Beschäftigung, Würde, Almosen und das Bedingungslose Grundeinkommen – zu einem Interview mit Timotheus Höttges

Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der Telekom, Timotheus Höttges, im Handelsblatt. Nachdem ein Interview mit ihm in der Zeit in diesem Jahr für großes Aufsehen gesorgt hatte, kommt auch hier die Sprache auf das Bedingungslose Grundeinkommen.

Bevor es um das BGE geht, beantwortet Höttges eine andere Frage auf interessante Weise:

„Behindert es uns, dass wir unsere europäischen Firmen auch gesellschaftlichen Ansprüchen unterwerfen, zum Beispiel dem Erhalt von Arbeitsplätzen? Oder konkreter: Ist derlei Aufgabe der Telekom?
Wohlfahrt, die Tatsache, dass Menschen sich entwickeln können und eine gewisse Stabilität finden, die Schaffung von Beschäftigung – ja, das ist auch eine Aufgabe von Unternehmen, sage ich spontan. Wir zum Beispiel haben 225.000 Mitarbeiter. Für die muss ich unser Unternehmen schützen. Es geht nicht nur um Cashflow oder Dividendenrendite. Gleichzeitig kann sich nur ein Unternehmen, das Gewinne macht, auch leisten, sozial zu sein. Eine Soziale Marktwirtschaft besteht eben nicht nur aus einem einzelnen Unternehmen. Sondern sie ist eine Volkswirtschaft. Sie ist die Summe vieler möglichst erfolgreicher Unternehmen und Menschen.

Die Digitalisierung werde Millionen von Jobs kosten, da sind sich Fachleute einig. Dabei geht es eben nicht mehr nur um einfache Tätigkeiten. Auch Programmierer, Ingenieure, Ärzte müssen bangen, von Maschinen oder Algorithmen ersetzt zu werden.Es wäre zynisch, diese Entwicklung schönreden zu wollen, auch wenn sie zugleich die Produktivität steigern wird…“

Erstaunlich an dieser Passage ist, wie defensiv Höttges über etwaige Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung spricht und zugleich die „Schaffung von Beschäftigung“ zur Aufgabe von Unternehmen erklärt. Ist sie das, muss man fragen? Oder ist die Aufgabe von Unternehmen nicht das Hervorbringen von Gütern und Dienstleistungen als standardisierten Lösungen für schon bestehende oder antzipierte Handlungsprobleme? Dann wäre der Zweck von Unternehmen Wertschöpfung, nicht aber Beschäftigung. Sofern zu diesem Zweck Beschäftigung im Sinne des Einsatzes menschlicher Arbeitskraft nötig wäre, läge es auf der Hand, sie zu fördern, falls aber nicht, dann nicht. Wie stark diese Vorstellung ist, Arbeitsplätze gewissermaßen als Beitrag zum Gemeinwohl zu verstehen, darauf bin ich schon Ende der 1990er Jahre gestoßen und habe dazu erste Befunde hier vorgelegt. Höttges Haltung steht damit diametral einer Aussage Götz W. Werners entgegen, der einst sagte „Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien“ (Stuttgarter Zeitung). Woher rührt nur diese Unklarheit? Vermutlich ist es doch die Haltung, dass der Mensch eine Aufgabe benötigt und sie ihm gegeben werden müssen, statt ihm die Freiräume zu schaffen, damit er sie selbst ergreifen kann.

In der nächsten Passage geht es dann um das BGE:

… die [vielfältige Sozialleistungen, SL] nicht alle bekommen, sondern eben nur Bedürftige.
Wichtiger scheint mir: Wir arbeiten heute schon anders – zu Hause, im Office, unterwegs. Projektbezogen. Unsere Qualifikation ändert sich dauernd. Den klassischen Job, den ich nach Schule und Studium antrete und bis zur Rente ausübe, gibt es kaum noch. Job-Plattformen wie LinkedIn, wo man sich und seine Arbeitsfähigkeit selbst bewirbt, sind ja nur Symptome dieses Mechanismus. Der verlangt auch mehr Eigenverantwortung. Also wird es Phasen geben, in denen der Mensch keine Arbeit hat, umschult oder nur in Teilzeit für ein Unternehmen arbeitet. Diese Phasen wird der Sozialstaat überbrücken müssen. Warum soll man dessen komplexe Förderungssystematik nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ersetzen?“

Wenn der Sozialstaat „Phasen…überbrücken“ soll mit einem BGE, dann wäre das BGE nicht als dauerhafte Einrichtung gedacht, es bliebe eine Leistung für den Fall, dass…

Selbstverständlich wird auch hier der Arbeitsbegriff im engen Sinn verstanden, obwohl festgehalten werden müsste, dass keine „Arbeit“ zu haben, nicht bedeutet, keine Aufgabe zu haben.

