„Würde der Arbeit“ oder Markt-Paternalismus?

Diesen Alternativtitel verdient die Kolumne von Michael Hermann im tagesanzeiger. Während er früher, nach seinem Studium noch vom Bedingungslosen Grundeinkommen angetan gewesen sei, sehe er dies heute anders. Weshalb?

Er schreibt:

„Anders als Ende Studium bin ich heute vom Gegenteil überzeugt. Wahre Kreativität beruht auch in der Möglichkeit des Scheiterns. Sie erblüht am vollsten, wenn Netz und doppelter Boden weggeräumt sind. Der Mäzen hat bei mir nie angeklopft, und das ist gut so. Erst dies liess mich die Kraft entdecken, die aus Zeit- und Finanzierungsdruck entstehen. Gäbe es keine Abgabetermine wie etwa für diese Kolumne hier – manches Blatt wäre weiss geblieben, mancher Gedanke nie gedacht und manche graue Stunde vertrödelt worden. Gelegentlich braucht es den sanften Stoss ins kalte Wasser.“

Dem ersten Satz zu widersprechen wäre aberwitzig. Ein Leben ohne Scheitern gibt es nicht, denn Gelingen und Scheitern sind Geschwister im menschlichen Handeln. Der Mensch muss sich entscheiden, er steht stets vor Handlungsalternativen, so dass Gelingen und Scheitern immer nahe beieinander wohnen. Mit Scheitern ist hier wahrscheinlich, so verstehe ich es zumindest, nicht Scheitern im Sinne von Versagen gemeint, wie es uns im Alltag wertend begegnet. Scheitern im Sinne des schlichten Misslingens oder des Umstands, dass eine Entscheidung nicht die erwünschte Lösung erbracht hat.

Die dann von Hermann gezogene Schlussfolgerung allerdings ist gar nicht zwingend. Ein BGE würde das Scheitern gar nicht beiseite räumen oder aus der Welt schaffen, es würden den Raum des Scheiterns weiten, weil nun auch Handlungsalternativen in Betracht kämen, die nicht an Einkommenserzielung gebunden wären. Insofern handelt es sich um ein beinahe klassisches Missverständnis. Hermann verschmilzt zwei Dimensionen von Scheitern, die nicht zusammengehören: das Scheitern daran, Einkommen zu erzielen auf der einen, das Scheitern daran, etwas Sinnvolles zu tun, das Anerkennung findet, auf der anderen Seite. Das BGE würde, weil es das zweite vom ersten entbindet, den Raum des Scheiterns erweitern. Heute ist dieser eingeengt. Es würde aber zugleich die Gefahr des ersten Scheiterns mildern, dass existenzbedrohend werden kann, weil es Einkommensmangel hervorbringt. Hermanns Vereinseitigung führt ihn dann zu einer Verklärung der Kreativität aus Not und Druck. Wir könnten auch andersherum schließen: Welcher Unsinn wäre nicht entstanden, wenn es diese Not nicht gegeben hätte.

Die Verwirrung schreitet in der nächsten Passage voran:

„Dies gilt auch in ganz anderem Kontext. So zeigen Erkenntnisse aus der Entwicklungs­ökonomie, dass bedingungslos verteilte Entwicklungsgelder sich gern in Bier verflüchtigen und in Dinge wie DVD-Rekorder investiert werden. Fair verzinste Kredite dagegen werden viel eher für Zukunftsinvestitionen etwa im?(sic) eigenen Landwirtschaftsbetrieb verwendet.“

Hier hätte man doch gerne Belege gehabt. Für Projekte zum Grundeinkommen wie in Namibia oder cash-grants wie in Indien gibt es diese Belege nicht. Siehe die folgenden Beiträge dazu in der New York Times, des MIT (Debunking the Stereotype of the Lazy Welfare Recipient) sowie die Vorträge von Michael Faye und Guy Standing an der Future of Work-Konferenz. Zur Frage der Arbeitslosenfalle, siehe Georg Vobruba und Sonja Fehr.

