwa, weil sie eine Aufgabe bewältigen wollen, weil sie einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen, weil sie sich selbst bewähren wollen – sondern, weil sie müssen, wenn sie weiter konsumieren wollen. Anders Lea Hampel in ihrem öffnenden Kommentar: „Menschen arbeiten für Anerkennung, soziale Kontakte und weil es Ihnen Freude bereitet. Das Geld spielt eine Rolle, aber nicht die einzige.“ (Hampel, Lea (2014): Grundeinkommen. Der Wert der Arbeit. In: SZ: 20./21.9.2014) Für Vobruba sind umgekehrt solche Gründe lediglich ein add on: „Hinzu kommt: Viele Leute arbeiten gern.“ – Immerhin.
Dann aber heißt es wieder – mit Bezug auf die sozialen Sicherungssystem in Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und Österreich –: „Vor allem die an Grundsicherung ausgerichteten Beispiele haben doch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Grundeinkommen. Bedingungslos sind sie natürlich nicht, aber die Entkopplung von Arbeit und Einkommen ist wahrlich nichts Neues.“ Hoppla, da wird die Tatsache, dass ein Arbeitsloser etwa rein formal betrachtet sein Arbeitslosengeld II nicht aufgrund einer Lohnarbeit erhält, bereits als Entkopplung von Arbeit und Einkommen bezeichnet. Dass es aber normativ auf’s Engste miteinander gekoppelt bleibt, da es je stets ein Ersatzeinkommen für das eigentliche, das primäre Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist, woraus sich auch die ganzen Sanktionen speisen, denen derjenige, der auf die Idee käme, das Transfereinkommen als primäres Einkommen zu betrachten, ausgesetzt ist, das sieht Vobruba nicht. Diese gedankliche Unklarheit erweist der Verbreitung der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens allenfalls einen Bärendienst – habt Euch doch nicht so, könnte man sagen, Alo II ist doch quasi ein Grundeinkommen…
Aber im weiteren Verlauf sieht man dann auch, dass Vobruba gar nicht für das Bedingungslose Grundeinkommen eintritt, sondern für die Negative Einkommenssteuer und dabei eben zugleich an der Erwerbseinkommensfixierung festhält – nur benennt er es nicht klar, sondern tut im Gegenteil so, als sei die Negative Einkommenssteuer eine Form der Bedingungslosen Grundeinkommens. Da kann man nur konstatieren: Irrungen, Wirrungen. Und das geht weiter so: „die Effekte [des Grundeinkommens] sind ähnlich wie die des Mindestlohns. Ein Stück Autonomie wäre drin.“ – Wie bitte? Durch Mindestlohn, der verordnet wird und die Erwerbsfixierung noch weiter festigt, sollen wir Autonomie erlangen? Das ist eine Reduktion von Autonomie auf Cash in de Täsch, von dem man sich ein Stück Autonomie kaufen kann wie ein Stück Kuchen…
Dann aber will Vobruba immerhin „Kontrollexzesse bei Harz IV ab[…]schaffen“ – aber halt: nur die Exzesse? Damit hält er also an der Kontrollhaltung als normativ gerechtfertigt fest, was sich auch daran zeigt, dass er die „Verküpfung von Arbeitseinkünften und Sozialleistunge intelligenter […] gestalten“ will – eben nicht auflösen. Wer uns hier von der SZ als Vertreter des BGE verkauft wird und sich selbst wohl auch als solcher begreift, ist letzlich ein Vertreter des Status Quo der Ewerbsfixierung, den er mit einigen Veränderungen humanisieren – nicht aber hin zu einer Anerkennung des ganzen Menschen durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen überwinden möchte.
Thomas Loer
„…von Erwerbsarbeit als Voraussetzung für ein Leben in Würde ist dort nicht die Rede…“
In einem Beitrag über den Deutschen Gewerkschaftsbund schreibt Eva Roth in der Frankfurter Rundschau:
„…Umso erstaunlicher ist die Bescheidenheit der DGB-Spitze. Das Gehalt eines Arbeitnehmers solle zumindest den Lebensunterhalt gewährleisten, heißt es in ihrem Leitantrag zum Thema Arbeit. Denn: „Jeder Mensch hat das Recht auf ein Einkommen aus Arbeit, das ihm ein Leben in Würde [Hervorhebung SL] ermöglicht.“ Mit Verlaub: Dass die Würde des Menschen unantastbar ist, steht bereits im Grundgesetz. Von Erwerbsarbeit als Voraussetzung für ein Leben in Würde ist dort nicht die Rede…“
Scharfsinnig bemerkt die Autorin die Umdeutung der Menschen- in die Erwerbstätigen-Würde. Doch was wäre daraus die Konsequenz? Die Autorin zieht keinen Schluss daraus, der ihrer Bemerkung entsprechen würde. Wenn die Würde nicht von Erwerbstätigkeit abhängen darf, dann gibt es dafür nur eine Alternative: ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Die Stellung des Bürgers in der Demokratie wird durch die Bürgerrechte abgesichert, nicht durch Erwerbstätigenrechte. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde dem genau entsprechen.
