„Nehmt diesen ‚offenen Strafvollzug‘ […] zurück“

Parteivorsitzende der Grünen und ein Bedingungsloses Grundeinkommen

In der Tat „basisdemokratisch“ auf der einen, gegen Volksentscheide auf der anderen Seite

„Grundeinkommens-Fragen für die Bundestagswahl 2021“ – Was sagen die Grünen Kandidaten dazu?

„Deutschland bekommt seine allererste BGE-Partei“…

Rico Grimm schreibt auf Krautreporter über das Bündnis Grundeinkommen.

In dem Beitrag macht der Autor Aussagen, die ich für kommentierungswürdig halte. Er schreibt:

„Trotzdem hat es nie eine [Enquetekommission, SL] gegeben. Die Grünen haben ihr Versprechen gebrochen. Aber auch andere hätten sich ohne weiteres des Themas annehmen können, denn jede große deutsche Partei hat Grundeinkommens-Modelle im Programm.“

Welche Parteien meint der Autor? Die CDU hat kein Modell „im Programm“ oder meint er den Vorschlag von Ministerpräsident a. D. Dieter Althaus? Der hat in der CDU keine große Unterstützung, zumindest keine sichtbare. Und die SPD? Welches Modell hat er da vor Augen? Lediglich die SPD Rhein-Erft hat ein solches erarbeitet. Guido van den Berg und Bernd Coumanns sind rührig, aber der Rest der SPD? Die FDP, etwa der Beschluss zum Bürgergeld? Das ist etwas ziemlich anderes als ein BGE. Da bleiben nicht mehr viele übrig, die Linke z.B., dort gibt es einen Vorschlag von der BAG Grundeinkommen? Aber wie sieht es mit Mehrheiten in der Partei dafür aus? Fehlanzeige.

Eine weitere Einschätzung:

“ Erst 20 Jahre später [nachdem die Diskussion Anfang der siebziger Jahre in den USA eingebrochen war, SL] begannen wieder Politiker aller Parteien, sich mit dem Thema zu beschäftigen, vor allem die Grünen setzten es früh auf die politische Agenda der Republik.“

Wieder so eine dahingeschmissene Behauptung: Politiker aller Parteien begannen es zu diskutieren? Eine wirklich öffentliche Diskussion gab es kaum, sieht man von wenigen Beiträgen in großen Tages- bzw. Wochenzeitungen ab. Und bei den Grünen? Mir ist diese Behauptung immer wieder begegnet, ich habe keine Belege dafür gefunden, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das nicht bloß eine liberale, pauschalisierte Ersatzleistung darstellen sollte – eher im Modus einer Negativen Einkommensteuer (auch hier), nicht als BGE – je Eingang in Beschlüsse gefunden hätte (siehe auch hier). Schon gar nicht kann die Rede davon sein, dass das BGE dadurch auf die „Agenda der Republik“ gesetzt wurde. Es verschwand sang- und klanglos mit der bevorstehenden Wiedervereinigung.

Grimm schreibt an anderer Stelle:

„Eine breite Koalition aus Silicon-Valley-Millionären, Sozialutopisten und ehemaligen Gewerkschaftlern kämpft inzwischen für die Einführung. In den Niederlanden und in Finnland gibt es bereits Modellversuche, um herauszufinden, welche Folgen ein Grundeinkommen für die Gesellschaft hätte. In Deutschland gibt es – noch – nichts Vergleichbares.“

In den Niederlanden passiert noch gar nichts, wie mir kürzlich bestätigt wurde, und in Finnland muss erst noch das Gesetz verabschiedet werden, das ins Parlament eingebracht wurde.

An einer Stelle wird Ronald Heinrich, Sprecher des Bündnis Grundeinkommen zitiert:

„„Wenn du das erreichst [2% Wählerstimmen, SL], hören sie dir zu“, sagt Ronald Heinrich, der als Sprecher der Initiative fungiert. „Sie“ – damit meinte er die anderen Parteien.“

Ja, das mag sein, aber wäre es nicht wichtiger, dass die Bürger einem zuhören, diejenigen, die noch nichts vom BGE gehört haben oder bislang Vorbehalte dagegen hatten?

