Finnland und das Grundeinkommen – Fortsetzung einer medialen Verwirrung

Wer herausfinden möchte, wie unsere Medienberichte in Deutschland zustande kommen können, der muss sich nur die sich überschlagenden Meldungen zur angeblichen Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in Finnland anschauen. Schon im Sommer liefen einst die Drähte heiß, auch in der Grundeinkommensszene, so sehr wurde die Einführung offenbar herbeigesehnt. Kela, eine unabhängige „social insurance institution“ (Sozialversicherung) in Finnland ist nun der voreiligen Berichterstattung entgegengetreten (hier auf deutsch). Auch die Nachdenkseiten, namentlich Jens Berger, berichten von dieser „Ente“ und zeigen die Schwächen des Vorschlags auf, um den es in Finnland geht. Es wird daran deutlich, welchen Unterschied die Ausgestaltung eines BGEs machen kann – keine neue Einsicht indes für die  Grundeinkommensdiskussion. Bergers Kritik trifft gar nicht das BGE im Allgemeinen, wenngleich der Beitrag anderes suggeriert durch den Verweis auf früher schon geäußerte Kritik am BGE auf den Nachdenkseiten. Zu manchen davon habe ich mich ausführlich geäußert (siehe hier und hier – zu Butterwegge auch hier, zum Beitrag von Berger hier).

Berger erwähnt in keiner Weise, dass es beim BGE um mehr Entscheidungsfreiräume für die jeweils eigene Lebensführung geht. Sie hängen im wesentlichen davon ab, wie Einkommen in einem Gemeinwesen erzielt werden kann. Bekanntermaßen kennen alle modernen Sozialstaaten jenseits von Erwerbsarbeit beinahe ausschließlich kompensatorische Einkommensleistungen, für die entweder Ansprüche durch Erwerbstätigkeit erworben werden müssen oder die mit der Überprüfung von Erwerbswilligkeit einhergehen, solange der Bezieher erwerbsfähig ist. Wo nicht Erwerbswilligkeit überprüft wird, werden die Leistungen zweckgebunden vergeben (BAföG z.B.). Der darin sich ausdrückende normativ erwünschte Vorrang von Erwerbstätigkeit degradiert jegliches andere Engagement zu einem zweiter bzw. dritter Klasse – ganz gleich wie komfortable diese Leistungen als Geldbeträge sind. Sie sind in keiner Weise komfortabel im Verhältnis dazu, wie eng sie die Lebensführung an Erwerbstätigkeit als höchsten Zweck binden. Hinwendung zur Familie, Zeit für die eigenen Kinder, für ehrenamtliches Engagement wird durch diese Vorrangigkeit zur Freizeitbeschäftigung, obwohl sie in ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen tatsächlich gleichrangig zu Erwerbstätigkeit sind. Deutlich wird an Bergers Ausführungen, wie wenig ein Abrücken von dieser Vorrangstellung überhaupt denkbar erscheint. Er schreibt angesichts des kursierenden Vorschlags in Finnland:

„Wer erwerbslos ist und ein Kind hat, wird mangels bezahlbarer Betreuungsmöglichkeiten keinen Job annehmen können. Und wer erwerbstätig ist und bislang zur Mittelschicht gehört, wird sich den Kindergarten dann auch nicht mehr leisten können und zumindest ein Elternteil muss wohl oder übel den Job kündigen … Alleine die Kindergartenzuschüsse, die Subvention für die Vollzeitbetreuung von schulpflichtigen Kindern und die ordentlichen Beihilfen für Studenten sorgen bereits dafür, dass so ziemlich jeder Finne mit Kindern in toto heute mehrere Hundert Euro Transferleistungen vom Staat bekommt.“

Es wird kein Gedanke darauf gerichtet, dass die gegenwärtige Entwicklung – auch in Deutschland – zu immer längeren Betreuungszeiten von Kindern außer Haus – sei es in Kitas, sei es in Schulen – nur um den Preis zu haben ist, dass zum einen Eltern weniger Zeit mit den Kindern verbringen, zum anderen die Kinder dadurch weniger Zeit für Erfahrungen jenseits organisierter Betreuung in einem fest gefügten Rahmen haben. So wird ein geduldiges Erkunden der eigenen Lebensumgebung in der Nachbarschaft erschwert. Dass es ein lebendiges Familienleben nur geben kann, wo Eltern ausreichend unorganisierte Zeit mit den eigenen Kindern und mit sich als Paar verbringen, fällt vollends unter den Tisch. Das war auch in früheren Beiträgen Bergers so, wie überhaupt viele Kritiker des BGEs diese Seite einer Ermöglichung von mehr selbstbestimmter Familienzeit kaum wahrnehmen, einer Familienzeit, die nicht nach der Erwerbsarbeit kommt, sondern vor ihr (siehe weitere Beiträge zu diesen Fragen hier und ein Beitrag von Claus Offe). Dabei läge es nahe sich zu fragen, woher die ersten frühen Solidarerfahrungen im Leben rühren, wo das erste Mal die Erfahrung gemacht wird, dass Menschen – die Eltern – bedingungslos und verlässlich für einen da sind und das um der eigenen Existenz willen. Es ist die Familie, in der all dies mehr oder weniger selbstverständlich geschieht. Eltern haben weder Feierabend noch Ferien, was sie mit ihren Kindern verbindet, kennt keine Einschränkung. Das macht es zugleich so herausfordernd. Daraus folgt nun nicht, dass Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen nicht wichtig wären, jedoch nicht in dem heutigen Sinne einer immer weiteren Ausdehnung. An Kindern ist leicht zu beobachten, wann sie – und nicht die Eltern – ungefähr bereit sind, in den Kindergarten zu gehen und wie lange sie dorthin gehen wollen. Das ist meist zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr der Fall. Selbst wenn sie die Schule besuchen, ist das Bedürfnis nach Zeit in der Familie groß und dessen Befriedigung wird eingefordert, zumindest solange das Bedürfnis Anerkennung findet. Kinder resignieren allerdings auch, wenn diese Anerkennung nicht erfahren wird.

