„Grundeinkommen verschärft Ungleichheit“…

…meint Obamas ökonomischer Berater laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zweierlei ist an dem Beitrag interessant. Zum einen hält der Ökonom die Herleitung des BGE aus den Folgen der Digitalisierung für nicht zwingend (siehe meine Kommentare dazu hier und hier). Zum anderen sieht er die Gefahr, dass ein BGE die Ungleichheit verschärfe, weil es die „Armut bekämpfende Sozialpolitik“ ersetze. Nun müsste man sich hier doch fragen, ob diese Sozialpolitik nicht einen entscheidenen Haken habe. Sie setzt auf Druck und Sanktionen und nicht auf Autonomieförderung durch Sicherheit. Genau das aber würde ein BGE tun und wäre damit die bessere Sozialpolitik.

Sascha Liebermann

„Was heißt schon arm?“ – und wie wäre es mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen?

…die zweite Frage stellt Spiegel Online zwar nicht, seine Autoren Florian Diekmann und Britta Kollenbroich haben über die erste aber eine eindrückliche Reportage geschrieben. Am Ende des Beitrags fehlt nur der Hinweis auf das Bedingungslose Grundeinkommen und die Möglichkeiten, die es schüfe.

Grundeinkommen gegen Verarmung und zur Stützung von Konsum? Ja, aber…

…so könnte man ein Interview mit Robert Reich kommentieren, dass im Schweizer tagesanzeiger abgedruckt war. Reich führt darin aus, weshalb er ein Grundeinkommen (nicht weiter spezifiziert) für notwendig erachtet. Angesichts der bevorstehenden Automatisierungsschübe durch technologischen Fortschritt sei es ein probates Mittel, um die Verarmung des Mittelstandes in den USA zu verhindern. Zugleich verschaffe ein Grundeinkommen Kaufkraft, da der der technische Fortschritt nur solange trage, wie auch Güter abgesetzt werden können. An dieser Herleitung ist durchaus etwas dran, denn ohne Kaufkraft kein Absatz von Gütern und Dienstleistungen.

Dennoch würde ich ein „Ja, aber“ diesen Ausführungen entgegenstellen.

Ja, ein ausreichend hohes Grundeinkommen, vor allem ein bedingungsloses verhindert Einkommensarmut, sofern Menschen deswegen arm sind, weil es ihnen an Einkommen mangelt. Armut kann jedoch auch andere Gründe haben, gegen die ein BGE nichts auszurichten vermag, zumindest nicht unmittelbar.

Ja, ein BGE verschafft stabile Kaufkraft und stützt damit die Binnenwirtschaft. Aber: Beides lässt sich auch anders erreichen und bedarf nicht unbedingt eines BGE. Hier nun wird häufig der technologische Fortschritt in Gestalt der Digitalisierung als Grund angeführt. Ja, es kann sein, dass er es nötig macht, vielleicht aber auch nicht (siehe hier). Selbst wenn er es nötig machen würde, wäre das alleine oder vor allem eine gute Begründung für ein BGE? Nein, das wäre es nicht, denn so würde ein BGE zur Reparaturleistung degradiert, eine Reparatur, die nicht mehr nötig wäre, wenn der Schadensgrund ausfiele. Und dann? BGE wieder abschaffen(siehe hier)?

Erstaunlich ist, wie häufig in der Debatte ein entscheidender Zusammenhang nicht hergestellt wird, der zur Demokratie. Ein BGE ist, ganz gleich wie der technologische Fortschritt ausfallen wird, davon unabhängig zu betrachten, es hat sein eigenes Recht und zwar aus den Zusammenhängen der Demokratie. Denn die Stellung der Staatsbürger als Souverän ist doch eine bedingungslose. Damit ist der entscheidende Grund dafür benannt, weshalb die  Einkommensabsicherung eine ebenso bedingungslose sein müsste. Sie wäre der Demokratie gemäß, denn sie setzt auf Vertrauen in die Loyalität der Bürger.

Abschließend äußert Reich sich noch so:

„tagesanzeiger: Eine grosse Mehrheit der Schweizer wird das Grundeinkommen wohl ablehnen. Ist das nicht entmutigend für die Befürworter weltweit?
Reich: Nein, wir haben bereits gewonnen, weil über das Grundeinkommen breit diskutiert wird. Es wird noch mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis sich in den USA eine politische Mehrheit dafür findet.“

Diese Einschätzung für die USA würde ich noch für vorsichtig halten, denn ein BGE, das auf nationalstaatlicher Ebene eingerichtet werden müsste, trifft in den USA auf große Vorbehalte, da dort – vergleichbar der Schweiz – der Nationalstaat als ein Gegenüber betrachtet wird, ohne dass es zwar nicht gehe, dem jedoch stets mit Skepsis begegnet wird. Sehr deutlich wurde das in der „Langen Nacht des Grundeinkommens“ im Theater Basel.

Sascha Liebermann

Welfare vs. Entitlement (Sozialhilfe vs. Anspruchsberechtigung)

Auf sehr anschauliche Weise verdeutlichen Ananaya Roy und Abby van Muijen vom Blumcenter der University of California in Berkeley in Ihrem Videobeitrag „If You Think Only Poor People Need Welfare, Wait Till You See What Really Rich Folks Do With It“ wie ein bedingungsloses Grundeinkommen als Anspruchsberechtigung und Bürgereinkommen einen Unterschied ums Ganze macht gegenüber aller staatlichen Sozialhilfe, die zudem mit Subventionen: verdeckten Hilfen an Nicht-Bedürftige, nicht nur Unfreiheit, sondern auch vermeidbae Ungleichheit befördert.