Sascha Liebermann

Was uns blockiert: Winfried Kretschmann, das bedingungslose Grundeinkommen und die Gesellschaft der Zukunft

Auf Abgeordnetenwatch (zu 1) antwortet Winfried Kretschmann, Abgeordneter der Grünen im Landtag von Baden Württemberg, darauf, was er von einem bedingungslosen Grundeinkommen hält:

„…Persönlich halte ich das bedingungslose Grundeinkommen für einen überaus interessanten Ansatz, den ich grundsätzlich befürworte. Allerdings ist das bedingungslose Grundeinkommen meines Erachtens höchst voraussetzungsvoll: Nur in einer hoch integrierten Gesellschaft können die erhofften Effekte des Grundeinkommens wie die Aktivierung und Freilegung von Potenzialen und Ressourcen von Menschen zugunsten der Gesamtgesellschaft wirklich eintreten. Da wir eine solche Gesellschaft noch nicht haben, ist das bedingungslose Grundeinkommen für mich noch ein Zukunftsprojekt.“

Wir sind also nicht bereit für ein bGE, weil wir eine „solche Gesellschaft“, eine hochintegrierte, noch nicht haben? Wie will er sie denn erreichen, etwa durch Aktivierungspolitik? Integration durch mehr Verpflichtung und Sanktion? Darüber schweigt er sich aus.

Solche Vorbehalte sind der Hemmschuh für Veränderung. Die einzige Voraussetzung, die wir benötigen, ist eine lebendige Demokratie, ein Gemeinwesen, das sich als Gemeinschaft von Bürgern, die das Fundament unserer Ordnung bilden, ernst nimmt. Daran mangelt es gegenwärtig in der Tat. Ein Grund gegen ein bGE ist das allerdings nicht, vielmehr ist es einer dafür: Gerade ein bGE würde deutlich machen, dass in einer Gemeinschaft der Bürger immer alle füreinander einstehen müssen, und zwar als Bürger, nicht etwa als Arbeitnehmer oder Erwerbstätige.

Kretschmanns Vorbehalt, das macht ihn skandalös, ist letztlich ein Vorbehalt gegen die Demokratie, es ist ein Vorbehalt gegen diejenigen, die die Legitimationsquelle unserer Demokratie sind, die Bürger.

Sascha Liebermann

Grüne Regionalkonferenz zum Grundeinkommen

Am 8. September fand eine Regionalkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen in Berlin statt. Unter dem Titel „Von der Grundsicherung zum Grundeinkommen?“ wurde über eine Alternative zur gegenwärtigen Sozialpolitik diskutiert. Alle Beiträge stehen zum Herunterladen hier bereit. Sie geben einen Überblick über die Debatte bei den Grünen.

"Adieu Grundeinkommen" – ein Abwicklungsversuch von Reinhard Bütikofer, Bündnis 90/ Die Grünen

„Adieu Grundeinkommen“ ist ein Beitrag übertitelt, in dem – oder besser: mit dem – Reinhard Bütikofer versucht, das Grundeinkommen abzuwickeln. Allerdings setzt er sich mit der Idee kaum auseinander, wie sich in diesem Zitat erkennen läßt:

„Vor allem ist es nicht gelungen, den Respekt vor der Würde der Arbeitenden und Arbeitslosen zur verlässlichen Richtschnur des Gesetzes zu machen. Viele Menschen spüren und erleben das. Sie werden nicht aufhören, dagegen zu rebellieren. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, können wir gegen die verschiedenen sozialpolitischen Projektemacher, Demagogen und Illusionskünstler nichts ausrichten, die mit ihrer Proselytenwerbung genau an diesem Punkt ansetzen.“

Die Würde des Menschen ist an seine Freiheit gebunden, entscheiden zu können, was er mit seinem Leben anfangen will. Doch genau diese Würde kümmert Reinhard Bütikofer nicht. Er beläßt es bei allgemeinen Formeln, wenn es darum geht, die von ihm favorisierte bedarfsorientierte Grundsicherung zu propagieren. Angesichts der Möglichkeiten, vor denen wir heute stehen, mißachtet jede bedarfsorientierte Grundsicherung die Würde.

