Ist die Frage nach der Finanzierbarkeit das „wichtigste Argument“ gegen ein BGE?

Marcel Fratzschers Beitrag erschien auf Zeit Online. Er behauptet darin folgendes:

„Das wohl wichtigste Argument dagegen [gegen das BGE, SL] ist die Finanzierbarkeit: Die notwendigen Steuererhöhungen würden das Land in den wirtschaftlichen Ruin treiben.“

Ist die Frage nach der Finanzierbarkeit das „wichtigste Argument“ gegen ein BGE? weiterlesen

„Eine Billion für’s Nichtstun“…

…, wenn so ein sachorientierter Titel aussieht, dann ist von Kolja Rudzios Beitrag auf Zeit Online über die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht viel zu erwarten. Vielleicht ist der Beitrag aber auch besser als der Titel. Derselbe Autor hat schon zu Beginn der jüngeren Grundeinkommensdebatte seine Einschätzung deutlich gemacht, an der sich trotz intensiver Diskussion wenig geändert zu haben scheint.

Wir lassen den vermeintlich witzigen Auftakt aus, der eine sachliche Auseinandersetzung nicht erwarten lässt, dann aber vom Autor selbst gegen den Strich gebürstet wird. Die Studie wird vorgestellt, die eine Finanzierbarkeit ermittelt zu haben beansprucht, „auch wenn andere Experten das bezweifeln“, wie Rudzio schreibt. Ja, bezweifeln kann man viel, wissenschaftlich ist das nicht relevant, solange es nicht mit konkreten Argumenten unterlegt wird.

Rudzio schreibt dann:

„Eine mögliche Variante für das realistische Grundeinkommen sieht nach den Angaben des Vereins so aus: Jeder Erwachsene erhält 1.200 Euro im Monat, für jedes Kind gibt es 600 Euro. Zugleich wird die Einkommensteuer deutlich erhöht, der Steuersatz beträgt für Einkommen jeder Höhe einheitlich („Flat Tax“) 50 Prozent. Außerdem werden entlastende Regelungen wie etwa der Grundfreibetrag, die Kinderfreibeträge oder die Anrechnung von Werbungskosten abgeschafft. Zusätzlich werden eine Vermögenssteuer und eine hohe CO₂-Steuer (200 Euro pro Tonne) erhoben. Zudem müssten etliche Sozialleistungen wie Elterngeld, Kindergeld, Bafög oder der Unterhaltsvorschuss gestrichen werden. Obwohl das alles nach einer Belastungsorgie klingt, hätten nach der DIW-Modellrechnung im Ergebnis 83 Prozent der Bevölkerung mehr Geld als heute zur Verfügung, nur 10 Prozent wären finanziell schlechter gestellt. Und die Zahl der armutsgefährdeten Menschen würde von 13 auf 4 Millionen sinken.“

„Eine Billion für’s Nichtstun“… weiterlesen

Mündigkeit durch Erwerbsarbeit?

In einem Interview mit Axel Honneth auf Zeit Online (Bezahlschranke) äußert er sich dazu, weshalb er gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen sei, aber auch zum Verhältnis von Erwerbsarbeit und Mündigkeit. Beide Passagen seien hier kommentiert, zu früheren Ausführungen Honneths siehe hier und hier.

„ZEIT ONLINE: Wenn der Mensch Sicherheit und mehr Zeit braucht, um sich zu engagieren, warum sind Sie trotzdem gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Honneth: Das Grundeinkommen [sic] aus meiner Sicht ein Mittel zur weiteren Privatisierung des Menschen. Der Einzelne würde sich wahrscheinlich nur noch als Empfänger einer staatlichen Zuwendung verstehen und sich immer weiter aus der sozialen Kooperation ausklinken. Das Grundeinkommen garantiert in keiner Weise, dass das Interesse des Einzelnen an sozialen und politischen Zusammenhängen zunimmt. Ich denke eher, dass es das Gegenteil bewirkt und zu einem immer stärkeren Rückzug in die eigene kleine Welt führt, die aus Gleichgesinnten besteht. Daher verstehe ich auch nicht, woher der Glaube kommt, dass sich durch das Grundeinkommen mehr Menschen politisch engagieren würden. Wenn die Privatisierung zunimmt, erlischt vielmehr die Triebfeder demokratischen Engagements.“

Mündigkeit durch Erwerbsarbeit? weiterlesen

Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt…

…darum geht es im Interview mit Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie an der TU Dortmund, auf Zeit Online (paywall)Neuhäuser hatte sich bislang gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, was hat ihn dazu bewogen, seine Einschätzung zu revidieren?

