„Man kann nicht alles haben – Frau auch nicht…

…Work, Life, Balance? Familie und Beruf – beides ist mehr Erfüllung, als man stemmen kann. Frauen müssen sich entscheiden. Ein Kommentar“.

Auch wenn es zuerst den Eindruck erweckt, als gehe es vor allem um die Mütter, betrifft der Kommentar von Karin Truscheit zur vermeintlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenso die Väter. Selten wurde so klar herausgestellt, dass Elternschaft eine Entscheidung verlangt, weil beides – Familie und Beruf – nicht gleichermaßen zu haben ist. Die Autorin schreibt:

„Und das ist das zweite Unerträgliche in der Debatte: das Werten und Entwerten, das Schönreden, wenn es um die Frage geht: Wie viel Karriere kann eine Mutter überhaupt machen? Man kann, als Mutter oder Vater, ganz viele Kinder haben und trotzdem eine Fernsehshow moderieren oder ein Ministerium leiten. Vorausgesetzt allerdings, die meiste Zeit kümmern sich andere um die Kinder. Karriere und Kinder finden zur gleichen Tageszeit statt.

Auch „Job-sharing“-Modelle werden dieses Dilemma kaum lösen, solange an diesen Stellen das Mutti-Etikett klebt, da es vor allem die Frauen sind, die so Karriere machen wollen. Das größte Problem bleibt jedoch selbst bei geteilten Führungspositionen die Unteilbarkeit dessen, was Kinder und Karriere gleichermaßen fordern – viel Zeit. Als Mutter oder Vater muss man sich für das eine, das Großziehen überwiegend selbst zu übernehmen, oder das andere, die klassische Karriere, entscheiden.“

Damit ist zu der Diskussion über die „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf (siehe hier und hier) beinahe alles gesagt – denn „vereinbar“ im Sinne der Vorstellung, beides sei gleichermaßen zu haben, sind sie nicht. Selbst allerdings wenn auf Karriere verzichtet wird, drängt einen unsere Überhöhung von Erwerbstätigkeit, uns in eine Richtung zu entscheiden. Man rechne nur einmal hoch, was es für das Familienleben heißt, vollerwerbstätig zu sein. Bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche ist man etwa 50 Stunden (Arbeitszeit, Pause, Pendeln zum Arbeitsplatz) abwesend von zuhause. Wer also morgens zwischen 7 und 8 Uhr aus dem Haus geht, kehrt zwischen 17 und 18 Uhr zurück. Von Stau und verspätetem Nahverkehr sehen wir ab.

Faktisch heißt das, dass der erwerbstätige Elternteil vom Familienleben so gut wie nichts mitbekommt. Für die Kinder je nach Lebensalter ist die Abwesenheit eine besonders krasse Entbehrung, denn sie haben ein unendliches Bedürfnis, mit den Eltern gemeinsam Zeit zu verbringen. Das heißt nicht, dass ständig gemeinsam gespielt oder etwas unternommen werden muss. Ansprechbar sollen Eltern sein, nah sollen sie sein, beim Spielen einfach dabeisein. An der Entbehrung ändert auch die von Bindungsforschern attestierte Bindungsfähigkeit von Kinden zu Personen außerhalb der Familie nichts. Denn diese Personen sind nicht die Eltern, von denen die Kinder sich später einmal ablösen müssen, um erwachsen zu werden. Darüber hinaus konstituieren sich die Beziehungen zu Erziehern gänzlich anders. Erzieher erbringen eine Dienstleistung, sie haben eine Dienstzeit und Feierabend, sind in ihrer Aufgabenwahrnehmung austauschbar. Sie kümmern sich um Kinder, die eine Einrichtung besuchen, ganz gleich, welche das sind. Sicher, auch ihnen wachsen die Kinder ans Herz, mit denen sie täglich Zeit verbringen, es ist letztlich aber eine Dienstleistungsbeziehung. Für die Kinder hingegen ist diese Austauschbarkeit, die zum Berufsleben dazugehört, nicht selbstverständlich, sie ist durchaus krisenhaft, denn Kinder gehen immer davon aus, dass andere ihretwegen da sind.

Wenn Eltern vollerwerbstätig sind, entbehren Kinder jemanden, der für ihr Leben zentral ist. Das ist eine Folge der Vollerwerbstätigkeit, sie ist nicht zu mildern. Der Verlust an gemeinsamer Zeit ist einer an gemeinsamer Erfahrung, sie lässt sich eben nicht organisieren (siehe hier), wie manche meinen, die die Quality Time preisen. Da Eltern in ihre Elternsein zuerst einmal hineinfinden müssen, auch das braucht Zeit, erschwert lange Abwesenheit diesen Erfahrungsprozess, der auch für Eltern krisenhaft ist, zum einen wegen den vollständig neuen Situation, der umfassenden Fremdbestimmung durch die Bedürfnisse der Kinder, zum anderen weil das Elternwerden eigene Kindheitserinnerungen verlebendigt, nicht nur angenehme, auch unangehme. Die Kinder verändern sich schnell in den ersten Jahren – und wieder braucht es Zeit, um diese Erfahrung zu machen.

Vollerwerbstätigkeit staucht die gemeinsame Zeit zusammen. Schon das gemeinsame Frühstück wird schnell hektisch (Kinder im Kitaalter spielen morgens gerne ausdauernd), das Mittagessen fällt aus und zum Abendessen ist man gerade wieder zurück. Wenn auch Teilzeittätigkeit (sofern sie von der Einkommensseite her ausreicht) mehr Zeit miteinander verschafft, erhöhrt sie den Koordinationsaufwand, es bedarf mehr Abstimmung, wodurch die gewonnene Zeit stärker organisiert werden muss. Dieser Befund besagt nicht, was jemand tun sollte, er besagt nur, was er in Kauf nehmen muss, wenn er sich für beides Familie und Beruf entscheidet. Das macht den Kommentar von Karin Truscheit so wertvoll. Sie macht klar, dass man sich entscheiden muss. Wer anderes behauptet, ist fern der Realität. Sicher kann man Kinder haben und sie durch andere versorgen lassen, um der Karriere nachzugehen. Das muss jeder selbst wissen, sollte aber nicht kleinreden, was das bedeutet.

Gleichwohl sind wir nicht so frei, diese Entscheidungen zu treffen, wie der Kommentar nahelegt, denn die Stellung von Erwerbstätigkeit ist normativ überhöht. Erwerbstätig zu sein gilt als besonders wertvoll. Wer erwerbstätig ist, macht alles richtig, auf jeden Fall leistet er etwas Sinnvolles, trägt zum Gemeinwohl bei. Das gilt für die Entscheidung, für Kinder zuhause zu bleiben, heute nicht mehr, denn die Überhöhung von Erwerbstätigkeit sorgt zugleich für eine normative Abwertung des Engagements in der Familie. Das zeigt sich in aller Deutlichkeit daran, wodurch in unseren Systemen sozialer Sicherung Ansprüche auf Einkommensleistungen erworben werden: vorrangig durch Erwerbstätigkeit. Das zeigt sich ebenso deutlich in der Bildungsrhetorik, die in Frühförderung nach wie vor das Nonplusultra erkennt.

