Arbeitsgesellschaft?

Interview mit Hans-Christoph Schmidt am Busch, Professor für Philosophie an der TU Braunschweig, in der Braunschweiger Zeitung. Ich kommentiere ausgewählte Passagen:

„[BZ:]Ausgezahlt würde es auch an Menschen, die so vermögend sind, dass sie es eigentlich nicht benötigen.

[SaB:] Ja, auch Wohlhabende hätten einen Anspruch darauf. Natürlich ist diese Vorstellung kontrovers: angesichts der gesellschaftlichen Finanzierungsmöglichkeiten, aber auch, weil Wohlhabende das steuerfinanzierte Grundeinkommen entscheidend mitfinanzieren würden. Ich bin mir sicher, dass dieser Punkt stark diskutiert werden wird.“

In der Tat sehen einige darin, dass Wohlhabende ein BGE ebenso erhalten sollten, einen entscheidenden Einwand. Allerdings müsste sich dieser zuerst einmal gegen die Gegenwart richten und nicht gegen ein BGE, denn „Wohlhabende“ haben Anspruch auf den Grundfreibetrag im Einkommensteuergesetz wie jeder andere. Entweder bezeugt der Einwand mangelnde Sachkenntnis oder er ist ideologisch bedingt. Ein BGE, wie schon oft festgestellt, ist nichts anderes als ein ausgezahlter Grundfreibetrag in existenzsichernder Höhe.

Arbeitsgesellschaft? weiterlesen

Beschäftigung statt Wertschöpfung und die Sorge davor, mit dem Bürgergeld drohe das Bedingungslose Grundeinkommen

Stephan Stracke, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, legt in einer Pressemitteilung nach (siehe auch hier). Seine Sorge richtet sich darauf, dass der von Bundesarbeitsminister Heil vorgelegte Gesetzentwurf für ein Sanktionsmoratorium bis zum Jahresende einem Bedingungslosen Grundeinkommen Tür und Tor öffne:

„Mit der geplanten Aussetzung der Sanktionen in der Grundsicherung haben die Jobcenter in Zukunft keine wirksame Handhabe mehr, wenn Arbeitssuchende ohne wichtigen Grund zumutbare Beschäftigungen ablehnen oder trotz Terminvereinbarungen im Jobcenter nicht erscheinen.

Damit hebt Links-Gelb den Grundsatz des Förderns und Fordern auf. Dieses Prinzip ist aber nach wie vor richtig und muss für die Zukunft erhalten bleiben. Arbeitslose werden von unserem Sozialstaat auf vielfältige Weise darin unterstützt, möglichst schnell wieder Arbeit zu finden. Als Gegenleistung verlangt der Sozialstaat, dass Arbeitslose selbst auch alles unternehmen, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden. Das ist fair und eine gerechte Balance von Leistung und Gegenleistung. Daran halten wir als Union fest.“

Das Festhalten daran ist konsequent, wenn man der Auffassung ist, Sanktionsbewehrung sei hilfreich für den Arbeitsmarkt und Erwerbstätigkeit die einzig wichtige Leistung sowie Vorbehalte gegenüber einer Existenzsicherung bestehen, die unverfügbar sein soll – denn Sanktionen greifen genau diese Unverfügbarkeit an. Weshalb Stracke stellvertretend für die CDU/CSU der Auffassung ist, dass diese Haltung für Unternehmen hilfreich sein soll, bleibt jedoch ein Rätsel, denn aus deren Sicht sind Mitarbeiter, die dort arbeiten wollen, entscheidend.

Beschäftigung statt Wertschöpfung und die Sorge davor, mit dem Bürgergeld drohe das Bedingungslose Grundeinkommen weiterlesen

Experiment? Vielleicht,…

…aber nicht mehr Experiment, als jede Gestaltung des Gemeinwesens mit demokratischen Verfahren ein Experiment darstellt, dessen Ausgang wir nicht kennen, jedoch darauf vertrauen, eine Lösung zu finden. Wenn James Suzman in dem oben verlinkten Interview von Experiment spricht, dann ist es eines, das zu den Selbstverständlichkeiten gehört und gar nicht mehr so gewagt erscheint, wenn man sich klar macht, dass wir mit einem BGE auf dieselben Voraussetzungen vertrauen müssen wie die Demokratie es heute schon tun muss.