Wie geht es weiter?

„Vielleicht weil es schlicht unbezahlbar ist?
Das müsste sich erst zeigen. Aber Sie haben ja recht: Tatsächlich ist das größte Problem nicht die Idee, sondern die Finanzierung. Nur, was mir am heutigen Sozialstaat vor allem missfällt: Ich muss um Hilfe bitten, auch wenn ich mein Leben lang gearbeitet habe. Das Grundeinkommen verspräche mehr Würde und könnte das Unternehmertum sogar fördern.“

Erst widerspricht Höttges, dann stimmt er zu – die Finanzierung sei das größte Problem. Dabei gibt es doch verschiedene Versuche darzulegen, dass dies nicht der Fall ist. Ist der Sozialstaat in Deutschland eine Almosenleistung? Nein, es besteht ein Rechtsanspruch auf Leistungen, die allerdings aufgrund ihre Bedingungen ein bestimmtes Signal senden: Wer nicht erwerbstätig ist, trägt nichts zum Gemeinwohl bei. Das zeichnet die normative Struktur unseres Sozialstaats aus, sie zeigt sich in der objektiven Stigmatisierung derer, die nicht beitragen, wie auch in dem Empfinden von Leistungsbeziehern, nicht mehr dazuzugehören. Höttges unterschätzt also diesen Rechtscharakter und missdeutet ihn. Gleichwohl mag genau diese Missdeutung ein Grund dafür sein, weshalb verdeckte Armut besteht, Leistungen von bezugsberechtigten Personen aus Schamgefühl nicht in Anspruch genommen werden. Verstärkt wird dieses Schamgefühl noch dadurch, wie Leistungsberechtigten in den Behörden begegnet wird.

Würde sei ihm wichtig gab er schon zu erkennen und führt den Gedanken fort:

„Würde scheint Ihnen da wirklich wichtig.
Sehr wichtig, ja. In so einem System wäre man zum Beispiel auch viel stärker respektiert, wenn man sich entscheidet, seine kranken Eltern zu pflegen. Ob das Grundeinkommen am Ende die richtige Idee ist, weiß ich nicht. Ich bin mir aber sicher, dass das heutige System die Sozialhaushalte der Zukunft nicht wird finanzieren können. Mir scheint, dass wir da über völlig neue Finanzierungsmodelle nachdenken müssen.“

Höttges ist vorsichtig, hat sich womöglich noch nicht eingehend mit dem BGE befasst und ist mit dazu vorliegenden Untersuchungen nicht vertraut. Insofern ist seine Haltung nachvollziehbar. Seine entschiedenen Zweifel an der Finanzierbarkeit heutiger Sozialhaushalte ließe sich dann anders lesen, und zwar als Zweifel daran, ob man die Folgen eines solchen Sozialstaats haben wolle, wie wer heute konstruiert ist. Er degradiert Leistungen jenseits der Erwerbsarbeit, hemmt statt fördert Initiative und beeinträchtigt die Würde – damit die Stellung der Bürger im Gemeinwesen.

Die Top-Frage darf nicht fehlen:

„Warum sollten Menschen überhaupt noch arbeiten, wenn sie alimentiert werden?
Damit sind wir wieder beim Menschenbild. Natürlich wird es Leute geben, die dieses System missbrauchen. Die gibt es heute auch schon. Ich glaube aber nicht, dass ein Grundeinkommen eine Gesellschaft von Faulenzern heraufbeschwören würde. Der Mensch definiert sich durch seine Aufgabe. Dadurch, dass er seinem Leben durch Tätigkeit einen Sinn gibt.“

