„Das bedingungslose Grundeinkommen ist der falsche Ansatz“…

…sagt Sabine Pfeiffer, Professorin für Soziologie, in einem Interview für das Jubiläumsmagazin der Baden-Württemberg Stiftung aus dem Jahr 2020. Darin geht es um Digitialisierung und ihre etwaigen Folgen für die Arbeitswelt. Ziemlich gleich zu Beginn wird der Zusammenhang zum Grundeinkommen aufgeworfen:

„Warum? Wäre ein gutes Leben ohne Arbeit nicht möglich, gesichert über ein bedingungsloses Grundeinkommen?

[Pfeiffer] Das bedingungslose Grundeinkommen ist der falsche Ansatz, denn dabei bleibt die Verteilungsfrage außen vor. Internationale Konzerne erzielen heute unglaubliche Produktivitätsgewinne, weil ihre Prozesse weitgehend automatisiert sind. Das hat in den vergangenen Jahren auch zu einer starken sozialen Ungleichheit gefü̈hrt: Immer mehr Geld landet in immer weniger Händen. Und gleichzeitig denkt man über ein wie auch immer geartetes, ausgehandeltes Grundeinkommen nach – im Vergleich zu den Gewinnen ist das letztlich ein Almosen. Es wäre unmenschlich, die Gesellschaft in Almosenempfänger und Superreiche aufzuteilen – ein soziales Miteinander ist da schwer vorstellbar.“

Pfeiffers Antwort fällt grundsätzlich aus, nicht werden Aspekte eines BGE kritisch beleuchtet, sie hält es insgesamt für falsch, weshalb? Die Verteilung bleibe außen vor. Stimmt das? Wenn ein BGE pro Person bereitgestellt wird und über die Lebensspanne verfügbar ist, ist das nicht eine erhebliche Verteilung und wirkt relativ stärker dort, wo heute Einkommen niedrig sind (ein entsprechendes Steuerwesen vorausgesetzt)? Neben diesem direkten Effekt gibt es einen indirekten, die Machtverteilung. Wer zu jedem Zeitpunkt Nein sagen kann zu Arbeitsbedingungen, ist mächtig. Zugleich kann er Angebote machen, von denen er nicht abhängig ist, er ist also tatsächlich in einem Maße selbstbestimmt, wie es heute nicht der Fall ist. Pfeiffer verweist dann auf internationale Konzerne und deren Gewinne, im Vergleich dazu sei ein BGE ein Almosen. Da es sich um einen Rechtsanspruch handeln würde, wäre es gerade kein Almosen, das eine willkürliche Spende darstellt. Wichtig wäre natürlich die Höhe des Betrages in Kaufkraftverhältnissen. Überhaupt erstaunt der Vergleich, denn im Vergleich zu Milliardengewinnen ist jedes Arbeitnehmereinkommen ein „Almosen“.

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„SPD will Kinderarmut bekämpfen“ – mit oder ohne Eltern?

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, habe die SPD ein Papier für eine Kindergrundsicherung vorgelegt, um etwas gegen Kinderarmut zu unternehmen. Solche Vorschläge gibt es schon länger, es ist also keine neue Diskussion. Aber, was ist der Haken? Wenn man etwas für Kinder tun will, müsste man etwas für ihre Familien tun, denn Kinder ohne ihre Eltern zu betrachten, führt zu einer individualistischen Reduzierung von Familie und Bildungsprozessen (siehe frühere Beiträge dazu von uns hier). Hat die SPD also Familie im Blick und nur Kinder? Eine Kindergrundsicherung wird manchmal als Einstieg in ein Bedingungsloses Grundeinkommen gesehen, das halte ich für unplausibel, denn heute schon erwartet man von Kindern nicht, erwerbstätig zu sein, von Erwachsenen aber sehr wohl. Eine Kindergrundsicherung würde daran gar nichts ändern.

Sascha Liebermann

24-7-365 – keine Ferien, kein Feierabend, nicht ersetzbar

Dieses Video, das zum Gedenken an den Muttertag gedreht wurde, macht auf einfache Weise anschaulich, was deren besondere Verantwortung ausmacht – und es gilt für Väter ebenso. Die Eigensinnigkeit von Familie, wie sie in der bestimmten Verantwortung von Eltern zum Ausdruck kommt, ist natürlich kein „job“, das wäre schon eine Verhöhnung. Durch die Rede vom „job“ wird aber gerade das deutlich. Damit wirft das Video ein Licht auf die Debatte über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die an der Sache vorbeigeht. Die harmonisierende Vorstellung einer Vereinbarkeit zerschellt an der Nicht-Vereinbarkeit, die man lediglich anerkennen und ihr sich dann stellen kann. Da der Konflikt zwischen Familie und Beruf nicht aufzuheben ist, bedarf es des Freiraums, um darüber zu befinden, wie der Einzelne sich der Verantwortung stellen will. Das geht nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen, das diese Freiheit lässt, ohne zugleich darüber hinwegzutäuschen, dass jede Entscheidung konkrete Folgen hat.