Hermann fährt fort:

„Egal, wo wir uns auf der Welt befinden: Es ist das? (sic) Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, das schöpferische Kraft entfalten lässt. Es ist nicht nur besonders befriedigend, etwas zu schaffen, das Anerkennung bekommt. Oft ist es die Nachfrage, die zu Innovation anregt. Mit einem Grundeinkommen dagegen würden indirekt auch Tätigkeiten und Angebote subventioniert, die eigentlich einschlafen müssten, damit auf ihrem Boden Neues entsteht.“

Dass Angebot und Nachfrage ein hilfreiches Prinzip ist, wo es um standardisierte Massengüter geht, steht außer Frage. Aber gerade Produkte, also Problemlösungen, die von weitreichender Bedeutung sind und zuerst nicht in ihrer Tragweite erkannt wurden, brauchen länger, sofern sie sich überhaupt diesem Prinzip zufolge durchsetzen. In anderen Bereichen funktioniert es gar nicht, z. B. im Bildungswesen, weil Forschung und Lehre zugrunde gingen, wenn sie sich an Angebot und Nachfrage orientieren müssten (siehe hierzu „Not macht erfinderisch – aber nicht in der Wissenschaft“ von Thomas Loer). Die grundsätzliche Frag ist hier, nach welchem Maßstab entschieden werden soll, dass etwas „einschlafen müsste[n]“? Hermann behauptet hier einfach, dass das eine Prinzip die beste Lösung darstelle, das ist dogmatisch.

Und dann heißt es:

„Doch wie sieht es mit den vielen aus, die als Angestellte diese Freiräume nicht besitzen? Wie steht es um die, die innerlich gekündigt haben? Hier geht es um fehlende Anerkennung, um?(sic) Leerläufe und Willkür in hierarchischen Strukturen oder ganz einfach um unzumutbare Arbeitsbedingungen. Diese Herausforderungen lassen sich mit einem Geldregen nicht beheben. Unsere Gesellschaft muss sich nicht von der Logik des Erwerbseinkommens befreien, sie muss Organisationsstrukturen schaffen, welche die Arbeitnehmenden ermächtigen und ihnen ihre Würde zurückgeben.“

„Unsere Gesellschaft muss“…hier wird nun der oben geschmähte Eingriff beschworen. Wer ist denn die Gesellschaft? Meint er auch Gesetze? Auch reduziert er die Unzufriedenheit mit einem Arbeitsplatz auf ein Anerkennungsdefizit. Es könnte auch schlicht die Sinnlosigkeit einer Aufgabe sein, die jemanden frustriert oder enttäuscht. Wenn er aber partout lieber etwas anders machen möchte, dafür aber kein Einkommen erhielte, ist sein Freiraum heute erheblich beschränkt. Das BGE, bei dem es nicht nur oder nicht einmal vor allem um Geld geht, würde genau das tun, ohne lenkend einzugreifen und dem Handeln eine Richtung zu geben. Auch geht es nicht um die Würde der „Arbeitnehmenden“, es geht um die Würde der Bürger und derer die einen legalen Aufenthaltsstatus haben. Das ist viel breiter.

Abschließend offenbart sich nochmals die Einseitigkeit:

„Bedingungslose elterliche Liebe und Fürsorge sind die Grundlage für die Entwicklung eines Kindes. Bildungsangebote, die für alle kostengünstig zugänglich sind, schaffen Freiräume für die Entwicklung Jugendlicher. Zur Würde des Erwachsenwerdens gehört jedoch der Moment, in dem man lernt, auf den eigenen Beinen zu stehen. Alle, die mit Kopf und Händen einen Lohn verdienen, mit dem sie sich und ihre Familie ernähren können, sind auf eine besondere und reife Weise frei.“

Die Engführung auf Erwerbsarbeit ist erstaunlich angesichts dessen, dass er selbst auf das hinweist, was für ein Leben elementare Erfahrung darstellt: die Abhängigkeit von anderen: Zuerst sind es die Eltern und ihre bedingungslose Liebe, es ist aber auch das Gemeinwesen, das den Bürgern als Bürgern diese bedingungslose Anerkennung in der Demokratie gewährt; es ist die Loyalität der Bürger wiederum, von der das Gemeinwesen, aber auch jeder Einzelne abhängig ist und zuletzt das Vertrauen darein, dass andere sich einbringen wollen, dazu gehört auch, aber nicht nur Erwerbsarbeit.