Man kann es für symptomatisch halten, dass in vielen kritischen Abhandlungen zum BGE, Zeit für Familie keinen besonderen Stellenwert genießt oder in Vorschlägen Berücksichtigung findet, die gerade einmal so weit gehen, die Arbeitswoche auf 30 Stunden zu reduzieren (z. B. hier). Was wir damit womöglich anrichten, die Bedeutung von Familie für Solidarerfahrungen derart geringzuschätzen, lässt sich nicht nur erahnen.

Sascha Liebermann

Wie Podiumsdiskussionen nicht weiterführen,…

…das hat mich eine Veranstaltung an der Universität Köln am vergangenen Samstag gelehrt. Leider beherrschte der Hang zur Polarisierung die Veranstaltung. Das lag nicht an den Veranstaltern, die alles gut vorbereitet hatten. Es lag am Podium. Auch fehlte es an Schlagworten nicht, von denen ausgehend Klärungen hätten angestrebt werden können, statt alles in einen Topf zu rühren. Besonders misslich war es, dass in einer Diskussionsveranstaltung an einer Universität, Werturteile und -haltungen nicht genügend von Analyse unterschieden wurden. Sie auseinanderzuhalten wäre einer Universität gemäß gewesen, denn was die Podiumsteilnehmer für richtig und falsch halten, tut nichts zur Sache, wenn es um Analyse geht. Das führte an etlichen Stellen dazu, dass z.B. Christoph Butterwegge sich aus einer Äußerung dasjenige herauspickte, was ihm nicht zusagte, um darauf herumzureiten, andere Aspekte einer Äußerung jedoch schlicht unter den Tisch fallen ließ. Schon zu Beginn wurden BGE-Befürworter von ihm als Sekte bezeichnet, die mit einem Tunnelblick umherliefen – war das Podium da gleich mit angesprochen? Dass es solche Phänomene gibt, ist unbestritten, doch was tut das in einem solchen Rahmen zur Sache? Wenn dann noch Podiumsteilnehmer dafür verantwortlich gemacht werden, was andere zum selben Thema gesagt haben, ist es äußerst schwierig, über eine Sache zu diskutieren. Christoph Butterwegges Überlegungen waren für diejenigen nicht überraschend, die jüngere Äußerungen von ihm kannten (siehe meinen Kommentar hier).

Dass bei alldem dennoch manch interessante Äußerung fiel, möchte ich diese hier kurz kommentieren, da sie für die Diskussion im Allgemeinen von Belang sind. Als Zitate markierte Stellen geben sinngemäß wieder, was meiner Erinnerung nach gesagt wurde.

Sehr deutlich war der Hinweis von Steffen Roth darauf, dass Modellsimulationen zum BGE, die Aussagen über zukünftiges Handeln von Menschen machen wollen, unbrauchbar sind. So hatte sich vor einiger Zeit auch Alexander Spermann geäußert. Das hört man nicht so oft von Wirtschaftswissenschaftlern, eher werden Simulationen wie Tatsachen behandelt, wie z.B. jüngst in einem Beitrag auf Ökonomenstimme. Ich habe es selbst schon öfter in Diskussionen erlebt, dass auf der einen Seite zwar eingeräumt wird, dass Simulationen keine Aussagen über Wirklichkeiten treffen, sie auf der anderen Seite aber, wenn es darauf ankommt, wie Wirklichkeitsaussagen behandelt werden. Bei all den Simulationsmodellen sowie der Frage nach der Finanzierung setzt sehr schnell eine Taschenrechnerhaltung ein. Gegenwärtige Einnahmen und Ausgaben werden auf das BGE übertragen und dann gezeigt, dass es nicht finanzierbar sei – da war sich Butterwegge ganz sicher. In den wenigsten Fällen wird überhaupt berücksichtigt, dass mit einem BGE die gesamte Grundlage der Wertschöpfung sich verändern würde, weil die Entscheidungen für ein Engagement, sei es erwerbsförmig oder nicht, auf einer anderen Grundlage stattfänden. Diese womöglich positiven Auswirkungen lassen sich zwar nicht beziffern, sie aber abzutun ist fahrlässig, denn wir wissen nichts darüber, inwiefern heutige Erwerbsarbeitsbedingungen das Entstehen von Wertschöpfung verhindern. Wer also einschätzen will, was mit einem BGE geschehen könnte, muss all dies in Betracht ziehen.

Steffen Roth wies darauf hin, dass er es für problematisch halte, wenn über einen solchen Vorschlag hinaus, wie das BGE einer ist, dann noch Überlegungen mit ihm verbunden werden, was Menschen zu tun haben, wenn sie ein BGE erhalten. Da trifft er durchaus einen Punkt in der Grundeinkommensdiskussion, denn auch manche Befürworter meinen es mit der Bedingungslosigkeit nicht ganz ernst. Roth führte aus, dass dies darauf hinauslaufe zu definieren, was ein „gutes Leben“ sei, wie es auszusehen habe. Das wäre in der Tat Bevormundung. Was er allerdings nicht erwähnte, war, dass die Entscheidung, Einkommen über Erwerbstätigkeit erzielen zu sollen, wie es heute für selbstverständlich gehalten wird, ebenso eine Vorstellung von „gutem Leben“ definiert. Sie besagt: „Alle sollen erwerbstätig sein, weil sie so einen Beitrag zum Gemeinwesen leisten und sich selbst versorgen“. Dieser Eingriff ist normativ erheblich, keineswegs ethisch neutral, wie so oft auch von Wirtschaftswissenschaftlern behauptet. Was hieran gesehen werden kann ist, dass es keine „neutralen“ Konstellationen im wirklichen Leben gibt. Es werden immer normative Entscheidungen getroffen. Sie unterscheiden sich nur darin, welche Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen eingeräumt werden, woran sein Stellenwert bemessen wird, ob er um seiner selbst und des Gemeinwesens selbst willen etwas gilt oder nicht. Ein BGE würde eben dem Einzelnen um seiner selbst willen durch das Gemeinwesen Anerkennung verschaffen, ohne dass er etwas zu tun hätte.