Sascha Liebermann
„Jede und jeder Jugendliche muss eine Ausbildung machen“
Muss man es überhaupt noch kommentieren, wenn solche Äußerungen wie jüngst von Bundesministerin Andrea Nahles in der Bild am Sonntag gemacht werden?
„BILD am SONNTAG: In Großbritannien gibt es eigene Mindestlöhne für Jugendliche. Braucht Deutschland das nicht auch, damit die Jugendarbeitslosigkeit nicht steigt?
NAHLES: Jede und jeder Jugendliche muss eine Ausbildung machen. Wir müssen verhindern, dass junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen. Deshalb sollen Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr – bis zum Ende der Schulpflicht – vom Mindestlohn ausgenommen werden.“
Vielfach ist diese Äußerung kommentiert worden, auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Weshalb sollten Jugendliche denn nicht die Freiheit haben, einen besser bezahlten Aushilfsjob anzunehmen, wenn er ihnen mehr entspricht als verfügbare Ausbildungsstellen? Würde das nicht der Logik des Arbeitsmarktes vielmehr entsprechen? Weshalb sollte es jemandem nicht freistehen, ob er eine Ausbildung machen oder es lassen will? Diese ganze Haltung gleicht einer „Erziehung zur Unmündigkeit“, wie sie bei anderen Vorschlägen ebenfalls zu erkennen ist. Bevormundung tritt in verschiedenen Gewändern auf (hier, hier und beim DIHK), sie hält uns von tragfähigen Lösungen ab, über den heutigen Reparaturbetrieb hinausführen, wie es ein Bedingungsloses Grundeinkommen täte.
Sascha Liebermann
„Job guarantee“ oder Bedingungsloses Grundeinkommen?
Diese Frage wirft ein differenzierter Beitrag über Mindestlohn von Günther Grunert, der auf den Nachdenkseiten veröffentlicht wurde, auf. Der Autor beantwortet sie eindeutig. Eine Diskussion über die „job guarantee“, halte er für fruchtbarer als eine über das BGE. Grunert stellt in seinem Beitrag differenziert Ergebnisse von Studien zum Mindestlohn und möglichen Wirkungen dar und weist auf offene bzw. nicht beantwortbare Fragen hin. Weshalb er eine „job guarantee“ für sinnvoller hält, sagt er gegen Ende des Beitrages:
„Es stellt sich abschließend die Frage, ob die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns ausreicht, um die zunehmende Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland und insbesondere die wachsende Armut am unteren Ende der gesellschaftlichen Skala wirkungsvoll zu bekämpfen. Dies ist zweifellos nicht der Fall. Der bedeutende US-amerikanische Ökonom Hyman Minsky stellte mit Recht fest, dass ein gesetzlicher Mindestlohn nur in Verbindung mit einem „Arbeitgeber letzter Instanz“ („employer of last resort“, ELR) voll wirksam sein könne, denn ansonsten sei der wahre Mindestlohn für all diejenigen, die keinen Arbeitsplatz finden könnten, gleich Null: „Die wichtigste Tatsache, die den Diskurs über den Mindestlohn beherrschen sollte, ist die, dass er für die Arbeitslosen $ 0,00 pro Stunde beträgt […]“ (Übersetzung G.G.). Mindestlöhne und gleichzeitig weiter bestehende Arbeitslosigkeit seien unvereinbar: „Eine Welt mit gemessener Arbeitslosigkeit und Mindestlöhnen ist in sich inkonsistent; ein effektives Mindestlohnprogramm muss sicherstellen, dass Jobs für alle zum Mindestlohn verfügbar sind“ (Minsky 1986, S. 310; Übersetzung G.G.)…“
Diese Seite des Mindestlohns, nur dort direkt wirksam werden zu können, wo auch ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, spielt in der BGE-Diskussion ebenfalls eine Rolle. BGE-Befürworter – ich auch – haben darauf hingewiesen, dass der Mindestlohn für all diejenigen nichts bewirke, die nicht erwerbstätig sind. Da ist allerdings keine große Einsicht, auch wenn sie oft übersehen wird.