Weiter:

„Arbeits­verhältnisse, die dies zulassen, müssen wir schaffen. Die Faszination für das bedingungslose Grundeinkommen hingegen lebt von der beinahe kindlichen Fantasie einer Rückkehr in eine unbeschwerte Welt der Fürsorge und Geborgenheit. Sie will das Gegenteil von Ermächtigung. Denn Ermächtigung bedeutet, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Sie will Entmündigung.“

Wie kommt er darauf? Weshalb sollte das BGE die Verantwortung für das eigene Handeln nehmen? Wo Verantwortung auf Geldverdienen reduziert wird, muss mit der Einkommenssicherheit des BGE natürlich jegliche Verantwortung abhanden kommen. Doch ist das ein realistischer Blick auf die Lebensverhältnisse? Woher stammt die Verantwortung der Bürger, der Eltern, die für ihre „Leistung“ kein Einkommen erhalten?

Wie stark der Markt-Paternalismus einer bevormundenden Erziehung gleichkommt, zeigt die Abschlusspassage:

„…Wenn Computer immer mehr Dinge immer besser machen als Menschen, dann droht uns ein Leben, das von der Kindheit über die Jugend direkt ins Rentenalter übergeht. Es droht eine Welt, in der es das Freiheitsgefühl, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen, womöglich nicht mehr gibt. Die grosse Herausforderung ist nicht, bereits heute ein Grundeinkommen für diese Zeiten zu schaffen. Die Herausforderung ist, Strukturen zu schaffen, welche die Menschen heute und auch dann noch zu ermächtigen vermögen.“

Wo ist das Problem? Wir haben die Strukturen in Gestalt der republikanischen Demokratie, sie ermächtigt die Bürger, weil sie die legitimatorische Quelle der Demokratie sind. Es ist eine Selbstermächtigung. Die Gegenwart ist viel weiter, als Hermann meint, doch wird sie unterschätzt. Es bedarf keiner Volkserziehung, um zum mündigen Bürger zu gelangen, es reicht, die Gegenwart ernst zu nehmen.

Sascha Liebermann

„Aber ich bin lieber von meinem Mann als vom Staat abhängig“…

…eine Haltung einer Hausfrau und Mutter gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Der Einwand ist vielsagend und entspricht einem Autonomieverständnis, dass erst dann voll erreicht ist, wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt. Ganz anders argumentieren „Frauen für das Bedingungslose Grundeinkommen“.

„Was wird aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeit“ – fragt Mascha Madörin…

…in einem Interview mit der woz. Ich kommentiere nur wenige Ausschnitte, in denen es auch um das Bedingungslose Grundeinkommen geht.

„WOZ: Sie haben einmal gesagt: Wenn in einer Familie die Zeit für unbezahlte Arbeit schrumpft, sinkt der Lebensstandard.
Madörin: Ja, wenn die Zeit nicht reicht, das tun zu können, was das Leben angenehm und die Konsumgüter konsumierbar macht, verschlechtert sich die Lebensqualität. Ich finde viele Debatten über Haus- und Familienarbeit sehr seltsam. Da wird so getan, als sei alles nur eine Frage der effizienten Organisation. Das stimmt einfach nicht. Und oft wird vor allem problematisiert, dass Frauen diese Arbeit machen. Aber ich finde andere Fragen wichtiger: Welche dieser Arbeiten sollte man bezahlen? Was wäre gerechter? Wie organisiert die Gesellschaft die Care-Arbeit, die immer teurer wird?“

Eine selten klare Haltung zur abwegigen Diskussion darüber, dass es bei diesen Tätigkeiten um eine Frage der „effizienten Organisation“ geht (siehe auch hier). Die Frage nach der Bezahlung dieser Tätigkeiten ist die Frage danach, inwiefern man die Logik der Lohnarbeit darauf ausdehnen will. Zuerst einmal wäre es wichtig, dass diejenigen, die diese Tätigkeiten gerne machen wollten, die Möglichkeiten dazu hätten, das würde ein BGE leisten. Etwas anderes ist es, diese Leistungen als Dienstleistungen einzukaufen, sie sind mit den anderen, aus einer Bindung an die Person erbrachten Leistungen nicht vergleichbar. Und genau hierin greifen die Ausführungen zu kurz, was deutlich wird, wenn familiale Beziehungen betrachtet werden. Eltern sind für Kinder nicht einfach „Care-Arbeiter“, sie sind keine Dienstleister, die zur Bewältigung einer Aufgabe angestellt oder dafür beauftragt werden. Es geht um ein Beziehungsgefüge, das aus dem Familiesein erst entsteht – Eltern sind in dieser Hinsicht nicht ersetzbar, sie sind einzigartig (siehe Beiträge dazu hier). Genau das gilt für Dienstleistungen nicht, sie werden angeboten und jemand fragt sie nach oder umgekehrt. Die Dienstleistung kennt eine geregelte Arbeitszeit, einen Feierarbend und Ferien. Wer diesen Dienst leistet, ist austauschbar, lediglich die „Chemie“ muss aufgrund der intimen Nähe stimmen.

