Gegenwärtige Sozialpolitik auf den Punkt gebracht…

…und damit das entscheidende Problem zu erkennen gegeben: dass Unabhängigkeit als wirtschaftliche betrachtet wird, Erwerbsbeteiligung das erste Ziel sein muss und die Vorstellung obsiegt, Transfers würden zum Abhängen verleiten. Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, solche Vorstellungen sind schlicht empirieresistent, wenn man sich solche Befunde ansieht:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern (Ronald Gebauer)
Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer)

Sascha Liebermann

Das Sozialgericht und die „Anreize“

Es ist doch überraschend, wie simpel und krude hier offenbar das Gericht argumentiert. Das entspricht der undifferenzierten Rede von „Anreizen“, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ausgebreitet hat und die mittlerweile zur Alltagssprache gehört. Würden die Beweggründe für Entscheidungen etwas differenzierter betrachtet, wäre klar, dass man mit diesem Begriff dem realen Leben nicht beikommt.

Siehe auch die Behauptungen rund um die sogenannte Armutsfalle.

Sascha Liebermann

Worum geht es bei der „Armutsfalle“?

Diese Frage wurde mir gestellt und zugleich darum gebeten, ob ich das kurz erläutern könne, da ich seit Jahren auf Forschungsergebnisse hinweise, die gezeigt haben, dass das „Theorem der Armutsfalle“, wie es Georg Vobruba einst bezeichnete, haltlos ist oder besser ausgedrückt: das worum es geht, wäre viel differenzierter zu betrachten. Da Vobruba den Kern der Sache gut auf den Punkt gebracht hat, sei er zitiert. In einem Kurzinterview aus dem Jahr 2003, das nach der Veröffentlichung der Studie zur Armutsfalle geführt, wurde, sagte er dazu folgendes:

„In der Standardökonomie wird die These von der Armutsfalle vertreten, die bedeutet: Wenn der Abstand zwischen Lohnersatzleistung und dem alternativ erzielbaren Lohn nicht groß genug ist – wobei man nie genau weiß, wie viel groß genug ist – dann bleiben die Leute in Sozialleistungsbezug bzw. Sozialhilfe und stehen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Wenn dies wirklich so ist, so unsere Überlegung, dann müssten die individuellen Sozialhilfebezugsdauern sehr, sehr lang, virtuell unbegrenzt lang sein. Das ist die logische Schlussfolgerung. An dieser Stelle hören viele einfach mit dem Denken auf und sagen: So ist das […] Dass man zeigen kann – an einem schönen, forschungstechnisch überschaubaren und wichtigen Teilgebiet wie dem „Theorem der Armutsfalle“ -, dass sich Anreizstrukturen nicht eins zu eins in Handeln umsetzen. Dass eben Menschen über eine eigene Rationalität verfügen und dass all jene Theorieansätze, die Handeln auf irgendeine Schmalspurrationalität zurückführen, im Ansatz verkehrt sind. Will man wissen, wie Menschen handeln, muss man sie anschauen und ihnen nicht irgendwelche Handlungslogiken wie Kuckuckseier unterschieben. Das allerdings wird gern gemacht, in der Ökonomie sowieso und bei den Sozialwissenschaften gibt es auch gewisse Tendenzen.“

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„Steinmeiers soziale Kälte“ – gut, das in Erinnerung zu rufen, dennoch ein Heimspiel und wo ist die Alternative?

Ulrike Herrmann ruft in einem Beitrag für die taz in Erinnerung, dass Bundespräsident Steinmeier sowohl die Steuersenkungspolitik als auch die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder „orchestriert“ habe. Allerdings folgte die Regierung hier, so Herrmann, nur Vorschlägen die aus der CDU kamen, wie auch die schärfere Sanktionierung von Beziehern von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe schon im Schwange war, als es die Agenda noch gar nicht gab, damals z. B. unter Roland Koch in Hessen. Vergessen wird hierbei oft, dass auch Oskar Lafontaine für solche Verschärfungen plädierte. Es waren nur Verschärfungen, weil die Sozialgesetzgebung schon immer Sanktionen auch in Form von Leistungskürzungen vorsah. Sie zeichnen den erwerbszentrierten Sozialstaat geradezu aus.