Missbrauch eines BGE kann es im Grunde nicht geben, da es kein bestimmtes Handeln als Gegenleistung erwartet und prämiert. Treffender wäre es also, davon zu sprechen, dass es Menschen geben wird, die die Freiräume, die ein BGE schafft, nicht nutzen bzw. nicht zu nutzen wissen oder dies nicht können. Auch das aber wäre kein Missbrauch, sondern Ausdruck ihrer Freiheit. Entscheidend wäre doch, ob die Betreffenden dann nicht versuchen würden, sich Rat zu holen. Aber das stünde ihnen genauso frei, wie es sein zu lassen. Dass der Mensch wirken will, dass er beitragen will, dafür gibt es zahlreiche Belege, auch wenn prominente Kritiker des BGE von einer anderen Lage ausgehen. Gewichtiger noch ist aber, in seiner Würde anerkannt zu werden, so wie man ist. Das ist gerade der Grund für die bedingungslose Geltung der Grundrechte im Grundgesetz, die bedingungslose Stellung der Bürger im Gemeinwesen. Eine Bedingungslosigkeit, die sonst – in partikularer Form – nur in der Familie oder vergleichbaren Zusammenhängen erfahren werden kann.

Sascha Liebermann

BIEN’s 30th Anniversary Reunion – Videos available

Das Basic Income Earth Network feierte in diesem Jahr sein dreißigjähriges Bestehen Nun sind Videoaufzeichnungen einiger Veranstaltungen über die Website der Basic Income News online verfügbar gemacht worden. Auch gibt es aus diesem Anlaß ein E-Mail-Interview mit Philippe van Parijs von Kate McFarland.

„Basic Income Experiment 2017-2018“ – die finnische Sozialversicherungsanstalt Kela informiert…

…“The amount of the basic income remains the same throughout the experiment, and it is not reduced by any other income the participant may have. Participants who find work during the experiment continue to be paid a basic income. An amount equal to the basic income is deducted from certain social security benefits paid to participants.“

Hier geht es zur Website von Kela

Siehe „Free Cash in Finnland. Must Be Jobless“ (New York Times) und „Warum Finnland ein bedingungsloses Grundeinkommen einführt“ (bento)

Siehe Sascha Liebermanns Kommentare zu Feldexperimenten

„Our automated future“ – wieder eher ein Bedrohungs-Szenario…

…im Beitrag von Elizabeth Kolbert, im New Yorker, angesichts etwaiger Folgen der Digitalsierung. An einer Stelle heißt es:

„Ford worries that we are headed toward an era of “techno-feudalism.” He imagines a plutocracy shut away “in gated communities or in elite cities, perhaps guarded by autonomous military robots and drones.” Under the old feudalism, the peasants were exploited; under the new arrangement, they’ll merely be superfluous. The best we can hope for, he suggests, is a collective form of semi-retirement. He recommends a guaranteed basic income for all, to be paid for with new taxes, levelled, at least in part, on the new gazillionaires.“

Ob die Digitalsierung nun diese Folgen haben wird, sei dahingestellt, es wird sich zeigen. Doch weder ist Technologienutzung ein Selbstläufer, noch muss sie eine Bedrohung sein. Ihre Nutzung lässt sich gestalten, man sollte die Klugheit der Praxis nicht unterschätzten, und über genaue diese Nutzung ließe sich viel gelassener nachdenken, wenn diese Bedrohung nicht in der massiven Substituierung menschlicher Arbeitskraft erkannt wird. Wo Menschen sind, gibt es Aufgaben und Probleme zu bewältigen, darüber müssen wir uns keine Sorgen machen. Und wenn Technologienutzung sinnvoll ist, dann könnte sie eine Befreiung darstellen, eine Befreiung zu Aufgaben, die Automaten nicht übernehmen können. Auf der Basis eines Bedingungslosen Grundeinkommens könnte darüber, wie wir leben wollen, gelassener diskutiert werden – mit und ohne Digitalisierung.

Siehe auch „Digitization makes Basic Income necessary? Why a supposedly strong argument is a weak one“ und „Digitalisierung – wo bleibt der Mensch?“.