Es war an dieser Stelle der Schritt nicht weit, um über Freiheit und Abhängigkeit zu sprechen, die dann schnell gegeneinander gestellt werden. Das BGE, so auch Roth, greife durch die Entscheidung, erhebliche öffentliche Mittel für es bereitzustellen, in die Freiheit der anderen ein, die ein BGE gar nicht bräuchten. Auf diese Argumentation stößt man häufig im Zusammenhang mit der öffentlichen Alimentierung von Kultureinrichtungen, Hochschulen, dem Nahverkehr usw. Dort würden aus allgemeinen Steuermitteln Leistungen vorgehalten, von denen zum einen diejenigen profitierten, die es sich ohnehin leisten könnten, dorthin zu gehen, zum anderen diejenigen sie mitzutragen hätten, die sie gar nicht nutzen. Wo diese so gegeneinandergestellt wird, muss die Frage gestellt werden, ob es ein so reichhaltiges Kulturleben ohne öffentliche Alimentierung geben könnte. Die ganz praktische Frage ist dann auch, halten wir das für ein vor allem privates oder vor allem öffentliches Gut? Daran entscheidet sich die Gestaltung, ganz wie bei der Diskussion um Studiengebühren.

Außerdem werde die Abhängigkeit des Einzelnen vom „Staat“ durch ein BGE noch erhöht im Vergleich zu heute – so Roth, aber auch Butterwegge – da dieser dann ja das BGE bereitstelle. Weil dies bei Sozialversicherungen nicht so sei, so Butterwegge, ziehe er sie vor. Sie könnten nicht oder nicht so leicht zum Spielball politischer Gemengelagen werden wie das BGE, das mit jedem neuen Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministeriums in Frage gestellt werden könnte. Nun, dagegen ließe sich Rechtssicherheit schaffen, in dem das BGE gesetzlich verankert würde. Darüber hinaus ist es Ausdruck eine politischen Kultur, wie sie mit solchen Leistungen umgeht. Gesetze sind keine dauerhaften Garantien, wenn der politische Wille, sie zu erhalten, fehlt. Die Ansprüche an Sozialversicherungen jedoch unterliegen den Folgen politischer Entscheidungen ebenso wie die Anpassungen bei den Renten, dem Arbeitslosengeld und ähnliches zeigen. Dass Butterwegge dann das BGE noch als Almosen bezeichnete, machte deutlich, wie unwillig er war, sich darauf einzulassen. Almosen sind mildtätige Gaben, Mitleid ist der Beweggrund, nicht aber die Stellung einer Person im Gemeinwesen, wie es für das BGE gelten würde. Nicht die Bundesregierung stellt ein BGE je nach gusto bereit, sondern das Gemeinwesen, das sie repräsentiert. Das sind zwei ziemlich verschiedene Paar Schuh.

Wenn statt eines BGE eine „repressionsfreie Grundsicherung“ (siehe meine Kommentare dazu hier, hier und hier) vorgezogen wird, so Butterwegge, kann man ober der Schlagworte nur staunen. Wie soll eine Grundsicherung „repressionsfrei“ sein, wenn sie doch nur als kompensatorische Leistung konstruiert ist, die das Fehlen von Erwerbseinkommen ausgleichen soll? Es erhält sie nur derjenige, der kein Erwerbseinkommen erzielt, wodurch Erwerbseinkommen das normative Gebot bleibt. An ihm wird gemessen, was der Einzelne beigetragen hat. Alleine dadurch schon werden Bezieher stigmatisiert, die nicht erwerbstätig sind. Nicht von ungefähr sind in allen Systemen sozialer Sicherung, die solche Leistungen kennen, Bedürftigkeitsprüfungen eingebaut. Die Leistungsbezieher sollen, so das Ziel der Leistungen selbst, diesen Zustand wieder verlassen können. Damit ist klar, woher der Wind weht. Wer also dennoch dauerhaft Leistungsbezieher bleibt, muss sich immer wieder rechtfertigen, weil er etwas tut, was nicht vorgesehen ist. Das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung. Kann Butterwegge das ernsthaft nicht gesehen haben – oder nicht gesehen haben wollen? Auf einen Hinweis meinerseits, dass stigmatisierende Effekte solcher Leistungen nur dann aufgehoben würden, wenn es ein dauerhaftes, anders legitimiertes Mindesteinkommen gäbe, so wie es das BGE vorschlägt, räumte er ein, dass Erwerbsarbeit seiner Auffassung nach an erster Stelle stehen müsste. Von einer „repressionsfreien Grundsicherung“ zu reden oder davon, dass der heutige Sozialstaat „patriarchal autoritär“ sei, ist dann nur kritische Kosmetik. Kein Wunder also, wenn Butterwegge in seinen Veröffentlichungen affirmativ davon spricht, dass wir in einer Arbeitsgesellschaft lebten.