Wenn es also um eine Entscheidung geht, die getroffen werden muss, ob und wann in welcher Lebensphase einem Beruf oder Familie wichtiger sind, dann stellt sich die Frage, wie es möglich ist, sich ihr so freigelassen wie möglich stellen zu können? Gegenwärtig stellt sich diese Entscheidung stets vor dem Hintergrund der normativen Geltung von Erwerbstätigkeit. Hier nun kommt das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel, denn es zieht keine bestimmte Lebensführung einer anderen vor. Erwerbstätigkeit würde nicht mehr auf dem Sockel stehen, nicht mehr als der höchste Zweck gelten, zu dem sie heute gemacht wird. Weder nimmt ein BGE die Zumutung von einem, Entscheidungen treffen zu müssen, noch enthebt es einen der Folgen solcher Entscheidungen, die jeder aushalten muss. Es befreit jedoch von der normativen Hinleitung der Lebensführung in eine bestimmte Richtung. Nicht mehr Erwerbsätigkeit über alles würde gelten, sondern Selbstbestimmung in Gemeinschaft, denn das BGE ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit, es ist nicht individualistisch und dennoch Individualität fördernd. Es ist nicht kollektivistisch und dennoch Vergemeinschaftung fördernd.

Sascha Liebermann

Tagesspiegel und New York Times über das Grundeinkommen

Im Tagesspiegel steht der Beitrag unter der Überschrift „Die Menschen von der Arbeit befreien“, in der New York Times Sunday Review unter dem Titel „It’s Payback-Time for Women“. Sie hebt die Bedeutung des BGE für Frauen, aber auch im Allgemeinen heraus, wobei missverständlicherweise davon gesprochen wird, das BGE sei „a way to reimburse mothers and other caregivers for the heavy lifting they now do free of charge“. Das BGE stellt indes keine Bezahlung oder Entschädigung dar, es handelt sich vielmehr um eine Ermöglichungspauschale, die es erlaubt, Dinge tun zu können, ohne dafür einen Marktpreis erzielen zu sollen.

„Faszination Entwicklung“…

… – Zeit für Erfahrung, Zeit zum Heranwachsen – so könnte man die Dokumentation über den Schweizer Kinderarzt und Forscher Remo Largo, die jüngst im Schweizer Fernsehen gezeigt wurde, übertiteln. Largo hat sich etwa 50 Jahre damit befasst, wie Entwicklungsprozesse bei Kindern verlaufen und ist zu äußerst interessanten Einsichten gelangt. Ein afrikanisches Sprichwort steht dabei für seine Erkenntnisse: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“. Unter seiner Leitung wurden zwei Langzeitstudien durchgeführt, die zeigten, wie unterschiedlich die Entwicklungszeiträume sind, in denen Kinder bestimmte Fähigkeiten ausbilden. Er beschreibt seine Haltung als ein Denken vom Kinde aus. Einem breiteren Publikum ist er durch sein Buch „Babyjahre“ bekannt geworden, später folgten „Kinderjahre“, „Schülerjahre“ und „Jugendjahre“. Diese Einsichten in Bildungsprozesse führten ihn unter anderem dazu, sich mit dem Bildungswesen, insbesondere der Schule, zu beschäftigen und deutliche Kritik zu äußern, die sich nicht in Gemeinplätzen oder Plattitüden gefällt (Hier einige Videoaufzeichnungen seiner Vorträge). Auch können seine Bücher nicht als Ratgeber im üblichen Sinne verstanden werden, denn Rat gibt er keinen, er präsentiert dort Forschungsergebnisse auf eine verständliche Weise und zeigt auf, welche praktischen Schlüsse aus ihnen gezogen werden können. 

In der Dokumentation kommen darüber hinaus zwei Dinge kurz zur Sprache, zum einen seine Sorge darum, dass Automatisierung dazu führen könnte, sinnerfüllende manuelle Tätigkeiten durch Maschinen erledigen zu lassen, wo aber bliebe dann der „Handwerkerstolz“, denen er als Beispiel hervorhebt? Zum anderen wird am Ende deutlich, dass ein Gemeinwesen vor der Frage steht, welche Bedeutung es Beziehungen, der Gemeinschaftserfahrung, beimisst, statt alles nur am Geld zu messen. Dass Automatisierung dort, wo sie vernünftig ist, auch einem Rückgewinn an Lebenszeit gleichkommt, der gerade dann für Beziehungen zur Verfügung steht, dieser Zusammenhang liegt nahe, wird von ihm aber nicht hergestellt. Largo hat sich auch durchaus widersprüchlich geäußert, wie ich einem früheren Kommentar herausgehoben habe. Es wäre ein Leichtes von seinen Einsichten ausgehend zum BGE zu gelangen, um als Gemeinwesen den Rahmen dafür zu schaffen, Zeit für Erfahrung zu haben. Dass er das nicht tut, mindert seine Einsichten in Entwicklungsprozesse überhaupt nicht, als Brücke zum BGE werden sie umso deutlicher.

Sascha Liebermann

„Hilfe, wohin mit unserem Kind?“

Zur Website der Sendung

Die gesamte Sendung, wie auch schon frühere zu diesem Thema, wirft wieder die Frage auf, wie wir zu Familie stehen. Alle drei porträtierten Familien stehen nicht vor der Möglichkeit, dass beide Eltern für eine Weile – oder sogar, wie mit einem BGE möglich wäre, nach ihrem Dafürhalten – für ihre Kinder zuhause sein können. Wie das konkret aussehen würde, wenn es möglich wäre. müssten die jeweiligen Eltern für sich entscheiden. Heute jedoch, solange Erwerbstätigkeit ein solch große Bedeutung hat, betreiben wir eine Degradierung von Familie. In zwei Familien in dieser Dokumentation sind die Väter werktags die ganze Woche beinahe vollständig abwesend, die Anstrengungen und Entbehrungen, die das für die Mütter mit sich bringt, werden – womöglich entgegen der Absicht der Regisseurin (siehe Website der Sendung) – deutlich. Insofern ist es bezeichnend, dass der Mangel an Kitaplätzen beklagt wird, nicht aber Familienpolitik, die es bislang in keiner Weise vorsieht, dass Eltern sich ausreichend Zeit nehmen können sollen. Ein BGE würde hier ganz andere Möglichkeiten schaffen, ohne eine bestimmte Entscheidung besonders wertzuschätzen.

Sascha Liebermann

Wie Podiumsdiskussionen nicht weiterführen,…

…das hat mich eine Veranstaltung an der Universität Köln am vergangenen Samstag gelehrt. Leider beherrschte der Hang zur Polarisierung die Veranstaltung. Das lag nicht an den Veranstaltern, die alles gut vorbereitet hatten. Es lag am Podium. Auch fehlte es an Schlagworten nicht, von denen ausgehend Klärungen hätten angestrebt werden können, statt alles in einen Topf zu rühren. Besonders misslich war es, dass in einer Diskussionsveranstaltung an einer Universität, Werturteile und -haltungen nicht genügend von Analyse unterschieden wurden. Sie auseinanderzuhalten wäre einer Universität gemäß gewesen, denn was die Podiumsteilnehmer für richtig und falsch halten, tut nichts zur Sache, wenn es um Analyse geht. Das führte an etlichen Stellen dazu, dass z.B. Christoph Butterwegge sich aus einer Äußerung dasjenige herauspickte, was ihm nicht zusagte, um darauf herumzureiten, andere Aspekte einer Äußerung jedoch schlicht unter den Tisch fallen ließ. Schon zu Beginn wurden BGE-Befürworter von ihm als Sekte bezeichnet, die mit einem Tunnelblick umherliefen – war das Podium da gleich mit angesprochen? Dass es solche Phänomene gibt, ist unbestritten, doch was tut das in einem solchen Rahmen zur Sache? Wenn dann noch Podiumsteilnehmer dafür verantwortlich gemacht werden, was andere zum selben Thema gesagt haben, ist es äußerst schwierig, über eine Sache zu diskutieren. Christoph Butterwegges Überlegungen waren für diejenigen nicht überraschend, die jüngere Äußerungen von ihm kannten (siehe meinen Kommentar hier).