Sascha Liebermann

„Der Mensch schafft sich ab“ – eine Überschätzung der Digitalisierung

Die Diskussion um etwaige Folgen der Digitalisierung hält an, da niemand genau weiß, was auf uns zukommt, jedoch technologische Möglichkeiten Veränderungen in einem Ausmaß bergen könnten, das verunsichert. Alexander Hagelüken widmet in der Süddeutschen Zeitung dieser Thematik einen längeren Beitrag mit einem irreführenden Titel. Er schließt seine Betrachtungen mit folgendem Abschnitt:
 
„Es gibt eine bessere Idee als ein Grundeinkommen
Als Antwort auf diese absehbare Spaltung der Gesellschaft findet vermehrt ein Grundeinkommen Anhänger. Doch es ist nur eine zweitbeste Idee, da ein Grundeinkommen Almosen ist, das sich jederzeit widerrufen lässt. Wer den Wohlstand des Maschinenzeitalters wirklich gerechter verteilen will, sollte die Arbeitnehmer an den Gewinnen der Unternehmen beteiligen. Als Aktionäre mit breit gestreuten Anlagen, nach einem Konzept, das noch formuliert werden muss, vielleicht in Form staatlich kontrollierter Fonds, die Profis managen.

Kein Zweifel: Der digitale Kapitalismus könnte eine Schlagseite bekommen, die unsere Gesellschaften bis zur Unkenntlichkeit verändert. Arbeiteraktionäre wären eine erzkapitalistische Antwort mit sozialem Impetus, die ein solches Drama verhindern könnte. Sie bedeuten eine Verteilung der Macht, keine Almosen. Kein Wunder, dass die Silicon-Valley-Millionäre, die ihre Macht nicht schmälern wollen, lieber das Grundeinkommen favorisieren.“

Wie kommt der Autor darauf, dass ein Grundeinkommen „ein Almosen“ sei? Ist jede Form der Finanzierung öffentlicher Aufgaben dann ein „Almosen“? Almosen sind freiwillige Hilfeleistungen aus Mildtätigkeit, so das verbreitete Verständnis, in religiösen Zusammenhängen allerdings gelten sie durchaus als Pflicht – eine Pflicht ohne Rechtscharakter allerdings. Wenn darin das entscheidende Kriterium besteht, wäre ein Grundeinkommen gerade kein Almosen, da es Rechtscharakter erhalten soll. Und weshalb soll es problematisch sein, dass ein Grundeinkommen sich widerrufen lässt? Jede Leistung innerhalb eines Gefüges sozialer Sicherung lässt sich widerrufen in dem Sinne, dass sich Gesetze ändern lassen. Das gilt grundsätzlich ebenso für Eigentümsansprüche an Unternehmen in Gestalt von Aktien. Für diese Form soll dann, so seine Überlegung, der Staat die Kontrolle übernehmen. Warum dann nicht für ein Grundeinkommen?

Schlussfolgerungen, die keine sind, kann man da nur festhalten. Ein Grundeinkommen, ein bedingungsloses, wäre eben etwas, das durch ein Gemeinwesen garantiert werden muss, in der Tat als Rechtsanspruch.

Sascha Liebermann

„Welche Kinderarmut soll es denn sein?“ – Stefan Sell zur aktuellen Berichterstattung

Sein Beitrag findet sich in seinem Blog Aktuelle Sozialpolitik. Hier der Anfang:

„Natürlich sind solche Zahlen und dann auch noch Kinder betreffend unangenehm: Insgesamt ist die Zahl der unter 15-Jährigen, die auf Hartz IV angewiesen sind, im vergangenen Jahr gestiegen. Etwa jedes siebte Kind in Deutschland ist von Hartz-IV-Leistungen abhängig, konnte man am 1. Juni 2016 in diesem Beitrag lesen: Ein Teil der armen Kinder im Blitzlicht der Medienberichterstattung, erneut die Abwertung von Geldleistungen und jenseits der Sonntagsreden sogar weitere Kürzungen ganz unten ante portas. 2015 waren im Schnitt 1,54 Millionen unter 15-Jährige betroffen. Das waren gut 30.000 Kinder und Jugendliche mehr als im Vorjahr. In Bremen und Berlin ist mit 31,5 Prozent fast jedes dritte Kind unter 15 Jahren von Hartz-IV-Leistungen abhängig (Ende 2015). Prozentual am wenigsten Betroffene gibt es in Bayern mit 6,5 Prozent.
Man muss berücksichtigen, dass hier nur ein Teil der Kinder aufgeführt wird, die in einkommensarmen Verhältnissen leben (müssen), denn die Gruppe der Hartz IV-Empfänger ist nur eine Teilgruppe der von Einkommensarmut „gefährdeten“ Menschen, wie das die Statistiker nennen….“.