Weiter heißt es bei Grunert:
„…Minsky sprach sich deshalb bereits in den 1960er Jahren für ein ELR-Programm aus, bei dem der Staat allen Arbeitsuchenden, die bereit seien, zum Mindestlohn zu arbeiten, Jobs entsprechend ihren Fertigkeiten und Kenntnissen zur Verfügung stellen sollte (Minsky 1965, 1968, 1973, 1975, 1986). Nur der Staat sei in der Lage, ein „unendlich elastisches“ Angebot an Arbeitsplätzen zum Mindestlohn zu schaffen. Der Staat als „Arbeitgeber letzter Instanz“ zieht damit nicht nur eine Untergrenze für die Löhne, sondern auch für den privaten Konsum (und die aggregierte Nachfrage), und erhöht so die Wirksamkeit antizyklischer Fiskalpolitik (die Staatsausgaben steigen in der Rezession und fallen in der Aufschwungphase, in der die Arbeitnehmer in wachsendem Umfang vom Privatsektor „abgeworben“ werden). Das ELR-Programm würde die Mindestlohngesetzgebung überflüssig machen: „Arbeit sollte für alle verfügbar gemacht werden, die zum nationalen Mindestlohn arbeiten möchten. […] Dies würde das Mindestlohngesetz ersetzen, denn wenn Arbeit für alle zum Mindestlohn vorhanden ist, steht den privaten Arbeitgebern keine Arbeit mehr zu einem Lohn unterhalb dieses Minimums zur Verfügung“ (Minsky 1965, S. 196; Übersetzung G.G.)…“
Sehen wir einmal davon ab, ob das tatsächlich von staatlicher Seite leistbar ist und sehen wir auch davon ab, ob solche Arbeitsplätze dem entsprechen, wo sich Menschen gerne engagieren wollen und Fähigkeiten dazu haben – was geschieht denn mit den anderen, die nicht „bereit“ sind? Was erhalten die? Bleiben dafür die bislang bekannten bedarfgegrüften Leistungen samt aller Stigmatisierungsfolgen (zur Struktur von Stigmatisierung, siehe hier und hier)? So würde es wohl sein, der Vorrang von Erwerbsarbeit bliebe erhalten, alles anderes wären schöne Freizeitbeschäftigungen. Die Entscheidungmöglichkeiten für den Einzelnen würden dadurch nicht erweitert. Grunert interessiert dieser Zusammenhang offenbar nicht.
Weiter heißt es:
„…Man mag dies für eine völlig unrealistische Utopie halten. Jedoch gibt es im angloamerikanischen Raum inzwischen eine Reihe von Ökonomen, die Minsky’s ELR-Idee aufgegriffen und – teilweise unter anderem Namen wie etwa „job guarantee“ (JG) – weiterentwickelt haben (z. B. Wray 1998 und 2012; Mosler 1997-98; Mitchell 1998; Burgess/Mitchell 1998; Mitchell/Muysken 2008; Forstater 2003; Fullwiler 2005). Auch positive praktische Erfahrungen mit (begrenzten) ELR/JG-Programmen in neuerer Zeit liegen bereits vor, etwa in Argentinien oder Indien.[16] In jedem Fall erscheint mir eine Diskussion über ELR/JG-Programme weit fruchtbarer zu sein als etwa die Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen, die hierzulande eine relativ große Resonanz in den Medien findet, obgleich die Idee vom Grundeinkommen wohl kaum weniger „utopisch“ ist als das ELR/JG-Konzept.“
Warum aber erscheint ihm die Debatte über eine „job guarantee“ fruchtbarer? Welche Möglichkeiten verschafft sie dem Einzelnen, sich den Ort des Wirkens zu suchen oder zu verschaffen, der ihm gemäß wäre und wo er seinen Beitrag zum Gemeinwohl leisten könnte? Keine. Es bliebe die Hierarchie von Erwerbsarbeit und anderen Tätigkeiten erhalten, sie würde sogar verfestigt. Nicht einmal erwägt der Autor die Auswirkungen eines ausreichend hohen BGE auf den Arbeitsmarkt, auf Leistungsmotivation und Arbeitsprozesse und stellt sie dem gegenüber, was ein Mindestlohn leisten könnte. Dass die Bedeutungen von Solidarität in einem Gemeinwesen und ihre Folgen auch für Wertschöpfungsprozesse gemeinhin übersehen werden, überrascht nicht. Es gibt wenige, die diesen Zusammenhang ernst nehmen, also die kulturellen und politische Voraussetzungen von Wirtschaftsprozessen beachten. Dabei würde gerade ein BGE durch den Modus der Bereitstellung, von einzelner Leistung nicht abhängig zu sein, Solidarität stärken und zugleich dazu aufrufen, sich zu fragen, wie der Einzelne beitragen kann. Es würde dabei jedoch freilassen, in welcher Form diese geschähe. So würden Möglichkeiten geschaffen, die heute nicht bestehen.
Sascha Liebermann
Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn – eine erneute Debatte auf grundeinkommen.de
Über den Stellenwert eines Mindestlohns, auch wenn ein Bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wäre, wird immer wieder einmal diskutiert. Es handelt sich in der Tat um eine wichtige Frage, weil ein Mindestlohn in eine andere Richtung weist als ein BGE. Zwei Beiträge dazu finden sich auf der Website des Netzwerk Grundeinkommen, einer pro, einer contra.
Siehe dazu Beiträge von Sascha Liebermann:
Brückentechnologie und Umsetzungskonzepte – Türöffner oder Hindernisse?
Mindestlohn, Reichensteuer, Macht durch Geld – Grundeinkommen?