Dass bei alldem dennoch manch interessante Äußerung fiel, möchte ich diese hier kurz kommentieren, da sie für die Diskussion im Allgemeinen von Belang sind. Als Zitate markierte Stellen geben sinngemäß wieder, was meiner Erinnerung nach gesagt wurde.

Sehr deutlich war der Hinweis von Steffen Roth darauf, dass Modellsimulationen zum BGE, die Aussagen über zukünftiges Handeln von Menschen machen wollen, unbrauchbar sind. So hatte sich vor einiger Zeit auch Alexander Spermann geäußert. Das hört man nicht so oft von Wirtschaftswissenschaftlern, eher werden Simulationen wie Tatsachen behandelt, wie z.B. jüngst in einem Beitrag auf Ökonomenstimme. Ich habe es selbst schon öfter in Diskussionen erlebt, dass auf der einen Seite zwar eingeräumt wird, dass Simulationen keine Aussagen über Wirklichkeiten treffen, sie auf der anderen Seite aber, wenn es darauf ankommt, wie Wirklichkeitsaussagen behandelt werden. Bei all den Simulationsmodellen sowie der Frage nach der Finanzierung setzt sehr schnell eine Taschenrechnerhaltung ein. Gegenwärtige Einnahmen und Ausgaben werden auf das BGE übertragen und dann gezeigt, dass es nicht finanzierbar sei – da war sich Butterwegge ganz sicher. In den wenigsten Fällen wird überhaupt berücksichtigt, dass mit einem BGE die gesamte Grundlage der Wertschöpfung sich verändern würde, weil die Entscheidungen für ein Engagement, sei es erwerbsförmig oder nicht, auf einer anderen Grundlage stattfänden. Diese womöglich positiven Auswirkungen lassen sich zwar nicht beziffern, sie aber abzutun ist fahrlässig, denn wir wissen nichts darüber, inwiefern heutige Erwerbsarbeitsbedingungen das Entstehen von Wertschöpfung verhindern. Wer also einschätzen will, was mit einem BGE geschehen könnte, muss all dies in Betracht ziehen.

Steffen Roth wies darauf hin, dass er es für problematisch halte, wenn über einen solchen Vorschlag hinaus, wie das BGE einer ist, dann noch Überlegungen mit ihm verbunden werden, was Menschen zu tun haben, wenn sie ein BGE erhalten. Da trifft er durchaus einen Punkt in der Grundeinkommensdiskussion, denn auch manche Befürworter meinen es mit der Bedingungslosigkeit nicht ganz ernst. Roth führte aus, dass dies darauf hinauslaufe zu definieren, was ein „gutes Leben“ sei, wie es auszusehen habe. Das wäre in der Tat Bevormundung. Was er allerdings nicht erwähnte, war, dass die Entscheidung, Einkommen über Erwerbstätigkeit erzielen zu sollen, wie es heute für selbstverständlich gehalten wird, ebenso eine Vorstellung von „gutem Leben“ definiert. Sie besagt: „Alle sollen erwerbstätig sein, weil sie so einen Beitrag zum Gemeinwesen leisten und sich selbst versorgen“. Dieser Eingriff ist normativ erheblich, keineswegs ethisch neutral, wie so oft auch von Wirtschaftswissenschaftlern behauptet. Was hieran gesehen werden kann ist, dass es keine „neutralen“ Konstellationen im wirklichen Leben gibt. Es werden immer normative Entscheidungen getroffen. Sie unterscheiden sich nur darin, welche Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen eingeräumt werden, woran sein Stellenwert bemessen wird, ob er um seiner selbst und des Gemeinwesens selbst willen etwas gilt oder nicht. Ein BGE würde eben dem Einzelnen um seiner selbst willen durch das Gemeinwesen Anerkennung verschaffen, ohne dass er etwas zu tun hätte.

Es war an dieser Stelle der Schritt nicht weit, um über Freiheit und Abhängigkeit zu sprechen, die dann schnell gegeneinander gestellt werden. Das BGE, so auch Roth, greife durch die Entscheidung, erhebliche öffentliche Mittel für es bereitzustellen, in die Freiheit der anderen ein, die ein BGE gar nicht bräuchten. Auf diese Argumentation stößt man häufig im Zusammenhang mit der öffentlichen Alimentierung von Kultureinrichtungen, Hochschulen, dem Nahverkehr usw. Dort würden aus allgemeinen Steuermitteln Leistungen vorgehalten, von denen zum einen diejenigen profitierten, die es sich ohnehin leisten könnten, dorthin zu gehen, zum anderen diejenigen sie mitzutragen hätten, die sie gar nicht nutzen. Wo diese so gegeneinandergestellt wird, muss die Frage gestellt werden, ob es ein so reichhaltiges Kulturleben ohne öffentliche Alimentierung geben könnte. Die ganz praktische Frage ist dann auch, halten wir das für ein vor allem privates oder vor allem öffentliches Gut? Daran entscheidet sich die Gestaltung, ganz wie bei der Diskussion um Studiengebühren.

Außerdem werde die Abhängigkeit des Einzelnen vom „Staat“ durch ein BGE noch erhöht im Vergleich zu heute – so Roth, aber auch Butterwegge – da dieser dann ja das BGE bereitstelle. Weil dies bei Sozialversicherungen nicht so sei, so Butterwegge, ziehe er sie vor. Sie könnten nicht oder nicht so leicht zum Spielball politischer Gemengelagen werden wie das BGE, das mit jedem neuen Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministeriums in Frage gestellt werden könnte. Nun, dagegen ließe sich Rechtssicherheit schaffen, in dem das BGE gesetzlich verankert würde. Darüber hinaus ist es Ausdruck eine politischen Kultur, wie sie mit solchen Leistungen umgeht. Gesetze sind keine dauerhaften Garantien, wenn der politische Wille, sie zu erhalten, fehlt. Die Ansprüche an Sozialversicherungen jedoch unterliegen den Folgen politischer Entscheidungen ebenso wie die Anpassungen bei den Renten, dem Arbeitslosengeld und ähnliches zeigen. Dass Butterwegge dann das BGE noch als Almosen bezeichnete, machte deutlich, wie unwillig er war, sich darauf einzulassen. Almosen sind mildtätige Gaben, Mitleid ist der Beweggrund, nicht aber die Stellung einer Person im Gemeinwesen, wie es für das BGE gelten würde. Nicht die Bundesregierung stellt ein BGE je nach gusto bereit, sondern das Gemeinwesen, das sie repräsentiert. Das sind zwei ziemlich verschiedene Paar Schuh.

Wenn statt eines BGE eine „repressionsfreie Grundsicherung“ (siehe meine Kommentare dazu hier, hier und hier) vorgezogen wird, so Butterwegge, kann man ober der Schlagworte nur staunen. Wie soll eine Grundsicherung „repressionsfrei“ sein, wenn sie doch nur als kompensatorische Leistung konstruiert ist, die das Fehlen von Erwerbseinkommen ausgleichen soll? Es erhält sie nur derjenige, der kein Erwerbseinkommen erzielt, wodurch Erwerbseinkommen das normative Gebot bleibt. An ihm wird gemessen, was der Einzelne beigetragen hat. Alleine dadurch schon werden Bezieher stigmatisiert, die nicht erwerbstätig sind. Nicht von ungefähr sind in allen Systemen sozialer Sicherung, die solche Leistungen kennen, Bedürftigkeitsprüfungen eingebaut. Die Leistungsbezieher sollen, so das Ziel der Leistungen selbst, diesen Zustand wieder verlassen können. Damit ist klar, woher der Wind weht. Wer also dennoch dauerhaft Leistungsbezieher bleibt, muss sich immer wieder rechtfertigen, weil er etwas tut, was nicht vorgesehen ist. Das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung. Kann Butterwegge das ernsthaft nicht gesehen haben – oder nicht gesehen haben wollen? Auf einen Hinweis meinerseits, dass stigmatisierende Effekte solcher Leistungen nur dann aufgehoben würden, wenn es ein dauerhaftes, anders legitimiertes Mindesteinkommen gäbe, so wie es das BGE vorschlägt, räumte er ein, dass Erwerbsarbeit seiner Auffassung nach an erster Stelle stehen müsste. Von einer „repressionsfreien Grundsicherung“ zu reden oder davon, dass der heutige Sozialstaat „patriarchal autoritär“ sei, ist dann nur kritische Kosmetik. Kein Wunder also, wenn Butterwegge in seinen Veröffentlichungen affirmativ davon spricht, dass wir in einer Arbeitsgesellschaft lebten.