„Steinmeiers soziale Kälte“ – gut, das in Erinnerung zu rufen, dennoch ein Heimspiel und wo ist die Alternative? weiterlesen

Hilfreich für Interessierte und die Diskussion um „Anreize“…

…, dieser lange Twitter-Beitrag von Sebastian Thieme gibt einen Einblick in die Diskussion um verschiedene Annahmen zum homo oeconomicus (in der Soziologie häufiger unter dem Schlagwort „Rational Choice“ oder „rationale Wahl“ thematisiert), die auch für die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen interessant sind. Denn darin tauchen diese Annahmen stets im Zusammenhang mit der Frage danach auf, ob denn nun das „Arbeitsangebot“ (Erwerbstätigkeit) gleichbleibe, ab- oder zunehme. Das Theorem der Armuts- bzw. Arbeitslosigkeitsfalle fußt ebenso darauf und gilt bis heute als ein Kriterium (Lohnabstandsgebot) für die Bestimmung der Regelsatzhöhe. Dem unterliegt, wie Thieme auch schreibt, ein „Anreiz“-Konzept, das in der meist verwendeten Schlichtheit einen erstaunen lassen kann (für eine anspruchsvollere Variante siehe hier, man beachte das Schaubild und die Verortung des „Anreizes“, wodurch das Konzept vollständig umgedreht wird). Diese Vorstellung vom rationalen Akteur ist es, die standardisierten Befragungen unterliegt, die an allen Ecken und Enden erstellt und zitiert werden. Denn Befragungen zielen auf Selbsteinschätzungen, erlauben es nicht, dass Antworten ungeschminkt „in der Sprache des“ Befragten zum Ausdruck kommen. Selbsteinschätzungen können ziemlich weit von dem entfernt sein, wie jemand denkt und handelt, das ist eine Erfahrung aus der Auswertung nicht-standardisierter Interviews. Aussagen sind stets viel reichhaltiger und widersprüchlicher, als Skalenantworten oder vordefinierte Optionen erwarten lassen.

Sascha Liebermann

„Eine Steuerreform als Job-Turbo für Frauen“ – und täglich grüßt die Anreizdebatte…

…so könnte der Beitrag von Johannes Pennekamp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommentiert werden, der sich auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung mit Querverweisen zu einer Studie des ifo-Instituts befasst.

Man kann doch immer wieder darüber staunen, dass mit solch unterkomplexen Annahmen zu „Anreizen“ – um es freundlich auszudrücken – in solchen Berechnungen hantiert wird.

Unsere früheren Beiträge zum Ehegattensplitting finden Sie hier, zur Armutsfalle, die auch Erwähnung im Beitrag findet, hier.

Sascha Liebermann

Aufbruch oder „weiter so“? Wird das Bürgergeld mehr als eine Aufhübschung sein?…

…diese Frage stellt sich nach ersten selbstbelobigenden Äußerungen aus den Reihen der Parteien, die kürzlich ein Sondierungspapier der Verhandlungen zu einer Ampelkoalition veröffentlicht haben. Hartz IV werde nun abgeschafft oder überwunden, war zu vernehmen, eine Ankündigung, die einem aus den letzten Jahren vertraut vorkommt. Doch ist da etwas dran? Die Zweifel sind mehr als berechtigt (siehe auch den Beitrag von BR24). Das Papier erlaubt einen gewissen Ausblick auf etwaige Vorhaben, auch wenn es bald schon überholt sein kann. Ich kommentiere hier ausgewählte Passagen, die im Zusammenhang der Grundeinkommensdiskussion meines Erachtens besonders wichtig sind.