Und dann dies, man staunt:

„Es ist richtig, dass Leistungsempfängerinnen und -empfänger bereit sein sollten, „der Gesellschaft etwas zurück zu geben“. Doch diese Bereitschaft ist nicht identisch mit Arbeitszwang oder der Pflicht zu sinnloser Beschäftigung. Sie kann unterschiedliche Formen haben und reicht von der normalen versicherungspflichtigen Beschäftigung bis hin zum bürgerschaftlichen Engagement. Es sollte Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Alternativen geben, und die Selbstsuche und Selbstorganisation muss Vorrang haben vor „Zuweisung“.“

Von einer Idee nimmt man die wichtigsten Begriffe und schon klingt es gut. Doch hier geht es um mehr als nur Vokabeln, es geht darum, welche Möglichkeiten geschaffen werden. Der Einzelne hat nur dann Wahlmöglichkeiten, er kann sich nur dann bürgerschaftlich engagieren, wenn die Erzielung von Einkommen nicht an erster Stelle steht. Kein bürgerschaftliches Engagement ist ohne Erwerbseinkommen möglich, das ist klar. Eine bedarfsorientierte Grundsicherung – nomen est omen – behält diese Verpflichtung bei, denn sie wird nur gewährt, wenn ein Bedarf besteht. Dieser Bedarf ist ein Einkommensbedarf, der nur für diejenigen gilt, wie Bütikofer sagt, die kein ausreichend hohes Einkommen erzielen. Also doch: Erwerbsarbeit ist das größte und soll es bleiben.

All das, was Reinhard Bütikofer mit komplizierten Regelungen erreichen will, wäre mit einem BGE viel einfacher zu erreichen. Doch Voraussetzung dazu wäre es, uns Bürgern die Freiheit dazu zu geben. Da hört der Spaß auf. Offenbar droht unseren Politikern von keiner Seite mehr Gefahr als von Bürgern, die selbst darüber befinden, woran sie „teilhaben“ wollen.

Sascha Liebermann

Leerlaufende Abwehr – Daniela Schneckenburger (Bündnis 90/ Die Grünen) zum bedingungslosen Grundeinkommen

„Leerlaufende Abwehr“ – so könnte das Interview mit Daniela Schneckenburger, „grüne Landeschefin“ in Nordrhein Westfalen („Radikale Alternativen sind gerade attraktiv“, taz vom 1.12.2006) übertitelt werden. Anläßlich der Bundesdelegiertenkonferenz in Köln geführt, stößt man in diesem Interview zwar nicht auf interessante oder beachtenswerte Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Statt dessen können wir es vielmehr als Dokument dafür betrachten, wie sehr die Gegner damit ringen, sich die Idee vom Leibe zu halten.

An einer Stelle des Interviews heißt es: „…Ich halte diese Idee [des bGE, SL], wie auch Teile der Gewerkschaften, für eine Stilllegungsprämie, die endgültige Resignation vor der Arbeitslosigkeit.“ Ganz abgesehen davon, daß Menschen nicht stillgelegt werden können – es sei denn, man zählt sie zu den Überflüssigen, wie es heute zum guten reaktionären Ton gehört – ist diese Aussage bezeichnend. Sie spricht uns Bürgern nämlich die Fähigkeit ab, uns gegen Stillegungsversuche zu wehren. Was traut uns Frau Schneckenburger denn noch zu, wenn sie diese Gefahr sieht? Offenbar gar nichts, ihre Äußerung bezeugt nur eine bevormundende Haltung, die sich heute den Mantel der Fürsorge gerne umlegt und sich um unser Wohl vermeintlich sorgt – unser Wohl, das von ihr definiert wird.