Sascha Liebermann

„Toxische Hilfe“…

…ein treffender Ausdruck Baukje Dobbersteins für das, was ich deautonomisierende Hilfe nennen würde, eine Hilfe, die denjenigen, dem geholfen werden soll, ersticken kann. Welche Folgen toxische Hilfe hat, beschreibt sie in dem hinterlegten Beitrag und darüber hinaus, wie wichtig die Erfahrung ist, dass einem etwas gelingt.

Deutlich wird in ihm auch, dass der Bildungsprozess hin zur Autonomie des Erwachsenen ein langer Weg ist, der nicht ohne Hilfe und Unterstützung auskommt (funktionale oder konstitutive Abhängigkeit), diese aber immer im Dienst der Autonomie stehen muss. Eine sehr fragile Angelegenheit ist das, die darüberhinaus für alle Helferkonstellationen von Bedeutung ist („Hilfe zur Selbsthilfe“).

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„Die Lüge von der Leistungsgesellschaft“ oder zur unauflösbaren Abhängigkeit aller von allen…

…darum geht es in einem Beitrag von Stephan Kaufmann in der Frankfurter Rundschau. Darin heißt es unter anderem:

„Aber selbst wenn man Produktivität als Maßstab für Leistung anerkennt, so scheitern Betriebe und Ökonomen doch notwendig an der Frage: Welchen Beitrag hat der Einzelne zum gesamten Umsatz des Unternehmens oder einer Branche geleistet? Welcher Teil der Erlöse ist dem Pförtner zuzurechnen, welcher Anteil der Sekretärin, welcher dem Verkaufsleiter? Diese Rechnung ist laut Horn ein Ding der Unmöglichkeit.“

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„Kinder sollen sich auch langweilen…Frühförderung heisst auch Freiraum, Freizeit, Freiheit“…

…ein interessantes Interview mit der Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag über die Bedeutung des Spiels für Bildungsprozesse, Zeit mit den Eltern und Freiräume für unbeaufsichtigtes Erkunden der Lebenswelt. Wie stark die von Margrit Stamm vertretene Haltung der aktuellen Sozialpolitik entgegensteht, lässt sich am Achten Familienbericht ersehen:

„…Notwendig ist ein bedarfsgerechter Ausbau an qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen in Kindertageseinrichtungen und in der Tagespflege, der den Bedürfnissen der Kinder und Eltern entspricht und mit der lokalen Infrastruktur vernetzt ist. Erst wenn für alle Kinder Ganztagsbetreuungsplätze in hervorragender Qualität vorhanden sind, haben Eltern tatsächlich eine Wahlmöglichkeit. Die zeitliche Flexibilität der Betreuungsangebote sollte sich nach den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Eltern ausrichten. Für lange Betreuungsbedarfe im ersten Lebensjahr oder abends und nachts eignet sich (ergänzend) eine Tagespflegefamilie, die dem Kind eine familienähnliche, vertraute Umgebung bietet, besser als eine Kindertageseinrichtung, in der Kleinkinder schicht- und fluktuationsbedingtem Personalwechsel ausgesetzt sind.“ (Achter Familienbericht, 2012: „Zeit für Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik“ – Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/9000, S. 137).

Von den Bedürfnissen von Kindern und Eltern zu sprechen ist in diesem Zusammenhang bloße Gleichheitsrhetorik, die die Bedürfnisse der Kinder schon vergessen hat. Sie artikulieren von sich aus bis weit in das vierte Lebensjahr hinein gar kein „Bedürfnis“, einen Kindergarten oder eine Kita zu besuchen (siehe auch „Wahlfreiheit, die sogenannte“). Es sind die Eltern, die diese Bedürfnisse äußern, unter anderem weil Erwerbstätigkeit im Allgemeinen als erheblich wichtiger erachtet wird, als Zeit für die Kinder zu haben.

Vielleicht sollte der Familienbericht in Anlehnung an dieses Zitat besser umbenannt werden in „Zeit für Erwerbsarbeit“, denn alle „Wahlmöglichkeit“, die es heute gibt, besteht auf eigenes Risiko (kaum Anerkennung in der Rentenversicherung). Gravierender noch ist die normative Degradierung von Haushaltstätigkeiten. Wer für Kinder zuhause bleibt, um ihnen einen Schonraum in vertrauter Umgebung zu gewähren, muss sehen, wo er bleibt. Nur ein Bedingungsloses Grundeinkommen weist hieraus einen Ausweg, der nicht wieder über die Individuen hinweggeht.

Sascha Liebermann

Mangelndes Zutrauen = Misstrauen?