Ebenfalls bezeichnend war, wie mit dem Thema Familie (frühere Kommentare von mir dazu hier und hier) umgegangen wurde. Es spielte die ganze Zeit keine Rolle, bis dann eine Frage aus dem Publikum sich darauf richtete, ob denn mit einem BGE nicht das Verständnis von Arbeit erweitert werde, ob also auch Tätigkeiten damit Anerkennung fänden, die heute nachlässig behandelt werden, z.B. in der Familie. Butterwegge entgegnete, dass er, wenn er sich mit seiner Tochter befasse, nicht von Arbeit sprechen würde, das verbitte er sich. Da ist durchaus etwas dran, denn Arbeit hat immer ein Gegenüber, das bearbeitet wird. Es ist insofern naheliegend, dass wir den Arbeitsbegriff meist für Tätigkeiten reservieren, in denen es um die Bereitstellung von standardisierten Gütern und Diensten geht, nicht aber für Dienste am Menschen. Dort wird häufig von Patienten oder Klienten gesprochen. Weiterhin ist der Arbeitsbegriff heute meist mit der Einkommenserzielung verbunden, so dass ganz selbstverständlich von Arbeit dort gesprochen wird, wo es um bezahlte, also für eine Markt geleistete Arbeit geht. Butterwegge ging mit seiner Antwort allerdings an der Frage vorbei, die auf eine Gleichordnung von Tätigkeiten zielte. Stattdessen plädierte er dafür, Erzieher besser zu bezahlen. Was hatte das mit der Frage zu tun? Dass ein BGE etwas ermögliche, was heute mehr und mehr rechtfertigungsbedürftig wird: sich nämlich selbst um die eigenen Kinder zu kümmen, solange Eltern das für sinnvoll halten, ist für Butterwegge kein Thema. Abgesehen vom Erwerbsgebot und seiner normativen Aufladung können gerade diejenigen mit niedrigen Einkommen es sich nicht erlauben, für die Kinder zuhause zu bleiben, was sie dazu zwingt, früh wieder erwerbstätig zu werden. Das Elterngeld verstärkt diesen Zustand nur.

Als ich darauf hinwies, dass ein BGE in einem Haushalt kumuliere und gerade Familien mit niedrigerem Einkommen heute relativ deutlich besser stellen würde, darüber hinaus noch das Engagement in der Familie anerkannt (nicht bezahlt) würde, weil das BGE an die Person nicht an die Leistung gebunden sei, beantwortete er mit einer flapsigen Bemerkung. Jetzt fehle ja nur noch, sinngemäß, die Befürwortung des Betreuungsgeldes (siehe meinen Kommentar hier). Dass ein BGE hingegen Familie aufwertet, ohne zugleich andere Optionen wie Krippe oder Kindergarten abzuwerten, dafür war kein Platz in dieser Diskussion.

Was hielt Butterwegge noch entgegen? Er sei für einen Mindestlohn von 10 bis 12 Euro. Ein Mindestlohn von 12 Euro würde bei einer 40-Stunden-Woche gerade einmal zu einem Einkommen von 1920 Euro führen. Also gerade diejenigen, die von einem solchen Mindestlohn abhängig wären, erhielten relativ wenig Spielraum für ihre Entscheidungen, sofern sie mehr Zeit für die Familie haben wollten. Wenn Butterwegge auch an diesem Abend wieder das Verhältnis von Arm und Reich in Deutschland beklagte, will er offenbar keinen weiter reichenden Schritt gehen, als den Mindestlohn ein wenig zu erhöhen. An der Stigmatisierung derer, die noch andere wichtige Aufgaben sehen als Erwerbstätigkeit, will er offenbar festhalten. Das passt so gar nicht zum Kampf für die Armen.

Flapsig ist er mit der Frage danach umgegangen, ob uns denn nicht die Arbeit ausgehe, wie es durchaus missverständlich manchmal heißt. Es geht dabei natürlich nur um Erwerbsarbeit, bezahlte Arbeit. Die Entwicklung des Arbeitsvolumens pro Kopf für Deutschland spricht eine deutliche Sprache, wie unten zu sehen ist. Auch ist der Trend des Absinkens seit 1880 belegt. Differenzierte Debatten gibt es zur Frage, wie das zu erklären sei, eine eindeutige Antwort steht offenbar aus. Darüber einfach, wie Butterwegge es tat, hinwegzugehen, ist unseriös.

 

Abbildung: Arbeitsvolumen pro Kopf in Deutschland 1960-2010, bis 1990 Westdeutschland, ab 1991 West- und Ostdeutschland. Quelle: Bundesministerium für Arbeit, Statistisches Taschenbuch, eigene Berechnung. (Die Grafik ist dem Beitrag von Kai Eicker-Wolf entnommen).


Völlig außen vor an diesem Abend, bis auf wenige Bemerkungen auf dem Podium, blieb die Bedeutung eines BGE im Gefüge der Demokratie. Das war symptomatisch, ist allerdings in der Grundeinkommensdiskussion selbst ein Schwachpunkt. Schon als ich den Begriff Staatsbürger zu Beginn einführte, um von dort aus das BGE herzuleiten, wurde deutlich, wie über Demokratie gedacht wurde. Hier war es wieder Christoph Butterwegge, der sich auszeichnete. Obwohl ich deutlich machte, dass ein BGE alle Staatsbürger und Menschen mit Lebensmittelpunkt in Deutschland erhalten könnten (hier muss dann geklärt werden, welche Aufenthaltsstatus vorgesehen sind), warf er mir vor, dass dies ausgrenzend sei. Wenn schon, dann müssten alle Wohnbürger einbezogen werden. Leider gab es keine Möglichkeit, diesen Punkt weiter zu klären, dabei wäre es wichtig gewesen. Mir ging es darum deutlich zu machen, dass ein Gemeinwesen von denen getragen werden muss, die Träger aller Rechte sind, das sind aber nur die Staatsbürger, nicht die Wohnbürger. Wohnbürger müssen die politische Ordnung und die damit verbundene Rechtsordnung nur anerkennen, sie müssen sie aber nicht tragen und verantworten. Das ist überall so, wo es politische Gemeinwesen gibt, keine Gemeinwesen ohne Unterscheidung zwischen Angehörigen und nicht Angehörigen. Ein BGE würde also, wenn es am Status festgemacht würde, genau das Solidarband stärken, das heute schon unerlässlich ist dafür, die Staatsbürger als tragendes Fundament auch im System sozialer Sicherung anzuerkennen. Hier geht es unmittelbar um das Verhältnis von Demokratie und Selbstbestimmung im Gemeinwesen.