Weiter heißt es:

„Warum wird sie [die Care-Arbeit, SL] immer teurer?
Weil sie im Gegensatz zur Güterproduktion nicht produktiver werden kann. Man kann immer billiger Smartphones herstellen, aber nicht immer billiger pflegen. Jetzt wird viel über die Roboterisierung debattiert, darüber, dass uns die Arbeit ausgehe, doch im Care-Sektor geht die Arbeit nicht aus, im Gegenteil!“

Interessant ist, dass sie vom „Care-Sektor“ spricht und durch den Vergleich mit der Produktion standardisierter Güter offenbar nur oder vor allem die erwerbstätige Form dieser Tätigkeit im Auge hat. Die Engführung Madörins wird in der nächsten Passage deutlich:

„Aber wer soll sie bezahlen?
Diese Frage müssen wir dringend diskutieren. Klar ist: Investitionen in die Care-Arbeit haben Effekte weit über den Sektor hinaus. Es gibt ein spannendes Beispiel aus Argentinien. Dort startete der Staat während der Krise um die Jahrtausendwende ein Programm: Gemeinden und Gruppen konnten Leute zum Minimallohn anstellen. Frauen in armen Quartieren organisierten bezahlte Kinderhüte- und Kochdienste. Das war ein Riesenerfolg, die beste Armutsbekämpfung. Die Frauen sagten: Erstens sieht man jetzt, wie wichtig unsere Arbeit ist, und zweitens haben wir Geld. Aber als es wieder mehr reguläre Arbeitsplätze gab, fuhr die Regierung das Projekt zurück. Die Jobs der Frauen wurden wieder zu unbezahlter Arbeit.“

Deutlich wird hier, wie sehr zwischen Ermöglichung durch leistungsunabhängige Alimentierung und Bezahlung unterschieden werden muss. Dass Madörin dies nun als Beispiel dafür angeführt wird, wie Anerkennung für eine Leistung zum Ausdruck gebracht werden könnte, ist bezeichnend. Sorgetätigkeiten würden dadurch in der Erwerbslogik anerkannt, nicht aber als Sorgetätigkeiten. Es ist doch heute hingegen gerade ein Symptom des Vorrangs von Erwerbstätigkeit, dass der größte Teil der Sorgetätigkeiten – die privaten – so gering geschätzt werden: sie gelten nicht als Arbeit, weil sie nicht bezahlt werden. Wäre es da hilfreich sie zu bezahlen statt die Stellung von Bezahlung in Frage zu stellen? Eher nicht.

„Manche Linke erhoffen sich vom bedingungslosen Grundeinkommen mehr Spielraum für die Care-Arbeit. Sie sind skeptisch.
Ja. Zum einen besteht die Gefahr, dass das Grundeinkommen zu Wohlfahrtsnationalismus führt. In Dänemark sieht man das: Das Land hat eine sehr gut organisierte Care-Ökonomie, aber immer ist die Angst da, dass einem jemand etwas wegnimmt. Wie lange müsste eine Ausländerin im Land sein, um das Grundeinkommen zu erhalten? Und weil die Kosten für die Care-Arbeit zunehmen, befürchte ich, dass mit dem Grundeinkommen eine gespaltene Gesellschaft entsteht, wie es sie heute im Ansatz schon gibt: Die Armen können sich keine personenbezogenen Dienstleistungen leisten. Wenn jemand auf Pflege angewiesen ist, reicht das Grundeinkommen nirgends hin. Was wird aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeit?“

Der erste Teil ihrer Sorge ist einer, um den man nicht herumkommt. Weil ein Gemeinwesen eine Gemeinschaft von Gleichen ist, in der Demokratie eine Gemeinschaft von Bürgern, muss diese Gemeinschaft auch darüber befinden können, wann jemand dazugehört. Wer das nicht mehr entscheiden will, gibt Gemeinschaft auf. Ohne Gemeinschaft keine Solidarität, ohne Solidarität keine Selbstbestimmung.