Ebenfalls bezeichnend war, wie mit dem Thema Familie (frühere Kommentare von mir dazu hier und hier) umgegangen wurde. Es spielte die ganze Zeit keine Rolle, bis dann eine Frage aus dem Publikum sich darauf richtete, ob denn mit einem BGE nicht das Verständnis von Arbeit erweitert werde, ob also auch Tätigkeiten damit Anerkennung fänden, die heute nachlässig behandelt werden, z.B. in der Familie. Butterwegge entgegnete, dass er, wenn er sich mit seiner Tochter befasse, nicht von Arbeit sprechen würde, das verbitte er sich. Da ist durchaus etwas dran, denn Arbeit hat immer ein Gegenüber, das bearbeitet wird. Es ist insofern naheliegend, dass wir den Arbeitsbegriff meist für Tätigkeiten reservieren, in denen es um die Bereitstellung von standardisierten Gütern und Diensten geht, nicht aber für Dienste am Menschen. Dort wird häufig von Patienten oder Klienten gesprochen. Weiterhin ist der Arbeitsbegriff heute meist mit der Einkommenserzielung verbunden, so dass ganz selbstverständlich von Arbeit dort gesprochen wird, wo es um bezahlte, also für eine Markt geleistete Arbeit geht. Butterwegge ging mit seiner Antwort allerdings an der Frage vorbei, die auf eine Gleichordnung von Tätigkeiten zielte. Stattdessen plädierte er dafür, Erzieher besser zu bezahlen. Was hatte das mit der Frage zu tun? Dass ein BGE etwas ermögliche, was heute mehr und mehr rechtfertigungsbedürftig wird: sich nämlich selbst um die eigenen Kinder zu kümmen, solange Eltern das für sinnvoll halten, ist für Butterwegge kein Thema. Abgesehen vom Erwerbsgebot und seiner normativen Aufladung können gerade diejenigen mit niedrigen Einkommen es sich nicht erlauben, für die Kinder zuhause zu bleiben, was sie dazu zwingt, früh wieder erwerbstätig zu werden. Das Elterngeld verstärkt diesen Zustand nur.

Als ich darauf hinwies, dass ein BGE in einem Haushalt kumuliere und gerade Familien mit niedrigerem Einkommen heute relativ deutlich besser stellen würde, darüber hinaus noch das Engagement in der Familie anerkannt (nicht bezahlt) würde, weil das BGE an die Person nicht an die Leistung gebunden sei, beantwortete er mit einer flapsigen Bemerkung. Jetzt fehle ja nur noch, sinngemäß, die Befürwortung des Betreuungsgeldes (siehe meinen Kommentar hier). Dass ein BGE hingegen Familie aufwertet, ohne zugleich andere Optionen wie Krippe oder Kindergarten abzuwerten, dafür war kein Platz in dieser Diskussion.

Was hielt Butterwegge noch entgegen? Er sei für einen Mindestlohn von 10 bis 12 Euro. Ein Mindestlohn von 12 Euro würde bei einer 40-Stunden-Woche gerade einmal zu einem Einkommen von 1920 Euro führen. Also gerade diejenigen, die von einem solchen Mindestlohn abhängig wären, erhielten relativ wenig Spielraum für ihre Entscheidungen, sofern sie mehr Zeit für die Familie haben wollten. Wenn Butterwegge auch an diesem Abend wieder das Verhältnis von Arm und Reich in Deutschland beklagte, will er offenbar keinen weiter reichenden Schritt gehen, als den Mindestlohn ein wenig zu erhöhen. An der Stigmatisierung derer, die noch andere wichtige Aufgaben sehen als Erwerbstätigkeit, will er offenbar festhalten. Das passt so gar nicht zum Kampf für die Armen.

Flapsig ist er mit der Frage danach umgegangen, ob uns denn nicht die Arbeit ausgehe, wie es durchaus missverständlich manchmal heißt. Es geht dabei natürlich nur um Erwerbsarbeit, bezahlte Arbeit. Die Entwicklung des Arbeitsvolumens pro Kopf für Deutschland spricht eine deutliche Sprache, wie unten zu sehen ist. Auch ist der Trend des Absinkens seit 1880 belegt. Differenzierte Debatten gibt es zur Frage, wie das zu erklären sei, eine eindeutige Antwort steht offenbar aus. Darüber einfach, wie Butterwegge es tat, hinwegzugehen, ist unseriös.

 

Abbildung: Arbeitsvolumen pro Kopf in Deutschland 1960-2010, bis 1990 Westdeutschland, ab 1991 West- und Ostdeutschland. Quelle: Bundesministerium für Arbeit, Statistisches Taschenbuch, eigene Berechnung. (Die Grafik ist dem Beitrag von Kai Eicker-Wolf entnommen).


Völlig außen vor an diesem Abend, bis auf wenige Bemerkungen auf dem Podium, blieb die Bedeutung eines BGE im Gefüge der Demokratie. Das war symptomatisch, ist allerdings in der Grundeinkommensdiskussion selbst ein Schwachpunkt. Schon als ich den Begriff Staatsbürger zu Beginn einführte, um von dort aus das BGE herzuleiten, wurde deutlich, wie über Demokratie gedacht wurde. Hier war es wieder Christoph Butterwegge, der sich auszeichnete. Obwohl ich deutlich machte, dass ein BGE alle Staatsbürger und Menschen mit Lebensmittelpunkt in Deutschland erhalten könnten (hier muss dann geklärt werden, welche Aufenthaltsstatus vorgesehen sind), warf er mir vor, dass dies ausgrenzend sei. Wenn schon, dann müssten alle Wohnbürger einbezogen werden. Leider gab es keine Möglichkeit, diesen Punkt weiter zu klären, dabei wäre es wichtig gewesen. Mir ging es darum deutlich zu machen, dass ein Gemeinwesen von denen getragen werden muss, die Träger aller Rechte sind, das sind aber nur die Staatsbürger, nicht die Wohnbürger. Wohnbürger müssen die politische Ordnung und die damit verbundene Rechtsordnung nur anerkennen, sie müssen sie aber nicht tragen und verantworten. Das ist überall so, wo es politische Gemeinwesen gibt, keine Gemeinwesen ohne Unterscheidung zwischen Angehörigen und nicht Angehörigen. Ein BGE würde also, wenn es am Status festgemacht würde, genau das Solidarband stärken, das heute schon unerlässlich ist dafür, die Staatsbürger als tragendes Fundament auch im System sozialer Sicherung anzuerkennen. Hier geht es unmittelbar um das Verhältnis von Demokratie und Selbstbestimmung im Gemeinwesen.

Sascha Liebermann

„Im Grunde die gleichen Gründe – Argumente der Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens“…

…ein lesenswerter Artikel von Harald Schauff, Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen-Selbsthilfe-Mitmachzeitung Querkopf ist und der sich insbesondere auf die jüngeren Ausführungen von Christoph Butterwegge, Armutsforschung und Professor an der Universität Köln bezieht. Butterwegges Beitrag wurde von den Nachdenkseiten veröffentlicht. Siehe einen Kommentar von Sascha Liebermann.