Sascha Liebermann

„Hart aber fair“ – Zur „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf

In der Sendung Hart aber fair ging es letzte Woche um wichtige Frage unseres Zusammenlebens. Welche Möglichkeiten benötigen Eltern, um darüber zu befinden, wie sie sich der Aufgabe Elternschaft stellen wollen. Der Titel der Sendung war entsprechend: „Kitastreik als Härtetest: Passen Job und Familie wirklich zusammen?“. Damit ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie es heute harmonisierend ausgedrückt wird, aufgeworfen. Einzig Maria Steuer und Heinrich Wefing bezogen hier eindeutig Position, wenngleich nur Frau Steuer offensichtlich Konsequenzen aus der Unvereinbarkeit zog und auf ihr berufliches Engagement eine Weile verzichtete. Sie war die einzige, die klar dafür plädierte, dass Mütter – für Väter müsste es genauso gelten – länger zuhause bleiben können sollten. Sie fand die heutige Entwicklung bedenklich, nicht nur die Fremdbetreuung schon früh einsetzen zu lassen (Stichwort U3) und die Betreuungszeiten auch auf die Nacht auszuweiten. Überhaupt dem Berufsleben ein solch großes Gewicht einzuräumen, dass Familie hinter ihm zurückzustehen habe, stellte sie in Frage. Ihr gegenüber, wenn man es so sehen will, ist die Position von Bundesministerin Manuela Schwesig zu verorten, die mit verschiedenen Vorschlägen schon an die Öffentlichkeit getreten ist und als eindeutige Verfechterin der „Alles ist möglich-Lüge“ zu verstehen ist. Allerdings gab sie an einer Stelle auf sich selbst bezogen zu erkennen, welche Folgen es für sie habe, wenn beide Eltern sich beruflich engagieren: Wenn man dann gemeinsam zuhause ist, soll es harmonisch sein, so ihre eigene Vorstellung davon. Wann bleibt dann Zeit für Streit und die ganz normalen alltäglichen Reibereien, die zum Familienleben dazugehören? Ist das der Preis der „Vereinbarkeit“, dass vorübergehende Disharmonien nicht mehr ausgehalten werden bzw. gar nicht mehr eintreten sollen? Auf ihrer Seite, wenn auch zugleich die Verhältnisse kritisierend, stand die Erziehern Zita van Dijk. Sie wies treffend darauf hin, dass es etliche Eltern gibt, die es sich nicht erlauben könnten zuhause zu bleiben – nicht einmal ein Elternteil. Deswegen seien Kitas gut und wichtig. Erzieher sei keine „Basteltanten“, ihre Verantwortung sei ungleich größer, womit sie sich gegen verächtliche Bemerkungen über ihren Beruf zu Recht verwahrte. In der Tat ist der Beruf des Erziehers ein verantwortungsvoller, die Ausbildung und auch das Ansehen sollten entsprechend sein. Abfällige Bemerkungen sagen etwas darüber, wie wir über Kinder denken. Über das Ziel hinaus schoß sie allerdings, indem sie durch ihre vehemente Verteidigung der Kitas die gegenwärtigen Missstände festschrieb – genau damit geriet ihre Verteidigung in die Schieflage. Sie verlor darüber vollkommen aus den Augen, dass Eltern nicht Bezugspersonen wie andere sind. Die Kinder haben an sie eine primäre Bindung, die mit nicht der zu anderen Personen vergleichbar ist. Selbst zwischen Mutter- und Vater-Bindung muss noch einmal unterschieden werden. Hier tendierte die engagierte Erzieherin dazu, kognitive Entwicklungen über- und affektive unterzubewerten. Sie verteidigte dabei allerdings den status quo, wenn sie vehement darauf hinwies, dass manche Eltern nicht anders könnten. Die Frage wäre doch, wie es ihnen möglich gemacht werden könnte, zuhause zu bleiben, wenn sie wollen. Maria Steuer hingegen führte aus, dass für sie die entscheidende Erfahrung, deretwegen sie sich gegen die Betreuung ihrer Tochter bei einer Tagesmutter entschied, die Reaktion ihres Kindes auf die bevorstehende Trennung gewesen sei. Da reagierte  Zita van Dijk fast schon beleidigt, als sei jede Entscheidung gegen eine Einrichtung eine persönliche Beleidigung des Erzieherberufs. Trennungen seien in jedem Alter schwierig, entgegnete sie, auch noch mit dem Eintritt in die Grundschule. Kinder die solche Erfahrungen schon früher gemacht hätten – durch die Kita -, kämen mit dem Übergang zur Schule besser klar. Nun, hierzu könnte manches gesagt werden, ich möchte es auf einen Punkt beschränken. Es ist kein Zufall, dass Kinder etwa mit dreieinhalb bis viereinhalb Jahren gerne in den Kindergarten gehen und Schließungstage gar nicht begrüßen. Vorher tun sie dies nur, wenn die Eltern es wollen. Hört man Eltern darüber reden, dass ihr 15 Monate oder zwei Jahre altes Kind gerne gehe, dann ist dies vor allem eine Deutung der Eltern, nicht aber eine Haltung des Kindes, die sich darin artikuliert. Noch im Alter von drei Jahren sind Auskünfte von Kindern, wie sie zu einer Sache stehen, schwankend, so dass die Frage danach, ob sie in den Kindergarten gehen wollen, in einem Moment bejaht, im nächsten deutlich verneint wird. Kinder können sich, das wird häufig unterschätzt, mit vielem arrangieren, vor allem mit den Wünschen der Eltern, die sich freuen, wenn die Kinder „gerne“ in die Kita gehen. Wer wirklich will, dass sich Eltern unbefangen der Aufgabe Elternschaft stellen können wollen und dann entscheiden, wovon sie meinen, dass es das für sie Richtige ist, muss Ihnen ermöglichen, sich dieser Aufgabe frei von normativen Erwartungen zu stellen. Das geht nur dann, wenn das Zuhausebleiben genauso, auch finanziell, möglich ist wie Erwerbstätigkeit.

Wie mit früher Fremdbetreuung umzugehen wäre, dazu könnte eine andere Haltung der Kitas beitragen: Wenn Kindertagesstätten nicht einfach als Dienstleistungen verstanden werden, bei denen Eltern Betreuungszeiten einkaufen, sondern als Einrichtungen die auf der Grundlage einer professionalisierten Haltung darüber befinden, zu welchen Bedingungen (Betreuungszeiten und -umfang) sie Kinder aufnehmen, wäre die Lage erheblich anders. Entsprechend müssten Anfragen auch abgelehnt werden können, wenn die Einrichtung den Eindruck hätte, dass Eltern Verantwortung abgeben wollen oder sich über die Folgen zu früher und zu umfangreicher Fremdbetreuung nicht im Klaren sind. Diese Diskussion wird gegenwärtig allerdings kaum geführt, weil der Kita-Ausbau vor allem arbeitsmarkt- und bildungspolitisch motiviert ist, sich aber nicht sich an den Kindern ausrichtet. Das ist schon an den Betreuungszeiten erkennbar.