Der zweite Teil ist einer, der nicht mit dem BGE zu tun hat. Weshalb sollte mit dem BGE eine gespaltene Gesellschaft entstehen? Die Frage, was wir aus dem BGE machen, ist doch eine gemeinschaftlich zu beantwortende. Dass mit ihm alleine Pflegedienstleistungen finanzierbar wären, ist abwegig. Bedacht werden muss aber, dass aufgrund eines BGE ganz andere Pflegezusammenhänge entstehen könnten, weil nun zum einen das BGE als Daueralimentierung vorhanden ist, zum anderen gewollt wird, sich zu entscheiden, wo man wirken will. Wenn also die Pflege eines Angehörigen drängt, wäre es nicht nur möglich, es wäre auch erwünscht, sich dem zu stellen.

Im folgenden Abschnitt kommt ein Aspekt zu tragen, den ich schon anderweitig behandelt habe (siehe hier und hier):

„Die Befürworter eines Grundeinkommens gehen davon aus, dass die Menschen sozial genug sind, um diese Arbeit auch ohne Bezahlung zu leisten.
Aber wer leistet sie? Zu welchen Bedingungen? Das Initiativkomitee unterschätzt diesen Sektor massiv. Sie gehen auch davon aus, dass die Leute, die mies bezahlt werden, einfach nicht mehr arbeiten gehen. Aber es gibt Arbeit, die gemacht werden muss. Wenn ich Pflege brauche, muss ich mich darauf verlassen können.
Für mich ist es ein grundlegender linker Wert, anzuerkennen, dass alle wichtig sind für die Schaffung von Reichtum, Wohlfahrt und Lebensstandard. Ich bin für die radikale Bezahlung von Arbeit. Die traditionelle Linke betrachtete Arbeit als ökonomische Frage – wie organisiert die Gesellschaft die Arbeit, zu welchen Bedingungen? Das Grundeinkommen hingegen geht vom bestehenden Markt aus.“

Auf den ersten Teil kann man nur antworten: wie soll etwas sichergestellt werden, wenn Zwang kein Weg dahin ist? Was anderes sollte es aber im Zweifelsfall heißen, wenn Madörin schreibt, dass es Arbeit gebe, die gemacht werden müsse, als Zwang auszuüben? Vermutlich würde sie das zurückweisen, sie drückt sich aber mindestens missverständlich aus. Am Ende des ersten Absatzes sagt sie dann, was die Voraussetzung ist, die nicht erzwungen werden kann: „…muss ich mich darauf verlassen können“. Der einzige Weg also, dies zu erreichen, ist, dass Verantwortung ernst- und wahrgenommen wird. Ich muss mich verlassen können, das ist aber genau, was auch heute zählt. Es reicht ja nicht, dass jemand seine Aufgabe wahrnimmt, er muss dies auch angemessen tun, gerade in diesem Bereich. – Und wenn nicht? Doch Zwang? Das eine schließt das andere aus. Wenn diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, dann bleibt nur der Weg, genau das zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung zu machen. Dabei geht es um die Frage, wie wir leben wollen.

„Aber was ist mit denen, die nicht arbeiten können?
Es braucht auch eine gute Sozialhilfe ohne Arbeitszwang und mit einer relativ grossen Marge, die man dazuverdienen kann, ohne die Sozialhilfe zu verlieren. Aber abgesehen davon soll man Menschen einen Lohn geben für gesellschaftlich relevante Leistungen. Es gibt so viel Arbeit, die das Leben bereichern würde. Lebenssinn hat doch auch etwas mit Relevanz für die Gesellschaft zu tun.“

Eine Sozialhilfe ohne Arbeitszwang? Wer sich die Logik der Systeme sozialer Sicherung heute anschaut, wird feststellen, dass Sozialhilfe nicht als Dauerlösung konstruiert ist. Wer sie bezieht, soll langfristig auf „eigenen Beinen“ stehen können – also erwerbstätig sein. Die Stigmatisierung von Leistungsbeziehern im heutigen Gefüge ist struktureller Art. Es ist der Vorrang von Erwerbstätigkeit, der Sozialhilfe oder andere Leistungsformen zur Ausnahme erklärt. Wer sie benötigt, schafft es selbst nicht – darum geht es.

Kann es eine Sozialhilfe „ohne Arbeitszwang“ (ganz wörtlich genommen gibt es ihn heute auch nicht), eine repressionsfreie Mindestsicherung geben, die in der Erwerbslogik verbleibt? Nein. Selbst eine sehr freilassende Form der Mindestsicherung über eine Negative Einkommensteuer erhielte das Erwerbsgebot aufrecht, denn die Bereitstellung einer Gutschrift ist ausgleichender Art. Sie gleicht den mangelnden Erfolg in der Erzielung von Erwerbseinkommen aus.