„Argumente gegen das „emanzipatorische Grundeinkommen“ der LINKEN-BAG“ – Neues von Christoph Butterwegge?

Christoph Butterwegge ist als ausdrücklicher Gegner eines Bedingungslosen Grundeinkommens bekannt (siehe hier; Dörre hat seine Haltung mittlerweile leicht verändert). Eine seiner jüngeren Abhandlungen war mit „Traumziel der Reformer“ übertitelt, die seine eherne Verteidigung der „Arbeitsgesellschaft“ deutlich machte. Wie steht es mit dem aktuellen Beitrag, den er auf den Nachdenkseiten veröffentlicht hat? Ich beziehe mich hierbei vor allem auf seine allgemeinen Einwände gegen ein BGE und weniger auf den Vorschlag der BAG, gegen den sich Butterwegge ausdrücklich wendet.

Schon zu Beginn des Beitrags fällt eine merkwürdige Gegenüberstellung von heutigen Systemen sozialer Sicherung und dem BGE auf. Butterwegge schreibt:

„Sieht man genauer hin, fallen jedoch gravierende Nachteile ins Auge, die damit einhergehen: Beim allgemeinen Grundeinkommen handelt es sich um eine alternative Leistungsart, die mit der Konstruktionslogik des bestehenden, früher als Jahrhundertwerk gefeierten Wohlfahrtsstaates bricht sowie seine ganze Architektur bzw. Struktur zerstören würde. Dieser gründet nämlich auf Sozialversicherungen, die in unterschiedlichen Lebensbereichen, -situationen und -phasen auftretende Standardrisiken (Krankheit, Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit) unter der Voraussetzung kollektiv absichern sollen, dass der versicherte Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber zuvor entsprechende Beiträge gezahlt haben. Nur wenn dies nicht der Fall oder der Leistungsanspruch bei Arbeitslosigkeit erschöpft ist, muss man auf steuerfinanzierte Leistungen (Alg II, Sozialgeld bzw. Sozialhilfe) zurückgreifen, die bedarfsabhängig – d.h. nur nach einer meist als schikanös empfundenen [Hervorhebung SL] Prüfung der Einkommensverhältnisse, vorrangigen Unterhaltspflichten und Vermögensbestände – gezahlt werden.“

Hält Butterwegge also das heutige System sozialer Sicherung für bewahrenswert, indem jeglicher Leistungsanspruch entweder über Erwerbstätigkeit erworben sein muss oder – falls nicht – in Erwerbstätigkeit auf jeden Fall zurückführen soll? Damit würde er ja all die stigmatisierenden Effekte heutiger Systeme verteidigen, er würde all die im System nicht oder kaum berücksichtigten Leistungen (Familie, Ehrenamt u.a.) genau in der Zweitklassigkeit belassen wollen, in der sie sich heute befinden? Was als „schikanös“ empfunden wird, hat seinen Grund in der Sache selbst und ist nicht Einbildung oder bloßes Empfinden der Betroffenen. Die Leistungsbezieher müssen sich vor der Behörde, d.h. letztlich dem Gemeinwesen rechtfertigen und Wohlverhalten an den Tag legen. Hält er auch das für bewahrenswert?

Weiter heißt es:

„Wenn (fast) alle bisherigen, zum Teil nach Bedürftigkeit gewährten Transferleistungen zu einem Grundeinkommen verschmolzen würden, wäre das Traumziel marktradikaler Reformer, die Sozialversicherungen zu zerschlagen und einen neoliberalen „Minimalstaat“ zu schaffen, ganz nebenbei erreicht, was sich noch dazu als Wohltat für die Bedürftigen hinstellen ließe … Als ein Kombilohn für alle könnte das BGE wirken, weil der Staat für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft aufkäme und der Unternehmer entsprechend weniger dafür aufwenden müsste.“

Es erstaunt wiederum die Grobschlächtigkeit. 1) Welche der bestehenden Leistungen ersetzt werden könnte, hinge nicht unwesentlich von der Höhe des BGE ab. Eine Sparversion, also ein niedriges BGE samt Abschaffung aller darüber hinausgehenden Leistungen, würde genau die Freiräume nicht eröffnen, die das BGE eröffnen soll. Sie schiede also, wenn man es ernst meinte, aus. 2) „Minimalstaat“? Ja und Nein. Ja – insofern als die Bereitstellung des BGE gerade keine Dauerkontrolle der Leistungsbezieher erforderlich machte, sie wäre gar nicht mehr erwünscht. Nur bedarfsgeprüfte Leistungen oberhalb des BGE bedürften noch der Feststellung bzw. Prüfung, jedoch gilt: Mit einem BGE änderte die Bedarfsprüfung für Bedarfe über das BGE hinaus ihren Charakter, weil sie sich über die Stellungs des Bürgers begründete und nicht durch den Erwerbsausfall. Was heute als Maßnahmenindustrie durch die Gesetzgebung erst zum Leben erweckt wurde, könnte erheblich anders aussehen, wenn nicht wegfallen, wo es sich um aberwitzige Angebote handelt. Nein – da das BGE vom Gemeinwesen, also dem von den Bürgern dafür beauftragten Staat, bereitgestellt würde. Es wäre ein Ausdruck von Solidarität ohnegleichen, ein gewaltiger Unterschied zu heute, weil er die Bürger machen ließe, statt sie zum Machen aktivieren zu wollen. 3) Kombilohn? Was soll man dazu sagen? Der Kombilohn ist stets an ein Erwerbsverhältnis gebunden, nur dann erhält z.B. der Arbeitgeber eine Subventionierung eines Arbeitsplatzes. Das BGE würde ja gerade unabhängig davon bereitgestellt und genau das verleiht Verhandlungsmacht, wo sie mit dem Kombilohn nicht besteht. Was die Einzelnen aus den Möglichkeiten machen, ob und wie sie verhandeln, bliebe deren Sache.