Schon der Auftakt ist vollmundig, vielleicht eine Art Selbstcharismatisierung, die allerdings – salopp ausgedrückt – viel auf den Löffel nimmt:

„Die Grundlage dafür ist eine umfassende Erneuerung unseres Landes. SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FREIE DEMOKRATEN sehen, dass Deutschland einen Aufbruch braucht. Wir fühlen uns gemeinsam dem Fortschritt verpflichtet. Uns eint, dass wir Chancen in der Veränderung sehen.“

Unweigerlich erinnert einen der Duktus an die Ruck-Rede des damaligen Bundespräsidenten Herzog oder vergleichbare Aufbruchsforderungen.

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„Das Zerrbild von vermögenden Hartz-IV-Empfängern hat nichts mit der Realität zu tun“…

…selbstverständlich fällt immer jemandem einer ein, der einen kennt, bei dem es aber anders sei. Vorurteile sind beharrlich, ganz wie im Zusammenhang mit den Sanktionen im SGB II. Weshalb aber sollten solche Vorurteile sich schneller verändern als die empirielose Annahme einer Armutsfalle, wie sie in der fachwissenschaftlichen Debatte noch immer hochgehalten wird.

Sascha Liebermann

„Sanktionen können sich längerfristig auf die Beschäftigungsqualität auswirken“…

…darum geht es in einem Beitrag von Markus Wolf, der im IAB-Forum über „Befunde aus der IAB-Grundsicherungsforschung 2017 bis 2020“ berichtet. Überraschend sind diese Befunde nicht. Leider erlauben die dazu genutzten standardisierten Daten keine Einsichten in die konkrete Problemlage von Leistungsbeziehern und wie sie mit ihr umgehen. Instruktiver sind dann Studien wie die zur sogenannten Armuts- bzw. Arbeitslosigkeitsfalle, in deren Rahmen immerhin ausführliche Interviews geführt wurden:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems“ (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform“ (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Wer sitzt in der Armutsfalle?“ (Ronald Gebauer, Hanna Petschauer, Georg Vobruba)
Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems“ (Ronald Gebauer)
Ein Mangel ist darin allerdings, dass man nichts darüber erfährt, wie sie ausgewertet wurden, wie dabei vorgegangen wurde.

Interessant hierfür auch die Arbeit von Franz Erhard „Die Erfahrung von Armut“.

Sascha Liebermann

„Was tun gegen Armut?“ – Cash-Transfer ist wirksamer als Sanktionen, über diese bescheidenen Einsichten…

…berichtet Stephan Kaufmann in neues deutschland, Hintergrund sind die Entscheidungen über ein umfangreiches Konjunkturpaket in den USA, zu dem auch Einmalzahlungen an Haushalte und erhöhte Arbeitslosenhilfe gehören. Berichtenswert erscheinen solche Befunde bloß wegen der verbreiteten Vorurteile, die anderes behaupten, aber auch wegen begrifflicher Unschärfen in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Dass die sogenannte Arbeitslosen- bzw. Armutsfalle ein recht voraussetzungsvolles Theorem ist, hat Ronald Gebauer schon vor längerem dargelegt. Weitere Studien in diesem Zusammenhang z. B.:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems“ (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform“ (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern“ (Ronald Gebauer)

Siehe auch „Wer wissen will, ob und wie ein Grundeinkommen die Gesellschaft verändert, der muss es einführen„.

Wie simpel Herleitungen für die Behauptung sinkender „Arbeitsanreize“ gestrickt sind, habe ich einmal versucht deutlich zu machen: „…da geht das Arbeitsangebot zurück…“. Schon das Schlagwort „Anreiz“ (zu methodischen Beschränkungen, siehe hier) ist für das Verstehen von Handeln unterbestimmt und verkürzt Zusammenhänge erheblich.

Sascha Liebermann