Madörin hängt in der Erwerbslogik fest, was umso mehr erstaunt angesichts ihrer berechtigten Kritik am verengten Arbeitsbegriff heute. Doch die Verengung setzt sie fort, wenn sie von „gesellschaftlich relevante[n] Leistungen“ spricht. Wer definiert? Was fällt dabei unter den Tisch? Nur mit einem BGE fällt nichts unter den Tisch, sofern es eine ausreichende Höhe hätte, weil es um das Individuum in seiner Angewiesenheit auf ein Gemeinwesen geht.

Sascha Liebermann

Siehe auch die Leseprobe aus „Grundeinkommen von A bis Z“ zum Stichwort „Care“

„Man kann nicht alles haben – Frau auch nicht…

…Work, Life, Balance? Familie und Beruf – beides ist mehr Erfüllung, als man stemmen kann. Frauen müssen sich entscheiden. Ein Kommentar“.

Auch wenn es zuerst den Eindruck erweckt, als gehe es vor allem um die Mütter, betrifft der Kommentar von Karin Truscheit zur vermeintlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenso die Väter. Selten wurde so klar herausgestellt, dass Elternschaft eine Entscheidung verlangt, weil beides – Familie und Beruf – nicht gleichermaßen zu haben ist. Die Autorin schreibt:

„Und das ist das zweite Unerträgliche in der Debatte: das Werten und Entwerten, das Schönreden, wenn es um die Frage geht: Wie viel Karriere kann eine Mutter überhaupt machen? Man kann, als Mutter oder Vater, ganz viele Kinder haben und trotzdem eine Fernsehshow moderieren oder ein Ministerium leiten. Vorausgesetzt allerdings, die meiste Zeit kümmern sich andere um die Kinder. Karriere und Kinder finden zur gleichen Tageszeit statt.

Auch „Job-sharing“-Modelle werden dieses Dilemma kaum lösen, solange an diesen Stellen das Mutti-Etikett klebt, da es vor allem die Frauen sind, die so Karriere machen wollen. Das größte Problem bleibt jedoch selbst bei geteilten Führungspositionen die Unteilbarkeit dessen, was Kinder und Karriere gleichermaßen fordern – viel Zeit. Als Mutter oder Vater muss man sich für das eine, das Großziehen überwiegend selbst zu übernehmen, oder das andere, die klassische Karriere, entscheiden.“

Damit ist zu der Diskussion über die „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf (siehe hier und hier) beinahe alles gesagt – denn „vereinbar“ im Sinne der Vorstellung, beides sei gleichermaßen zu haben, sind sie nicht. Selbst allerdings wenn auf Karriere verzichtet wird, drängt einen unsere Überhöhung von Erwerbstätigkeit, uns in eine Richtung zu entscheiden. Man rechne nur einmal hoch, was es für das Familienleben heißt, vollerwerbstätig zu sein. Bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche ist man etwa 50 Stunden (Arbeitszeit, Pause, Pendeln zum Arbeitsplatz) abwesend von zuhause. Wer also morgens zwischen 7 und 8 Uhr aus dem Haus geht, kehrt zwischen 17 und 18 Uhr zurück. Von Stau und verspätetem Nahverkehr sehen wir ab.

Faktisch heißt das, dass der erwerbstätige Elternteil vom Familienleben so gut wie nichts mitbekommt. Für die Kinder je nach Lebensalter ist die Abwesenheit eine besonders krasse Entbehrung, denn sie haben ein unendliches Bedürfnis, mit den Eltern gemeinsam Zeit zu verbringen. Das heißt nicht, dass ständig gemeinsam gespielt oder etwas unternommen werden muss. Ansprechbar sollen Eltern sein, nah sollen sie sein, beim Spielen einfach dabeisein. An der Entbehrung ändert auch die von Bindungsforschern attestierte Bindungsfähigkeit von Kinden zu Personen außerhalb der Familie nichts. Denn diese Personen sind nicht die Eltern, von denen die Kinder sich später einmal ablösen müssen, um erwachsen zu werden. Darüber hinaus konstituieren sich die Beziehungen zu Erziehern gänzlich anders. Erzieher erbringen eine Dienstleistung, sie haben eine Dienstzeit und Feierabend, sind in ihrer Aufgabenwahrnehmung austauschbar. Sie kümmern sich um Kinder, die eine Einrichtung besuchen, ganz gleich, welche das sind. Sicher, auch ihnen wachsen die Kinder ans Herz, mit denen sie täglich Zeit verbringen, es ist letztlich aber eine Dienstleistungsbeziehung. Für die Kinder hingegen ist diese Austauschbarkeit, die zum Berufsleben dazugehört, nicht selbstverständlich, sie ist durchaus krisenhaft, denn Kinder gehen immer davon aus, dass andere ihretwegen da sind.