Wer früher Eindruck gewonnen haben sollte, dass die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder das sogenannte traditionelle Familienbild vertrete, der schaue sich das Kurzinterview im Rahmen dieser „Hart aber fair“-Sendung an. Man sei zwar „nie am richtigen Ort“, sagte sie, meint aber, sie habe darunter mehr gelitten als ihre Tochter, wenn sie nicht zuhause sein konnte. Das klingt nach Rationalisierung, denn, wer weiß schon, was in einem Kind in den ersten Lebensjahren vorgeht. Es bedarf ungleich mehr der Eltern, insbesondere der Mutter, als umgekehrt. Kristian Schröder führte als Grund dafür, weshalb sie zehn bzw. acht Wochen nach Geburt ihrer Töchter wieder ins Ministeramt bzw. das Bundestagsmandat zurückkehrte, an, dass sie keine Elternzeit nehmen konnte. In diesen Positionen stehen sie einem nicht zu. Nun, sie hätte die Positionen aufgeben können, das mag für sie subjektiv keine Alternative gewesen sein, als Alternative bestand sie dennoch. Wenn sie in der Folge sagte, es müsse doch möglich sein, „eins, zwei, drei Jahre“ einen Gang beruflich runterzuschalten, um mehr Zeit zu haben, muss man staunen. Glaubt sie ernsthaft, dass nach einem oder sogar drei Lebensjahren eines Kindes das berufliche Engagement wieder genauso intensiv sein könnte, wie zuvor, ohne die Zeit für Familie erheblich einzuschränken? Da ihr Mann ebenfalls beruflich stark engagiert ist, heißt das, beide haben wenig Zeit für die Kinder. Legt man eine Vollzeitbeschäftigung von acht Stunden am Tag zugrunde, rechnet Pendelzeiten hinzu, dann ist man neun Stunden tagsüber abwesend. Lässt man den Arbeitstag um acht Uhr beginnen, dann endet er um 17 Uhr. Wieviel bekommt man dann von den Kindern mit, bis sie ins Bett gehen? Dass als Ministerin oder Bundestagsabgeordnete die Arbeitszeiten so regelmäßig einggrenzbar sind, ist ein frommer Wunsch, nicht aber Realität. Ihr Bekenntnis zur Wahlfreiheit, ganz wie Frau Schwesig, sieht Familie ganz aus dem Blickwinkel eines alleinlebenden Erwachsenen, der keine hat. Denn Wahlfreiheit ist nur solange ein hehres Ziel, wenn sie die Folgen für andere berücksichtigt. Starkes berufliches Engagement bleibt aber für Familie nicht folgenlos, für die Kinder schon gar nicht (siehe z.B. hier und hier, ähnlich auch Bundesministerin Andreas Nahles im Interview; vergleichbare Haltungen bei allen Parteien auch in der Bundestagsdebatte zum Betreuungsgeld im Deutschen Bundestag).

An solchen Diskussionen wird einmal mehr deutlich, wie sehr wir in der Vorstellung festhängen, Erwerbstätigkeit müsse jeder Zeit das Maß der Lebensentscheidungen sein und dürfe nur kurzzeitig in den Hintergrund rücken. Für Familie „einen Gang“ herunterzuschalten wird dann schon als Zugeständnis betrachtet. Das soll nicht heißten, dass wir als Gemeinwesen vorschreiben sollten, wie Eltern damit umzugehen hätten. Wir sollten allerdings auch nicht so tun, als sei es für Kinder und ihre Entwicklung gleichgültig, wie die Entscheidungen ausfallen. Die Folgen davon hat im Zweifelsfall das Gemeinwesen zu tragen. Weil die Verantwortung groß ist, bedarf es eines Freiraums für Eltern, sich dieser Entscheidung zu stellen, ohne in eine Richtung gewiesen zu werden. Einmal mehr erweist sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen hierfür als besonders angemessen.

Sascha Liebermann

„Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine schlechte und in sich widersprüchliche Idee“…

…schrieb Norbert Häring, der auch für das Handelsblatt tätig ist, am 11. März in seinem Blog über das Bedingungslose Grundeinkommen. Wer schon Beiträge zu wirtschaftspolitischen Fragen desselben Autors gelesen hat, wird sich über seine Auslassungen zum BGE wundern. Wie schnell in Schubladen gedacht, wie oberflächlich die Auseinandersetzung geführt wird, ist verblüffend. Der Unwille ist in jeder Zeile zu verspüren und zugleich macht er deutlich, weshalb das BGE es so schwer hat. Nicht die Finanzierungsfrage ist die Hürde, die es zu nehmen gilt, es ist unser Verhältnis dazu, was wir als Leistung verstehen, wie wir uns als Gemeinwesen begreifen und welche Stellung wir darin den Staatsbürgern einräumen.

Er schreibt zu Beginn:

„…Ich sehe den gemeinsamen Kern der verschiedenen Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen darin, dass jedem durch Geldtransfer ein auskömmliches Mindestmaß an Konsum und die Mittel für würdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben garantiert werden soll – und zwar ohne Bedingungen. Alles vor dem Spiegelstrich finde ich erstrebenswert. Es wird auch in einem Sozialstaat wie dem unseren versucht umzusetzen. Dabei kann man sich streiten, ob die Umsetzung gut gemacht ist und ob die Transfers großzügig genug sind. Ich bin für mehr Großzügigkeit, sowohl bei der Höhe der Transfers, als auch bei den Bedingungen und der Überprüfung der Einhaltung dieser Bedingungen.“

Damit ist schon eröffnet, weshalb Häring wohl gegen das BGE sein wird – die Geister scheiden sich an der Bedingungslosigkeit. Sie macht gerade den Unterschied ums Ganze zum heutigen System sozialer Sicherung, das um das Erwerbsgebot und damit die Verpflichtung, Einkommen darüber zu erzielen, gebaut ist. Sicher, das BGE verschafft Kaufkraft, das ist wichtig. Gewichtiger noch ist jedoch der Modus der Bereitstellung: es geht darum, weshalb jemand etwas gilt, ob der Leistung oder um seiner selbst willen und um des Gemeinwesens willen. Letzteres ist, was das BGE leistet.

Großzügigkeit, wie der Autor es nennt, was sagt uns diese Haltung? Geht es in den Sicherungssystemen um mehr oder weniger Großzügigkeit? Wer das im Auge hat, denkt vor allem an die Einkommensleistung, also die Bereitstellung von Ersatzeinkommen. Ersatzeinkommen oder auch kompensatorische Einkommen für das Fehlen von Erwerbseinkommen bleiben all diese Leistungen, sofern sie nur dann gewährt werden, wenn der Einzelne zur Einkommenserzielung – aus welchem Grund auch immer – nicht in der Lage ist. Diese Ersatzeinkommen senden damit aber ein Signal dahingehend, was reguläre, originäre, legitimierte Einkommen sind: Erwerbseinkommen eben. Wer daran nicht teilnimmt, fällt heraus und steht am Rand.

„Diejenigen, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintreten, haben eine andere Stoßrichtung. Ihnen geht es vor allem um die Bedingungslosigkeit. Aus gutem Grund ist das in der Bevölkerung bei weitem nicht konsensfähig. Daher ist meine Befürchtung, dass die Diskussion dem Ziel einer Verbesserung der Bedingungen für die Benachteiligten mehr schadet als nützt. Aber hier soll es nicht um das Strategische gehen, auch wenn ich mich des Verdachts nicht erwehren kann, dass Vorschläge wie der von Drogeriebaron Götz Werner, für ein bedingungsloses Grundeinkommen alle sonstigen staatlichen Transfers zu streichen, durchaus auch darauf abzielen, den Sozialstaat zu diskreditieren.“

In der Tat, die Bedingungslosigkeit im Sinne dessen, dass die Gewährung des BGE weder eine kompensatorische Leistung darstellt, noch Erwerbsstreben voraussetzt. Worin besteht der vermeintlich gute Grund, der die Bedingungslosigkeit nicht konsensfähig sein lässt? Wäre dieser Konsens einfach hinzunehmen oder durch Argumente darüber aufzuklären, dass er viel mit Vorurteilen oder verzerrten Wahrnehmungen unserer Lebensverhältnisse zu tun hat? Es gibt ja nun etliche gute Gründe für das BGE, anhand derer sich gerade zeigen lässt, wie sehr die heutigen Systeme sozialer Sicherung an unserer Lebenswirklichkeit vorbeigehen (verengter Arbeitsbegriff, Abwertung von Familie und bürgerschaftlichem Engagement usw.) – und damit an den Voraussetzungen der Demokratie (siehe hier und hier).