Sascha Liebermann

Mindestlöhne in der EU…

…zugleich sollte nicht aus den Augen verloren werden, worum es bei Mindestlöhnen gehen müsste und was sie nicht zu leisten im Stande sind, siehe dazu hier und hier.

Sascha Liebermann

Zwei Welten…

…scheint es diesbezüglich zu geben, die eine, in der solche Aussagen wie von Sigmar Gabriel getätigt werden, und die andere des handfesten Alltagslebens, in der eine solche Äußerung irritieren muss. BGE Eisenach weist zurecht auf die „unbezahlte Arbeit“ hin, die Gabriel nicht einmal erwähnt. Darüber hinaus wäre hier das bürgerschaftliche Engagement z. B. in Vereinen zu zählen, um das diese selbst nicht viel Aufhebens machen, das aber in Deutschland nach wie vor sehr lebendig ist. Man denke auch an die vielen freiwilligen Helfer, wo sie gebraucht werden, z. B. im Ahrtal oder als sehr viele Flüchtlinge in Deutschland Schutz gesucht haben im Jahr 2015 oder nicht zuletzt seit Beginn der Pandemie – es waren die Freiwilligen, die als erstes halfen und dies stetig taten, bis zur Selbstüberforderung. Auch jetzt wieder sind es Freiwillige, die Ukrainern Wohnraum anbieten und zu helfen versuchen, bevor es hierzu offizielle Entscheidungen gegeben hat.

Gabriel hatte sich auch einst zum Bedingungslosen Grundeinkommen geäußert, siehe hier.

Sascha Liebermann

Selbstbestimmung mit oder ohne Bedürftigkeit und Folgen des erwerbszentrierten Sozialstaats,…

…das charakterisiert die folgende Äußerung Stephan Strackes, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am Ende einer Pressemitteilung:

„Das Versprechen unseres Sozialstaates besteht nicht in einem bedingungslosen Grundeinkommen. Vielmehr besteht das Versprechen unseres Sozialstaats darin, die Menschen aus der Bedürftigkeit zu holen und sie darin zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Daran gilt es festzuhalten.“

Zwar ist es richtig, wenn er sagt, dass der bestehende Sozialstaat zum Ziel hat „die Menschen aus der Bedürftigkeit zu holen“, die Frage ist nur, woraus sich dieses Versprechen ergibt? Im Grundgesetz ist davon keine Rede, ebensowenig enthält es eine Erwerbsobliegenheit. Alle „Staatsgewalt“ geht eben gerade nicht von den Erwerbstätigen aus, sie geht vom „Volke“ (Art. 20 GG) aus und das Volk sind die Staatsbürger (Art. 116 GG). Das hierin enthaltene Souveränitätsprinzip würde also vielmehr einen Sozialstaat verlangen, der die vorbehaltlose Sicherung des Existenzminimums zum Ziel haben müsste, um die Entscheidungsfähigkeit der Bürger ebenso vorbehaltlos abzusichern. Von dort aus müsste alles weitere folgen. Das leistet der Sozialstaat heutiger Art jedoch nicht.

Selbstbestimmung mit oder ohne Bedürftigkeit und Folgen des erwerbszentrierten Sozialstaats,… weiterlesen

„Ohne Druck“ und eine individualistische Verkürzung…

… – Hannes Koch schreibt in der taz über eine Teilnehmerin des Pilotprojekts Grundeinkommen, das vom Verein Mein Grundeinkommen initiiert und u.a. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung begleitet wird. Wie schon viele der von Mein Grundeinkommen gesammelten und erzählten Geschichten ist auch die von Koch insofern interessant, als sie Einblick in die Lebensvorstellung eines Menschen gibt, der ohne Grundeinkommen schon seine Vorstellungen hatte und seinen Weg gemacht hat. Beeindruckend ist an diesen Geschichten immer die Vielfalt der Lebensentwürfe, auf die man stößt, das Ringen mit Lebensbedingungen und die Beharrlichkeit darin, Anliegen zu verfolgen. Zugleich kehren bestimmte Fragen, die sich jedem stellen, wieder, so dass die Lebensentwürfe immer als Antwort auch auf allgemeine Fragen verstanden werden können.