Wenn Eltern vollerwerbstätig sind, entbehren Kinder jemanden, der für ihr Leben zentral ist. Das ist eine Folge der Vollerwerbstätigkeit, sie ist nicht zu mildern. Der Verlust an gemeinsamer Zeit ist einer an gemeinsamer Erfahrung, sie lässt sich eben nicht organisieren (siehe hier), wie manche meinen, die die Quality Time preisen. Da Eltern in ihre Elternsein zuerst einmal hineinfinden müssen, auch das braucht Zeit, erschwert lange Abwesenheit diesen Erfahrungsprozess, der auch für Eltern krisenhaft ist, zum einen wegen den vollständig neuen Situation, der umfassenden Fremdbestimmung durch die Bedürfnisse der Kinder, zum anderen weil das Elternwerden eigene Kindheitserinnerungen verlebendigt, nicht nur angenehme, auch unangehme. Die Kinder verändern sich schnell in den ersten Jahren – und wieder braucht es Zeit, um diese Erfahrung zu machen.

Vollerwerbstätigkeit staucht die gemeinsame Zeit zusammen. Schon das gemeinsame Frühstück wird schnell hektisch (Kinder im Kitaalter spielen morgens gerne ausdauernd), das Mittagessen fällt aus und zum Abendessen ist man gerade wieder zurück. Wenn auch Teilzeittätigkeit (sofern sie von der Einkommensseite her ausreicht) mehr Zeit miteinander verschafft, erhöhrt sie den Koordinationsaufwand, es bedarf mehr Abstimmung, wodurch die gewonnene Zeit stärker organisiert werden muss. Dieser Befund besagt nicht, was jemand tun sollte, er besagt nur, was er in Kauf nehmen muss, wenn er sich für beides Familie und Beruf entscheidet. Das macht den Kommentar von Karin Truscheit so wertvoll. Sie macht klar, dass man sich entscheiden muss. Wer anderes behauptet, ist fern der Realität. Sicher kann man Kinder haben und sie durch andere versorgen lassen, um der Karriere nachzugehen. Das muss jeder selbst wissen, sollte aber nicht kleinreden, was das bedeutet.

Gleichwohl sind wir nicht so frei, diese Entscheidungen zu treffen, wie der Kommentar nahelegt, denn die Stellung von Erwerbstätigkeit ist normativ überhöht. Erwerbstätig zu sein gilt als besonders wertvoll. Wer erwerbstätig ist, macht alles richtig, auf jeden Fall leistet er etwas Sinnvolles, trägt zum Gemeinwohl bei. Das gilt für die Entscheidung, für Kinder zuhause zu bleiben, heute nicht mehr, denn die Überhöhung von Erwerbstätigkeit sorgt zugleich für eine normative Abwertung des Engagements in der Familie. Das zeigt sich in aller Deutlichkeit daran, wodurch in unseren Systemen sozialer Sicherung Ansprüche auf Einkommensleistungen erworben werden: vorrangig durch Erwerbstätigkeit. Das zeigt sich ebenso deutlich in der Bildungsrhetorik, die in Frühförderung nach wie vor das Nonplusultra erkennt.

Wenn es also um eine Entscheidung geht, die getroffen werden muss, ob und wann in welcher Lebensphase einem Beruf oder Familie wichtiger sind, dann stellt sich die Frage, wie es möglich ist, sich ihr so freigelassen wie möglich stellen zu können? Gegenwärtig stellt sich diese Entscheidung stets vor dem Hintergrund der normativen Geltung von Erwerbstätigkeit. Hier nun kommt das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel, denn es zieht keine bestimmte Lebensführung einer anderen vor. Erwerbstätigkeit würde nicht mehr auf dem Sockel stehen, nicht mehr als der höchste Zweck gelten, zu dem sie heute gemacht wird. Weder nimmt ein BGE die Zumutung von einem, Entscheidungen treffen zu müssen, noch enthebt es einen der Folgen solcher Entscheidungen, die jeder aushalten muss. Es befreit jedoch von der normativen Hinleitung der Lebensführung in eine bestimmte Richtung. Nicht mehr Erwerbsätigkeit über alles würde gelten, sondern Selbstbestimmung in Gemeinschaft, denn das BGE ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit, es ist nicht individualistisch und dennoch Individualität fördernd. Es ist nicht kollektivistisch und dennoch Vergemeinschaftung fördernd.