Befürchtungen sind ein schlechter Ratgeber, weil sie Möglichkeiten verstellen und im Alten verharren. Sie unterstellen denjenigen Unmündigkeit, die zu entscheiden haben (siehe hier, hier und hier). Über das BGE müssen die Bürger befinden, nicht diejenigen, die irgendetwas befürchten oder meinen, den Bürgern würde etwas vorgemacht oder sie würden gar über den Tisch gezogen. Was Norbert Häring von einem BGE befürchtet, ist die Realität der vergangenen Jahre, gegen die gerade ein BGE sich wendet. Seine Befürchtungen sind also nichts Zukünftiges, sie müssten etwas schon in der Vergangenheit Erfülltes sein. Es darf natürlich nicht an dem Hinweis darauf fehlen, dass manche, hier wird pauschal (zu Unrecht) auf Götz Werner verwiesen, der sich über die Jahre unterschiedlich dazu geäußert hat, ob das BGE alle sozialstaatlichen Leistungen ersetzen soll oder nicht. Warum wird hier nicht differenziert argumentiert?

„Warum halte ich die Bedingungslosigkeit eines Grundeinkommens für zu Recht nicht konsensfähig?“

Zuvor hieß es noch, das BGE sei nicht konsensfähig, hier nun hält es der Autor für nicht konsensfähig, das sind zwei Paar Schuh. Während er zuvor noch andere dafür vereinnahmt hat, seine eigene Position zu stärken, ohne zu wissen, wie sie tatsächlich dazu stehen, ist er hier nun vorsichtiger.

„Die Idee vereint zwei extreme und widersprüchliche gesellschaftsphilosophische Strömungen: Sie ist libertär-individualistisch, indem sie das Recht des Individuums auf die Verfolgung seiner Ideale, Ziele, Wünsche und Launen ganz nach oben stellt; über die Zwänge der Daseinsvorsorge und über die Wünsche derer, die für einen sorgen.“

Zwar gibt es diese Position in der Debatte, sie kann aber nicht auf die Idee im Ganzen umgeschlagen werden. Das BGE ist nicht individualistisch, auch wenn manche das meinen. Bedenkt man, dass ein Gemeinwesen von Bürgern es sich gewährt, damit alle allen, was sowohl das Individuum fördert und in seiner Bedeutung anerkennt zugleich jedoch Ausdruck von Solidarität ist, kann die Deutung, ein BGE sei individualistisch nur als Verkürzung betrachtet werden. Individuum und Gemeinwesen sind zwei Momente eines Ganzen, das eine steht nicht über dem anderen. Es deutet sich mit dieser Verkürzung allerdings ein Einwand an, der folgenreich ist, dass nämlich das Individuum sich gegen die Gemeinschaft wendet, die Gemeinschaft davor geschützt werden müsse. Darüber hinaus wird suggeriert, dass ein BGE nicht dem Gedanken der Daseinsvorsorge entspreche und letztlich darauf hinauslaufe, die einen für die anderen bezahlen zu lassen. Norbert Häring ist nicht der erste, der diese Zuspitzung vornimmt, die erst durch die Zuspitzung wie ein vermeintlicher Widerspruch erscheint. Vergleichbar wird hier und hier argumentiert. Würde er den Blick weiten und die Leistungen anerkennen, die in anderen Formen erbracht werden (Familie, bürgerschaftliches Engagement), könnte er zu seinem Schluß nicht kommen.

Wie fährt er fort?

„Gleichzeitig postuliert sie eine unbedingte Verpflichtung der Gemeinschaft, für alle Individuen großzügig zu sorgen. Da jedoch die Gemeinschaft wiederum aus Individuen besteht, beinhaltet das die Verpflichtung all derer, die mehr als das Grundeinkommen haben, einen Teil, wahrscheinlich einen beträchtlichen Teil, ihres Einkommens an andere Individuen abzugeben. Weil das jedoch eine Einschränkung der individuellen Freiheit ist, beißen sich an dieser Stelle extremer Individualismus und extremes Sozialstaatsdenken. Der Gegenentwurf sind die vielen Formen des unterschiedlich stark ausgeprägten Einer für alle – alle für Einen, die wir in realen Gesellschaften beobachten und die als Einzige funktionieren.“

Das kommt einem doch bekannt vor und entspricht einer Haltung, die sich quer durch alle bekannten politischen Lager und zahlreiche intellektuelle Positionen findet. Es kann als Kostgänger-Argument bezeichnet werden. Für ungerecht hält Häring das BGE, weil diejenigen, die mehr als es beziehen, von ihrem Teil an die anderen, die nur BGE beziehen, abgeben müssen. Diese Betrachtung ist schon schief, denn nicht geben die einen an die anderen ab, sondern an das Gemeinwesen, das wiederum eine Aufgabe wahrnimmt, für die seine Bürger sich entschieden haben. Häring lässt in seiner Argumentation eine Prämisse mitlaufen, die nicht weiter ausgeführt wird: dass nämlich Leistung nur darin besteht, Wertschöpfung zu erzeugen, die dann in Gestalt von Geld als Einkommen verteilt werden kann. Dass Erwerbstätige wiederum von Leistungen anderer abhängen, die in nicht erwerbsförmigem Engagement erbracht werden, wird schlicht übergangen (Familie, Ehrenamt, Loyalität der Bürger). Einer für alle – alle für Einen, das ist für ihn die Logik der „Arbeitsgesellschaft“, nicht jedoch der Gemeinschaft von Staatsbürgern, wie sie in unserer politischen Ordnung zum Ausdruck kommt.

Wie fährt er fort?

„Ohne den extremen und widersprüchlichen Libertär-Individualismus, der in jeder Bedingung für ein Geschenk der sorgenden Gemeinschaft eine Entwürdigung des Individuums erblickt, macht es wenig Sinn, sich lange zu streiten, ob und wie ein Grundeinkommen in dieser oder jener Höhe finanzierbar wäre. Wir sind mit Hartz IV weit weg von Bedingungslosigkeit und von großzügig. Kämpfen wir dafür, die Bedingungen zu lockern, Kontrollen nur in einer Weise und in einem Maß durchzuführen, die mit der Würde der Kontrollierten vereinbar sind, und die Unterstützungszahlungen zu erhöhen. Dann sehen wir schon, was finanzierbar, und wichtiger, was politisch durchsetzbar ist.“

Für diese Passage verweise ich auf meinen älteren Kommentar zu einer ähnlichen Haltung. Häring legt sich zurecht, wie es passt, wenn er auf den „Libertär-Individualismus“ verweist. Der demokratischen politischen Verfasstheit eines Gemeinwesens entspricht es gerade nicht, für ein Mindestmaß an Existenzsicherung Leistungsbedingungen aufzuerlegen, die wiederum nur die Leistung in Erwerbstätigkeit meint, alles andere hingegen zur Privatangelegenheit zu erklären, obwohl das Gemeinwesen darauf ebenso angewiesen ist.

„Ich habe behauptet, dass nur die Zwischenlösungen funktionieren, die die gegenseitigen Ansprüche von Gesellschaft und Individuen irgendwie austarieren.“

Nun, das tut das BGE ja gerade, sofern der Blick von der „Arbeitsgesellschaft“ auf das politische Gemeinwesen gerichtet wird, in dem sich jeder fragen muss, was er geben kann – auf einer Basis, die keinen Weg bevorzugt im Unterschied zu heute.