Besonders deutlich wird dies, wo die Interviewerin auf die Initiative fördernde Wirkung des Grundeinkommens hinweist und Frau Schneckenburger antwortet: „…Das ist eine sehr idealistische Sicht. Machen wir uns nichts vor: In dieser Gesellschaft ist Arbeit, vor allem bezahlte Arbeit, für viele Menschen sinnstiftend. Nicht jeder Mensch hat die Fähigkeit, aus sich selbst heraus eine Betätigung zu finden…“. Wenn denn bezahlte Arbeit für viele sinnstiftend ist, dann müssen wir uns keine Sorgen darum machen, was die Bürger nach Einführung eines solchen Grundeinkommens tun werden. Aber, aus dieser Regel, in die man vertrauen könnte, folgt für Frau Schneckenburger nicht das, was naheläge. Sie stellt die Erfahrung, in der Regel engagieren sich die Bürger für ihren Beruf, auf den Kopf. Nur weil nicht jeder – also nicht alle, aber doch die meisten – in der Lage sei, aus sich heraus eine Betätigung zu finden, wäre ein solches Grundeinkommen nicht der richtige Weg. „Zwang zur Vermittlung in Arbeit“ mache „keinen Sinn“, so Frau Schneckenburger weiter. Doch, was ist denn eine Erwerbsverpflichtung anderes als Zwang, wenn man sich nur unter Inkaufnahme von Sanktionen dagegen entscheiden kann? Also, alles schönes Gerede. „Aktive Arbeitsmarktpolitik“, die ihr so am Herzen liegt, kann es genauso geben, wenn ein Grundeinkommen eingeführt wird. Werden wir sie noch benötigen? Das können wir dann sehen, wenn es so weit ist.

Die Geistesverwandtschaft mit Hartz IV fällt der Interviewerin auf. Sie fragt, worin der Unterschied zwischen Hartz IV und den Vorstellungen der Grünen bestehe. Darauf die Antwort: „Menschen ohne Arbeit brauchen mehr als Heizung, Kleidung und Essen. Sie müssen auch am gesellschaftlichen Leben teil nehmen können, ihr Kind zum Beispiel ein Instrument spielen lassen. Das Einkommen muss höher sein als das jetzige Arbeitslosengeld II.“ Tatsächlich? Eine mutige Antwort, die der Frage geschickt ausweicht, denn mit einem entsprechend hohen Grundeinkommen wäre das kein Problem.

Um zu sehen, wie weit es mit bürgerschaftlichem Denken her ist, sei zum Schluß noch eine andere Passage zitiert: „…Völlig absurd würde es, wenn – wie in manchen Konzepten gedacht – das Grundeinkommen jeder erhalten soll. Denn warum soll jemand ein Existenzminimum kriegen, der ein hohes Einkommen oder Vermögen hat?“ So spricht, wer nicht die Bürger als Bürger gleichstellen will, wer also das Grundeinkommen nicht als Bürgereinkommen betrachtet, sondern als barmherzige Gabe. Was unterscheidet denn „Vermögende“ von anderen hinsichtlich ihrer Bedeutung für unser Gemeinwesen? Nichts. Sie sind gleich. Nur wenn das bedingungslose Grundeinkommen unabhängig von den Einkommen betrachtet wird, die durch eine Leistungserbringung zusätzlich erzielt werden, ist es in seiner ganzen Bedeutung begriffen. Erst dann hätten wir uns eine freiheitliche Ordnung gegeben, die die Menschen nicht nach ihrem Einkommen bewertet, sondern danach, was sie damit tun: Investieren sie, sollten sie steuerfrei bleiben, konsumieren sie Leistungen, sollten sie besteuert werden.

Sascha Liebermann