Einer der Vorbehalte, dem man immer wieder in der Grundeinkommensdebatte begegnet, ist der, ob die Menschen mit der Freiheit überhaupt umgehen könnten, es nicht doch zu Missbrauch (!?) kommen würde. Das ist als solches schon erstaunlich, nicht etwa alleine deswegen, weil die Frage wäre, woran die Unfähigkeit mit Freiheit umzugehen, festgestellt werden sollte oder weil in dieser Allgemeinheit der Einschätzung eine gewaltige Anmaßung zum Ausdruck kommt. Beides würde als solches schon reichen, um denjenigen, die diese Vorbehalte äußern, die Selbstverständlichkeiten eines demokratisch verfassten Gemeinwesens entgegenzuschleudern. Wer hinter sie zurück will, soll es offen sagen. Was ist denn das Problem mit der Freiheit, um die es geht? Sie erfordert nichts, was nicht heute schon vorausgesetzt wird, ist also ein triviales Unterfangen (siehe hier) – zumindest wenn unser reales Leben als Maßstab genommen wird. Dennoch, der Vorbehalt wiegt schwer, er hält uns ja gerade davon ab, das BGE einzuführen.

Neben der Gestalt offenem Misstrauen tritt dieser Vorbehalt allerdings noch in milderer Form in Erscheinung, wenngleich in seinen Folgen dies keinen Unterschied macht. Mild geht so: Noch seien die Menschen nicht so weit, weil sie bisher zu sehr in Unselbständigkeit gehalten, gar konditioniert wurden. Weil dies so sei, bedürfe es einer sanften Überleitung durch pädagogische Vorbereitung. – Nur zu Erinnerung: wir sprechen von erwachsenen, mündigen Bürgern. – Mittels pädagogischer Überleitung soll aus der Unselbständigkeit in die Selbständigkeit geführt werden, sobald dies erreicht sei, könne die Freiheit beginnen. Wer eine solche Argumentation liest, denkt womöglich an Satire, das ist sie jedoch ganz und gar nicht. Diese Vorbehalte gibt es tatsächlich und zwar mehr, als man glauben mag. Man nehme nur die jüngere Diskussion über die Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen an Hochschulen (siehe auch hier). Sie wurde in Nordrhein Westfalen weitgehend aufgehoben, was wiederum zu entsprechenden Reaktionen führte, die darin schon die Erschütterung der Grundfesten der Universität erblickten. Wenngleich es hier um ein anderes Feld geht, nicht um die Praxis der Demokratie im Allgemeinen, sondern eher um die besondere Herausforderung eines Studiums, so gleichen sich die Überlegungen.

Weil nämlich Studenten durch das Schulwesen in Unmündigkeit gehalten oder zu Unselbständigkeit erzogen worden seien, seien sie nicht oder nicht ohne weiteres in der Lage, die Anforderungen eines freilassenden (eigentlich: freilassenderen, angesichts der Bachelor-Strukturen) Studiums auf sich zu nehmen. Sie könnten, so die Behauptung, mit der Freiheit nicht – noch nicht – umgehen. Wer ein wenig Erfahrung in der Lehre an Hochschulen gesammelt hat, wird nicht umhin kommen, das Problem wo ganz anders zu verorten, und zwar darin, dass die Anwesenheitspflicht diejenigen, die nicht wollen, aber sich noch nicht zum Abbruch des Studiums oder dem Verlassen der Veranstaltungen durchringen konnten, in einer Lehrveranstaltung halten – um Leistungspunkte (credit points) zu erhalten. Für ein Studium entscheidend ist aber nicht das bloße Anwesendsein, es ist die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einer Sache, die einem fremd ist und die ganz unpraktisch, müßig zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht wird – nur, um sie zu verstehen. Die Anwesenheitspflicht leistete dazu nicht nur keinen Beitrag, sie trug eher dazu bei, die Voraussetzungen für eine solche Auseinandersetzung zu untergraben, da sie Studenten unter den Generalverdacht stellte, nicht anwesend sein zu wollen. Das Wollen aber ist notwendig. Wer eine Pflicht erhebt, drängt das Wollen zurück. Das heißt natürlich nicht, dass dadurch das Wollen ausgeschlossen ist, die Bedingungen zu seiner Entfaltung sind nur erheblich ungünstiger, weil die Pflicht gerade davon ausgeht, dass das Wollen nicht vorhanden ist.

Zwischen mangelndem Zutrauen, das sich hier in Form pädagogischer Fürsorge und Hilfestellung Ausdruck verschafft und Misstrauen, besteht kein grundsätzlicher Unterschied, zumindest nicht, wenn es um erwachsene Menschen geht. Studenten, die die Schule verlassen haben und sich entscheiden dürfen, eine Hochschule zu besuchen, das Wollen also zu artikulieren, kann man nicht ernsthaft absprechen, die Voraussetzungen für ein Studium mitzubringen. Dass sich jemand, der sich für ein Studium entscheidet, keine Vorstellung davon hat, was auf ihn zukommt, ist klar, gilt jedoch auch für jeden Lehrberuf, mag im Falle eines Studiums nur in gesteigertem Maße der Fall sein. Selbst dort jedoch, wo tatsächlich mangelnde Selbständigkeit vorläge, wäre eine pädagogische Anleitung bevormundend. Demokratie kann es nur vorbehaltlos geben, Verantwortung für ein Studium auch.

Sascha Liebermann