„Entweder erhalten jeder Bürger und jede Bürgerin das Grundeinkommen, unabhängig von den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen. In diesem Fall müssten riesige Finanzmassen bewegt werden, die das Volumen des heutigen Bundeshaushaltes (ca. 300 Mrd. Euro) um ein Mehrfaches übersteigen und die Verwirklichung des bedingungslosen Grundeinkommens per se ins Reich der Utopie verweisen.“

Weshalb? Das BGE muss den heutigen Möglichkeiten gemäß eingeführt werden, es kann nicht herbeigezaubert werden, was nicht zu verteilen ist. Wer leugnet das? Weshalb bezieht sich Butterwegge auf den Bundeshaushalt, er ist nicht die Bezugsgröße. Es muss letztlich um alle Leistungen gehen, die heute bereitgestellt werden und dabei ist nicht nur das Sozialbudget zu berücksichtigen, sondern auch sind es die Freibeträge in der Einkommensteuer. Sie sind heute ein bewusster Verzicht auf Besteuerung von Einkommen und insofern ein Rechtsanspruch aller. Er greift allerdings erst, wenn steuerbares Einkommen vorliegt. Was heute als Freibetrag bzw. als existenzsichernde Leistungen bereitgestellt wird, kann auch als BGE bereitgestellt werden.

„Außerdem würde sich unter Gerechtigkeitsaspekten die Frage stellen, warum selbst Milliardäre vom Staat monatlich ein von ihnen vermutlich als „Peanuts“ betrachtetes Zubrot erhalten sollten, während Millionen Bürger/innen (z.B. solche mit schwerwiegenden Behinderungen) mehr als den für sämtliche Empfänger/innen einheitlichen Geldbetrag viel nötiger hätten.“

Wer sich, wie Herr Butterwegge seit Jahrzehnten mit dem deutschen Sozialstaat befasst, dem können die Freibeträge in der Einkommensteuer nicht entgangen sein. Sind sie heute gerecht, als BGE aber wären sie ungerecht? Ein BGE kann ja als ausgeschütteter Freibetrag betrachtet werden. – Und wieder wird die kumulative Wirkung bei Haushalten nicht beachtet. Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto besser mit einem BGE die Einkommenssituation.

„Oder wohlhabende und reiche Bürger bekommen das Grundeinkommen nicht bzw. im Rahmen der Steuerfestsetzung wieder abgezogen. Dann wäre es weder allgemein und bedingungslos, noch entfiele die Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, müsste doch in jedem Einzelfall herausgefunden werden, ob die Anspruchsvoraussetzungen nicht durch (verdeckte) anderweitige Einkünfte verwirkt sind.“

Hier müssen zwei Dinge unterschieden werden, der Bereitstellungsmodus auf der einen und die steuertechnische Bilanzierung von Ausschüttung (BGE als Steuerausschüttung) und Abschöpfung (z.B. direkte und indirekte Steuerleistung pro Person) auf der anderen Seite. Das erste ist wichtig, um ein BGE als Regelleistung von einem Mindesteinkommen als Ersatz- oder Kompensationsleistung zu unterscheiden. Eine Regelleistung wird immer ausgezahlt, egal welche Einkommen sonst erzielt werden, eine Ersatz- oder Kompensationsleistung wird nur bereitgestellt oder beibehalten, wenn kein ausreichendes Einkommen vorliegt oder erzielt wird. Etwas ganz anderes ist es nun, ob eine Person bezüglich ihrer Bilanz von erhaltener Steuer und abgegebener Steuer Nettoempfänger oder Nettozahler ist. Dabei wird nur bilanziert, ob er mehr Steuern erhalten (in Form des BGE) oder mehr Steuern abgeführt hat, weil etwa eine entsprechende Einkommensbesteuerung oder Konsumbesteuerung vorgenommen wird. Bezüglich dieses letzten Punktes kann man sehr wohl sagen, dass Haushalte mit höheren Einkommen Nettozahler sein werden, ohne dass ihnen vom BGE etwas „abgezogen“ würde.

Insofern, als das BGE nicht dauerhaft bereitgestellt würde, sondern nur als Ersatz- oder Kompensationsleistung gälte, hat Butterwegge recht, wenn er schreibt:

„Arbeitslose und Arme müssten eine Einkommensteuererklärung abgeben und wären einem ähnlichen Kontrolldruck wie gegenwärtig ausgesetzt. Diesen zu beseitigen ist jedoch ein, wenn nicht das Hauptargument für das BGE, zumindest für Mitglieder und Anhänger/innen der LINKEN“.

Hier bezieht er sich auf das Modell der Negativen Einkommensteuer, das im Vorschlag der LINKEN als Alternative zum BGE vorgesehen ist Butterwegge übersieht allerdings, dass der „Kontrolldruck“ heute von zweierlei Sachverhalten ausgeht. Das ist zum einen der schlichte Umstand, dass Erwerbstätigkeit einem Gebot folgt, sie wird von einem normativen Konsens getragen, der dem Leben eine bestimmte Ausrichtung auferlegt. Zum anderen wirken dazu die verschiedenen Prüfungsformen verstärkend, deren Legitimierung genau im Erwerbsgebot liegt. Wenn Butterwegge also diesen Druck auf beiden Ebenen aufheben wollte, müsste er ein BGE befürworten, denn nur dann gäbe es keine Norm mehr, die besagt: Du sollst erwerbstätig sein.

Was schreibt Butterwegge noch?