„Die Armuts-Rentner“ – eine Dokumentation im SWR Fernsehen

Auch wenn dieser Beitrag keine Neuigkeiten berichtet, ist es doch erschütternd zu sehen, dass selbst eine Erwerbstätigkeit von 45 Jahren mit nur wenigen Unterbrechungen dazu führen kann, zu wenig Rente zu erhalten, um nicht mehr erwerbstätig sein zu müssen. Ihre Kinder und Enkel wollen sie nicht um Unterstützung bitten, die Leistungen des Sozialstaats – womöglich aus falscher Scham – nicht in Anspruch nehmen. Zu dieser trägt auch bei, was unser Sozialsystem aufgrund seiner Konstruktion signalisiert: wer seine Leistungen braucht, schafft es nicht „aus eigenen Kräften“. Siehe auch den Beitrag im Portal Sozialpolitik zu „Solidarische Lebensleistungsrente“.

Verklärung des Bestehenden statt Analyse der Probleme

„Verantwortung wahrnehmen – bedingungslos!“, so hat Gerhard Wegner im Jahr 2007 seine Auseinandersetzung mit dem Vorschlag eines Bedindungslosen Grundeinkommens übertitelt. Der Untertitel „Das bedingungslose Grundeinkommen beeinträchtigt die Förderung umfassender gesellschaftlicher Teilhabe“ sagt, wohin die Kritik eilt. Wir weisen auf diesen Beitrag hin, da er die Argumente beinhaltet, die Herr Wegner anlässlich einer Veranstaltung in Dortmund am 14. Oktober vorgetragen hat. Die Stoßrichtung der Kritik gleicht der von Matthias Zeeb, einem Kollegen von Herrn Wegner, dessen Ausführugen wir schon früher kommentiert haben (siehe hier).

Ein Punkt sei hier herausgehoben, an dem der grundsätzliche Dissens erkennbar wird zwischen dem, was ein BGE erreichen will und dem, was der bestehende Sozialstaat und seine Vorfahren erreichen wollen. Herr Wegner hat viele gute Absichten, sieht in der Hilfe für die Armen und Schwachen eine Herausforderung, will ein solidarisches Gemeinwesen usw. Es ist leicht, mit ihm darin übereinzustimmen, aber der Weg dahin ist das Problem. Wer sind die Armen und Schwachen, wer ist arm und schwach, woher weiß man das? Und verpflichtet es die Armen und Schwachen, weil sie arm und schwach sind, sich helfen zu lassen, wenn sie es nicht wollen?

Will man nicht von oben bestimmen, wer sich wie von wem zu beraten lassen hat, dann muss man Möglichkeiten schaffen, dass der Einzelne selbst darüber entscheiden kann. Bei allen guten Absichten beinhaltet Herrn Wegners Position eine Zwangshilfe, eine Hilfe, die mit Sanktionen arbeitet, da – so äußerte er sich in der Diskussion – nur auf diese Weise eine Verpflichtung des ‚Geholfenen“ besteht, sich auch helfen zu lassen. Dabei widersprechen nicht nur Argumente dieser Form von Hilfe, sondern auch die Empirie. Wer Gelegenheit hat, mit Sozialarbeitern zu sprechen, wird erfahren, dass es zu nichts führt, jemandem zu helfen, der sich nicht helfen lassen will. Hilfe kann dann erfolgreich sein, wenn die eigene Hilfsbedürftigkeit erkannt wird, dass man zumindest darum weiß, Hilfe zu benötigen, weil man alleine nicht weiter kommt. Diese Grenze des Hilfsangebots, dass es nicht aufgedrängt wird und auch ausgeschlagen werden darf, gilt es zu respektieren, will man nicht „von oben“ bestimmen, wer hilfsbedürftig ist. Sind Dritte gefährdet, z.B. Kinder, sieht die Lage anders aus. Dafür stehen Eingriffsrechte zur Verfügung, die gesetzlich festgelegt sind (siehe Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) – Kinder und Jugendhilfe“). Alles andere wäre Entmündigung durch Zwangshilfe.

Wenn anhaltende Armut (also nicht bloßer Einkommensmangel) ihren Grund unter anderem in traumatischen Lebenserfahrungen hat, die gerade zu einem schwachen und nicht zu einem starken Selbstvertrauen führen, dann ist eines ganz deutlich. Die davon Betroffenen können sich kaum gegen Zwangshilfe verteidigen, die so massiv auftritt wie heute. Vielmehr werden sie von ihr an die Wand gedrückt. Wie sollen sie unter diesen Bedingungen aus der Situation hinausgelangen?
Mit einem BGE hingegen würden Betroffene respektiert, sie könnten aus der Einkommenssicherheit heraus, die zugleich die eigene Position stärkt, viel eher sich Hilfs-Angeboten (!) öffnen, wobei auch hier nichts beschönigt werden darf. Hilfe anzunehmen setzt ein Minimum an Selbstvertrauen voraus. Sich einzugestehen, dass man Hilfe benötigt und diese anzunehmen, ist nicht einfach; es ist ein Zeichen von Stärke, das dürfte jedem vertraut sein.

Dass es in der evangelischen Kirche auch andere Positionen zum Grundeinkommen gibt, darauf sei eigens noch einmal hingewiesen, siehe hier.

Sascha Liebermann