„Neuhäuser: Als zweite Maßnahme würde ich mehr diskursive demokratische Elemente in Unternehmen etablieren, die Arbeitnehmer sollen mitsprechen dürfen, was Löhne anbelangt. Und als dritte Maßnahme – und das passiert jetzt auch, aber aus meiner Sicht noch zu zaghaft – sollte man den Mindestlohn anheben. Oder man sollte eine Kombination aus Mindestlohn und bedingungslosem Grundeinkommen einrichten. Das Grundeinkommen sollte ein bisschen niedriger liegen als der Mindestlohn, damit es einen Anreiz gibt, arbeiten zu gehen. Das würde den Menschen eine erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht verschaffen, um diesen Diskurs zu starten: Welche Arbeit hat eigentlich welchen Lohn verdient?“

Neuhäuser plädiert dafür, den Mindestlohn anzuheben, um Löhne nach unten abzusichern. Alternativ sei eine Kombination aus Mindestlohn und Grundeinkommen einzurichten – das sind zwei unterschiedliche Mittel, denn das eine sichert Erwerbstätige ab, Nicht-Erwerbstätige hingegen gar nicht, das andere hilft beiden. Wie verhalten sie sich zueinander? Das Grundeinkommen sollte „ein bißchen“, also wirklich wenig, niedriger sein als der Mindestlohn, um den „Anreiz“ zu erhalten, erwerbstätig zu werden. Zum einen stellt sich hier die Frage, worin er den „Anreiz“ erkennt, wenn der Unterschied nur gering ist? Damit rückt er vom Stellenwert des Lohnabstandsgebots schon weitgehend ab, das sich auf das Armutsfallentheorem gründet. Welche Art von Grundeinkommen mag Neuhäuser hier vor Augen haben, wenn es doch ohnehin so wäre, dass ein BGE immer ausbezahlt würde und jedes andere Einkommen „oben drauf“ käme und – je nach Vorschlag – besteuert würde? Das alleine würde immer bedeuten, dass jemand, der erwerbstätig wäre, auch über mehr Einkommen verfügte (BGE plus Lohn). Wozu dann noch den Abstand, der ohnehin gering sein soll? Neuhäusers Überlegungen wirken hier nicht ganz durchdacht. Wenn ein Grundeinkommen „erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht“ verleihe, wozu braucht es dann einen Anreiz? Apropos, Autonomie lässt sich stärken, aber nicht verleihen, denn sie zeichnet den Menschen aus. Verhandlungsmacht allerdings würde durch ein Grundeinkommen erheblich gestärkt, weil nun auf Erwerbstätigkeit verzichtet werden kann – anders als heute. Direkt im Anschluss an diese Passage geht es wie folgt weiter:

Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt… weiterlesen

Das Elend historischer Vergleiche – hier Alan Posener, Grundeinkommen, das alte Rom

Die entstellende Behauptung vom „vergoldeten Nichtstun“ hat viele Anhänger, siehe z. B. hier.

Das „alte Rom“, die „Golfstaaten“, der Raub der Motivation durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen – oder argumentative Verirrungen?

Das ist nicht der erste Vergleich mit den Golfstaaten, siehe hier.

Sascha Liebermann

„Freiheit und Freizeit für alle“ – aber wie und auf welcher Basis?

Lukas Hermsmeier schreibt auf Zeit Online über Erwerbsarbeit und ihre Überschätzung, ja Glorifizierung als Ort der Erfüllung und Selbstverwirklichung. Dabei bezieht er sich auf Ausführungen verschiedener Autoren, die sich zur Entwicklung des Arbeitsverständnisses und seiner Folgen äußern. An einer Stelle taucht der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens auf:

„Benanavs Analyse geht über die übliche Dystopie-Utopie-Binarität der Diskurse zum Thema Automation hinaus. Weder werden uns Roboter zwangsläufig alle Jobs wegnehmen und uns so zu Sklaven der Technik machen, erklärt Benanav, noch werden sie uns von aller Arbeit erlösen und dadurch befreien. Entscheidend dafür, in welche Richtung es gehe, sei, wer die Technologien für wen unter welchen Bedingungen vorantreibe. Auch an die angebliche Allheilkraft der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens glaubt Benanav nicht. Die Vorschläge dazu ließen das zentrale Problem unangetastet, das darin liege, wie Arbeit generell organisiert ist, so nämlich, dass die allermeisten Menschen keinerlei Kontrolle haben und die allerwenigsten davon profitieren. „Die Menschen haben heute wenig Mitspracherecht, wie ihre Arbeit erledigt wird“, schreibt Benanav, was daher komme, dass eine „winzige Klasse von ultrareichen Individuen die Entscheidungen über Investitionen und Beschäftigung monopolisieren“.“

„Allheilkraft“ – sollte Benanav das so vertreten haben, erstaunt einen der Popanz, denn wo behauptet jemand ernsthaft, ein BGE könne eine solche „Allheilkraft“ sein? Ähnlich wie bei Vertretern einer Jobgarantie wird behauptet, ein BGE lasse „das Problem unangetastet“, wie „Arbeit generell organisiert“ sei.

In der Tat lässt ein BGE direkt die Organisation von Arbeit unangetastet. Aber durch die Handlungsmöglichkeiten, die es schafft, schafft es zugleich eine Machtumverteilung, von der relativen Asymmetrie heute zu mehr Egalität.

„Freiheit und Freizeit für alle“ – aber wie und auf welcher Basis? weiterlesen

„Das teure Nest“ – Elisabeth von Thadden über Ungleichheit, den Mythos der Leistungsgesellschaft – und die Alternative?

In ihrem Beitrag auf Zeit Online wirft Elisabeth von Thadden wichtige Fragen auf und blickt auf gegenwärtige Schieflagen in der Vermögensverteilung. Diese entlarven den Mythos von der Leistungsgesellschaft, den von Thadden allerdings recht eng fasst. In dieser Form der Erzielung von Einkommen und der Bildung von Vermögen war er ohnehin nie gegeben, denn die Leistung, die zu Einkommen führen kann, entsteht nicht im luftleeren Raum, sie hat vielerlei Voraussetzungen, von denen Arbeitsbedingungen und Löhne nur wenige sind. Um überhaupt leistungsfähig in diesem engen Sinne zu werden, bedarf es anderer Leistungen im Sinne einer sorgsamen Zuwendung und Anerkennung des Individuums, wie sie zuallererst in der Familie erfahren wird. Im Zuge der Sozialisation gehen Bildungsprozesse, die durch die familiale Dynamik initiiert und getragen werden, anderen Leistungen voraus und ermöglichen sie erst. Schon hier also bedarf es einer Korrektur am enggeführten Leistungsverständnis. Aber selbst wenn man ein Leistungsverständnis im engen Sinne betrachtet, wird deutlich, dass auch hier allerlei Illusionen im Spiel sind, denn arbeitsteilige Prozesse der Erzeugung und Bereitstellung standardisierter Güter machen es unmöglich, Leistungsergebnisse individuell zuzurechnen. Das ist der Grund dafür, weshalb Löhne willkürliche Vereinbarungen im Rahmen des Verteilbaren darstellen. Insofern also ist die Vorstellung, Leistung gehe vor allem und alleine auf individuelle Anstrengungen und Erfolge zurück, stets eine Illusion gewesen. Das soll nicht die Bedeutung der Leistungsbereitschaft des Einzelnen schmälern, aber ohne sie im weiteren Zusammenhang zu sehen, führt sie zu Verklärung. Hier ein Zitat aus dem Beitrag von Thaddens:

„Wenn es sich für die junge Generation bis auf ein paar finanzmutige Glückspilze nicht mehr lohnt, zu arbeiten (zumal für Ostdeutsche, denen nach 1989 die Immobilien von Westdeutschen, unterstützt durch staatliche Steuergeschenke, weggekauft wurden und die also deutlich weniger erben, wie es auch die Kinder aus Zuwandererfamilien tun), dann wird das Versprechen von demokratischen Leistungsgesellschaften zur Chimäre. Dann macht sich ein Gefühl von Ohnmacht breit.

„Das teure Nest“ – Elisabeth von Thadden über Ungleichheit, den Mythos der Leistungsgesellschaft – und die Alternative? weiterlesen