„Mein zentrales Gegenargument ist allerdings ein verteilungspolitisches: Auf ungleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird mit der Forderung nach einer Geldzahlung in gleicher Höhe reagiert. Dabei muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden, denn eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip vermag keine Bedarfsgerechtigkeit zu schaffen. Das bedingungslose Grundeinkommen als solches tastet den privaten (Vermögens-)Reichtum aber nur an, wenn es über die Erhöhung/Erhebung von Gewinn- bzw. Vermögensteuern finanziert wird. Durch seine gigantischen Kosten für den Staatshaushalt verschärft es sogar das Problem der öffentlichen Verarmung – zur Zeit der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ und des Fiskalpakts ein nicht zu vernachlässigendes Problem.“

Die Schuldenbremse ist ein Problem eigener Art, eine Art Selbstknebelung aus dem Misstrauen heraus, nicht verantwortungsvoll mit öffentlichen Einnahmen umgehen zu können. Sie ist insofern auch ein Symptom unseres Selbstverständnisses. Der erste Teil der Ausführungen allerdings ist so nicht haltbar. Man muss sich lediglich vor Augen führen, was es heißen würde, eine dauerhafte Einkommensabsicherung zu haben (pro Person) – und diese Situation mit heute vergleichen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse haben durchaus damit etwas zu tun, welche Verhandlungsmöglichkeiten Menschen haben, wenn es um einen Arbeitsplatz geht. Die durch ein BGE verliehene Verhandlungsmacht könnte sich also sehr wohl erheblich auf die Einkommensverteilung auswirken, weit über das hinaus, was die Bereitstellung eines BGE als solches schon bedeutete. In der Debatte über prekäre Einkommensverhältnisse darf ein Aspekt, der in meinen Augen unterschätzt wird, nicht vernachlässigt werden. Es ist für die Einkommensentwicklung in Deutschland nicht unerheblich, wieviel man bereit ist, sich gefallen zu lassen und schlechte Arbeitsbedingungen hinzunehmen oder anders ausgedrückt: wie sehr man sich in die Verhältnisse einpasst und in der (teils berechtigten, teils unberechtigten) Furcht, unangenehm aufzufallen, jedes auffällige Manöver, jeden auffälligen Schritt eher unterlässt. Man nehme nur die teils hysterischen Reaktionen auf die Streiks der GDL oder der Kitas als Indiz dafür, wie ausgeprägt die Anpassungsbereitschaft ist.

„Es ist eine Illusion zu glauben, der Kommunismus („Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“) lasse sich nach dem Modell eines reichen Müßiggängers bereits im Rahmen des heutigen Finanzmarktkapitalismus verwirklichen. Vielmehr ist Kapitalismus ohne Arbeitszwang wie ein Gefängnis ohne Gitterstäbe und Mauern – beides gibt es nicht.“

Das ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man sich selbst entmündigen kann (ein ähnlicher hier). Wir haben viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten, als wir glauben, die Frage ist doch, ob wir sie nutzen wollen und wie. „Der Kapitalismus“ zeugt sich nicht einfach so fort, er bedarf gestaltender Entscheidungen, das war immer so. Worin diese Entscheidungen bestanden, kann, was die letzten Jahrzehnte betrifft, leicht nachvollzogen werden. Die Umgestaltung des Bildungswesens, ganz besonders der Hochschulen hat klar benennbare Verantwortliche: die Bildungspolitik und die Hochschulen samt der Entscheidungsträger darin selbst. Dasselbe gilt für die Sozialpolitik: Der Geist von Hartz IV ist überall.

„Zu verwirklichen ist das BGE auch nur mittels seiner Begrenzung auf den Nationalstaat und im Falle des Ausschlusses von Zuwanderern. Das strenge Armutsregime namens „Hartz IV“ würde also transformiert in ein noch rigideres Grenz- und Migrationsregime.“

Dass der Nationalstaat dafür wichtig ist, steht außer Frage, denn er – als Gemeinschaft von Bürgern – muss es bereitstellen und die Verantwortung dafür tragen. Weshalb aber sollten Zuwanderer ausgeschlossen werden? Zwar stellt sich die Frage, welcher Aufenthaltsstatus zur Voraussetzung für den Bezug wird, also eine Mindestaufenthaltszeit oder Ähnliches, doch die Ausweitung auf Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, ist sogar unabdingbar. Wie kommt Butterwegge auf den Gedanken, das sei nicht möglich? Der zweite Teil ist pure Phantasie des Autors. Mit dem BGE entsteht die Frage, wie mit Zuwanderung umzugehen ist, nicht erst, wir befinden uns schon länger mittendrin.

„Mindestlohn und BGE verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser: Wenn der Staat das Existenzminimum und die gesellschaftliche Teilhabe für alle Wohnbürger/innen garantiert, können Arbeitnehmer/innen keinen Anspruch mehr auf Lohn in einer die physische Existenz und die gesellschaftliche Teilhabe sichernden Höhe erheben.“

Dem ersten Teil würde ich durchaus zustimmen, aber nicht aus den Gründen, die Butterwegge anführt. BGE und Mindestlohn zugleich haben zu wollen, bedeutet, zwei einander gegenläufigen Prinzipien zu folgen. Beide dienen der Mindesteinkommenssicherung, der Mindestlohn aber ist erwerbsabhängig, das BGE ist erwerbsunabhängig.

„Auch der Sozial(versicherungs)staat und das BGE verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser. Wenn alle Wohnbürger/innen auf einem das sozioökonomische Existenzminimum garantierenden Niveau abgesichert wären, würden nicht bloß die (steuerfinanzierten) Fürsorgeleistungen des Staates entfallen, vielmehr auch die Sozialversicherungen weitgehend überflüssig, die vor den Standardlebensrisiken schützen sollen.“

Sofern das BGE eine Höhe hätte, die heutigen Versicherungsleistungen entspräche, weshalb sollten sie dann beibehalten werden? Wer wird denn von den bestehenden Versicherungen tatsächlich geschützt? Überwiegend diejenigen, die in entsprechendem Umfang erwerbstätig waren. Die Folgen sehen wir beim Arbeitslosengeld I, bei der Rentenversicherung.