Diese Vielfalt, die Eigensinnigkeit des Lebens und seine Autonomie zu erforschen – dazu bräuchte es allerdings keines Pilotprojekts, dessen Erkenntnisse ohnehin beschränkt sein werden, was am Charakter solcher Feldexperimente liegt (siehe meinen Kommentar dazu hier). Doch lassen die Geschichten aufhorchen und verlangen nach einer Forschung, die diese konkreten Lebensentwürfe ernst nimmt und sie nicht nur in ihrer Einzigartigkeit betrachtet, sondern als Antwort auf eine allgemeine Frage versteht und ihre Gemeinsamkeiten herausstellt. Zu leisten ist das allerdings nicht mit Instrumenten der standardisierten Sozialforschung, deren Weg zum Individuum durch seine Subsumtion unter vordefinierte Antworten bzw. zu erhebende Merkmalskategorien beschränkt ist (siehe den vorangehenden Hinweis).

„Ohne Druck“ und eine individualistische Verkürzung… weiterlesen

Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt…

…darum geht es im Interview mit Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie an der TU Dortmund, auf Zeit Online (paywall)Neuhäuser hatte sich bislang gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, was hat ihn dazu bewogen, seine Einschätzung zu revidieren?

„Neuhäuser: Als zweite Maßnahme würde ich mehr diskursive demokratische Elemente in Unternehmen etablieren, die Arbeitnehmer sollen mitsprechen dürfen, was Löhne anbelangt. Und als dritte Maßnahme – und das passiert jetzt auch, aber aus meiner Sicht noch zu zaghaft – sollte man den Mindestlohn anheben. Oder man sollte eine Kombination aus Mindestlohn und bedingungslosem Grundeinkommen einrichten. Das Grundeinkommen sollte ein bisschen niedriger liegen als der Mindestlohn, damit es einen Anreiz gibt, arbeiten zu gehen. Das würde den Menschen eine erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht verschaffen, um diesen Diskurs zu starten: Welche Arbeit hat eigentlich welchen Lohn verdient?“

Neuhäuser plädiert dafür, den Mindestlohn anzuheben, um Löhne nach unten abzusichern. Alternativ sei eine Kombination aus Mindestlohn und Grundeinkommen einzurichten – das sind zwei unterschiedliche Mittel, denn das eine sichert Erwerbstätige ab, Nicht-Erwerbstätige hingegen gar nicht, das andere hilft beiden. Wie verhalten sie sich zueinander? Das Grundeinkommen sollte „ein bißchen“, also wirklich wenig, niedriger sein als der Mindestlohn, um den „Anreiz“ zu erhalten, erwerbstätig zu werden. Zum einen stellt sich hier die Frage, worin er den „Anreiz“ erkennt, wenn der Unterschied nur gering ist? Damit rückt er vom Stellenwert des Lohnabstandsgebots schon weitgehend ab, das sich auf das Armutsfallentheorem gründet. Welche Art von Grundeinkommen mag Neuhäuser hier vor Augen haben, wenn es doch ohnehin so wäre, dass ein BGE immer ausbezahlt würde und jedes andere Einkommen „oben drauf“ käme und – je nach Vorschlag – besteuert würde? Das alleine würde immer bedeuten, dass jemand, der erwerbstätig wäre, auch über mehr Einkommen verfügte (BGE plus Lohn). Wozu dann noch den Abstand, der ohnehin gering sein soll? Neuhäusers Überlegungen wirken hier nicht ganz durchdacht. Wenn ein Grundeinkommen „erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht“ verleihe, wozu braucht es dann einen Anreiz? Apropos, Autonomie lässt sich stärken, aber nicht verleihen, denn sie zeichnet den Menschen aus. Verhandlungsmacht allerdings würde durch ein Grundeinkommen erheblich gestärkt, weil nun auf Erwerbstätigkeit verzichtet werden kann – anders als heute. Direkt im Anschluss an diese Passage geht es wie folgt weiter:

Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt… weiterlesen