Sascha Liebermann

Tagesspiegel und New York Times über das Grundeinkommen

Im Tagesspiegel steht der Beitrag unter der Überschrift „Die Menschen von der Arbeit befreien“, in der New York Times Sunday Review unter dem Titel „It’s Payback-Time for Women“. Sie hebt die Bedeutung des BGE für Frauen, aber auch im Allgemeinen heraus, wobei missverständlicherweise davon gesprochen wird, das BGE sei „a way to reimburse mothers and other caregivers for the heavy lifting they now do free of charge“. Das BGE stellt indes keine Bezahlung oder Entschädigung dar, es handelt sich vielmehr um eine Ermöglichungspauschale, die es erlaubt, Dinge tun zu können, ohne dafür einen Marktpreis erzielen zu sollen.

„Faszination Entwicklung“…

… – Zeit für Erfahrung, Zeit zum Heranwachsen – so könnte man die Dokumentation über den Schweizer Kinderarzt und Forscher Remo Largo, die jüngst im Schweizer Fernsehen gezeigt wurde, übertiteln. Largo hat sich etwa 50 Jahre damit befasst, wie Entwicklungsprozesse bei Kindern verlaufen und ist zu äußerst interessanten Einsichten gelangt. Ein afrikanisches Sprichwort steht dabei für seine Erkenntnisse: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“. Unter seiner Leitung wurden zwei Langzeitstudien durchgeführt, die zeigten, wie unterschiedlich die Entwicklungszeiträume sind, in denen Kinder bestimmte Fähigkeiten ausbilden. Er beschreibt seine Haltung als ein Denken vom Kinde aus. Einem breiteren Publikum ist er durch sein Buch „Babyjahre“ bekannt geworden, später folgten „Kinderjahre“, „Schülerjahre“ und „Jugendjahre“. Diese Einsichten in Bildungsprozesse führten ihn unter anderem dazu, sich mit dem Bildungswesen, insbesondere der Schule, zu beschäftigen und deutliche Kritik zu äußern, die sich nicht in Gemeinplätzen oder Plattitüden gefällt (Hier einige Videoaufzeichnungen seiner Vorträge). Auch können seine Bücher nicht als Ratgeber im üblichen Sinne verstanden werden, denn Rat gibt er keinen, er präsentiert dort Forschungsergebnisse auf eine verständliche Weise und zeigt auf, welche praktischen Schlüsse aus ihnen gezogen werden können. 

In der Dokumentation kommen darüber hinaus zwei Dinge kurz zur Sprache, zum einen seine Sorge darum, dass Automatisierung dazu führen könnte, sinnerfüllende manuelle Tätigkeiten durch Maschinen erledigen zu lassen, wo aber bliebe dann der „Handwerkerstolz“, denen er als Beispiel hervorhebt? Zum anderen wird am Ende deutlich, dass ein Gemeinwesen vor der Frage steht, welche Bedeutung es Beziehungen, der Gemeinschaftserfahrung, beimisst, statt alles nur am Geld zu messen. Dass Automatisierung dort, wo sie vernünftig ist, auch einem Rückgewinn an Lebenszeit gleichkommt, der gerade dann für Beziehungen zur Verfügung steht, dieser Zusammenhang liegt nahe, wird von ihm aber nicht hergestellt. Largo hat sich auch durchaus widersprüchlich geäußert, wie ich einem früheren Kommentar herausgehoben habe. Es wäre ein Leichtes von seinen Einsichten ausgehend zum BGE zu gelangen, um als Gemeinwesen den Rahmen dafür zu schaffen, Zeit für Erfahrung zu haben. Dass er das nicht tut, mindert seine Einsichten in Entwicklungsprozesse überhaupt nicht, als Brücke zum BGE werden sie umso deutlicher.

Sascha Liebermann