„Für die LINKE macht das BGE (partei)strategisch deshalb keinen Sinn: Erstens schwächt die Forderung nach einem BGE den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, weil es den Staat aus seiner Verantwortung für deren Beseitigung entlassen würde.“

Strategische Fragen der LINKEN will ich hier nicht kommentieren, was darüber hinaus geht schon. Weshalb und wer entließe den Staat aus seiner Verantwortung? Wenn dieser „Kampf“ weiterhin für wichtig erachtet würde, dann würde er auch geführt werden, um in Butterwegges Duktus zu bleiben. Doch, wäre Arbeitslosigkeit, wenn es ein BGE gäbe, noch dasselbe wie heute? Wohl kaum, denn die gesamte Bedeutung erhält Arbeitslosigkeit aus zwei einfachen Gründen: Wer arbeitslos wird, verliert sein als legitim anerkanntes regelmäßiges Einkommen – das er sich „verdient“ hat. Darüber hinaus bedeutet Arbeitslosigkeit, dem Gebot der Erwerbstätigkeit nicht zu folgen und somit zum Gemeinwohl den entscheidenden Beitrag nicht zu leisten. Das ist als solches schon eine Bürde, die Bezugsbedingungen der entsprechenden Leistungen verstärkt das lediglich.

Abschließend schreibt er:

„Was die LINKE braucht, um erfolgreicher als bisher sein zu können, ist keine unrealistische Vision von einem „Schlaraffenland“, in dem niemand arbeiten muss, sondern eine überzeugende Alternative zum modernen Kasinokapitalismus, die Perspektiven jenseits von prekärer Beschäftigung, Armut und sozialer Ausgrenzung weist.“

Wo bleibt hier die Differenzierung? Butterwegge möchte wohl ein politisches Statement abgeben, von Analyse kann keine Rede sein. Dass ein BGE gerade nicht zum Schlaraffenland führt, sondern bei aller Absicherung eine gewaltige Zumutung darstellt, weil der Freiraum, den ein BGE schafft, eben auch gefüllt werden muss, seine Füllung jedoch nicht mehr vorgespurt ist durch die heute in jeder Hinsicht als sinnvoll anerkannte Erwerbstätigkeit, kann oder will er nicht sehen.

„Selbst wenn die Erwerbslosen mit dem BGE materiell besser als bisher abgesichert wären, bliebe das Problem ihrer sozialen Desintegration bestehen. Denn in einer Arbeitsgesellschaft wie unserer resultieren der Lebenssinn, der soziale Status und das Selbstwertgefühl der Menschen aus der Erwerbsarbeit.“

Diese Passage spricht Bände, weil der Autor damit übergeht, was die politische Ordnung in ihren Grundfesten auszeichnet: der Bürger steht in ihr im Zentrum, nicht der Erwerbstätige (siehe auch hier und hier). Mit seiner Behauptung befindet sich Butterwegge allerdings in guter Gesellschaft (siehe hier und hier), denn die These, wir lebten in einer Arbeitsgesellschaft, gehört zu den weit verbreiteten Deutungen. Dabei könnte einem schnell auffallen, dass gerade in Erwerbstätigkeit der Einzelne nicht um seiner selbst willen zählt, sondern als Aufgaben- oder Funktionsträger. Deswegen ist er ja auch – notwendigerweise – dort austauschbar, er kann und muss entlassen werden, wenn er nicht den Anforderungen entspricht. Das ist nur deswegen ohne Schaden für ein Unternehmen, sei es privat, sei es öffentlich möglich, weil der Einzelne eben nur für die Bewältigung der Aufgabe da ist. Sie aber ist genauso gut auf andere übertragbar. Er ist also darüber gerade nicht integriert. Wo er hingegen nicht austauschbar ist, sondern um seiner selbst willen gilt, das ist das Gemeinwesen der Bürger, in dem die Bürgerrechte bedingungslos verliehen werden. Gerade dadurch ist jeder politisch „integriert“. Heute hingegen gilt diese Integration nicht viel, stattdessen wird die in Erwerbsätigkeit in ihrer Bedeutung überhöht und mit nicht einlösbaren Erwartungen verbunden.

Sascha Liebermann

Grundeinkommen erneut auf den Nachdenkseiten

In der vergangenen Woche erschien ein Beitrag von Christoph Butterwegge zum Grundeinkommensvorschlag der BAG Grundeinkommen (Die Linke) auf den Nachdenkseiten (ein Kommentar von unserer Seite folgt, ältere Kommentare siehe hier). Vor einigen Jahren hatte er dort schon einmal zur Sache veröffentlicht. Nun verweisen die Nachdenkseiten, womöglich auf eine Anfrage von Mathias Schweitzer (Netzwerk Grundeinkommen) hin, auf einen Beitrag von ihm und zugleich auf frühere von Jens Berger (ältere Kommentare von uns siehe hier) und Albrecht Müller (ältere Kommentare von uns siehe hier). Machen Sie sich selbst ein Bild.

„Hartz IV und die Folgen“ – Videomitschnitt einer Diskussion in Frankfurt am Main

Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Köln, Inge Hannemann, Hamburg, Prof. Dr. Franz Segbers, Marburg, Prof. Dr. Matthias Zimmer, MdB, Frankfurt; Moderation: Katja Irle (hr-Info) am 12. Februar 2015 im Haus am Dom in Frankfurt a. M.

Christoph Butterwegge (siehe auch hier) hat sich einen Namen als Gegner eines Bedingungslosen Grundeinkommens gemacht, Franz Segbers zählt zu den Befürwortern (hier und da mit sonderbaren Vorbehalten).

„Die Debatte um das Grundeinkommen“ – NDR Redezeit

„Die Idee des Grundeinkommens findet immer mehr Anhänger. Welche Vor- und Nachteile hätte die soziale Absicherung der Bürger ohne Prüfung der Lebensverhältnisse?“
NDR-Redezeit lud dazu Götz W. Werner und Christoph Butterwegge zur Diskussion ein. Letzter hat wiederholt den Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens kritisiert (siehe unseren früheren Kommentar hier), insbesondere auch die Finanzierung über eine Konsum- bzw. Verbrauchssteuer. Hörer konnten anrufen und Fragen stellen. Hier geht es zum Podcast beim NDR, hier bei Youtube.