„Zur Begründung, stellen Sie sich vor, eine Bootsbesatzung mit Passagieren strandet auf einer einsamen Insel. Material und Werkzeug sind auskömmlich vorhanden, Nahrungsmittel ebenfalls, aber es gibt durchaus Gefahren und Schwierigkeiten zu überwinden. Es ist leicht zu sehen, dass ein radikales Jeder-für-sich kein gutes Arrangement wäre, um aus dieser Situation das Beste zu machen.“

Woher rührt der Unwille, die zwei Seiten des BGEs ins Auge zu fassen? Ein BGE vereint Individualförderung und Solidargemeinschaft, weil es ja gerade dem Individuum deutlich macht, dass es ohne die Gemeinschaft nicht bestehen kann. Dass also kollektive Herausforderungen gemeinsam nur bewältigt werden können, daran ändert ein BGE gar nichts, es macht sie umso deutlicher. Bei allen libertären Denktraditionen, die es gibt, ist es schlicht eine Diskussionsverweigerung, wenn Häring das BGE auf sie reduziert. Angesichts der zahlreichen, leicht auffindbaren Veröffentlichungen zur Sache muss man sich über diese Einseitigkeit wundern.

„Aber auch das Pendant zum bedingungslosen Grundeinkommen wäre sicherlich das Letzte, worauf sich die Schiffbrüchigen ausdrücklich oder implizit einigen würden. Sie kennen sich kaum. Selbst wenn sie davon ausgehen, dass die meisten kooperativ und gutwillig sind. Warum sollen sie den Egomanen oder sonstigen Soziopathen, die in unbekannter Anzahl unter ihnen sind, das Signal geben: „Egal was ihr tut: alle anderen geben euch genug von dem ab, was sie haben, dass ihr davon gut leben könnt.“

Das Gemeinwesen an der Ausnahme ausrichten, nicht an der Regel? Sind die „Soziopathen“ nicht in diesem Gemeinwesen aufgewachsen und müssen wir uns dann nicht fragen, was schief gegangen ist? Wo solche Phänomene auftreten, sind sie heute meist leicht zu erklären, ein Blick in die Lebensgeschichte reicht dazu aus. Wie so viele vor ihm beschwört Häring hier ein Problem herauf, das es so nicht gibt. Ein Popanz wird aufgebaut, dem die Empirie fehlt. Wo nun in der Tat die Fortexistenz des Gemeinwesens in Gefahr gerät, ist die Solidargemeinschaft aufgerufen zu handeln. Geht die Gefahr heute nicht vielmehr von dem weltfremden System sozialer Sicherung aus, von dem wir bislang meinen, dass es gerecht sei? Drängt es nicht die Bürger in eine bestimmte Richtung, wenn Erwerbstätigkeit als einziger, herausragender Beitrag betrachtet wird? Wertet dies nicht alle anderen Beiträge herab und vor allem: degradiert es die Würde nicht, wenn diese nur am Beitrag gemessen wird und nicht an der Zugehörigkeit zum Gemeinwesen?

„Nur wenn die Gemeinschaft etwas von den Individuen erwarten und verlangen kann und gleichzeitig die Individuen etwas von der Gemeinschaft erwarten können, wird die Inselgemeinschaft florieren.“

Erwarten ist nicht mit Erzwingen gleichzusetzen. Zu fragen ist ebenso, was die „Gemeinschaft“ denn erwartet, erwarten soll und will – an den Erwartungen bestimmt sich ihr Selbstverständnis. Leistungsbereitschaft, tatkräftiges Engagement, Solidarität und Loyalität sind gerade nicht erzwingbar. So klug sind wir bislang gewesen, nicht auf Zwang zu setzen, wie ein Blick in das Grundgesetz zeigt. Es ist ja gerade der Druck, der durch die Sanktionsinstrumente im Arbeitslosengeld aufgebaut werden kann, der der Haltung der politischen Grundordnung entgegensteht.

„Wer sich zutraut, junge Menschen zu gesellschaftsfähigen Wesen aufzuziehen, indem er ihnen beibringt, dass die Familie und jede andere Form von Gemeinschaft nur dafür da sind, ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen, ohne je etwas dafür erwarten zu dürfen, der möge es versuchen.“

Was hat das mit dem BGE zu tun? Härings Popanz setzt sich fort, das BGE geht im so gegen den Strich, dass er sich auf die Argumente dafür nicht einlassen kann. Der entscheidende Modus der Kooperation in Familien ist nicht Zwang, sondern Vertrauen und Zuwendung, sofern aus Kindern einmal selbstdenkende und selbstbestimmungsfähige Erwachsene werden sollen. Gerade aus dieser Erfahrung erwächst dann die Haltung, wie sehr das eigene Wohlergehen davon abhängt, dass andere einen so anerkennen, wie man ist und folglich ich auch andere so anerkennen muss, wie sie sind, solange sie sich nicht gegen das Gemeinwesen als solches richten. Wiederum geht Häring über all das Engagement hinweg, das wir heute jenseits von Erwerbstätigkeit vorfinden und dass eben zeigt, wie wichtig es Menschen ist, beizutragen – aber in der ihnen gemäßen Form.

„Man kann lange und gut darüber streiten, was genau die Gesellschaft von den Individuen erwartet und wie sie deren Leistungen honoriert.“

In unserer Demokratie ist dieser Streit grundsätzlich entschieden, Loyalität ist unerlässlich, die Grundrechte gelten bedingungslos und sind mit keiner sanktionierbaren Gegenleistung verbunden. Genau diese Leistungen werden gerade nicht honoriert, sondern selbstverständlich erwartet, sie sind Voraussetzung dafür, dass ein Gemeinwesen fortbestehen kann. Innerhalb dieses Rahmens kann gestritten werden, will man ihn verlassen, muss zuvor die Demokratie aufgegeben werden. Dass nun der gegenwärtige Sozialstaat mit seinen Ersatzleistungssystemen gerade dieser Verfasstheit der politischen Ordnung nicht entspricht, sagt viel über unser Selbstverständnis aus.

„Aber diesen notwendigen Streit kann man nicht darüber kurzschließen, dass man jedem eine gewisse Summe Geld gibt, und so tut, als wären die Probleme damit erledigt.“

Wer sagt, dass „die Probleme“ damit erledigt seien? Etliche allerdings würden in anderem Licht erscheinen.

„Deswegen wird es immer noch ungerecht sein, dass die Frauen, die Kinder in Kindergärten betreuen oder Alte und Kranke pflegen, nur einen Bruchteil dessen verdienen, was die Männer mit nach Hause nehmen, die Finanzgeschäfte von fragwürdigem gesellschaftlichen Wert einfädeln. Wenn man will, dass die Gesellschaft bestimmte Tätigkeiten und Leistungen besser honoriert, muss man dafür eintreten, dass die Gesellschaft diese Leistungen und Tätigkeiten besser honoriert. Daran führt kein bedingungsloses Grundeinkommen vorbei.“

Was soll man dazu sagen? Das eine hat mit dem anderen nur mittelbar zu tun. Das BGE öffnet gerade den Blick auf die Tätigkeiten, von denen wir genauso leben, die wir aber in keiner Weise honorieren, gleichwohl jedoch in Anspruch nehmen. Dass mit einem BGE dann mittelbar die Verhandlungsbedingungen andere sind, um den von Häring aufgezeigten Missstand zu verändern, stimmt – das sieht er jedoch gar nicht.

Sascha Liebermann