Von der Arbeit oder vom Bürger ausgehen? Malu Dreyer zum Bedingungslosen Grundeinkommen

…so zu lesen in einem Interview, das auf Welt Online veröffentlicht wurde.

Hier die Passage zum BGE:

„WELT: Was kommt denn nach Hartz IV? Ihr Generalsekretär Lars Klingbeil berichtet, dass sich auch in der SPD viele Mitglieder ein bedingungsloses Grundeinkommen wünschen. Passt das zu einer Partei der Arbeit?
Dreyer: Nein. Ich war von diesem Modell noch nie überzeugt. Es suggeriert eine einfache Antwort, die es nicht gibt. Und es bezieht Menschen ein, die der Hilfe des Staates gar nicht bedürfen. Mein Gefühl sagt mir, dass die meisten in der SPD das auch so sehen. Unser Ansatz muss von der Arbeit ausgehen. Deshalb finde ich, dass künftig die Lebensleistung beim Bezug eines Bürgergelds stärker berücksichtigt werden muss. Und dass mühsam erarbeitetes Vermögen bei Arbeitslosigkeit stärker geschont werden muss. Beides waren Kardinalfehler von Hartz IV, da müssen wir bei einer neuen Form der Absicherung ran.“

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„Hartz IV modern“…

…ein Kommentar von Frank Pergande in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Am Ende schreibt er:

„Im Kern geht es aber um die Zukunft: Wie wird unsere von der Digitalisierung durcheinandergewirbelte Arbeitswelt aussehen? Welche Aufgaben fallen dem Sozialstaat zu? Wie wird er aussehen? Was wird er leisten? Was kosten? Da lohnt die Debatte. Man muss ja nicht gleich in eine klassenkämpferische Pose fallen wie Andrea Nahles und den „digitalen Kapitalismus“ als Gegner ausmachen.“

Wohin aber nun, welche Veränderungen, wozu?

Sascha Liebermann

Geld vom Staat kommt bei Kindern an…

…dieser Befund aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung scheint manche überrascht zu haben. Für Stefan Sell, der sich im Deutschlandfunk dazu äußerte, widerlegt sie anhaltende Vorurteile. Überraschen konnte diesen Befund nur, wer bislang vom Gegenteil überzeugt war, denn Untersuchungen mit nicht-standardisierten, sogenannten fallrekonstruktiven Verfahren fördern leicht zutage, dass dort, wo Eltern sich nicht zuerst um das Wohl ihrer Kinder sorgen, lebensgeschichtliche Sonderfälle vorliegen, Traumatisierungen, die Eltern also kaum in der Lage sind. Davor, diese Zusammenhänge nicht zu sehen, sind auch erfahrene Praktiker nicht gefeit, worauf die Studie zu Beginn gleich hinweist, siehe auch hier.

Methodisch basiert die Studie auf einem quasi-experimentellen Design und nutzt Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel, einer der großen Datensammlungen, die sehr oft für solche Untersuchungen herangezogen wird. Es handelt sich allerdings um standardisierte Daten, wie sie in der Regel durch Befragungen erhoben werden, die z. B. mit Antwortskalen oder vordefinierten Antworten arbeiten. Der Befragte kommt damit direkt gar nicht zur Geltung, nicht in seiner Sprache, nicht in der Konkretheit seiner Haltung zur Welt. Man kann auf diesem Wege also wenig bis gar nichts Konkretes über widersprüchliche Deutungen eines Befragten erfahren und schon gar nicht über die spezifische Dynamik in diesen Deutungen. Von daher gesehen sind standardisierte Verfahren gerade bezüglich des hier untersuchten Gegenstandes wenig aufschlussreich. Sie können Anhaltspunkte liefern, mehr nicht.

Seit Jahrzehnten gibt es eine differenzierte Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften, hier besonders der Soziologie, über Grenzen standardisierter und Möglichkeiten nicht-standardisierter Verfahren (z.B. Fallrekonstruktion). Beide Verfahren haben ihre Stärken in unterschiedlichen Hinsichten, es ist aber keineswegs so, dass nicht-standardisierte Daten nur Einsichten über „Einzelfälle“ liefern, wie oft zu lesen ist. Mit ihrer Hilfe kommt man so nah an die Lebenswelt heran, wie es anders nicht möglich ist. Erstaunlich genug, dass sie in der Sozialpolitikforschung nicht in der Breite eingesetzt werden.

Sascha Liebermann

Sanktionen zeigen Wirkung?

In der Tat zeigen die Sanktionen von Arbeitslosengeld II-Beziehern Wirkung, die Frage ist nur welche, was steckt genau dahinter und zuletzt, ob man sie tatsächlich für sinnvoll hält? Bei der angesichts der Vorschläge von Robert Habeck und Andrea Nahles heftig einsetzenden Verteidigung von „Fördern und Fordern“ ist es hilfreich, sich den IAB Kurzbericht „Schnellere Arbeitsaufnahme, aber auch Nebenwirkungen“ sowie die Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes anlässlich einer Anfrage des Bundesverfassungsgerichts, vor Augen zu führen. Der DGB  hat sich davon selbst offenbar distanziert und das Gutachten aus dem Netz genommen, es scheint so gar nicht zu seiner offiziellen Linie zu passen.

Auch eine Studie, über die Zeit Online unter dem Titel „Mehr Kindergeld fließt nicht in Alkohol und Unterhaltung“ berichtet, widerspricht gängigen Vorurteilen. Deutlich wird an ihr allerdings, wie wenig die eingesetzten Methoden taugen, um der Frage nachzugehen. Statt nicht-standardisierte Forschungsgespräche zu führen und sie fallrekonstruktiv auszuwerten, werden standardisierte Befragungen eingesetzt, die nur an der Oberfläche der Phänomene kratzen und keine differenzierten Erklärungen ermöglichen.

Siehe zur Debatte auch:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern (Ronald Gebauer)
Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer)

Sascha Liebermann